Ausstattungsmerkmale von Turnplätzen in Vorpommern zurzeit des Vaterländischen Turnens
Der Turnplatz der Stralsunder Brunnenaue
von: M. Sc. Martin JeschkeDie Brunnenaue befindet sich nordwestlich der Stralsunder Altstadt. Das etwa vier Hektar große Gelände liegt vor dem Kniepertor in der Knieper-Vorstadt 600 Meter von der Altstadt entfernt. Der vorstädtische Freiraum ist die älteste öffentliche, gärtnerisch gestaltete Parkanlage der Stadt und wird seit 1988 in der Stralsunder Denkmalliste geführt. Die belegbare Geschichte der Brunnenaue beginnt im Jahr 1700 mit der Untersuchung einer vorhandenen Quelle durch den Pastor der Stralsunder Marienkirche Matthias Kienast und der Ingebrauchnahme als Gesundbrunnen im Jahr 1705 (Kienast 1705).
Mit dem uneingeschränkten Zugang und der kostenfreien Nutzung des Gesundbrunnens auch für Arme und Mittellose (Brandenburg 1836) entsteht in der Brunnenaue ein der Allgemeinheit zugänglicher Ort, der den Grundstein für die folgenden öffentlichen Anlagen legt (Jeschke 2013). Durch Kriege und militärische Erfordernisse ausgelöst, folgen im 18. Jahrhundert mehrfach Phasen des Werdens und Vergehens. Die Inwertsetzung steht dabei grundsätzlich noch im Zusammenhang mit der Nutzung als Gesundbrunnen. Erst im 19. Jahrhundert erkannten die Stralsunder den Wert der etablierten Anlage, der über den Gebrauch des Gesundbrunnens hinausging.
Nach der Belagerung durch Napoleon endete mit dem Wiener Kongress 1815 die Schwedenzeit in Stralsund und die preußische Herrschaft begann. Die bis zum Jahr 1873 gehegten militärischen Absichten der Preußen erhalten die Festung, und so wächst Stralsund verhältnismäßig spät über seine schützenden Teiche hinaus auf die Landseite. Eine Situation, die nicht nur die Entwicklung von Siedlung und Industrie, sondern auch die Anlage und gärtnerische Gestaltung von Freiräumen außerhalb der Festung einschränkte (Pfennig 2003). Dadurch ist die Brunnenaue lange Zeit die einzige öffentliche Parkanlage. Es stand auch nicht mehr die medizinische Nutzung des Heilwassers im Vordergrund, es war der gesellschaftliche Anlass des Spaziergangs¹) in "freier" Natur und die Zierde der Pflanzungen.
SUG-Stellenmarkt
Auf der Fläche des Gesundbrunnens des 18. Jahrhunderts entsteht im 19. Jahrhundert die Parkanlage Brunnenaue als erstes "modernes Stadtgrün" (Hard 1985/1990) in Stralsund. Ein gesellschaftlicher Ort, dem seine seit dem 18. Jahrhundert andauernde öffentliche Nutzung zugutekam.
In diesem Zusammenhang erfolgten im 19. Jahrhundert mehrere Erweiterungen der Fläche. Durch die Schenkung ehemaliger für Fortifikationen vorgesehene Bereiche durch Napoleon, gelangten benachbarte Grundstücke in den Besitz der Stadt und konnten für den Ausbau der Brunnenaue genutzt werden. Eine letzte Erweiterung der Brunnenaue folgt 1861. Es handelt sich um den Ankauf des im Plan von 1818 als 2.2 bezeichneten Grundstücks.
Die Absichten der Vergrößerung zur Anlage eines Turnplatzes für die städtischen Schulen scheinen anfangs unklar, was dazu führte, dass der Autor eines Artikels in der Wochenzeitschrift "Neue Sundine" den damaligen Gestaltern Einhalt gebieten wollte.
"Zu wünschen ist es, wenn bei der Vergrößerung der Brunnenaue der Natur ihr Recht geschieht. Man kann auch des Guten zu viel tun, und verletzt man die Grenzlinie des Schönen, so kann man durch Überladung leicht das Entgegengesetzte von dem bewirken, was man zu erzielen beabsichtigt. Wir hoffen, dass neben dem Blumengarten nun auch die Parkanlage berücksichtigt wird, die bisher mehr und mehr in den Hintergrund treten musste." (Neue Sundine 7. 12. 1861)
Die Turnplätze des "Vaterländischen Turnens"
Bevor eine detaillierte Beschreibung des 1861 in der Stralsunder Brunnenaue angelegten Turnplatzes erfolgt, soll im Folgenden näher auf die Merkmale des Turnens im Preußen des beginnenden 19. Jahrhundert eingegangen werden.
Die Hintergründe für Verbindungen von öffentlichen Parkanlagen mit Spiel- und Sportplätzen, generell mit der körperlichen Betätigung, stehen im Zusammenhang mit den Ideen der sittlichen und geistigen Erziehung der Bevölkerung (Hennebo und Schmidt 1977).
Im England des 19. Jahrhundert hatten dem Sport gewidmete Einrichtungen früh einen selbstverständlichen Platz in den "public parks" (vgl. ebd.). In Deutschland entstehen vergleichbare öffentliche Flächen für Sport und Spiel überwiegend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert (Ba?us 1999). Für Ausstattung und Anforderung der Plätze besteht ein Unterschied zwischen den Mannschaftsportarten der "spielenden" Engländer und den klar geregelten Inhalten des "Vaterländischen Turnens" in Deutschland.
Turnplätze gab es in Deutschland schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die erste Anlage befand sich ab 1811 in der Berliner Hasenheide. Der in Friedland bei Neubrandenburg gelegene Turnplatz von 1814 ist der zweitälteste in Deutschland (Grünwald 1997). Nach Ratschlägen von Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) erbaut, war dieser Platz Vorbild für viele Anlagen in Mecklenburg und Vorpommern: zum Beispiel in Demmin, Anklam, Neustrelitz, Neubrandenburg, Malchin, Ratzeburg und Parchim.
Besonders im von Frankreich beherrschten Preußen sollte, unterstützt durch Männer wie Friedrich Ludwig Jahn²), eine gezielte körperliche Ausbildung auch als vormilitärische Ausbildung dienen. "Jahn ging davon aus, dass Körperübungen als Bestandteil einer breiten Volkserziehung Vorarbeit für eine zukünftige Vaterlandsverteidigung zu leisten hätten." (Grünwald 1997)
Im Sinne dieser vormilitärischen Ausbildung unterlag das Turnen "straffen organisatorischen Maßnahmen" (Grünwald 1997) und Regeln, die auch für den Turnplatz als Ort der schulischen Erziehung der Jugend galten und nicht mit einer "Spielwiese" zu vergleichen waren. Die Turner verstanden sich zudem als politische Vereinigung, was sich bei der Anlage der Turnplätze durch den "Tie" genannten und oft von Eichen gesäumten Rede- und Versammlungsort äußerte.
"Das Turnwesen, obendrein noch mit den Burschenschaften verknüpft, war ein Hauptträger nationaldemokratischer Forderungen, und so verfiel es der staatlichen Bekämpfung und Verfolgung in den Jahren der Reaktion." (Hennebo und Schmidt 1977)
Das Turnen wurde in Preußen am 21. 1. 1820 für staatsfeindlich erklärt und unter Strafe gestellt. Im Verlauf der nächsten 22 Jahre erhielt sich das "unpolitische" Turnen den Umständen entsprechend. Die erkannte Bedeutung für die Zwecke der Erziehung der Jugend führte aber im Jahr 1842 zur Aufhebung des Turnverbots (Grünwald 1997). Der erneute Turnbetrieb fand vor allem als Schulturnen an den höheren preußischen Schulen Gebrauch.
Mit der Anlage eines Turnplatzes in der Brunnenaue folgt die Stadt den Wünschen der Turner und Erzieher und entspricht den Anforderungen der Zeit für eine aktivere Freizeitgestaltung in öffentlichen Anlagen. Außerhalb des Turnplatzes bleiben die wichtigsten Aufgaben der Brunnenaue aber die beschauliche Repräsentation und Zierde.
Der Turnplatz in der Brunnenaue
Erste Forderungen zur Einrichtung eines Turnplatzes für den regelmäßigen Sportunterricht gab es 1847. Zu diesem Zeitpunkt fehlten aber die finanziellen Mittel (Sundine 7.4.1847). Der dann für die städtischen Schulen 1861 angekaufte Turnplatz³) (siehe Abb. S. 36 unten) auf dem Gelände der Brunnenaue sollte nicht zuletzt als Ergänzung der Parkanlage dienen.
In den Ausmaßen des erworbenen Grundstücks bildet der Platz einen von einer doppelten Reihe Linden gerahmten Halbkreis, der im Inneren durch weitere Lindenreihen strukturiert wurde. Im weitesten Sinne hat der Platz die Form eines halben Hippodroms, das auch englischen Anlagen der Zeit für gymnastische Übungen entspricht (Hennebo und Schmidt 1977).
Gustav Meyer (1816-1877) benutzte die vollständige Hippodromform für die Sportanlagen im Treptower Park 1876, ein antikes Vorbild, das bis heute die maßgebende Form für Sportplätze ist (Ba?us 1999). Die Bepflanzung und "Verschönerung" des Turnplatzes, in diesem Sinne die Einbeziehung in den bestehenden Park, oblag dem "wohlverdienten Baubürger" Ernst Heinrich Ferdinand Billich (Neue Sundine 1. 1. 1862), der schon 1848 die Neugestaltung der ursprünglichen Brunnenaue übernommen hatte. Eine räumliche Trennung von Turnplatz und Park erfolgte durch die Linden der äußeren Reihe, kombiniert mit einer Unterpflanzung aus Sträuchern (siehe Abb. S. 36 oben). Abbildungen und Pläne zeigen den Turnplatz durch mehrere Wege mit der restlichen Anlage verbunden und frei zugänglich. Ob das eine bedingungslose aktive Nutzung durch alle Besucher ermöglichte ist fraglich. (s. Abb. oben)
Die beiden teilenden Lindenreihen enden an einem Klettergerüst, das wahrscheinlich als "Ein- oder Zweibaum"4) zu bezeichnen ist.
In der westlichen Hälfte des Platzes bildet eine Baumreihe eine "Schlängelbahn" (Grünwald 1997). Zusätzlich finden sich in diesem Bereich als unterschiedliche Barren, Recke oder Schwebebäume zu benennende Geräte. Das ungefähre Zentrum der östlichen Hälfte markiert ein Einzelbaum, der 1938 im Bestandsplan von Hans Friedrich Werkmeister (siehe Literatur) als Eiche bestimmt wurde.
Unter der Eiche sind durch den Zeichner des Plans von 1906 Sitze angedeutet, hieraus ergibt sich der Rückschluss auf einen in dieser Zeit zur Anlage eines Turnplatzes gehörenden Versammlungsort, den schon erwähnten "Tie", der üblicherweise von Eichen gesäumt und überschattet war (Grünwald 1997). Auffällig ist die Einzelstellung einer Linde am Ende der parallel zur heutigen Gerhart-Hauptmann-Straße verlaufenden Lauf- und Rennbahn, die den Wendepunkt der Bahn kennzeichnet.
Zur Ergänzung des bestehenden Turnplatzes entstand 1885 an seiner östlichen Grenze auf einer Fläche von 34 mal 13 Metern die erste städtische Turnhalle, die durch die typische Backsteinfassade öffentlicher repräsentativer Bauten in Stralsund gekennzeichnet ist. Das Gebäude sollte den Turnunterricht auchin den Wintermonaten ermöglichen und über die Schulzwecke hinaus den Bedürfnissen der örtlichen Turnvereine Rechnung tragen (Neumerkel 2010). Sowohl den Ansprüchen des Turnunterrichts für Knaben als auch der Turnvereine wurde entsprochen, und ab Oktober 1885 konnten sonntags auch Schülerinnen die Turnhalle nutzen (vgl. ebd.). Das Gebäude war aufgeteilt in einen Turnsaal (20 mal 11 Meter), Nebenräume für Lehrer und Geräte sowie eine Wärterwohnung an der Ostseite mit Eingang zur Brunnenaue und eigenem Hofplatz.
Im Bestand erhalten
Die gegenwärtig vom Sportplatz Brunnenaue beanspruchte Fläche ist mit der ursprünglichen Anlage identisch. Hier gab es nur selbstverständliche Veränderungen in der Aufteilung und Nutzung, die mit den veränderten Arten der sportlichen Betätigung zusammenhängen. Brunnen-aue und Sportplatz bilden heute zwei Grundstücke, die durch einen Zaun voneinander getrennt sind.
Von den zur Rahmung und Begrenzung des Turnplatzes gepflanzten Linden sind 23 erhalten. Sie sind Beleg für die unveränderten Ausmaße des Platzes. Sechs Linden der ehemals den Turnplatz umgebenden äußeren Reihe befinden sich auf dem Grundstück der Brunnenaue, während neun Linden im Bereich des eingezäunten Sportplatzes stehen. Weitere acht bilden außerhalb des Zaunes eine Baumreihe an der Gerhart-Hauptmann-Straße. Die Nachpflanzung junger Linden erfolgt sowohl auf dem Sportplatz wie auch in der Brunnenaue im Pflanzschema der Anlage von 1861. So ergänzen zurzeit sieben Jungbäume die ursprünglich den Platz umgebende Doppelreihe.
Neben den rahmenden Linden ist auch der "Wendebaum" der ehemaligen Laufbahn erhalten. Die "Tie-Eiche" und die den Turnplatz mittig teilende Doppelreihe Linden wurden zwischen 1944 und 1953 zur Schaffung eines Fußballfeldes entfernt (vgl. Luftbilder 1944, 1953). Die Turnhalle besteht äußerlich unverändert. Auf dem Gelände der Halle entstanden noch Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Kohlenschuppen. Eine vollständige Sanierung der Innenräume fand am 30. 1. 2013 ihren Abschluss (Ostsee-Anzeiger 30. 1. 2013).
Auf dem Sportplatz der Stralsunder Brunnenaue haben einige typische Einzelmerkmale von Turnplätzen des Vaterländischen Turnens trotz veränderter Ansprüche und Nutzungen die Zeit überdauert. Die erhaltenen, in der Vergangenheit als "Sportgerät" genutzten Bäume, haben nach Wissen des Verfassers Seltenheitswert. Ein umfassender Vergleich von historischen Turnplätzen in Mecklenburg-Vorpommern steht noch aus und kann lohnendes Ziel für zukünftige Forschungen sein.
Anmerkungen
1) Der "Spaziergang" auch im Verständnis des dafür notwendigen Ortes (Hennebo und Schmidt 1977).
2) Jahn und zahlreiche andere "Vaterländische Turner" traten während des Befreiungskrieges dem Lützowschen Freikorps bei. (Grünwald 1997).
3) Neben den Bedürfnissen der städtischen Schulen ist eine Nutzung durch den 1860 in Stralsund gegründeten Turnverein "TSV 1860" wahrscheinlich, der auch nach Errichtung der Turnhalle 1884 Ansprüche auf den Turnplatz erhebt. ( Neumerkel 2006).
4) Einbaum (hohes Klettergerüst), Zweibaum (Klettergerüst von 20 Fuß). (Grünwald 1997).
Literatur
Brandenburg, A. (1836): Nachricht von dem Knieper Gesundbrunnen der Stadt Stralsund. In: Sundine 1836. In: Sundine, ab 16.9. 1836. Signatur: Pz4°7.
Ba?us, W. (1999): Kinder und Jugend im Volksgarten von den Anfängen bis zur Entstehung des Reformparks. Sammlung der Redemanuskripte der internationalen Fachtagung, Die Idee des Volksgartens und sein Erbe im 20. Jahrhundert. Modell für den Stadtpark von Morgen?, 2.-4. September 1999 in Magdeburg.
Grünwald, D. (1997): Turner, auf zum Streite, Die Anfänge des Vaterländischen Turnes und das Wirken Friedrich Ludwig Jahns in Mecklenburg-Strelitz. Neubrandenburg.
Hard, G. (1985/1990): Städtische Rasen, hermeneutisch betrachte. In: Hard - Ware. AG Freiraum und Vegetation (Hrsg.). Notizbuch 18 d. Kassler Schule. S. 273-295. Kassel.
Hennebo und Schmidt, (1977): Geschichte des Stadtgrüns, Band 3, Entwicklung des Stadtgrüns in England. Berlin.
Jeschke, M. (2013): Am Brunnen vor dem Kniepertor. Die Geschichte der Stralsunder Brunnenaue verstehen und pflegen. Masterthesis, Hochschule Neubrandenburg.
Kienast, M. (1705): Die heilenden Hände des allmächtigen Schöpfers, in dem alten Brunn, auff dem Knieps-Damm zu Stralsund, bey sehr vielen Patienten, durch alle Monnahten des ganzen Jahres. Michael Meders Erben (Hrsg.). In: Knorr K. (1909): Stralsund und Stralsundische Ärzte vom 15. Jhd bis 1887, Anlage zum gleichnamigen Vortrag. Signatur: HS 358a.
Neumerkel, A. (2010): Vor 125 Jahren erste Turnhalle eröffnet. In: Ostsee-Zeitung, 19. 3. 2010. S. 10.
Pfennig, A. (2003): Backstein und Grün, Gartenkultur der Hansestadt Stralsund. Edition Herre (Hrsg.). Rostock.
Werkmeister, H. F. (1938): Die Betreuung einer städtischen Bevölkerung durch den Landschaft- und Gartengestalter, nachgewiesen an dem Beispiel der Stadt Stralsund. Dissertation. Hildesheim.