„Vegetative“ Gebäudekonditionierung am LWL Textilmuseum Bocholt
Außen gleich Innen?
von: M.Sc. Anja Radermacher Radermacher, Dr.-Ing. Sandra SieberDie Stadt Bocholt im West-Münsterland plant mit dem Kulturquartier "kubaai" ein gestalterisch wie stadtklimatisch ambitioniertes Projekt (https://kubaai.de/kubaai.de). Wo heute alte Produktionshallen von einer früheren Textilproduktion zeugen, sollen künftig in einem urbanen Quartier Menschen arbeiten, wohnen, Freizeit verbringen und Kultur erleben. Im Zentrum des neuen Quartiers liegt das LWL TextilWerk Bocholt (textilwerk-bocholt.lwl.org/de ), ein Industriemuseum in den Mauern einer historischen Textilfabrik - architektonisch beeindruckend, mit Blick auf die zunehmenden Wetterextreme aber klimatisch immer schwerer zu handhaben.
Das Museum hat daher die Dach- und Fassadenbegrünung als mögliche Lösungsstrategie ins Auge gefasst: Kann gerade bei komplexen Altbauten die Gebäudebegrünung ein Baustein der Gebäudekonditionierung sein? Wie können Quartier und Gebäude klimatisch positiv interagieren? Und wie könnten Lösungen für die bestehenden Hemmnisse aussehen?
Dazu haben Studierende der RWTH Aachen und der TU Darmstadt erste Konzepte entwickelt (vgl. Abb. 1), die von Mai bis September 2021 im "LWL-Industriemuseum, Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur, TextilWerk Bocholt" ausgestellt werden.
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Mit Kühlung das Klima aufheizen
In den heißen Sommern der letzten Jahre ist der Absatz von Klimaanlagen deutlich gestiegen. Bei Büro- und Verwaltungsgebäuden geht das Umweltbundesamt davon aus, dass fast die Hälfte der Gebäude über Techniken zur Klimatisierung verfügt. Für das Jahr 2030 wird mit einer Verdoppelung der CO2-Emissionen aus dem Energiebedarf in diesem Bereich gerechnet. Im Wohnsektor spielen Kühlbedarfe bislang nur eine marginale Rolle, in sehr energieeffizienten Neubauten liegen die Kühlbedarfe aber schon über den Heizbedarfen.
Wachsende Komfortwünsche und eine im Zuge des Klimawandels zunehmende Anzahl von Sommertagen (Lufttemperatur über 25 °C), heißen Tagen (über 30 °C) und tropischen Nächten (über 20 °C) können zu einem steigenden Interesse an Kühltechniken führen.
Konventionale Kühltechniken verschärfen dabei eher die sich abzeichnenden klimatischen Probleme: Sie stellen Kälte bereit, produzieren aber Abwärme und heizen damit die Umgebung weiter auf. Dazu kommen die Strombedarfe mit ihren jeweiligen CO2-Emissionen sowie die Emissionen von bestimmten Kältemitteln (HFKW), die ebenfalls zum Klimawandel beitragen. Das Umweltbundesamt geht hier für das Jahr 2016 von einem CO2-Äquivalent von etwa 10 Millionen Tonnen aus.
Technische Ansätze, wie die Verwendung anderer Kältemittel, die Nutzung von Abwärme zur Kälteerzeugung oder der Einsatz adiabater Kühlsysteme (auf der Basis von Verdunstungskälte), versuchen daher, weniger klimaschädliche Optionen der Gebäudeklimatisierung bereitzustellen. Bei Bestandsgebäuden im Wohnsektor bietet auch das angepasste Verhalten der Bewohnenden ein großes Potenzial zur Reduktion der sommerlichen Hitzebelastung, ganz ohne technische Aufrüstung (vgl. die Ergebnisse des Projekts "HeatResilientCity").
Gebäude stehen nicht im luftleeren Raum
Für die Büro- und Verwaltungsgebäude gibt das Umweltbundesamt einen entscheidenden Hinweis, warum die Kühlbedarfe hier weit über denen des Wohnsektors liegen: Ein (zu) hoher Anteil an verglasten Flächen und fehlende beziehungsweise unzureichende Verschattung. Auch hier gibt es architektonische "lowtech" Ansätze, wie zum Beispiel das "Bürohaus 2226", die unter anderem durch Ausnutzung der thermischen Masse sowie einer geschickten Verschattung und Besonnung, ganzjährig ein angenehmes Raumklima bereitstellen. Der "Alnatura Campus" nutzt zum Beispiel zusätzlich noch Zuluft, die mit Hilfe eines Erdkanals vorkonditioniert wird. Solche Ansätze verdeutlichen eine letztlich banale Tatsache: Gebäude stehen nicht im luftleeren Raum, sie interagieren mit ihrer Umgebung, werden durch diese beeinflusst und beeinflussen diese.
Egal wie energieeffizient eine Kühltechnik ist, Umgebungs- und Innenraumtemperatur bleiben zwei entscheidende Einflussfaktoren, die sich immer auf Kühl- und damit Energiebedarfe auswirken. Wird Effizienz nicht nur als technische Optimierung, sondern im Sinne der Suffizienz als "angemessener Mitteleinsatz" gedacht, werden Freiraumgestaltung und Gebäudebegrünung auf einmal zu Bausteinen intelligenter Kühlkonzepte (vgl. Abb. 2 und Abb. 3). Beim "Alnatura Campus" ist es der angrenzende Kiefernbestand, der in das "Kühlsystem" miteinbezogen wurde, bei anderen Projekten wird die Kühlwirkung von Rasen- oder Wasserflächen (ebenfalls eine Form der adiabaten Kühlung) ausgenutzt. Am Physikgebäude der Humboldt-Universität im Technologiepark Adlershof (Berlin) ersetzt die Fassadenbegrünung die Außenverschattung und trägt zur Reduktion der Kühlbedarfe und Betriebskosten bei.
Grüner Kühlen mit Gebäudebegrünung
Das Potenzial dieser Option - Kühlen durch Gebäudebegrünung - sieht auch das TexilWerk Bocholt in Bezug auf seine Bestandsgebäude. Das Museum liegt südöstlich der Bocholter Innenstadt, zwischen dem stark verdichten Gewerbegebiet an der Industriestraße und der Aa, im Zentrum des neu entstehenden Kulturquartiers "kubaai". Die Ziegelgebäude seines historischen Spinnereigebäudes, der ehemaligen "Spinn-Web Herding", sind geprägt durch Um-, Rück- und Erweiterungsbauten, trotz der Ziegelbauweise führt die sommerliche Überwärmung zunehmend zu einer thermischen Belastung bei Besuchenden und Mitarbeitenden. Auch das vergleichsweise neue Bürogebäude heizt sich im Sommer massiv auf.
Über das Forschungsprojekt "Grün statt Grau - Gewerbegebiete im Wandel" (www.gewerbegebiete-im-wandel.de/, vgl. auch Stadt+Grün, Heft 6/2020) kamen das Referat "Wissenschaft und Projekte" des LWL-Industriemuseum, die Stadt Bocholt und das Fachgebiet "Entwerfen+Freiraumplanung" der TU Darmstadt in Kontakt. Schnell war klar, dass nicht nur zeitgenössische Gewerbebauten von einer Begrünung profitieren können, sondern auch das Museum mit seinem historischen Industriekomplex, der Spinnerei. Ganz konkret stand die Frage im Raum, ob mit den Mitteln der Dach- und Fassadenbegrünung - durch die Leistungsfaktoren der Verschattung und der Verdunstungskälte - der sommerliche Wärmeeintrag in das Gebäude reduziert und damit die Aufenthaltsqualität langfristig gesichert werden könnte. Konventionelle Kühlsysteme kommen für die komplexen Gebäude kaum in Frage und würden hohe Investitions- und Unterhaltungskosten bedeuten - dazu kommen die oben beschriebenen negativen Klimaeffekte.
In einem studentischen Seminar im Format des Stegreifs - eines Schnell-Entwurfs - haben Studierende der RWTH Aachen und der TU Darmstadt erste Ideen zur "pflanzlichen" Kühlung des Gebäudes gesammelt und visualisiert. In den beiden Stegreifen sollten die Master-Studierenden in ihren Entwürfen Lösungsstrategien zur Reduktion der Hitzebelastung entwickeln. Dabei konnte mit dauerhaften oder mobilen Interventionen gearbeitet werden.
Erschwert wird die Situation am TextilWerk noch durch die Rahmenbedingungen: Im Bereich von Gehwegen stellt die Fassadenbegrünung immer eine Herausforderung dar, die komplexe Kubatur der Spinnerei erschwert die Installation von Begrünungssystemen. Rettungswege und Aufstellflächen der Feuerwehr schränken die verfügbaren weiter Flächen ein, temporäre Veranstaltungen müssen mit bedacht werden und nicht überall ist Gießwasser zur Bewässerung verfügbar.
Neben der Hitzebelastung werteten die Studierenden vor allem die fehlende Dachbegrünung als gestalterischen und funktionalen Mangel, insbesondere rund um das nachträglich aufgebaute Restaurant der Spinnerei, der "SkyLounge" mit Ausblick auf das Quartier. In den Entwürfen wurde daher mit Dach- und Fassadenbegrünung, Bäumen und auch mobilen Kombinationen aus Pflanzbeet und Sitzgelegenheit gearbeitet, die durch Verschattung und Verdunstung zur Reduktion urbaner Wärmeinseln und zur Kühlung von Gebäuden beitragen (vgl. Abb. 4). Das gestalterische Motiv des "Fadens" wurde von mehreren Gruppen aufgegriffen und in teils spektakuläre Installationen aus Rankhilfen, Kletterpflanzen und Lichtinstallationen übersetzt (vgl. Abb. 5).
Möglichkeiten ausloten - Hemmnisse identifizieren
In dem studentischen Seminar ging es explizit noch nicht darum, umsetzungstaugliche Konzepte zu erarbeiten, dies wäre im Format des Stegreifs auch nicht leistbar. Es ging vielmehr um das Herantasten an eine - in der Architekturausbildung bislang kaum vermittelte - Entwurfsaufgabe: dem klimagerechten Entwerfen mit Pflanzen - im Zweifelsfall ein "Doubleblind". Für das TextilWerk bot der Entwurf die Möglichkeit, Visionen und Bilder zu generieren, wie dieser funktionale und gestalterische Mehrwert einer "grünen" Gebäudekühlung aussehen könnte und wo sich Probleme bei der Umsetzung abzeichnen könnten.
Das Beispiel des TextilWerks macht deutlich, dass die Hemmnisse bereits auf der Ebene der Stadtplanung beziehungsweise des Bebauungsplans "installiert" werden. "Baulinien", die direkt an den Gehweg angrenzen, bieten im innerstädtischen Bereich das klassische Bild einer Blockrandbebauung, führen aber zu massiven Problemen bei der nachträglichen Installation von Fassadenbegrünungen (unterdimensionierte Gehwegbreiten, Anforderungen an Barrierefreiheit, Platzbedarf für Rankgerüste und Pflanzscheiben, Schutz der Pflanzen vor mechanischer Beschädigung etc.). Auch (teils schlecht dokumentierte) Kabeltrassen oder die Frage der (Not-)Bewässerung erschweren die Begrünung von Fassaden im Straßenraum.
Sollen Gebäudebegrünungen als Bausteine eines Kühlkonzeptes genutzt werden, spielt auch die Wasserverfügbarkeit eine wichtige Rolle. Extensive Dachbegrünungen können Trockenphasen und Dürreperioden gut überstehen, stellen dann aber kaum noch Verdunstungskühle bereit. Bei einer Fassadenbegrünung muss ihr Anwachsen und Überleben auch in Dürre-Sommern gewährleistet sein. Wenn Pflanzen als Baustein eines innovativen "Kühlsystems" fungieren sollen, steht daher auch immer eine Auseinandersetzung mit dem Thema des dezentralen Regen- oder Brauchwassermanagements an - was aus der Perspektive einer nachhaltigen Stadtentwicklung natürlich kein Nachteil wäre.
Trotzdem - und dies zeigen die studentischen Entwürfe zur Begrünung der Spinnereigebäude deutlich - lassen sich mit kreativen Ideen auch Lösungsansätze für vermeintlich "unbegrünbare" Gebäude finden.