Der Garten der IG-Metall Bildungsstätte Pichelssee in Berlin
von: Dipl.-Ing. Georg von GaylBerlin zieht Menschen aus aller Welt an. Diese Attraktivität verdankt die Stadt nicht nur dem kulturellem Angebot, der Lebensqualität und den günstigen Lebensbedingungen, sondern auch seinen Wäldern, Parks und seinen Gärten. Nähert man sich im Landeanflug der Stadt, überraschen die vielen Wald- und Wasserflächen, die unter einem liegen und allein vierzig Prozent des Berliner Stadtgebietes einnehmen. Auch die Vielzahl von Parks und Gärten, öffentlichen Grünzügen und Stadtplätzen aus verschiedenen Zeitepochen prägen das Bild der Stadt und überraschen jeden, der die Hauptstadt neu kennen lernt.
Neben diesen öffentlichen Stadtentwicklungsmaßnahmen des 19. Jahrhunderts, die von Peter Josef Lenné und Karl Friedrich Schinkel maßgeblich gestaltet wurden, entstand auch das private Berliner Grün: In den Villenkolonien wurden luxuriöse Landhaus- und Villengärten des aufstrebenden Bürgertums angelegt und gepflegt.
Die Weiterentwicklung und Blüte des Berliner privaten Grüns erlebte in den 1930er Jahren mit der Verfolgung des jüdischen Großbürgertums durch die Nationalsozialisten einen starken Einbruch. Ein wichtiges Stück privater Gartenkultur ging verloren, da Bankiers, Schauspieler und Wissenschaftler große Gärten verließen und ins Ausland emmigrieren mussten.
Mit der anschließenden Zerstörung Berlins während des Zweiten Weltkriegs erlitt das Berliner Gartenwesen den größten Rückschlag seit seinem Bestehen. Von den ehemals 4,4 Millionen Einwohnern waren nur noch 2,8 Millionen Einwohner übrig geblieben und was von den Parks und Grünanlagen nicht schon durch Bunker oder durch die Kampfhandlungen selbst vernichtet war, rodete die Bevölkerung, um Heizmaterial zu beschaffen und Anbauflächen für Gemüse zu bepflanzen.
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Die Nachkriegszeit war geprägt vom Wiederaufbau beider Stadthälften und ehemals bedeutende Berliner Privatgärten wurden durch Grundstücksteilungen zerstört oder verfielen in einen Zustand der Lethargie, der - im Glücksfall - erst viele Dekaden später endete. Was geschieht mit einem alten Garten, der vor vielen Jahren mit großem Aufwand angelegt wurde, dann im Laufe der Zeit nur noch eine extensive Pflege erfährt und anschließend eine Dekade völlig verwaist? Die Antwort ist nicht schwer. Eigentlich entsteht genau das, was Gärtner bestrebt sind, mit ihrer jahrelangen Pflege zu vermeiden: Verwilderung, Artenverdrängung, Verlust der räumlichen Bezüge, Verfall von Bauten und Ausstattungen, Zerstörung.
Ein typisches Beispiel für die Geschichte eines Berliner großbürgerlichen Gartens im 19. und 20. Jahrhundert ist der Garten der Bildungsstätte der IG-Metall, Pichelssee, im Berliner Bezirk Spandau. Der Landschaftspark ist bis heute erhalten geblieben.
Ende des 19. Jahrhundert baute sich der Brauereibesitzer Julius Busse eine Villa im klassizistischen Stil auf der Landzunge zwischen Scharfe Lanke und dem Pichelssee, eine Ausbuchtung des Havelflusses, mit einem umliegenden 5,1 Hektar großen Park. Auf dem amtlichen Lageplan von 1926 sind der Grundriss des Hauses sowie ein großzügig angelegter Landschaftspark, der von der Bevölkerung genannte "Schlosspark" mit geschwungenen Wegen zu erkennen. Für einen Privatgarten war diese Anlage von ungewöhnlicher Größe.
Nach dem Besitzerwechsel erfolgte 1935 der Einzug des Verlegers Ferdinand Springer, dem Inhaber des aufblühenden Wissenschaftsverlages Julius Springer. Sein Sohn, Dr. Konrad Springer, nutzte das Anwesen allerdings nur bis 1943, weil das Gebäude kriegsbedingt ausbrannte und als Ruine stehen blieb. In der Nachkriegszeit diente das vom Krieg unbeschädigte Bootshaus wieder seinem ursprünglichen Zweck und Mitarbeiter des Springer Verlages nutzen das verwilderte Gelände an Wochenenden für Ausflüge.
Nach dem Bau der Berliner Mauer zog Konrad Springer Anfang der 1960er Jahre nach Heidelberg um. Noch vorhandene Pflanzen auf dem Anwesen wurden ausgegraben und in den neuen Privatgarten nach Heidelberg transportiert. Konrad Springer wird von seiner Witwe Brita Springer als begeisterter Pflanzenfreund und Botaniker beschrieben. Der Verkauf des Grundstücks erfolgte an die IG-Metall, die eine Jugendbildungsstätte in einem eingeschossigen Gebäude mit Satteldach nahe am Eingang einrichtete.
Im Zusammenhang mit dem Neubau einer Bildungsstätte auf dem Standort des Ursprungsgebäudes Mitte der 1980er Jahre, geplant von Prof. Klaus Kafka, mit 150 Betten, wurde auch die Gartenanlage von Prof. Günther Nagel umgestaltet. Nach der Kartierung des teils wertvollen Baumbestandes erfolgte noch eine Änderung in der Hochbauplanung, um besonders alte und schöne Bäume zu schützen.
Der gepflegte Garten wird seitdem nur von Besuchern der Bildungsstätte genutzt und ist öffentlich nicht zugänglich. Vom ehemaligen Standort der Villa und von der jetzigen Terrasse der Bildungsstätte erstreckt sich eine spektakuläre Sicht, eingerahmt von Parkbäumen nach Süden über das Wasser entlang des Havelufers bis zur Halbinsel Schildhorn und weiter nach Kladow. Eine Teichanlage, ein Kleinspielfeld sowie eine Pergola mit Sitzbereich nahe des Bootshauses gehören zu den Ausstattungen des Parks. Unter besonderem Naturschutz steht der eingezäunte und sehr breite Ufer- und Schilfsstreifen des Gartens, der jedoch nicht zugänglich ist.
Im Jahr 1989 beauftragte das Naturschutz- und Grünflächenamt des Bezirks Berlin-Spandau das Büro Hickisch und Hanke, ein Sanierungskonzept zur Bewertung des Uferbereichs an der Scharfen Lanke zu erstellen. Ziel war es, Erschließungs- und Gestaltungsvorschläge zu erarbeiten, um diesen der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen warten noch weiterhin auf ihre Umsetzung.
Im Sommer 2010 feierte die IG Metall ihre 50-jährige Präsenz am Pichelssee. Damit ist sie von allen bisherigen Eigentümern die längste Zeit auf der Halbinsel. Wie schon vor über 100 Jahren ist der Garten weiterhin versteckt vor neugierigen Blicken, der nur vom Wasser aus erahnen lässt, was sich hinter den großen Bäumen verbirgt.