Vegetationskundliche Untersuchung im "Paradies"¹
Fünfzehn Jahre naturnahe Spielraumplanung
von: Dr.-Ing. Florian Bellin-Harder, M. Sc. Nora Johanna Huxmann"Naturnahe Spielräume" sind nicht einheitlich definiert, wie auch "Naturnähe" nicht von allen Planern gleich verstanden wird. Ideenelemente werden anteilig aus dem Naturschutz, aber auch aus der Pädagogik generiert, so dass sehr unterschiedliche Spielflächen entstehen, obwohl häufig mit denselben Schlagworten argumentiert wird. Wichtigster Bestandteil der meisten so betitelten Spielräume ist die Vegetation mit ihren Entwicklungsprozessen, die scheinbar unreguliert zugelassen werden. Dennoch spielt dann aber auch die Pflege, also der geplante Eingriff in die Vegetationsentwicklung, eine Rolle. Das Kinderspiel allein ist weder in der Lage die Funktionen der Freiräume für Spiele aufrecht zu erhalten, noch für Verkehrssicherheit zu sorgen. Überdies wird an den Freiraum die Erwartung gestellt, bestimmten Formen von Erfahrungen zu ermöglichen. "Naturnahe Spielräume" sind unter ihren verschiedenen Titeln letztlich doch gestaltete und häufig in ihrer Vegetationsentwicklung gelenkte Freiräume, mit denen ein bestimmter erzieherischer Zweck verbunden wird.
Auch die Vorstellung von Planung als materielle Umsetzung von Ideen stößt in der naturnahen Spielraumplanung scheinbar an ihre Grenzen, da die Veränderlichkeit als Wesen des hergestellten "Objekts" Vegetation vordergründig die fixierte Gestaltungsidee der Landschaftsarchitektur aufhebt.²) Eine ständige Beobachtung (Monitoring) der Vegetationsentwicklung, wie zum Beispiel aus dem Naturschutz bekannt, ist daher hier notwendig und stellt damit die Idee des "fertig gestellten" Objektes in Frage. "Fertigstellung" muss dauerhaft stattfinden oder der Spielraum ist immer nur eine vorübergehende Erscheinung. Wenn also sich entwickelnde Vegetation für die Kinder erfahrbar sein soll, dann ist über eine planvolle Strukturierung der Vegetationsentwicklung nachzudenken, die Erfahrungen und Aneignungsmöglichkeiten der Kinder ermöglicht, ohne ein Spielprogramm vorzugeben wie beim "klassischen" Gerätespielplatz. Die Idee einer planvollen Vegetationsentwicklung widerspricht jedoch zum Beispiel geläufigen Vorstellungen von Wildnis.³)
Nachfolgend soll zunächst die stellenweise in der Literatur deutlich zum Ausdruck gebrachte Differenz zwischen Gerätespielplatz und naturnahem Spielraum (oder ähnlichem) historisch nachvollzogen und die Naturerfahrung als Antwort auf das Gerätespiel gedeutet werden. Anschließend folgt dann die Darstellung einer plausiblen Einschränkung der umstandslos sich selbst überlassenen Natur am Beispiel des "Paradieses" in Oppenheim.4) Aber auch hier sind die Konsequenzen der (notwendigen) Gestaltung mit Vegetation noch nicht vollständig erkannt. Vorliegender Aufsatz versteht sich als Beitrag zur Diskussion über naturnahe Spielräume, der für deren konsequente Strukturierung im Hinblick auf ihre praktische Handhabbarkeit eintritt, nicht aber als Anregung für ihre formale Gestaltung oder ihre pädagogische Begründung zu verstehen ist.
Die Nachfrage nach räumlich definierten Spielorten entsteht schon im 19. Jahrhundert mit Industrialisierung und zunehmender Verstädterung. Erst 1979 wird sie jedoch in Deutschland auch gesetzlich verankert. Sehr früh wird dabei auch Kritik laut: "Seit Ende der [19]50er Jahre findet eine kontinuierliche Verdrängung unserer Kinder in sog. Ersatzräume, wie zum Beispiel eingezäunte Kinderspielplätze, statt. Insbesondere die gigantische Entwicklung des Kraftfahrzeugverkehrs hat dazu geführt, dass Kinder zunehmend auf kleinen, isoliert liegenden, unattraktiven möblierten Restflächen spielen müssen. Die Folgen sind allgemein bekannt und können in den Stichworten ,Gettoisierung' und ,Verinselung' zusammengefasst werden. Wir kennen diese Phänomene übrigens auch aus dem Artenschutz" (Barz 2008: 11). Auch unabhängig von dieser Nähe zum Naturschutz als Reservatsschutz sind die Berührungspunkte groß: Die Forderung nach mehr Natur ist von Anfang an Teil der Spielplatzdebatte. Dennoch ist der Spielplatzbau zu Anfang stark auf die Verwendung von Spielgeräten fixiert; dies erklärt sich unter anderem aus seiner Verankerung im Sportstättenbau, wo schon vor der eigenständigen gesetzlichen Erfassung strategische Spielplatzplanung betrieben wird (Mevert o. D.: 49).5)
Erst in den 60er Jahren kommen mit ersten Abenteuerspielplätzen, Kinderbauernhöfen und Stadtteilfarmen erste alternative Spielplatzkonzepte aus der Sozial- und Erlebnispädagogik auf. Natur gewinnt hier Bedeutung als Primärerfahrungsraum und gesellschaftliche Ressource.6) Diese Ideen sind bis heute wirksam im Verständnis der pädagogischen Wirkung von Räumen. Deren Gestaltung stellt also eine Bereitstellung von Gelegenheiten für Erfahrungen dar.7)
Im gärtnerisch-planerischen Bereich gewinnt zeitgleich (besonders in den 70er und 80er Jahren) die ökologisch geprägte Naturgartenbewegung an Bedeutung, die ebenfalls bis heute wirksam ist. Sie propagiert Naturschutz durch die Nutzung heimischer Pflanzen sowie Strukturvielfalt als Grundvoraussetzung für Biotop- und damit wiederum Artenvielfalt (vgl. Körner 2007: 108 f.).
Im Spannungsfeld dieser beiden Einflüsse befindet sich die naturnahe Spielraumplanung bis heute. Es gibt deshalb keine klare Definition dessen, was einen Spielraum naturnah macht. Es können jedoch zwei Typen grob unterschieden werden:
Gerätespielplätze in naturnaher Umgebung: Klassische Spielgeräte werden in naturnaher Umgebung angeordnet und mit bespielbarer Vegetation, häufig auch Geländemodellierungen, versehen. Teilweise wird dabei der Verzicht auf alle mit naturnahen Alternativen ersetzbaren technischen Spielgeräte propagiert. Eingesetzt werden häufig Schaukeln und Rutschen (üblicherweise Holmbreitrutschen). Ein typischer Vertreter dieser Planungsrichtung ist zum Beispiel Reinhard Witt (vgl. unter anderem Pappler/Witt 2001).
Geräteunabhängige Naturspielräume: In dieser Kategorie wird gänzlich auf Spielgeräte verzichtet. Je nach Vertreter wird nach einer sogenannten "Initialgestaltung" das Gelände mehr oder weniger sich selbst überlassen. Dynamische Prozesse der Vegetationsentwicklung bis hin zur unbegleiteten Sukzession prägen diese Flächen, die durch bespielbare Vegetation und Geländemodellierung Kindern Spielspaß sowie erfahrbare Natur bieten sollen. Ein Vertreter dieser Richtung wäre beispielsweise Hans-Joachim Schemel mit seinen Naturerfahrungsräumen (vgl. zum Beispiel Schemel 1998: 209 ff.).
Das "Paradies" - naturnaher Spielraum im Griff der Brombeere
In den folgenden Überlegungen zur Vegetationsentwicklung naturnaher Spielräume wird beispielhaft ein Spielraum in Rheinlandpfalz betrachtet, der inzwischen seit gut 15 Jahren besteht und als Modellprojekt für die naturnahe Spielraumplanung gehandelt wird. Das Projekt "naturnaher Spielraum Paradies" entspricht eher der Schemelschen Idee der geräteunabhängigen Naturerfahrungsräume und wird von ihm auch als Best Practice Beispiel für einen naturnahen Spielraum genannt (Schemel 1998: 214 ff.). Dennoch gibt es entscheidende Unterschiede im Konzept, besonders die Begleitung und Pflege von Vegetation betreffend.
Das Paradies, dessen Benennung von Kindern stammt, geht auf das Engagement anwohnender Eltern zurück, die eine bespielte Brachfläche dauerhaft vor der Überbauung sichern wollten und daher eine "offizielle" Bereitstellung als Kinderspielort anstrebten. So wurden 1995 1,8 Hektar Spielraumfläche gewidmet8), die für Kinder von sechs bis zwölf Jahren konzipiert sind.
Begleitet wird die Spielfläche schon von Anfang an von Dipl.-Ing. Henriette Degünther, die als Planerin im Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz, aber auch als Anwohnerin und Mutter kleiner Kinder, die die Fläche aktiv nutzten, involviert war und ist. Die engagierte und fachkompetente Planerin ist heute noch mit ebenso viel Elan bei der Sache wie zu Beginn des Projektes und auch nach wie vor außerberuflich darin tätig - in zahlreichen Nebenbei-Pflegegängen und kurzen Spaziergängen vor Ort, wie auch tatkräftigem Anwerben ehrenamtlicher Helfer.
In ihrer Erfahrung der praktischen Umsetzung naturnaher Spielräume zeichnen sich andere Schwerpunkte ab als die von Schemel beschriebene Akzeptanz natürlicher Sukzessionsvorgänge. Sein Konzept negiert, nach Degünther, dass im öffentlichen Raum ohne Gestaltung und regelmäßige Pflege keine für das naturnahe Kinderspiel notwendige Vielfalt entstehe, die gleichzeitig sicher genug sei, um von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert zu werden. Vielfalt, die bespielbar sei, entwickele sich nicht unabhängig von der Nutzung und stelle sich nicht von alleine ein. "Eine Gestaltung hat im Blick, wie der Raum zu erschließen ist, dass reizvolle Teilbereich für intensive Bewegungsspiele, aber auch für Naturerlebnisse entstehen" (Degünther 2008: 165 f.). Dazu gehört für Degünther auch eine Gestaltung, die nicht nur als Initialgestaltung gesehen werden darf, sondern vielmehr in einen umfassenden Pflege- und Entwicklungsplan umgesetzt werden muss. "Im Laufe der Jahre kann aus einem groben Gestaltungskonzept eine ausgefeilte Pflegeplanung werden, die Aussagen zur Gestaltung und Entwicklung [...] und jährlich Vorschläge zur Rückführung und Weiterentwicklung macht" (Degünther 2008: 164). Besonders das Konzept der "Rückführung" unterscheidet Degünthers Theorie von der Schemels: So werden "Bracheinseln" im Abstand von fünf bis zehn Jahren abgeräumt, also zum Anfangsstadium (Rohboden) oder einem Zwischenstadium zurückgeführt, um so für ständig neue Entwicklung zu sorgen.
Auch eine indirekte pädagogische Betreuung wird von Degünther vertreten, umgesetzt durch das Bereitstellen von Materialien zum Bauen und Spielen, Pflanzenpatenschaften, besonders von Obstbäumen, und Beteiligung der Kinder im Entstehungs- wie Pflegeprozess.
Im Gelände des Spielraums "Paradies" ist eine klare Zweiteilung zu erkennen. So gibt es einen Baum/Busch-Bereich (von den Kindern Finsterwald/Indianerwald genannt) und eine Fläche mit Bracheinseln in unterschiedlichen Stadien der Sukzession. Das Gelände ist mit einem Wegesystem erschlossen. Wegeverbindungen sind teilweise als Rasenwege ausgebildet, teilweise als Gänge durch das "Unterholz". Ausstattungselemente sind Kletterfelsen und Baumstämme sowie Lagerplätze für Baumaterial, das hauptsächlich aus Schnittgut besteht, das im Spielraum selbst im Zuge der Pflege gewonnen wird. Einziges technisches Spielgerät des "Paradieses" ist eine Wasserpumpe mit Matschmulde - dies war die einzige Möglichkeit Wasser für die Kinder zugänglich zu machen und wurde daher als sinnvoll erachtet. Eigenbauten der Kinder entstehen in unterschiedlichen Bereichen der Spielfläche, je nachdem, wie "abgespielt" die Vegetation jeweils ist. So verschieben sich Spielschwerpunkte - Vegetation, insbesondere das Innere von Gehölzinseln wird zeitweise sehr stark genutzt und kann sich dann wieder "erholen", wenn Kinderaktivitäten abwandern. Eigenbauten der Kinder werden belassen, aber regelmäßig auf ihre Sicherheit geprüft. Wenn nötig, werden sie - immer in Absprache mit den Kindern - abgeräumt.
Das "Paradies" ist also nicht bloß brach gefallene Fläche oder reine ("wilde") Natur, sondern planvoll strukturiert und gepflegt. Dadurch entstehen verschiedene Bereiche, deren Vegetation und entsprechend Vegetationsentwicklung sich unterscheiden und letztlich eine Vielfalt an Spielmöglichkeiten und Sinneseindrücken bedingen. Konkret sieht die Ausformung der Vegetation wie folgt aus:
- Rasenwege: gehwegbreite Pfade mit kurz geschnittenem Rasen, darin teilweise frei getretene Erde. Am Rand schmale Weg begleitende Säume höher aufgewachsener Gräser;
- einzelne größere Rasenflächen;
- Bracheinseln: unterschiedliche Sukzessions- beziehungsweise Regenerationsphasen von Gehölzen. Dabei sind "vorne" am Schwimmbad mehr kleinere Sträucher und Obstbäume zu finden, teilweise vor nicht allzu langer Zeit "zurückgesetzt", "hinten" waldartige Fläche mit höheren Strauchgehölzen und Weiden, die vor kurzem "geköpft" wurden. Auch einzelne höhere Bäume (zum Beispiel Walnuss) sind vorhanden.
- roblembereiche liegen vor allem im Umfeld des Eingangsbereichs beim Schwimmbad, wo sich
- Brombeerfelder befinden, in denen außerdem Wildrosen und Kratzbeeren vorkommen.
Es sind diese von Brombeeren überwucherten Flächen, die in der Pflege besondere Schwierigkeiten bereiten, da sie mit den angedachten Pflegegängen der "Rückführung" und sonstiger Schnittmaßnahmen nicht eingedämmt werden können. Sie haben sich vielmehr in den vergangenen Jahren mehr und mehr ausgebreitet und verhindern so de facto eine Aneignung inzwischen größerer Areale durch die Kinder. Sie können zwar, wenn sie hoch genug sind und an anderen Sträuchern klimmen, teilweise als Tunnel oder Höhlen genutzt werden - dies aber zumeist auch nur, wenn sie schon wieder abgängig sind. Vitale Brombeergebüsche sind nicht querbar, ohne größere Schäden an Kleidung und Haut zu verursachen und werden daher nicht bespielt.
Im Rahmen einer Exkursion des Fachgebiets Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Universität Kassel wurden im Sommer 2011 pflanzensoziologische Aufnahmen nach Braun-Blanquet im "Paradies" durchgeführt, um eine genauere Analyse der Situation vor Ort zu ermöglichen. Dabei wurde die lokal vorhandene Vegetation im Vergleich mit dem ursprünglichen Zustand und der angestrebten Gestaltung betrachtet, um planerisch-gärtnerische Lösungsvorschläge zum Brombeerproblem zu entwickeln. Dem vegetationskundlich gebildeten Planer, der sich nur vorübergehend im "Paradies" aufhält, kommt zu Gute, dass die aktuell vorhandene Vegetation als "Zeuge" vergangener Pflege und Entwicklung, Entwicklungsprozesse und äußere Einflüsse abbildet.
Das Verfahren nach Braun-Blanquet, insbesondere der tabellarische Vergleich der Vegetationsaufnahmen erlaubt zunächst die Differenzierung von Vegetationstypen. In einem Gebiet können auf dieser Grundlage Verbreitung und Benachbarung (räumliches Nebeneinander) verschiedener Pflanzengesellschaften dargestellt werden. Da ein räumliches Nebeneinander durch die verschiedenen Sukzessionsstadien auch immer ein zeitliches Nebeneinander darstellt9), können dann recht genaue Prognosen über weitere Entwicklungen getroffen werden (ausführlich hierzu Bellin-Harder 2011: 110 ff.). Neben Begehungen und einer genauen Fotodokumentation wurde so auch ein idealtypisches Transsekt durch den Spielraum gelegt, das räumliche wie zeitliche Abfolgen von Vegetationstypen bildlich darstellt.
Die wichtigsten und im Gebiet flächenmäßig am stärksten vertretenen Vegetationstypen werden im Folgenden kurz beschrieben:
Tritt- und Scherrasen
Poa annua und Trifolium repens bzw. Lolium perenne gehören im Prinzip verschiedenen Gesellschaften an, nämlich den Annuellen und den Ausdauernden Trittrasen. Allerdings treten beide Gesellschaften unter hohem Nutzungsdruck und bei nicht durchgehend linearer Bewegung (zum Beispiel im Umfeld der Pumpe) als feinteilige Mosaike auf. Dies spiegelt sich auch im Problem wider, bei Aufnahmen beide Gesellschaften getrennt voneinander zu erfassen. Auch wenn diese Pflanzengesellschaften selbst durch die spielenden Kinder und Rasenmäher geprägt werden, würden sie ohne den Schnitt der Ränder mit der Motorsense nicht lange gegenüber den Brombeergebüschen bestehen bleiben, weil diese das Bewegungsspiel wie auch das Rasenmähen eindämmen und schließlich ganz verhindern.
Brombeergebüsche
Neben Rubus fruticosus mit zumeist sehr hohen Deckungswerten von über 50 Prozent sind weitere vor allem Ausläufer bildende Arten am Bestandsaufbau der Brombeergebüsche beteiligt, wie Rubus caesius, Agropyron repens, Urtica dioica und Convolvulus arvensis. Durch die Untersuchung von Teilbereichen des "Paradieses", die zu unterschiedlichen Zeitpunkten "zurückgesetzt" wurden, bietet sich hier ein guter Überblick der Entwicklung der Standorte auch nach radikalen Pflegeeingriffen. Bei diesen Eingriffen wird teilweise die Vegetation oberirdisch vollständig abgeräumt, so dass der Boden anschließend offen liegt. Die Brombeere ist offenkundig in der Lage, noch im selben Jahr bis zu 50 Prozent der Fläche durch Wurzelausläufer bzw. Sprossregeneration wieder zu erobern. Annuelle Begleiter des ersten Jahres, wie Trifolium dubium und Cardiaca draba spielen schon im Folgejahr keine nennenswerte Rolle mehr im Bestandsaufbau.
Gebüsche
Neben den Brombeergebüschen nimmt noch ein anderer Vegetationstyp große Flächenanteile im Gebiet ein, die Gehölzgesellschaften. Da aktuell Überhälter beziehungsweise heranwachsende Bäume eingeschlagen oder geköpft werden, um Gefahren für kletternde Kinder einzudämmen und zugleich Baumaterial für die Kinder zu gewinnen, dominieren Strauchgehölze diese Gesellschaften, wie Cornus sanguinea und Ligustrum vulgare, stellenweise auch Crataegus-Arten oder Corylus avellana, durchsetzt von Baumjungwuchs, zum Beispiel Acer platanoides oder auch Juglans regia. Insbesondere an den Flanken der Strauchgebüsche aber auch über niedrige Gebüsche hinweg streichend nehmen Schleier von Clematis vitalba zum Teil hohe Deckungsanteile ein.
Gehölzinnensäume
Die gealterten Strauchbestände haben oft sehr dicht geschlossene Kronen, daher streicht das Licht eher von der Seite oder durch die Zugänge über den Boden und zieht somit Pflanzenwachstum nach sich. Säume mit Anteilen von Geum urbanum reichen am weitesten in die Tiefen der Durchgänge und bedecken den Boden selten zu mehr als 40 Prozent. Oft begleiten nur wenige einzelne Pflanzen die Wege und fallen als Säume im engeren Sinne kaum auf.
Analyse der Vegetation
Die Mahd der Rasenwege und das Ausschneiden einzelner Gänge im Gebüsch entsprechen einem Nutzungsangebot. Die Kinder können die Wege nutzen, müssen dies aber nicht zwingend. Dass dieses Nutzungsangebot angenommen wird, kann im von größeren Gehölzen freien Gelände am Anteil der Arten aus den Trittrasen nachgewiesen werden. Nur in Randbereichen, insbesondere an spitzen Winkeln von Weggabelungen, hält sich Scherrasenvegetation, in der Poa annua gänzlich fehlt und stattdessen Arten wie zum Beispiel Potentilla reptans und Agrostis stolonifera dominieren. Die Aneignungsschwelle auf den Wegen ist wesentlich geringer und manche der Nutzergruppen (vor allem kleinere Kinder) würden vermutlich ohne diese Angebote das Gebiet gar nicht oder nur sehr eingeschränkt besuchen können.
Die Wege und Pfade erschließen das Gebiet und fördern dadurch zum einen Spiele, die mit Laufen, Verstecken und ähnlichen Bewegungen zu tun haben und sind zum anderen Voraussetzung unter anderem für Erkundungen, Eroberungen, das Erschließen neuer Verstecke und Plätze im Dickicht und den Rückzug an den Rändern oder auch weiter in die zugewachsenen Flächen. Man kann deshalb prinzipiell zwar von einem linearen Nutzungsangebot sprechen, das aber nicht nur für die Wege selbst, sondern für das ganze Gebiet Nutzungsvoraussetzung ist. Bei den gegebenen Standortbedingungen mit feinerdereichem und basenhaltigem Substrat (Kalkskelett) bedürfen die Rasen keiner besonderen Düngung. Indessen ist die regelmäßige Mahd (bis zu 15 Schnitten) wichtig, um das zu verhindern, was an den selten gemähten Ränder zu sehen ist: eine Besiedelung mit Brombeeren im von größeren Gehölzen freien Gelände.
Die Brombeere regeneriert aus Wurzelausläufern und noch aus wenige Zentimeter über dem Boden verbliebenen Sprossresten, so dass ein "Rückschnitt" eher förderlich für den Neuaustrieb ist, der von Mal zu Mal kräftiger wird. Der diskontinuierliche (= unregelmäßige) Rückschnitt durch das "Rücksetzen" im "Paradies" im Abstand von mehreren Jahren, stellt sich insofern mehr als "Verjüngungsschnitt" und Förderung der Brombeere dar, wie auch aus der gärtnerischen Praxis für Strauchgehölze bekannt. Die Regeneration verschiedener ansehnlicher ein- und zweijähriger Blumen sowie Stauden, für die Vielfalt und Nutzung der Vegetation im Paradies grundsätzlich erwünscht, bleibt dagegen aussichtslos. Sie unterliegt der Konkurrenz zu den Brombeeren, die auf vorhandene Wurzelmasse zurückgreifen können.
Lösungsansätze
Entscheidend für vegetationskundliche Lösungsansätze zum Brombeerproblem und somit für die Frage der Vielfalt der Vegetation und damit verbundene Erlebnismöglichkeiten ist die Konstanz und Regelmäßigkeit der Pflege. Durch kontinuierliche Eingriffe können für mehr Pflanzenarten zugängliche Lebensbedingungen geschaffen werden. Die Vegetationsentwicklung braucht, langfristig gesehen, einen anderen Ausgangspunkt, um wieder ansehnliche und differenzierter nutzbare Sukzessionsphasen durchlaufen zu können. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise erreicht werden:
Rasen und Wiesen
Regelmäßige Mahd der momentan mit Brombeeren besetzten Flächen würde einen Scherrasen ähnlich den jetzigen Rasenwegen schaffen. Um die Dominanz Rhizom bildender Arten zu unterdrücken, wäre anfangs eine Schnitthäufigkeit zwischen zehn- bis 14-mal pro Jahr notwendig. Nach etwa drei bis fünf Jahren müsste auf diese Weise ein Scherrasen ohne Rubus oder Urtica entstehen. Danach könnte die Schnitthäufigkeit auf Wiesenniveau (zweischürig) reduziert werden, so dass mehr interessante Arten (auch durch Aussaat) eingebracht würden. Dieses Wiesenstadium könnte dann wieder als Ausgangspunkt für eine Sukzession genutzt werden, bei der die Brombeere nicht sofort Überhand nehmen würde.
Ackerflächen
Eine weitere vielfältige Vegetation ist die Ackerunkraut- beziehungsweise -begleitflora, die allerdings Nebenprodukt der genutzten Vegetation ist (zum Beispiel Getreide, Lein oder Rüben). Sie entsteht durch das Öffnen des Bodens und schließt ihren Vegetationszyklus zusammen mit der kultivierten Vegetation ab, ist aber selbst nicht Wirtschaftsgegenstand. Dennoch kann sie auch absichtlich hergestellt werden, indem die Kulturtätigkeiten, die nebenher die Bedingungen für Ackerbegleitvegetation herstellen, nachgeahmt werden. Wenigstens zweimal im Jahr wechseln die Kulturen, was mit einer vollständigen Öffnung des Bodens verbunden ist (Pflügen, Eggen, Drillen/Säen). Um die Brombeeren und andere unerwünschte Pflanzen zu unterdrücken, müsste weiterhin die Arbeit einer Hackfruchtkultur (wie zum Beispiel Rüben oder Kartoffeln) imitiert werden - es müssten also regelmäßige Hackgänge erfolgen, die das Beikraut zerstören und die Kulturpflanze fördern. In den ersten Jahren müssten so etwa zehn "Pflegegänge" im Jahr erfolgen. Die Ackerung müsste in etwa vier Jahre dauern, um erfolgreich eine Auslese kurzlebiger und somit für das Paradies geeigneter (einjähriger) Arten zu erreichen, von der aus dann wiederum eine Sukzession einsetzen könnte, die ohne die Dominanz der Brombeere vonstatten gehen würde. Diese Form der Vegetation ist ein Kulturlandschaftsphänomen. Sie wird hier jedoch aufgeführt, um der Rodung von Verbuschungen auch einen Sinn zu verleihen.
Strauchaufwuchs
Ein weiterer Lösungsansatz kann im Grunde schon jetzt stellenweise im "Paradies" beobachtet werden: Im Zuge der Sukzession wird die Brombeere bei zunehmendem Kronenschluss der Straucharten des Lichts beraubt und stirbt ab. Sie findet demnach ein natürliches Ende in der weiteren Vegetationsentwicklung, wird von den in der Entwicklung folgenden Gesellschaften abgebaut. Der Vegetationsentwicklung freien Lauf nach "vorne" zu lassen, könnte also das Wurzelkonkurrenzproblem im Boden ebenfalls lösen. Würde man diese Gebüsche später roden, könnte die Brombeere nicht mehr aus Wurzelresten austreiben und die kommende Vegetationsentwicklung könnte nach dem Abräumen wieder mit annuellen Arten beginnen.¹0)
Fazit: Zu den Vorzügen der Strukturierung eines Vegetationsmosaiks
Der aktuelle Vegetationsbesatz im "Paradies" engt das Spektrum der Naturerfahrungen stark ein, vor allem in den Flächen, wo sich Brombeeren über weite Teile des Areals ausgedehnt haben. Gewollt war jedoch von Anfang an die Abwechslung verschiedener Vegetationsformen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Sukzession. Da die Entwicklung der Vegetation stufenweise prinzipiell über Strauchgesellschaften zum Wald führt, deren Nutzungs- und Erfahrungsspektren eingeschränkt sind, wenn sie im gesamten Gebiet dominieren, ist die Entscheidung für die bisher herbeigeführten "Störungen" der natürlichen Entwicklung nachvollziehbar und sinnvoll. Diese müssen allerdings in letzter Konsequenz anders ausgeführt werden, um nicht eine dauerhafte Dominanz der Brombeergebüsche herbeizuführen. Dabei ist bei aller Naturnähe besonders eine zyklisch wiederkehrende kontinuierliche Pflege von erheblicher Bedeutung. Diese ist aber aufgrund der Schwierigkeiten genügend Mittel, besonders auch für eine fachkundige Pflege, zu beschaffen, schwierig zu organisieren. Vor allem auch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit ist diese aber als höchst sinnvoll zu erachten - nur so kann auf lange Sicht der Spielraum nutzergerecht erhalten werden und den gewünschten und unbestrittenen Funktionen zu Kindesentwicklung und Naturerfahrung nachkommen.
Zur Veranschaulichung einer Umsetzung der Maßnahmen wurde ein Pflegeplan skizziert, der schematisch die "möglichen" Vegetationsformen sowie deren Abfolge und Zyklusdauer darstellt. Die Verteilung im Gebiet kann nach gestalterischen Gesichtspunkten erfolgen. Gezeigt werden Gesellschaften, die kontinuierlich durch Pflege aufrechterhalten werden können (zum Beispiel Rasen oder Wiesen), und jeweils darauf folgende Phasen der Brachentwicklung. Weil letztere jeweils kontinuierlich gepflegte Vegetation zur Voraussetzung haben, können nutzungseinschränkende Arten, wie Brombeere oder Brennnessel, erst in den Brachephasen wieder auftreten und würden dann in Pflegephasen wieder verschwinden. Bei dem skizzierten kontinuierlichen Wechsel der Vegetationsabfolge an verschiedenen Orten im Gebiet entsteht ein Mosaik aus unterschiedlichen Vegetationsphänomenen, die nach wie vor durch das Wegesystem erschlossen werden. Auch die Verbrachung, welche zumindest nach "Wildnis" aussieht, bleibt auf diese Weise für Teilbereiche vorübergehend erhalten bzw. kehrt immer wieder. Zusammen mit den von Degünther schon jetzt gesammelten Informationen im GIS-Format könnte, mit einem dauerhaften Pflegemonitoring¹¹) verbunden, ein "Leistungsverzeichnis" ausgearbeitet werden, das dann als kalkulierbare Verhandlungsbasis auch in der politischen Auseinandersetzung vergleichbarer Gebiete dienen könnte.
Literatur
Anmerkungen
¹) Für hilfreiche Anmerkungen danken wir Stefan Körner, Claus Prinz und Martin Venne.
²) Einzelne Projekte arbeiten schon heute mehr mit der Dynamik der Pflanzen, stellen aber nach wie vor Ausnahmen dar (vgl. zum Beispiel Grosse-Bächle 2005).
³) Zu den verschiedenen kulturellen insbes. moralischen Bedeutungen von Wildnis vgl. Kirchhoff et al. 2009: 43 ff.
4) Für persönliche Führungen im Gebiet und Anmerkungen zum ausführlichen Manuskript danken wir herzlich Frau Henriette Degünther.
5) Die Deutsche Olympische Gesellschaft hatte schon im Jahr 1959 eine Empfehlung zur Spielplatzversorgung in Deutschland herausgegeben (vgl. Mevert o. D.).
6) Seit den 1980er Jahren wird in der Kasseler Schule die sogenannte Aneignungsqualität von Freiräumen, unter anderem auch von städtischen Brachen im Kinderspiel anhand vegetationskundlicher Untersuchungen diskutiert (zum Beispiel Heinemann, Pommerening 1979; Hard, Pirner 1985). In der Spielraumplanung finden diese Beiträge allerdings aktuell keine Berücksichtigung, obwohl Grundgedanken für das "Paradies" in Oppenheim Pate standen.
7) Dies entspricht einer indirekten Pädagogik, wie auch in der Reggio-Pädagogik vermittelt, die den Raum als "dritten Erzieher" (Knauf 2000: 182 ff.) sieht.
8) Diese befinden sich zu etwa gleichen Teilen in der Hand der Stadt und in der Hand der Verbandsgemeinde.
9) Stolzenburg (1989: 160) überträgt den Blochschen Begriff der Ungleichzeitigkeit historischer Phänomene auf die Vegetation. Im Wesentlichen geht es darum, räumlich benachbarte Pflanzengesellschaften als mögliche aufeinander folgende Entwicklungsstadien von Vegetation zu verstehen. Die Änderungen können durch Pflege, Nutzung oder auch Sukzession bedingt sein.
¹0) Selbstverständlich sind auch noch weitere Maßnahmen denkbar, wie zum Beispiel das Untermähen der Gehölze. Der Übersichtlichkeit halber beschränkt sich die Darstellung auf typische Phänomene.
¹¹) Ein Monitoring ist notwendig, um die prognostizierten Pflege- oder/und Brachezeiträume anhand der real auftretenden Vegetation korrigieren und vor allem dem kindlichen Spiel besser anpassen zu können. Eine vor Ort zuständige Person - wie im Beispiel - kann nicht vorausgesetzt werden, weshalb das Monitoring auch vergabefähig formuliert werden müsste.
Literatur
Barz, Hans-Peter (2008): Spielraum für alle? Ziele der DIN 18034. In: Agde, Georg; Degünther, Henriette und Hünnekes, Annette (Hg.): Spielplätze und Freiräume zum Spielen. Ein Handbuch für Planung und Betrieb. 3. vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Berlin, S. 10-15.
Bellin-Harder, Florian 2011: In der Schwebe. Vegetationsdynamik und Pflegeprognostik. Ein vegetationskundlicher Beitrag zur Gartendenkmalpflege am Beispiel der Löwenburg im Bergpark Wilhelmshöhe. Kassel.
Degünther, Henriette (2008): Naturnahe Spielräume in Rheinland-Pfalz - Flächenkategorie für große, extensiv genutzte Spielräume in Wohnungsnähe. In: BfN (Hg.): Kinder und Natur in der Stadt. Spielraum Natur: Ein Handbuch für Kommunalpolitik und Planung sowie Eltern und Agenda-21-Initiativen. Bonn-Bad Godesberg, S. 129-200.
Grosse-Bächle, Lucia (2005): Eine Pflanze ist kein Stein. Strategien für die Gestaltung mit der Dynamik von Pflanzen. Untersuchung an Beispielen zeitgenössischer Landschaftsarchitektur. 2. Auflage. Hannover.
Hard, Gerhard; Pirner, Jürgen (1985): Stadtvegetation und Freiraumplanung. Am Beispiel der Osnabrücker Kinderspielplätze. Osnabrücker Studien zur Geographie Nr. 7. Osnabrück.
Heinemann, Karla; Pommerening, Georg (1979): Struktur und Nutzung dysfunktionaler Freiräume - dargestellt an ausgewählten Beispielen der Stadt Kassel. Notizbuch 12 d. Kasseler Schule. Kassel.
Kirchhoff, Thomas; Trepl, Ludwig (2009): Landschaft, Wildnis, Ökosystem: Zur kulturbedingten Vieldeutigkeit ästhetischer, moralischer und theoretischer Naturauffassungen. Einleitender Überblick. In: Dies. (Hg.): Vieldeutige Natur. Bielefeld, S. 13-66.
Knauf, Tassilo (2000): Reggio-Pädagogik. Ein italienischer Beitrag zur konsequenten Kindorientierung in der Elementarerziehung. In: Fthenakis, Wassilios E., und Textor, Martin R. (Hg.): Pädagogische Ansätze im Kindergarten. Weinheim/Basel, S. 181-201.
Körner, Stefan 2007: Die Naturgartenidee. In: Eisel, Ulrich; Körner, Stefan (Hrsg.): Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit Bd. II. Arbeitsberichte des Fachbereichs Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Heft 166. Kassel, S. 105-115.
Mevert, Friedrich (ohne Datum): "Goldener Plan" und "Zweiter Weg": Vor 50 Jahren wurden die Weichen für den Sport für alle in Deutschland gestellt. Auf der Internetpräsenz der Deutschen Olympischen Gesellschaft. www.dogbewegt.de/fileadmin/images/Interaktiv/OF/Leseproben/Goldener_Plan_und_Zweiter_Weg_.pdf [Zugriff: 04.04.2012]
Pappler. Manfred, und Witt, Reinhard (2001): NaturErlebnisRäume: Neue Wege für Schulhöfe, Kindergärten und Spielplätze. Seelze-Velber.
Schemel, Hans-Joachim (1998): Das Konzept der Flächenkategorie "Naturerfahrungsräume" und Grundlagen für die planerische Umsetzung. In.: BfN - Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Naturerfahrungsräume. Bonn-Bad Godesberg, S. 209-348.
Stolzenburg, Hans-Jürgen (1989): Grünlandwirtschaft und Naturschutz in der Hessischen Rhön. Notizbuch 13 der Kasseler Schule. Kassel