Frankfurt/Main etabliert „Wildwiesen“ und fördert Biodiversität
Urbane Natur - Vielfalt bewirken
von: Dipl.-Ing.(FH) Thomas HerrgenIm Zuge der Diskussion über den real existierenden Klimawandel und adäquate Gegenmaßnahmen fallen häufig auch die Begriffe "Nachhaltigkeit", "Biodiversität" und "Resilienz". Gleichzeitig geht die Versiegelung der Landschaft, das massive Artensterben und der Wassermangel im Zuge sich aneinanderreihender Dürresommer kontinuierlich weiter. Dabei können bestehende Flächen - die naturgemäß nicht vermehrbar sind - durch eine veränderte Pflege deutlich aufgewertet und dadurch auch vielfältiger werden.
Mit der Extensivierung von Rasen- und Wiesenbereichen in Parkanlagen, Verkehrsmittel- oder Randstreifen sowie auf anderen öffentlichen "Restflächen", die ansonsten permanent gemäht werden müssen, lassen sich auch mitten in der Stadt und an ihrer Peripherie neue artenreiche Lebensräume für Flora und Fauna schaffen.
Während der vergangenen Jahre hat die Artenvielfalt in Städten gegenüber dem durch Landwirtschaft "ausgeräumten" Umland zwar qualitativ zugenommen. Doch zum dauerhaften Erhalt und zur Stabilisierung von Populationen ist eine gewisse Quantität an grünen Biotopflächen und deren Vernetzung erforderlich. Einige Städte haben inzwischen begonnen, Programme für die Extensivierung und mosaikartige Verbindung von Wiesen- und Rasenflächen über das gesamte Stadtgebiet aufzulegen und wissenschaftlich zu begleiten. Die Beispiele aus Frankfurt am Main stehen dabei stellvertretend für eine mögliche aktive Unterstützung der Artenvielfalt. Die Maßnahmen der verschiedenen Projekte in der Mainmetropole wurden mit Öffentlichkeitsarbeit und Monitoring seit 2016 bis in die Jahre 2021/22 sowie darüber hinaus begleitet, um die bereits gestiegene Zahl an Pflanzen- und Tierarten in den neuen "Wildwiesen" zu dokumentieren.
Bestandsflächen zur Entwicklung
Die Stadtfläche von Frankfurt am Main beträgt rund 248 Quadratkilometer. In der Zuständigkeit des Grünflächenamtes befinden sich 1609 Hektar Flächen, ohne den Stadtwald im Süden (Sachsenhausen) und die vielen grünen Friedhöfe der Metropole. Von den 1609 Hektar sind etwa 50 Prozent oder 799 Hektar als "Grünland", also Rasen- oder Wiesenflächen im weitesten Sinne, ausgewiesen und als solche definiert. Derzeit werden davon etwa 410 Hektar (52 % des Grünlandes) bereits extensiv als "Wildwiesen" gepflegt. Weitere 30 Hektar sind im gesamten Stadtgebiet erfasst und sollen nach und nach ebenfalls extensiv gepflegt werden. Alle Wildblumenwiesen liegen sowohl in alten Parkanlagen wie beispielsweise dem Huthpark und dem Lohrpark, als auch in der freien Landschaft (z. B. auf dem Heiligenstock Gelände), an den Ufern des kleinen Main-Zuflusses der Nidda, sowie in und an verschiedenen Straßen begleitenden Restflächen. Auch auf einigen Friedhöfen wurden schon früher artenarme Rasenflächen zu artenreicheren Wiesen umgestaltet. Auf dem Hauptfriedhof etwa wird heute sogar eine Imkerei betrieben, die laut den Imkern "einen sehr wohlschmeckenden Honig" erzeugt und vertreibt, was die ebenfalls vom Artensterben bedrohten Bienen an ungewöhnlichem Ort unterstützt.
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Aus artenarm wird artenreich - Rasen zur Wildwiese
Während Rasenflächen etwa 14-tägig und herkömmliche Wiesenflächen mehrmals im Jahr gemäht werden müssen, benötigen Wildblumenwiesen eine starke Extensivierung. Dies geschieht durch die Reduzierung der Schnitthäufigkeit auf die ein- oder zweischürige Mahd. Gräser und Wildstauden kommen dann zur Blüte, können sich vermehren, ziehen Insekten an und sorgen so für Vielfalt. Genügt die Reduktion des Mähens alleine nicht, wird durch Säen auf offenen Teilflächen nachgeholfen. Für die Einsaat verwendet das Grünflächenamt ausschließlich sogenanntes Regiosaatgut mit gebietsheimischen Wildblumen. Es wird vor Ort gesammelt und daraus eine spezielle Mischung für die Stadt Frankfurt erstellt. Der Saatgutlieferant Rieger-Hofmann GmbH (D-74572 Blaufelden) empfiehlt in seinen Anwendungshinweisen folgende vorbereitende Arbeitsschritte, bevor das Saatgut ausgebracht wird:
- Wiese oder Rasen so tief als möglich abmähen und das Mahdgut von der Fläche abräumen
- Fläche stark vertikutieren, fräsen oder grubbern
- Fläche nicht zu oberflächlich bearbeiten und nicht zu schnell überfahren
- Bei starkem Grasbewuchs muss die Fläche mehrmals in Folge aufgerissen werden, mit 2-3 wöchigem Abstand zwischen den Bearbeitungsgängen
- 1-2 Gramm pro Quadratmeter Saatgut einer Blumenkomponente der zum Standort passenden Wiesenmischung obenauf streuen, Saatgut nicht einarbeiten
- Bodenschluss durch Anwalzen herstellen (z. B. mit Güttler oder Cambridge Walze)
Diese "umbruchlose Ansaat (Nachsaat) in den Bestand" führt zur Erhöhung der Artenvielfalt und wird angewendet, etwa wenn Grünland nicht umgebrochen werden darf (Wasserschutzvorgaben), Weiden schneller nutzbar oder Baumwurzeln in Streuobstbeständen durch den maschinellen Umbruch nicht geschädigt werden sollen. Dabei wird, so die Anwendungsempfehlung weiter - vorzugsweise im Spätsommer - eine artenreiche Wildkräutermischung ggf. mit geringem Anteil an Untergräsern (bis 20 %) in das bestehende Grünland eingebracht. (Quelle: Rieger-Hofmann GmbH).
Die speziellen und individuell hergestellten Saatgutmischungen für Frankfurt am Main wurden je nach Standort angepasst (gemischt) und entsprechend auch mit abweichenden Techniken eingebracht.
Auch Initialpflanzungen mit Jungpflänzchen aus generativer Vermehrung sind eine mögliche, jedoch aufwendigere Alternative, die eher für kleinere Flächen angezeigt ist. Nicht zuletzt wird auch das Heumulch-/Heudruschverfahren (Saatgutübertragung) angewandt oder eine Kombination aus verschiedenen der vorgenannten Varianten.
Mähen, aber wann? Der richtige Zeitpunkt
Im Juni und Juli (witterungsabhängig) ist traditionell Mahdzeit. Die Wild- und Blumenwiesen haben dann ihre Hauptblütezeit überschritten, die meisten Samen sind ausgereift und viele Insektenlarven und Raupen konnten sich weiterentwickeln. Beim schonenden Mähen, etwa 10 bis 12 Zentimeter über dem Grund, fallen auch Samen zu Boden und fördern eine zweite Blüte bis zum Spätsommer. Falls eine zweite Mahd vorgesehen ist, erfolgt diese im September oder Oktober. Die Mäharbeiten auf großen Flächen werden in Frankfurt am Main häufig in Kooperation mit Landwirten umgesetzt, die das Schnittgut als Futter oder Einstreu nutzen, sofern es nicht durch Müll oder die Hinterlassenschaften von Hunden zu stark verschmutzt ist. Die meisten Wiesenflächen mäht eine Spezialfirma nach Absprache mit dem Grünflächenamt und teilweise nach Beratung durch Biologen und Naturschutzverbände.
Leider ist es nicht möglich, jede Wiese zu ihrem jeweils optimalen Zeitpunkt zu mähen. Vor allem das Pflegemanagement auf den kleinteiligen Flächen im Straßenraum ist aufwendig, sehr abstimmungsintensiv und dadurch teurer als beim herkömmlichen Straßenbegleitgrün. Werden die Wiesenflächen nicht gemäht, wachsen sie sehr schnell mit Gehölzschösslingen zu und verlieren dadurch ihre wichtige ökologische Funktion als Lebensraum für spezialisierte Tier- und Pflanzenarten.
Schwierigkeiten bei der Umsetzung
Wie sich eine Wiese entwickelt, ist nie genau vorhersehbar und hängt ab von Faktoren wie den im Boden vorhandenen Nährstoffen, dem Witterungsverlauf und selbstständig aufkeimenden Pflanzenarten. Bis sich ein halbwegs stabiles Erscheinungsbild einstellt, gibt es viele Realisierungshürden und es kann einige Jahre dauern. Bis dahin ändert sich die Artenzusammensetzung der Wiese ständig. Die Reduzierung allein auf die Mahdhäufigkeit führt in den wenigsten Fällen zu einer "Wildwiese". Sehr oft muss der Boden vorher ausgetauscht und/oder abgemagert werden. Meistens ist auch eine Neuansaat erforderlich. Nicht selten übernehmen eine oder wenige Pflanzenarten die Oberhand und verdrängen konkurrenzschwächere Arten. Dann wird durch einen sogenannten "Schröpfschnitt" gegengesteuert, bei dem diese Arten selektiv gekürzt oder herausgenommen werden. Die Flächen müssen rechtzeitig gemäht werden, um das "Un"kraut (unerwünschte, auch invasive Arten) in seiner Entwicklung zu bremsen und den Wiesenpflanzen Licht zu verschaffen. Vor allem einjährige Kräuter können so im Zaum gehalten werden.
Beteiligung der Öffentlichkeit
Projektbegleitende Öffentlichkeitsarbeit, Kooperationen und Weiterbildung bewirken einerseits eine steigende Akzeptanz des naturnahen Erscheinungsbildes in der Bevölkerung; andererseits wächst auch die Kritik an der Art dieser Wiesenpflege durch das Grünflächenamt, weil die Nutzung stark eingeschränkt ist oder beispielsweise manche Allergiker sich den Flächen nicht mehr nähern können. Infotafeln an exponierten Standorten mit viel Publikumsverkehr in Form von "Hummel-Pins" - kleine runde Schilder mit einem QR-Code und dem Insekt darauf als Eyecatcher - stehen nun an mehr als 100 Wiesen im Stadtgebiet. Zudem gab die Stadt die Broschüre "Wiesen, Stauden, Schmetterlinge - Mehr Artenvielfalt in die Stadt" heraus und es bestehen Kooperationen mit Naturschutzverbänden (BUND, NABU) sowie Bürgerinitiativen. Das Grünflächenamt organisiert für seine Auszubildenden außerdem eigene Seminare zur Biodiversität und Wiesenpflege, die in Zusammenarbeit mit dem Verein Umweltlernen (www.umweltlernen-frankfurt.de) durchgeführt werden. Nicht zuletzt regt das städtische Projekt die Bürgerinnen und Bürger, sowie weitere Ämter, Institutionen und Wohnungsbaugesellschaften an, selbst Wildblumenwiesen anzulegen. Und aus den Reihen der Bevölkerung und der Politik kommen Standortvorschläge für Wildwiesenprojekte an das Grünflächenamt, die auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden.
Wie weiter? Ausblick in die Zukunft
Viele neue Flächen wurden im Stadtgebiet bereits angelegt, darunter im Höchster Stadtpark durch Umwandlung einer Rasenfläche in eine Wiese. Auch im Frankfurter Palmengarten, im Grüneburgpark und im Ostpark entstanden neue "Wildwiesen". Zur (wissenschaftlichen) Begleitung und Betreuung der Flächen (Monitoring) entstand nach und nach ein Wiesenkataster. Hierbei wurden und werden alle Wiesenstandorte digital erfasst, vergleichbar mit dem "Frankfurter Baumkataster".
Das "Grünland" im Stadtgebiet (Rasen- und Wiesenflächen) wird kontinuierlich im Rahmen der Grünflächenunterhaltung dahingehend überprüft, ob mehr Wiesen etabliert werden können. Neben kleineren Flächen im Bestand konnte allein durch die Neueröffnung des Rennbahnparks im September 2022 der Wiesenanteil bereits um 3,34 Hektar erweitert werden. Im zentralen Areal des Parks dominiert der ökologisch wertvolle Sandmagerrasen, der in die Planung integriert und sogar erweitert werden konnte. Hinzu kommen weitere Ruderalstreifen und Wiesenstrukturen.
Im Hinblick auf den Klimawandel und zur Steigerung der Biodiversität ist vorgesehen - unter Berücksichtigung ökologischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte - das seit Jahrzehnten bestehende Mähkonzept und die daraus resultierenden Pflegerhythmen einer Analyse zu unterziehen und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Die Umsetzung ist mittelfristig angesetzt, da hierzu Anpassungen der bestehenden Leistungsverzeichnisse und der daraus resultierenden Verträge vorzunehmen sind.
Zu beachten sind ebenso die derzeitigen Nutzungen, die auf den Flächen stattfinden, wie beispielsweise als Spiel-, Freizeit- oder Liegewiese. Desgleichen sind Vorgaben wie des Natur- und des Denkmalschutzes zu beachten.
Die Wiesenstandorte wurden auch schon im "Arten- und Biotopschutzkonzept (ABSK)" des Frankfurter Umweltamtes aufgenommen. Es dient der Verortung, Sicherung und Entwicklung besonders wertvoller Bestands- und Potenzialflächen. Seit 2021 liegt mit dem ABSK für Frankfurt am Main ein detailliertes Fachkonzept vor, das genau aufzeigt, wie die Stadt dazu beitragen kann, die Lebensräume und die darin vorkommenden Tier-, Pflanzen- und Pilzarten zu schützen und zu fördern. Das bisher Erreichte wird damit fortgesetzt, fortgeschrieben und wissenschaftlich begleitet, auch als Beispiel für andere Kommunen, die diesen Weg mitgehen möchten.
Weitere Informationen:
Die Frankfurter "Wildwiesen" gehören seit 2016 zum Förderprojekt "Stadtgrün - artenreich und vielfältig".
Projektpartner sind das Bündnis "Kommunen für Biologische Vielfalt" und die deutsche Umwelthilfe; gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des damaligen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Frankfurt ist eine von fünf Pilotkommunen.
Auszeichnung der Stadt Frankfurt am Main mit dem Label "StadtGrün naturnah" in Gold im März 2018 für eine naturnahe Grünflächenunterhaltung. Die Rezertifizierung (erneut in Gold) erfolgte 2022.
Das Label wurde im Rahmen des geförderten Projekts "Stadtgrün - Artenreich und Vielfältig" im Bundesprogramm Biologische Vielfalt mit einer Förderung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) von 2016 bis 2021 entwickelt. Seit Ende 2021 wird es selbstständig vom Bündnis "Kommunen für biologische Vielfalt" weitergeführt.
Die jüngste Veranstaltung fand am 24.6.2022 in Frankfurt am Main statt. Insgesamt 56 Kommunen hatten am bundesweiten Label-Verfahren "StadtGrün naturnah" erfolgreich teilgenommen. Sieben Städte erhielten das Label neu, die ersten vier wurden bei diesem Anlass re-zertifiziert, darunter die Mainmetropole.
www.frankfurt.de/de-de/themen/umwelt-und-gruen/umw... (ABSK)
www.friedhof-frankfurt.de (Imkerei auf dem Hauptfriedhof)
www.gruenflaechenamt.stadt-frankfurt.de
www.rieger-hofmann.de (Saatgutlieferant für die Frankfurter Wildwiesen)
Anmerkung
Herzlichen Dank an Franz-Josef Lüttig, Mitarbeiter des Grünflächenamtes Frankfurt am Main für die Pflanzenlisten und die freundliche Unterstützung bei der Recherche des Beitrags.