Ein Studie zum Nutzungsverhalten in Kneippanlagen
Gesundheitsprävention im öffentlichen Raum
von: Prof. Dr. Ing. Grit Hottenträger, Dipl.-Ing (FH) Annina KreißlKneippanlagen erfreuen sich seit einigen Jahren neuer Beliebtheit: so werden vermehrt neue Anlagen gebaut oder alte Anlagen saniert und wieder in Stand gesetzt. Diese Entwicklung steht in engen Zusammenhang mit den Gesundheitstrends unserer Zeit und der Wellness- und Fitnessbewegung. Auch in Südhessen lässt sich der Trend beobachten: So verfügt beispielsweise der Main-Kinzig-Kreis über 26 Kneippanlagen, die als Kneipprouten touristisch vermarktet werden.
Dass Kneippen für die Gesundheit förderlich sein kann, ist vielfach belegt. Kneippanlagen können daher im öffentlichen Raum einen positiven Beitrag zur Gesundheitsprävention leisten. Voraussetzung dafür ist, dass sie von der Bevölkerung angenommen und genutzt werden.
Die inzwischen vorliegenden ersten vier Untersuchungen weisen darauf hin, dass Kneippanlagen auch heute sehr gut angenommen werden, von Jung und Alt, von Frauen und Männern. Ob Kneippbecken grundsätzlich intensiv genutzt werden, oder ob es die Nutzung behindernde oder sogar ausschließende Faktoren gibt, bedarf allerdings noch weiterer Untersuchungen.
Die 2014/15 begonnene Studie ist praxisorientiert und untersucht die Nutzung von Kneippanlagen in öffentlichen Freiräumen. Ziel der Untersuchung ist, anhand von Fallbeispielen herauszufinden, in welchem Umfang Kneippanlagen in öffentlichen Freiräumen - und zwar zunächst außerhalb von Kurbetrieben - genutzt werden. Zu klären ist, welche Nutzerprofile sie aufweisen und inwiefern weitere Aspekte wie Gestaltung oder zusätzliche Freizeitangebote im Umfeld die Nutzungsintensität und das Nutzerprofil beeinflussen. Darüber hinaus werden Daten über Einzugsgebiete, Motivation der Nutzer und Nutzerinnen, Wünsche sowie Konfliktpotenzial eruiert.
Vorgehensweise und Methodik
SUG-Stellenmarkt
Um Fallbeispiele auszuwählen wurde in Südhessen zunächst aus 35 Kneippanlagen eine Vorauswahl von zwölf Anlagen getroffen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich mehrerer Merkmale:
- der städtebaulichen Lage
- der Ausstattung des Geländes und der weiteren Spiel- und Freizeit-Angebote im direkten Umfeld
- der Gestaltung der Kneippbecken und der verwendeten Materialien
Nach einer Vor-Ort-Besichtigung der zwölf Kneippanlagen wurden sodann vier Kneippanlagen, in Hanau-Steinheim, in Alsbach-Hähnlein, in Schlüchtern und in Viernheim ausgewählt, die in einer ersten Phase 2014/15 untersucht wurden. Kriterien für die Entscheidung waren dabei, eine möglichst große Bandbreite an oben genannten Merkmalen abzudecken, um herauszufinden, ob die jeweiligen Variablen zu unterschiedlichen Nutzerprofilen und gegebenenfalls auch zu unterschiedlichen Nutzungsweisen führen.
Bei den empirischen Untersuchungen der Kneippanlagen wurde eine bewährte Methodentriangulation angewandt. So wurden an insgesamt drei Tagen (zwei Werktage, ein Sonntag) von 8.00 bis 20.00 Uhr bei Vor-Ort-Untersuchungen Zählungen differenziert nach Altersgruppen und Gender durchgeführt. Diese wurden ergänzt durch teilnehmende Beobachtungen und Vor-Ort-Interviews, die ausschließlich mit Erwachsenen durchgeführt wurden, welche aktiv die Kneippanlagen nutzten (Face-to-Face-Interviews mittels standardisierter Fragebögen). Um die Informationen zu ergänzen, wurden zusätzlich Experten befragt (Leitfaden-Interviews).
Die Untersuchung brachte zwei für die Planung wesentliche Ergebnisse: zum einen ist festzustellen, dass Kneippanlagen zum Teil recht gut von der Bevölkerung und vor allem auch von Älteren angenommen werden und zum anderen, dass auch bei Kneippanlagen - ähnlich wie bei Fitnessparcours - die Nutzerprofile je nach Standortmerkmalen variieren. Darüber hinaus wurden Daten zu Einzugsgebieten, Verweildauern, Frequentierung, Motivation und Wünschen der Nutzer und Nutzerinnen eruiert.
Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf zwei Aspekte der Untersuchungen: die Nutzungsweisen (Nutzungstypologie) sowie die Nutzungsintensität, differenziert nach verschiedenen Altersgruppen und Gender.
Typologie der Nutzung und der Nutzer*innen
Betrachtet man alle vier bisher untersuchten Kneippanlagen, lässt sich zunächst feststellen, dass es unterschiedliche Arten der Nutzung gibt. So lassen sich bei den Anlagen jeweils vier Typen von Nutzungen bzw. vier Typen von Nutzer*innen unterscheiden. Dabei beschreiben die ersten drei Typen unterschiedliche, "aktive" Nutzungen, während der vierte Nutzer-Typ "passiv" an den Kneippanlagen verweilt; "passiv" in dem Sinn, dass diese Personen das Wasser nicht nutzen, sondern lediglich als Zuschauer da sind.
Folgende Nutzer-Typen lassen sich unterscheiden:
- Die Kneippianer: Das sind diejenigen Erwachsenen, die die Tretbecken der Kneippanlagen wie Sebastian Kneipp das beschrieben hat, nämlich im "Storchengang", durchschreiten. Sie kommen im Allgemeinen gezielt zu den Anlagen, um zu kneippen.
- Die Erfrischung-Suchenden: Das sind diejenigen Erwachsenen, zum Teil auch Jugendliche, die das Wasser von Tret- oder Armbecken dazu nutzen, um sich Abkühlung zu verschaffen und sich zu erfrischen. Manche kühlen sich die Beine im Tretbecken, andere kühlen sich Arme oder das Gesicht mit dem Wasser am Armbecken.
- Spielende Kinder: Kinder und zum Teil auch Jugendliche, die sich an den Kneippanlagen aufhalten. Kinder spielen - wie allgemein bekannt - gerne in und am Wasser, was sie dann auch an den Kneippanlagen mit Freude tun. An heißen Tagen erfrischen sie sich auch gerne mit dem Wasser.
- Zuschauer: Über die aktiven Formen der Nutzung hinaus sind Tretbecken durchaus auch attraktiv, um "passiv" dort zu verweilen. Manche Erwachsene schauen auch gerne Anderen beim Kneippen zu oder erfreuen sich am Plaudern mit anderen Besuchern. Andere Erwachsene sind mit Kindern da und beaufsichtigen diese beim Spielen am Wasser. Bei Kneippanlagen, die regelmäßig von den gleichen Nutzerinnen und Nutzern aufgesucht werden, wird die Kneippanlage auch zu einem kommunikativen Treffpunkt.
Vergleicht man die untersuchten Anlagen miteinander, so ist festzustellen, dass es je nach Nutzerprofilen (Anteile der Altersgruppen) auch unterschiedliche Schwerpunkte bei den Nutzungstypen gibt: So werden die Anlagen in Hanau-Steinheim und Alsbach-Hähnlein überwiegend und mit Abstand am intensivsten zum Kneippen genutzt.¹ Bei den beiden Anlagen in Schlüchtern und Viernheim verlagert sich dagegen der Schwerpunkt stärker zu den anderen Nutzungstypen, die im Umfeld mehrere Sport- und Freizeitangebote vorfinden.² Das heißt: die vier beschriebenen Nutzungstypen lassen sich zwar bei allen Anlagen identifizieren, dennoch unterscheiden sich die Anlagen je nach ihrem räumlichen Setting und je nach zusätzlichen Angeboten im Umfeld deutlich hinsichtlich der Nutzerprofile und der dominierenden Nutzungsweisen, (siehe Tabelle und Graphik unten).
Nutzungsintensität und Nutzerprofile
Kneippanlagen werden im Allgemeinen zwischen Mai und September, das heißt, während der warmen Monate im Jahr genutzt und auch nur in dieser Zeit betrieben. In den Wintermonaten liegen sie verlassen und ohne Wasser da.
Sobald es einige Zeit warm gewesen ist, kommen die ersten Besucher, um das Kneippen aufzunehmen und beenden die Saison oft erst, wenn das Wasser im September/Oktober abgelassen wird. Im Sommer bei großer Hitze sind die Kneippbecken natürlich auch eine willkommene Erfrischung für Erwachsene und Kinder.
Die untersuchten Kneippanlagen weisen alle hohe Besucherzahlen³ und eine gute bis intensive Nutzung auf, die je nach Anlage allerdings unterschiedliche Schwerpunkte hat: So variieren - wie bereits erwähnt - die bevorzugten Nutzungsweisen und die Altersstruktur bei den einzelnen Anlagen.
Die Kneippanlagen in Hanau-Steinheim, im Familien-Sportpark Viernheim und dem Freizeitgelände Acisbrunnen in Schlüchtern wurden in drei Tagen von rund 270 bis 290 Personen, von Kleinkindern bis zu betagten Senior*innen, aufgesucht, was durchaus eine beträchtliche Anzahl an Besuchern darstellt. Die höchste Zahl an erwachsenen Besuchern wurde mit 220 Personen in Hanau-Steinheim erreicht. Die anderen Kneippbecken wurden aber auch jeweils von beachtlichen 140 bis 155 Erwachsenen aufgesucht. Kinder waren besonders viele, nämlich 100 bis 120, an den Kneippanlagen im Sportpark Viernheim und an der Anlage bei Schlüchtern zu finden. Im Sportpark Viernheim wurden mit 20 Jugendlichen ebenfalls relativ viele dieser Altersgruppe, die im öffentlichen Raum im Allgemeinen unterrepräsentiert ist, gezählt.
Neben den allgemeinen Besucherzahlen sind vor allem die Daten interessant, die sich auf die Art und Weise der Nutzung, das heißt auf die unterschiedlichen Nutzungstypen beziehen: Da gibt es zunächst die eigentlichen "Kneippianer" , das sind die Erwachsenen, die Tret- und Armbecken im Sinne Johann Kneipps nutzen. Bei dieser Nutzung liegt Hanau-Steinheim mit großem Abstand vorne: Dieses Kneippbecken wurde an drei Tagen von knapp 170 Erwachsenen zum Kneippen genutzt. Ebenso weist die Anlage in Alsbach mit knapp 100 erwachsenen "Kneippianern" eine beachtliche Anzahl auf. Im Sportpark bei Viernheim kneippten noch fast 70 Erwachsene und in Schlüchtern, einem Freizeitgelände außerhalb der Ortschaft gelegen, waren es an drei Tagen immerhin noch 40 Personen, die explizit zum Kneippen kamen.
Kneippanlagen werden -wie oben erwähnt - neben ihrer eigentlichen Bestimmung auch gerne zum Erfrischen und Abkühlen an heißen Tagen genutzt:
Besonders viele "Erfrischung-Suchende" waren im Sportpark Viernheim anzutreffen: hier kamen viele (männliche) Sport-Treibende zu dem Tret- und Armbecken, um sich hin und wieder abzukühlen. Auch das Kneippbecken bei Schlüchtern diente den Erholungssuchenden oft zur Erfrischung.
Erwachsene, die an den Kneippanlagen verweilten und lediglich zuschauten, waren ebenfalls in Schlüchtern mit knapp 70 Personen am meisten vertreten - sie waren häufig mit Kindern da und beaufsichtigten diese. Bei den anderen Kneippanlagen waren mit rund 30 "Zuschauern" deutlich weniger "passive" Erwachsene da, im Sportpark Viernheim sogar nur 20.
Vor allem in den beiden Anlagen, dem Freizeitgelände in Schlüchtern und dem Familiensportpark Viernheim, die aufgrund ihrer weiteren Angebote und Ausstattungen insbesondere auch Familien (Erwachsene und Kinder) ansprechen, waren viele spielende Kinder am und im Wasser. Was Eltern erfreuen kann, birgt jedoch ein gewisses Konfliktpotenzial gegenüber Erwachsenen, die explizit zum Kneippen kommen.
Besonders bemerkenswert sind die hohen Anteile an älteren Erwachsenen, die gezielt zum Kneippen gehen: die Anlage in Hanau-Steinheim wurde an den drei Tagen von 113 älteren Erwachsenen und Senioren und damit mit Abstand am intensivsten von älteren Personen genutzt. Es folgen die Anlagen in Alsbach mit knapp 50 älteren "Kneippianern" und die im Sportpark Viernheim, sie wurde immerhin von fast 40 Älteren zum Kneippen aufgesucht. Das Freizeitgelände bei Schlüchtern verlockte dagegen in den drei Untersuchungstagen lediglich 17 Ältere zum Kneippen.
Bei allen vier Anlagen ist der Anteil der Älteren an den "Kneippianern" relativ hoch: bei den Anlagen Alsbach, Viernheim und auch in Schlüchtern liegt der Anteil zwischen 45 Prozent bis 54 Prozent und bei Hanau-Steinheim sogar bei 67 Prozent.
Bei allen vier Anlagen wurden mehr Frauen als Männer beim Kneippen beobachtet. Die Anteile der weiblichen "Kneippianerinnen" liegen bei allen Anlagen deutlich höher als die der männlichen: der Anteil der Frauen liegt zwischen 54 bis 61 Prozent, dagegen der der Männer zwischen 39 bis 46 Prozent. Diese Beobachtung korreliert auch mit der Kenntnis, dass Frauen im Allgemeinen gesundheitsbewusster leben als Männer.
Ausblick
Die bisherigen Ergebnisse der Studie sind für die Anlage und Planung von Kneippanlagen relevant. Sie geben erste Hinweise über die Intensität der Nutzung, über Nutzerprofile und Zusammenhänge zum räumlichen Setting und zur weiteren Ausstattung. Sie belegen, dass Kneippanlagen im öffentlichen Raum als Angebot für Erwachsene und insbesondere auch für ältere Erwachsene, fungieren können. Sie können somit neben anderen Angeboten, wie Walkingstrecken, Radwege, Fitness- und Bewegungsparcours ein weiteres Angebot für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen.4
Es ist geplant noch weitere Fallbeispiele zu untersuchen, um eine breitere Basis für planungsrelevante Aussagen zu erhalten und noch offene Fragen zu klären.5
Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zur Nutzung von Kneippanlagen sind in einem ausführlichen Bericht zusammengefasst und auf der Homepage der Hochschule Geisenheim als Download6 vorhanden.
Die Studie wurde finanziell unterstützt von internen Fördermitteln der Hochschule Geisenheim und dem Grünflächenamt Frankfurt a. M.
Literatur
1 Beide Anlagen liegen ziemlich direkt an den Ortsrändern. In Hanau-Steinheim befinden sich im direkten Umfeld von einem Tretbecken noch ein Barfußpfad und zwei Outdoor-Fitness-Geräte. Die Anlage in Alsbach besteht aus einem Tret- und Armbecken.
2 Beide Anlagen liegen außerhalb von Ortschaften. Die Kneippanlage bei Schlüchtern befindet sich in einem Freizeitgelände für Familien (Naherholungsgebiet mit Spielplatz, Tiergehege etc.). Die Anlage in Viernheim ist in ein Familien-Sportgelände integriert, sodass auf dem Gelände unabhängig von der Kneippanlage viele Erwachsene und Kinder (großteils Männer und Jungen) Sport treiben.
3 Als "Besucher" werden alle aktiven und passiven Personen bezeichnet, die sich im Untersuchungszeitraum direkt an der Kneippanlage aufgehalten oder sie genutzt haben.
4 Bauanleitungen zu Tret- und Armbecken siehe: Klaus Bienstock (1997): Kneipp-Einrichtungen "richtig geplant - richtig gebaut", Kneippverlag Bad Wörishofen
5 Inzwischen wurde ein weiteres Beispiel untersucht, ein Kneippbecken im Kurpark Bad Soden-Salmünster, dessen Bodenbelag mit Noppen ausgestattet ist und das zugleich als Fußreflexmassage dienen soll. Die Ergebnisse werden bis Herbst 2017 als Bericht auf der Homepage der Hochschule Geisenheim verfügbar sein.
6 www.hs-geisenheim.de/fileadmin/Dateien_Hochschule_Geisenheim/Forschung/Landschaftsarchitektur_und_urbaner_Gartenbau/Freiraumplanung/Forschungsbericht_GH_2016_Kneippanlagen.pdf Der Bericht enthält auch Hinweise über Pflege und Unterhaltung der Anlagen, die Gestaltung und Materialverwendung sowie die Ergebnisse der Interviews.
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