Zur Anwendung einer Klimapunktetabelle
Klimaangepasste öffentliche Räume in Miami Beach
von: M.Sc. Susanne Gallenz, Dr. phil. Adél GyimóthyEine städtische klimawandelgerechte Gestaltung wird dann erfolgreich sein, wenn sie Klimaschutz und Klimaanpassung kombiniert. Zur Kombination im städtischen Bereich sind folgende Strategien geeignet: Effizienz- und Konsistenzstrategien bei der Verwendung fossiler Brennstoffe, Minderungsstrategien für Treibhausgas-Emissionen und Anpassungsmaßnahmen für das Stadtklima. Wichtig für den Erfolg sind insbesondere auch suffiziente Verhaltensweisen der Stadtbewohnerschaft. Die Synergien zwischen Mitigation (Klimaschutz), in Form von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz, und Adaptation (Klimaanpassung) können sich am besten auf Quartiers- oder Stadtteilebene entwickeln. Diese Ebene bietet ausreichend Raum für die einzelnen Effizienz-, Konsistenz-, Suffizienz- und Anpassungsmaßnahmen. Gleichzeitig ist die Quartiers- und Stadtteilebene räumlich gut definierbar. Damit lassen sich die Synergieeffekte zwischen den einzelnen Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen konkret beobachten und steuern.
Eine ausschließlich sektorale Betrachtung der Maßnahmen birgt das Risiko, einzelne Maßnahmen zu hoch zu bewerten. Die Wechselwirkungen der überbewerteten Maßnahmen können dann leicht vernachlässigt werden. Dies kann dazu führen, dass einzelne Mitigations- oder Adaptationsmaßnahmen andere Maßnahmen verdrängen und an Wichtigkeit gewinnen. Eine flexible und klimawandelgerechte Planung, die immer wieder sich ändernde Rahmenbedingungen aufnehmen muss, sollte jedoch alle Wechselwirkungen betrachten und verstehen.
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Kreislauf - Effizienz, Konsistenz, Suffizienz und Anpassung
Essenziell ist es folglich, die Effizienz-, Konsistenz-, Suffizienz- und Anpassungsstrategien in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Daraus kann ein Mehrwert entstehen. Darüber hinaus wird eine prozessorientierte Gestaltung möglich. Die prozessorientierte, klimawandelgerechte Gestaltung auf Quartiersebene rechnet alle CO2-Senke-, Temperaturminderungs- und Regulationsfunktionen zusammen und erfasst so die kumulativen Effekte aller Maßnahmen. Die Berechnung beinhaltet die Wechsel- und Auswirkungen aller Maßnahmen der Strategien der Mitigation durch Effizienz, Konsistenz oder Suffizienz und Adaptation. Diese räumliche und strategische Betrachtungsweise ermöglicht es damit, die prioritären Maßnahmen im Quartier kontinuierlich zu überprüfen und zu verändern.
Die Maßnahme Mitigation gilt als Agieren, die Adaptation als Reagieren. Anstatt Mitigation und Adaptation als Gegensatz zu betrachten, wird vorgeschlagen, beide Maßnahmen als einen kreislauforientierten Ansatz zu begreifen. Generell beeinflussen zahlreiche Anpassungsmaßnahmen Temperatur, Staub, Wind, Lärm, Kohlenstoffbindung, Luftqualität, Luftfeuchtigkeit, Grundwasser, Immissionen und Regenwassermanagement. Folgende Regulationsmittel können die thermophysiologische Belastung der Stadtbewohnerschaft mindern und auch zum Klimaschutz beitragen: Anteil der Grünflächen erhöhen, Freiraumsysteme und urbane Biotopverbunde samt Brachflächen, Hinterhöfen und Gebäudebegrünung schaffen, entsiegelten Flächenanteil erhöhen und die Flächeninanspruchnahme reduzieren. Hinzu kommen die Unterstützung für ein dezentrales Regenwassermanagement mit kurzfristiger Speicherung und Ableitung von Oberflächenwasser sowie das Verbauen von Materialien mit höherem Reflexionsgrad (Wende 2014).
Ein wichtiges Ziel der Effizienz- und Konsistenzstrategien ist es, durch Technik-, Technologieentwicklung und Ressourcenschutz eine Kohlenstoffsenke zu gewährleisten, indem weniger fossile Brennstoffe verbraucht werden. Unter der Effizienzstrategie wird verstanden, den Ressourceninput oder Emissionsoutput im Verhältnis zur Erzeugung desselben Nutzens quantitativ zu verringern. Wird die Konsistenzstrategie verfolgt, lässt sich dieses Ergebnis durch eine andere Technologie erzielen, die auch im großen Maßstab naturverträglich ist (Heyen 2013, S.7). Unter Suffizienz werden Änderungen in Konsummustern verstanden, also konkrete Verhaltensänderungen als Mittel zum Umweltschutz (Fischer 2013, S.10). Mit den Suffizienzstrategien kann nach dem Vorsorgeprinzip der Energieverbrauch vermieden oder verringert werden. Effizienz-, Konsistenz- und Suffizienzstrategien reduzieren folglich in erster Linie die Emission von Treibhausgasen (Mitigation). Mit dieser Emissionsminderung gehen positive Klimawandelfolgen einher und Adaptationsstrategien können sich deshalb wirksamer entfalten: Der Kreislauf schließt sich. Klimaschutz und Klimaanpassung können nur zusammen erfolgreich dem Klimawandel entgegenwirken (SMWA; SMUL 2013, S. 63).
In der urbanen prozessorientierten, klimawandelgerechten Gestaltung werden die drei Strategien - 1. Mitigation durch Effizienz oder Konsistenz, 2. Mitigation durch Suffizienz und 3. Adaptation - immer wieder neu gewichtet. Die Schwerpunkte lassen sich je nach Wandlungsphase des Quartiers auf eine Strategie legen oder auf Teile einer Strategie.
Resümierend bleibt die Frage, wie einzelne Freiräume auf Quartiersebene zur Adaptationsstrategie beitragen können. Zur Beantwortung ist es wichtig, zu verstehen, welche Freiräume am meisten zur Regulation beitragen und welche mit welchem Manko das größte Potenzial für Anpassungsmaßnahmen bilden. Hierfür wurde die sogenannte Klimapunktetabelle entwickelt: eine klimatische Bewertung aller Räume eines Quartiers, ausgerichtet an den jeweiligen Anpassungszielen.
Die Klimapunktetabelle
Um eine derartige Bewertung durchführen zu können, bedarf es zunächst jedoch der Erarbeitung elementarer Grundlagen. Klimaanpassung muss den lokalen Gegebenheiten gemäß umgesetzt werden. Diverse Voruntersuchungen sind demnach signifikant, um den Erfolg von Maßnahmen zu garantieren.
Wenn die Quartiersebene im Fokus steht, muss einerseits der dort vorzufindende städtebauliche Kontext analysiert werden. Es ist überaus relevant, dass die Logik und bauliche Struktur eines Quartiers erschlossen wird, um dementsprechend passende Klimaadaptation zu erzielen. Nicht nur Gebäudestrukturen, sondern auch Grünflächen und Freiräume sowie lineare Strukturen wie Wasserläufe oder Verkehrsinfrastrukturen sind von Bedeutung.
Ebenso wichtig ist eine klimatische Analyse des Quartiers. Es ist hierbei jedoch nicht suffizient, lediglich das vorliegende Mikroklima einzelner Freiräume im Quartier zu untersuchen. Auch Meso- und Makroklimatische Einflüsse wirken sich auf die Quartiersebene aus und sind für eine erfolgreiche Klimaanpassung relevant. Beispielhaft zu nennen sind hierbei die geographische Lage, die Klimazone, Meeresströmungen oder auch Windsysteme, zum Beispiel Berg-Tal-Winde oder Land-See-Winde. Diese müssen schließlich durch detaillierte mikroklimatische Messungen und Analysen komplementiert werden.
Als dritte signifikante Grundlage, muss der Faktor Mensch in den Fokus gerückt werden. Adaptationsmaßnahmen, die im Quartier in einzelnen Freiräumen umgesetzt werden, wirken sich unmittelbar auf die Bevölkerung vor Ort aus. Differente Bewohner eines Quartiers haben verschiedene Bedürfnisse an ein klimaangepasstes Umfeld. So muss beispielsweise auf die Vulnerabilität der Menschen im Quartier eingegangen werden und analysiert werden, welche Altersstruktur vorliegt, welche besonders vulnerablen Gruppen vorzufinden sind. Erst dann kann eine Klimaadaptation erfolgreich implementiert werden (UBA 2013).
Zunächst müssen die genannten Grundkenntnisse vorliegen. Dann kann beurteilt werden, welche Planungs- und Gestaltungselemente in Freiräumen in welcher Form der Adaptation gerecht werden und welche in dieser Hinsicht als verbesserungswürdig anzusehen sind.
Hierfür muss, aufbauend aus den zuvor erarbeiten Erkenntnissen, ein Zwischenschritt erfolgen. So müssen die einzelnen für Klimaadaptation relevanten Planungs- und Gestaltungselemente für die untersuchten Freiräume erfasst werden, zum Beispiel in übersichtlicher Katalogform.
Es gibt Elemente, die in allen klimatischen und städtebaulichen Situationen relevant sind. Diese haben jedoch quartiers- und freiraumspezifisch unterschiedliche Signifikanz oder bedürfen verschiedener Ausprägungen. Bei diesen Elementen muss wiederum zwischen Einzelelementen, die im Kleinraum vorzufinden sind und Elementen, die auf Quartiersebene Ausprägung finden, unterschieden werden. Auf kleinräumlicher Ebene wirken Elemente wie Wasserinstallationen, Bodenbeläge oder die spezielle Vegetationsauswahl und -ausprägung. Quartiersweite Aspekte sind etwa ein vernetztes Park- und Grünflächensystem und dessen Vegetationsstruktur, Frischluftschneisen oder auch Kaltluftentstehungsgebiete im Quartier (Laue 2009).
Nach der Ausarbeitung dieser Zwischenbasis, kann eine konkrete Bestandsaufnahme der Freiräume im zu untersuchenden Quartier erfolgen. Hierzu müssen die jeweiligen, relevanten Einzelelemente erfasst werden. Hierbei ist sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Erfassung unabdingbar.
Diese Bestandsaufnahme erfolgt jedoch zunächst ohne Bewertung. Die relevanten Einzelelemente werden kartiert, quantifiziert und auch Details, wie etwa Oberflächenfarben oder Pflanzenarten, werden aufgenommen.
Danach wird mit den zuvor zusammengetragenen allgemeinen Elementen verglichen und herausgestellt, inwiefern die einzelnen Orte diese Elemente enthalten und in welcher Form und Ausprägung diese vorhanden sind.
An dieser Stelle setzt die Klimapunktetabelle mit einer Bewertung an. Die klimatischen Auswirkungen der einzelnen Elemente auf der einen Seite und auf der anderen Seite die zu untersuchenden Orte werden hierbei gelistet und tabellarisch angeführt. Die Bewertung geht dabei von der "Optimalsituation" der Klimaadaptation aus. Das heißt für die einzelnen für die Adaptation relevanten Elemente, welche zuvor herausgestellt wurden, wird nun die optimale Ausgestaltung und somit auch positive Wirkung zur Klimaanpassung angenommen. Dann werden die einzelnen Räume danach klassifiziert, ob sie diesen anzustrebenden Zustand erfüllen. So wird in der Klimapunktetabelle unterschieden zwischen "zutreffend" und demnach bezüglich der Klimaadaptation als positiv zu bewerten, "partiell zutreffend" und somit noch verbesserungswürdig aber partiell bereits positiv und "nicht zutreffend", also hinsichtlich der Klimaanpassung als noch mangelhaft zu bewerten.
Eine solche Klimapunktetabelle wurde für South Beach in Miami beispielhaft erarbeitet. So wurden die insgesamt zwölf signifikanten Freiräume des Quartiers South Beach auf die "Optimal-Wirkung" ihrer relevanten Elemente zur Klimaanpassung hin untersucht. Hierzu zählen zum Beispiel dass Frischluftschneisen gezielt freigehalten sind, dass dem hohen Überflutungsrisiko in Miami Beach entgegengewirkt wird oder dass ein hoher Beschattungsgrad erzielt wird. Entscheidend ist auch der Aspekt, ob die einzelnen Freiräume ihrer Nutzerstruktur gerecht werden.
Bei der Betrachtung der Tabelle wird deutlich, dass bei allen klimatisch relevanten Teilbereichen an verschiedenen Freiräumen South Beachs partiell und oft sogar sehr großer Verbesserungsbedarf besteht. Hierbei fällt auf, dass vor allem die Freiraumverbindungen quartiersweit deutlich verbessert werden müssen. Außerdem zeigte die Bewertungstabelle, dass der Versiegelungsgrad in den meisten Freiräumen zu hoch und außerdem die Regenwasserbewirtschaftung an fast allen Orten mangelhaft oder gar nicht vorhanden ist. Dementsprechend ist bei vielen der öffentlichen Räume auch noch keine optimale Wirkung auf den Überflutungsschutz gegeben. Die öffentlichen Räume South Beachs sind zudem größtenteils keine optimalen Aufenthaltsräume für ihre Nutzer. Zudem wird deutlich, dass bestimmte Räume klimatisch positiver und einige negativer zu bewerten sind als andere. Somit kann ein "Ranking" der Klimaangepasstheit durchgeführt werden. Positiv fallen vor allem der Botanical Garden und der Vorplatz der New World Symphony auf. Diese zeichnen sich vor allem durch ihre üppige, beschattende Vegetation aus und sind optimal an ihre Nutzerstrukturen angepasst. Extrem negativ auffallend in der Tabelle sind hingegen zum Beispiel der Ocean Drive und der Collins Park. Beide Orte sind hinsichtlich verschiedener Aspekte, wie etwa des Versiegelungsgrades, des Vegetationsgrades oder der Beschattung, negativ zu bewerten.
Die Klimapunktetabelle in der Planung
Die Klimapunktetabelle stellt ein Instrument zur Visualisierung der Klimaadaptation einzelner Freiräume im Quartier dar. So kann effektiv veranschaulicht werden, ob Freiräume den Kriterien der Klimaanpassung entsprechen, oder ob sie diesbezüglich als unzureichend oder gar mangelhaft zu bewerten sind.
Für Planungsträger kann die Klimapunktetabelle ein geeignetes Instrument darstellen, mit Hilfe derer der Handlungsbedarf der Freiräume herausgestellt werden kann. Dies kann zum Beispiel Planungsämter bei der Entscheidung unterstützen, welchen Freiräumen der höchste Handlungsbedarf beziehungsweise das größte Potential zur Klimaadaptation zuzuordnen ist. Da Maßnahmen zur Klimaanpassung, wie etwa Vegetationspflanzungen, Austausch von Freiraummobiliar oder Bodenbelägen, oftmals mit hohem finanziellen beziehungsweise baulichen Aufwand verbunden sind, ist es für Planungsträger entscheidend, beurteilen zu können, welche Wirkung durch Maßnahmen zur Klimaadapation in Freiräumen erzielt werden können. So kann durch die Klimapunktetabelle nicht nur eine Einstufung der Freiräume erfolgen, sondern auch eine Priorisierung einzelner Maßnahmen im jeweils im Fokus stehenden Freiraum. Dementsprechend können Quartiere so schrittweise an ihre klimatischen Anforderungen angepasst werden und die einzelnen Freiräume zur Adaptationsstrategie beitragen.
Literatur
Fischer, C.; R. Grießhammer (2013): Suffizienz: Begriff, Begründung und Potenziale, Öko-Institut Working Paper 2/2013, www.oeko.de/oekodoc/1836/2013-505-de.pdf, letzter Zugriff:22.03.2016.
Heyen, D.A (2013): Mehr als nur weniger Suffizienz: Notwendigkeit und Optionen politischer Gestaltung, www.oeko.de/oekodoc/1837/2013-506-de.pdf, letzter Zugriff: 22.03.2016.
Laue, Hendrik M. (2009): Gefühlte Landschaftsarchitektur: Möglichkeiten der thermischen Einflussnahme in städtischen Freiräumen, Kassel: Kassel Univ. Press.
SMWA; SMUL (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr; Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft) (2013): Energie- und Klimaprogramm Sachsen, Dresden.
UBA (Umweltbundesamt) (2013): Klimafolgen: Handlungsfeld Menschliche Gesundheit, www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/folgen-des-klimawandels/klimafolgen-deutschland/klimafolgen-handlungsfeld-menschliche-gesundheit, letzter Zugriff: 27.05.2015.
Wende, W.; S. Rößler; T. Krüger, (Hrsg.) (2014): Grundlagen für eine klimawandelangepasste Stadt- und Freiraumplanung, REGKLAM-Publikationsreihe, Heft 6. Rhombos-Verlag, Berlin. ISBN: 978-3-944101-15-6.