Chancen für die dritte Dimension in der Landschaftsarchitektur

Vertikale Freiräume

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Vertikale Gärten Bauwerksbegrünung
Der 2002 eröffnete „MFO-Park“ im Züricher Stadtteil Oerlikon ist wohl eines der bekanntesten Beispiele eines „Vertikalen Freiraums“. Der 100 Meter lange, 35 Meter breite und 17 Meter hohe, durch Kletterpflanzen berankte dreidimensionale Park wurde von den Landschaftsarchitekten raderschallpartner ag und den Architekten Burckhardt+Partner AG entwickelt. Foto: Michael Freisager

Städtische Freiräume stehen unter Druck: Die zunehmende bauliche Verdichtung, der Klimawandel und sich verändernde gesellschaftliche Bedürfnisse legen es nahe, über die Zukunft von Freiräumen grundsätzlich nachzudenken. Dabei drängt sich die Frage auf, inwiefern neue Typologien entwickelt und Lösungen gesucht werden sollten, die bislang nur bedingt in Betracht gezogen wurden. Hierbei gerät die vertikale Dimension der Freiräume verstärkt in den Blick: Können - wie alles andere - auch Freiräume "verdichtet" werden? Kann dabei Vertikalität in der Stadtentwicklung eine Chance sein, Themen der Landschaftsarchitektur neu zu denken?

Neue Herausforderungen

Gesellschaftliche und klimatische Veränderungen weltweit haben Städte und ihre Freiräume in den letzten Jahren vor enorme Herausforderungen gestellt. Vor allem die immer weiter fortschreitende Urbanisierung¹ bringt Städte nicht nur an ihre räumlichen Grenzen, sondern auch an die Grenzen ihrer gesellschaftlichen Belastbarkeit. Diese Tendenzen lassen sich nicht nur in Megacities in Asien beobachten, sondern auch hierzulande in Städten wie München und Stuttgart. Um mit diesem Bevölkerungszuwachs als Folge der "Renaissance der Stadt"² überhaupt noch umgehen zu können, werden im Zuge strategischer Innenentwicklungen die Stadträume massiv baulich nachverdichtet. Damit geht ein Anstieg der versiegelten Flächen einher, der in Verbindung mit den immer stärker spürbar werdenden Folgen des globalen Klimawandels (IPCC 2014) zur Verschlechterung des lokalen Klimas (Hitzeinseln) und einer verminderten Luftqualität führt. Dies und der Verlust an Rückzugsmöglichkeiten ins Grüne mindert die Lebensqualität in einem Großteil der Städte erheblich.³ Vor allem letzteres löst bei der Bevölkerung auch eine große Sehnsucht nach Natur und ein Bedürfnis nach neuen Freiräumen in der Stadt aus.4 Freiräume sind mehr denn je Sehnsuchtsorte und "grüne Oasen" für die Stadtbevölkerung, sind sie doch für das städtische Leben von unschätzbarem Wert. Sie bilden die Grundlage und den Rahmen, in dem Stadtkultur öffentlich sichtbar werden kann. Dies ist gerade in Zeiten von gestiegenen Integrationserfordernissen von unschätzbarem Wert, da eine multikulturelle Stadtgesellschaft ganz besonders auf Begegnung und Austausch angewiesen ist.

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Eine Yoga-Gruppe auf einer der oberen Ebenen des Parkhauses „1111 Lincoln Road“ in Miami, der Architekten Herzog & de Meuron. Foto: Erika Thomas
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Die Inszenierung der „Vertikalen“ als Verbindung und Begegnungszone zwischen zwei Gebäuden. Das Projekt „Sesc Pompéia“ wurde von Architektin Lina Bo Bardi in São Paulo 1968 fertiggestellt. Foto: Paulisson Miura, Wikimedia Commons, CC BY 2.0

Betrachtet man angesichts all dieser Herausforderungen die Rolle und Bedeutung von Freiräumen im Stadtgefüge, stellt sich die Frage, ob ein bestehender "klassischer" Freiraum - mit seiner begrenzten Fläche - all diesen Ansprüchen noch gerecht werden kann.

Städte sind zudem einem stetigen Wandel unterzogen und mit ihm ändern sich laufend auch die Ansprüche an ihre Freiräume. Laut Frank Lohrberg sucht eine immer diverser werdende Stadtgesellschaft in Freiräumen aktuell nicht mehr "nur Kontemplation, Entspannung und sicheres Geleit. Sie sucht auch den Reiz, die Aufforderung und die maßvolle Verunsicherung" - also auch Orte, die sich gängigen Schemata, Bildern und Nutzungsmustern entziehen.5 Nicht nur die allgemeine Wahrnehmung von Freiräumen befindet sich im Wandel, auch innerhalb der Landschaftsarchitektur spricht man von einer kontinuierlichen Auflösung gewohnter Konstrukte. So überträgt Till Rehwaldt das von Jürgen Habermas beschriebene Phänomen der "neuen Unübersichtlichkeit" auf den Zustand der Profession.6

Angesichts all dieser Veränderungen scheint es an der Zeit, neue freiräumliche Typologien nicht nur zu denken, sondern auch vermehrt anzuwenden. Die Stadt München beispielsweise folgt diesem Ansatz und sucht nach "kreativen Lösungen und flexiblen Handlungsmöglichkeiten".7 Denn München hat sich - trotz eines hohen baulichen Entwicklungsdruckes - zum Ziel gesetzt, die Versorgung mit qualitätsvollen Freiräumen auch in Zukunft zu gewährleisten. Vorgeschlagen werden unter anderem die Mehrfachnutzung von Freiräumen, temporäre Bespielungen und insbesondere die Erschließung der dritten Dimension, die typologisch völlig neue Räume hervorbringt.

Neue Freiräume

Bereits "in den vergangenen Jahren sind neue Freiraumtypologien entstanden, die sich einer eindeutigen Kategorisierung entziehen. Sie verbinden Altes mit Neuem, Natürliches mit Künstlichem zu "urbanen Hybridräumen", deren vielfältige Lesbarkeit von zentraler Bedeutung ist."8 Hybridität von Freiraum und Stadt, von Landschaftsarchitektur und Architektur, kann somit als große Chance für die Schaffung neuer freiräumlicher Typologien verstanden werden. Denn in der Stadt als primär künstlichem' Ort braucht es einen ,natürlichen' Gegenpart, der ihr hilft, die Brücke zur Natur zu schlagen. So ist Freiraum eine Kombination von beidem und wird "nicht länger allein als grüne Gegenwelt zur Stadt verstanden, sondern als eine Facette des Urbanen"9.

Dabei erscheint es wichtig, dass das Nachdenken über die Zukunft von Freiräumen auch ein Nachdenken über die Definition von Freiraum notwendig macht, denn im allgemeinen Verständnis sind Freiräume traditionell immer horizontal und zwischen den Gebäuden angeordnet. Freiräume sollten aber nicht nur Lücken zwischen den Häusern bleiben, sondern müssen aktiv und somit vertikal als Gebäudeschicht in die Stadt integriert werden.10 Auch wird Freiraum meist als "fließend existierendes Kontinuum unter freiem Himmel, das sich von seinem Umfeld durch geringe bauliche Überformung abhebt"¹¹ definiert. Damit schließt man aber automatisch architekturnahe Freiräume wie beispielsweise Balkone aus, die jedoch eine wichtige Rolle bei der Versorgung mit privaten Freiraum spielen. In der Realität sollte der Freiraum einer Stadt als etwas viel Umfassenderes und Durchgängigeres betrachtet werden. So scheint es angemessener, Freiraum - zumindest auf räumlicher - Ebene eher mit dem architektonischen Begriff "Außenraum" zu definieren: Ein Raum also, der nur bedingt vor Witterungseinflüssen geschützt ist.

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Der 2012 vom Büro ludwig.schoenle in Nagold realisierte „Platanenkubus“ weckt als baubotanische Verbindung aus Architektur und Baum den Entdeckergeist der Passanten. Foto: ludwig.schoenle
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Als „Vertikaler Quartiersplatz“ konzipiert schafft der „Platanenkubus“ unterschiedliche räumliche Qualitäten auf verschiedenen Ebenen. Die Vertikalität wird inszeniert und für den Besucher erlebbar. Foto: ludwig.schoenle

Vertikale Freiräume

Von einem "Vertikalen Freiraum" spricht man, wenn Freiflächen geschichtet werden und dadurch ein begehbarer dreidimensionaler Freiraum geschaffen wird. So entstehen Möglichkeitsräume in der Vertikalen, die beispielsweise bislang nicht nutzbare Zwischenräume zwischen Gebäuden zugänglich machen. Unter Vertikalität kann man hierbei zwei grundsätzliche Ausformungen verstehen: Entweder spricht man von einem geschichteten Freiraum, wie dem "MFO-Park" in Zürich, oder von einem senkrechten Objekt, wie zum Beispiel von den "vertikalen grünen Wänden" von Patrick Blanc. Denn im Gegensatz zu den Arbeiten von Blanc sollte ein Freiraum immer Zugänglichkeit und somit auch Begehbarkeit zum Thema haben. Bei einem "Vertikalen Freiraum" handelt es sich demnach um einen geschichteten Außenraum mit mindestens zwei begehbaren Ebenen.

Auch wenn man geneigt ist, "Vertikalen Freiraum" als ein völlig neuartiges Phänomen zu betrachten - ist dem nicht so. Unter Stichwörtern wie "Verlandschaftlichung", "Inversion", "Dekontextualisierung" oder "Hybridisierung" wurde auch in der Vergangenheit oftmals nach gelungenen Symbiosen zwischen Landschaft und Stadt, Garten und Haus, Pflanze und Bauwerk gesucht.¹² Hier rückt die Frage in den Fokus, in welchen Zusammenhängen sich Freiräume von der Horizontalität gelöst haben. Viele wichtige Bauwerke und Visionen zeugen davon, wie beispielsweise die mythischen hängenden Gärten der Semiramis in Babylon oder aktuell die "grünen Architekturen" von Ken Yeang. Letztere kommen vor allem im Kontext hoher baulicher Dichte zum Tragen, um die Sehnsucht der Bevölkerung nach Natur zu stillen und sind auch als Versuch zu deuten, stadtklimatischen Anforderungen zu begegnen. Auch die Debatte der "doppelten Innenentwicklung",¹³ mit der städtische Flächen nicht nur baulich, sondern auch freiräumlich entwickelt werden sollen, schafft einen Anreiz, über neue freiräumliche Typologien und die Verbindung von Landschaftsarchitektur und Architektur nachzudenken.

Wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, scheint es sinnvoll zu sein, der Verdichtung der Städte durch die Verdichtung von Freiräumen, also einer Schichtung von Freiflächen zu begegnen. Solch eine "Stapelung" findet sich im Projekt "1111 Lincoln Road" in Miami von den Architekten Herzog & de Meuron. Die Architekten schufen mit dem Parkhaus durch die Komprimierung von Fläche einen "Vertikaler Freiraum", der neben Stellplätzen auch Raum bietet für gemeinsames Yoga, Sport und Outdoor-Parties.

Auch die Architektin Lina Bo Bardi schichtete 1986 beim Bau von "SESC Pompéia" Sportflächen, um Platz einsparen zu können. Nur über diese Schichtung der Flächen ließen sich alte Fabrikhallen erhalten, die zu einem Kulturzentrum umgenutzt wurden. Die beiden so entstandenen ikonenhaften Zwillingstürme sind über Brücken miteinander verbunden. Über die vertikale Inszenierung dieser Wege zwischen den Umkleiden und den Sportflächen, die sich in diesen Türmen befinden, entsteht ein atemberaubender vertikaler Raum in großer Höhe.

Neben der Notwendigkeit Platz einzusparen, sind die Gründe für Vertikalität vielfältig. Das Parkhaus von den Architekten Herzog & de Meuron zeigt, welches freiräumliche Potenzial in manchen Architekturen steckt, wenn diese bewusst als Freiraum gestaltet werden. Denn sehr oft entstehen auch unbewusst "Vertikale Freiräume", die zwar die Zugänglichkeit von Stockwerken ermöglichen, aber nur selten als solche konzipiert beziehungsweise genutzt werden. Sie können als großes Raumpotenzial verstanden werden, dessen Aktivierung ein breites Spektrum an Nutzungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die angrenzenden Nutzer eröffnen würde. Beispielsweise schaffen Laubengangerschließungen oder Treppenanlagen besondere soziale Begegnungspunkte für die Anwohner, wie das Architekturbüro Brandlhuber mit dem Wohn- und Bürogebäude "Brunnenstraße" gezeigt hat. Nicht nur vertikale auch horizontale Erschließungen und Infrastrukturbauten wie Brücken schaffen Schichtungen von Flächen. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist der High Line Park in New York, eine 2,33 Kilometer lange ehemalige Güterzugtrasse.

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Die Typologie „Vertikaler Freiraum“ macht aufgrund des eingeschränkten Wurzelraums das Neudenken vegetativer Konzepte notwendig. Das Projekt „Platanenkubus“ wurde bewusst als Symbiose aus Gebautem und Vegetativem konzipiert. Foto: ludwig.schoenle

Natürlich gibt es auch viele Bauwerke, die die Erlebbarkeit der Vertikalen bewusst zum Thema haben und diese inszenieren: Aussichtstürme, Baumwipfelpfade, temporäre Kunstinstallationen aus Gerüsten wie die 2013 von dem Architekten Jürgen Mayer H. realisierte "Schaustelle" vor der Pinakothek der Moderne in München. Auch das wohl bekannteste Beispiel für einen "Vertikalen Freiraum", der "MFO Park" als dreidimensionaler Park in Zürich-Oerlikon, steht für diese bewusst entworfene Erlebbarkeit der Vertikalen.

Der "Platanenkubus"

Ähnlich wie der "MFO Park" schürt der "Platanenkubus" in Nagold den Entdeckergeist des Betrachters und die Hoffnung auf einen ungewöhnlichen Ausblick auf die Umgebung. Das baubotanische Bauwerk der Bürogemeinschaft ludwig.schönle macht genau dies, in dem es das Betreten einer Baumkrone ermöglicht.

Wer wollte nicht einmal oben bei den Vöglein in der Baumkrone sein? Dabei stehen die rauschenden Blätter und tanzenden Schatten im Kontrast zu der streng geometrischen Gestaltung des Baukörpers. Die hybride Bauweise aus Baum und Gerüst macht dies möglich. Das baubotanische Pilotprojekt ist als "Vertikaler Quartiersplatz" konzipiert und macht das Wachstum der Vegetation und den Wechsel der Jahreszeiten auf ganz besondere Weise erlebbar. Es dient der Erprobung und Weiterentwicklung baubotanischer Methoden und macht dies auch gleichzeitig als Anschauungsobjekt einer breiten Bevölkerung zugänglich.

Das Forschungsprojekt veranschaulicht, wie neue vertikale Typologien zu einem besonderen Treffpunkt für die Nachbarschaft werden können. Denn - wie bereits oben ausgeführt - verlangt eine immer diverser werdende Gesellschaft nach einer größeren Varianz an Möglichkeiten und Typologien, um neue Arten der Begegnung zu ermöglichen.

Vegetationsverwendung

Wie der "Platanenkubus" verdeutlicht, ist - wie immer - die Wahl des richtigen Vegetationskonzepts für das Gelingen eines Projektes essentiell. Schaut man sich beispielsweise Bauwerke wie den "Bosco Vertikale" in Mailand von Stefano Boeri an, bleibt abzuwarten, wie sich das Experiment mit den Jahren entwickeln wird. Die meisten Baumarten sind extrem standortgebunden, benötigen viel Erde, Wasser in Form von Regen und Sonne, was bei den verwendeten Geschossigkeiten nicht immer gegeben ist. Das größte Konfliktpotential bei diesen Projekten liegt im Zeitfaktor. Man sagt, Natur habe die vierte Dimension, was bedeutet, dass die gepflanzten Bäume wachsen und gedeihen müssen und oft erst im hohen Alter ihre volle Pracht entfalten. Die Architektur verhält sich dazu oft konträr - sie fängt an zu altern und wird entweder renoviert oder abgerissen. Es ist demnach wichtig, das hybride Bauwerk wie beim Beispiel des "Platanenkubus" bewusst mit Blick auf den Faktor Zeit zu denken und zu entwerfen. Das Projekt ist damals als eine erste städtebauliche Setzung entstanden, welches zeitlich weit vor der Entwicklung des Stadtviertels geplant und gebaut wurde. Parallel zu der baubotanischen Entwicklung der Bäume - die mit der Zeit zu einer Baumkrone verwachsen, wächst auch die Stadt um den Kubus. So wird das langsamere vegetative Wachstum bewusst inszeniert und wichtiger Teil der Entwurfshaltung. Es ist folglich wichtig, dass das Vegetationskonzept und das bauliche Vorhaben zusammenpassen, damit eine stimmige Symbiose entsteht. Das Vegetationskonzept sollte eine Verbindung aus Architektur und Natur schaffen, wie beim "Platanenkubus" die Baubotanik oder wie im Falle des "MFO-Parks" Kletterpflanzen.

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Um mit der „Renaissance“ der Stadt und mit der damit einhergehenden baulichen Verdichtung umzugehen, bedarf es auch einer „Verdichtung“ von Freiräumen – somit „Vertikalen Freiräumen“. Foto: Studio Vertikaler Freiraum
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Die geplante Umsetzung des Forschungsprojekts – ein temporärer „Vertikaler Freiraum“, im Kontext hoher baulicher Dichte wird zum Untersuchungsgegenstand für Chancen und Probleme der Typologie. Foto: Studio Vertikaler Freiraum

Chancen und Probleme

Die aktuell laufende Diskussion um Nachverdichtung und Freiraum schafft neue Relevanzen für die Typologie "Vertikaler Freiräume", denn diese bietet wie bereits angedeutet einen interessanten Lösungsansatz, um neue Freiräume auch an Orten zu generieren, wo sie bislang keinen Platz fanden. Die vertikale Typologie lässt sich auch nutzen, um noch größere Raumpotenziale zu heben und beispielsweise Dachlandschaften für die breite Bevölkerung zugänglich zu machen. Doch diese Zugänglichkeit bringt aber auch eines der Kernprobleme der Typologie mit sich, denn sobald der "normale" horizontale Zugang eines Freiraumes nicht mehr gegeben ist, stellt sich die Frage nach der Barrierefreiheit. Ein Freiraum sollte immer den Anspruch haben, inklusiv zu sein und nicht auszugrenzen. Deshalb bedarf es eines starken entwurflichen Konzeptes, wie beispielsweise die ausschließliche Verwendung von Rampen, um diesem Problem zu begegnen.

Wie die letzten Entwicklungen des "MFO-Parks" gezeigt haben, birgt ein "Vertikaler Freiraum" je nach Standort auch Nutzungskonflikte. Da sich im Sommer die Jugend auf die oberste Plattform zurückzog, um dort Musik zu hören und den Abend zu genießen, musste die Stadt Zürich aus Lärmbelästigungsgründen die oberen Parketagen an Freitagen und Samstagen nun jeweils von 22 bis sechs Uhr schließen. Problem sei vor allem der "architektonische Sonderfall", denn er sei eingeschlossen in Häuserfronten, weshalb es dort stark halle, der "Lärm ist sozusagen auf Ohrenhöhe der angrenzenden Wohnungen".14 Ein "Vertikaler Freiraum" wie der "MFO-Park" eröffnet also die Debatte um öffentlich und privat. Die Abstufungen der Privatheit sind fließend und gerade architekturnahe Freiräume können Konflikte auslösen. Allgemein ist diese Fragestellung im aktuellen Diskurs jedoch nicht nur negativ zu bewerten, da es diese Auseinandersetzung, diesen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess also braucht. Natürlich kann man dieser Problematik entwurflich oder - wie in diesem Fall - mit Öffnungszeiten begegnen, wenn auch letzteres keine zu forcierende Lösung sein sollte.

Im Gegensatz zu einem horizontalen Park schafft ein vertikaler Park automatisch eine große Sichtbarkeit. Dies weckt intuitiv und spontan das Interesse der Passanten und schafft ein spannendes Moment, weil man die Horizontale verlässt. So bietet die Vertikale die Chance, ein Stück seines Alltags hinter sich zu lassen, um sich neuen Eindrücken und Atmosphären zu öffnen und in eine unbekannte Welt einzutreten.

Resümee und Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass wachsende Städte zunehmend auf das Werkzeug der Nachverdichtung setzen werden. Somit gewinnt die Vertikalität bei der Entwicklung nicht nur europäischer Städte an Wichtigkeit. Hierbei können "Vertikale Freiräume" einen interessanten Ansatz bieten, um neue Möglichkeitsräume an Orten zu generieren, an denen sie bislang keinen Platz fanden. Wichtig dabei ist, dass wir von den bereits bestehenden Projekten lernen, die wie der "MFO-Park" noch sehr aufwendige Pilotprojekte waren und somit wohl eher Einzelfälle bleiben werden. Es ist an der Zeit, Konzepte zu entwerfen, die aufgrund drängender Herausforderungen eine Relevanz mit Breitenwirkung entwickeln können, und es ist nur folgerichtig, das Spektrum an Einsatzmöglichkeiten der Typologie viel breiter zu denken. Denn wie die beschriebenen Beispiele gezeigt haben, sind die Gründe für die Vertikalität von Freiräumen so verschieden wie die Vielzahl an wertvollen und ungewöhnlichen Treffpunkten, die für die Bevölkerung dadurch entstehen.

In Zukunft wird weitere Forschung notwendig sein, um Chancen und Probleme von "Vertikalen Freiräumen" auszuloten, was neben der Empirie auch die konkrete bauliche Überprüfung im Stadtraum als Realexperiment notwendig macht. Für 2018 ....sind deshalb im Rahmen des Forschungsprojekts "Vertikale Freiräume" erste temporäre Umsetzungen im Kontext hoher baulicher Dichte geplant.

Die bewusste Einbeziehung der Vertikalen eröffnet der meist horizontal denkenden Profession der Landschaftsarchitektur ein weites Handlungsspektrum und neue Gestaltungsspielräume, von denen wir mit Blick auf aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, bauliche Verdichtung und erhöhte gesellschaftlicher Anforderungen Gebrauch machen sollten. Denn es müssen neue adäquate Freiräume und Antworten gefunden werden, die ein gutes Zusammenleben in der Stadt - auch in Zukunft - möglich machen.

Literatur

1 Vgl. Birch, Eugenie, Wachter, Susan, "Global Urbanization", University of Pennsylvania Press, Philadelphia, 2011, S. 4.

2 Läpple, Dieter, "Thesen zu einer Renaissance der Stadt in der Wissensgesellschaft", in: Gestring, Norbert; Glasauer, Herbert; Hannemann, Christine; Petrowsky, Werner; Pohlan, Jörg (Hg.), Jahrbuch StadtRegion 2003, Opladen, 2004, S. 61-77.

3 Vgl. Stokman, Antje, Deister, Lisa, Brenne, Fabian, Henrichs, Malte, Jeskulke, Michael, Hoppe, Holger, Uhl, Mathias "Wassersensible Stadt- und Freiraumplanung Handlungsstrategien und Maßnahmenkonzepte zur Anpassung an Klimatrends und Extremwetter", Universität Stuttgart Institut für Landschaftsplanung und Ökologie, Stuttgart, 2016, S. 3.

4 Vgl. Oswalt, Philipp, "Entwerfen von Natur. Implantationen Natur in der zeitgenössischen Architektur", in Thesis: wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar, Heft 5, Weimar, 1997, S. 75-79.

5 Lohrberg, Frank, "Freiraum in der Stadt", in: innerorts. Zukunftsfähige Stadterneuerung in Baden-Württemberg - Bauherrenpreis 2000-2006, Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Architektenkammer Baden-Württemberg, Stuttgart, 2007, S. 3,4.

6 Vgl. Rehwaldt, Till, "Das Maß der Auflösung", in: Feldhusen, Sebastian; Poerschke, Ute; Weidinger, Jürgen (Hg.): Vermischungen in Architektur und Landschaftsarchitektur. Wolkenkuckucksheim, Internationale Zeitschrift zur Theorie der Architektur. Jg. 21, Berlin, 2016, S. 103-110.

7 Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Stadtplanung, Grünplanung, "Konzeptgutachten Freiraum München 2030", München, 2015, S. 36, 39.

8 Dettmar, Jörg, Udo Weilacher "Baukultur. Vier Themen und die Landschaft als Schlüssel", Redebeitrag auf 1. Konvent der Baukultur, Internationales Kongresszentrum, Bonn, 2003, S. 3.

9 Vgl. Hager, Guido "über Landschaftsarchitektur", Hatje Cantz Verlag, Berlin, 2009, S. 74.

10 Vgl. Wallraff, Michael, Klaus Bollinger "Michael Wallraff: vertikaler öffentlicher Raum", Verlag Für Moderne Kunst Wien, 2011, S. 158.

11 Bernard, Stefan, Philipp Sattler, "Vor der Tür: Aktuelle Landschaftsarchitektur aus Berlin", Callwey Verlag, München, 1997, S. 101.

12 Vgl. Weilacher, Udo, "In Gärten: Profile aktueller europäischer Landschaftsarchitektur", Birkhäuser Verlag, Basel; Berlin; Boston, 2005, S. 137.

13 Bundesamt für Naturschutz, "Urbane Grüne Infrastruktur Grundlage für attraktive und zukunftsfähige Städte Hinweise für die kommunale Praxis", Bonn, 2017, S. 20.

14 Grunder, Nadine im Interview mit Tina Fassbind, "Lärm in den obersten Etagen", Tages-Anzeiger, Zürich, erschienen am 12.04.2016.

Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Ludwig
Autor

Professur für Green Technologies in Landscape Architecture an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München

M.A. Isabel Zintl
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture an der Fakultät für Architektur der Technische Universität München

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