Eine alte Kulturlandschaft als Ort eines internationalen Gartenfestivals

Die Hortillonnages von Amiens

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Ausstellung Grüne Messen und Veranstaltungen
Abb. 1: Mémoire d\'abre – dt. Erinnerungen eines Baumes – von Yuhsin U Chang, 2020. Foto: Verone Stillger

Amiens in der nordfranzösischen Picardie, ca. 130 Kilometer nördlich von Paris, ist bekannt für die höchste Kathedrale Frankreichs und für seine Hortillonnages. So wird ein bereits 1492 beschriebenes Gemüseanbaugebiet in Sichtweite der Kathedrale bezeichnet, das von ca. 65 Kilometern kleinen Kanälen durchzogen ist und Amiens den Beinamen "grünes Venedig" einbrachte. Konstante Feuchtigkeit und fruchtbare Böden im Tal der Somme sowie der einfache Transport des frischen Gemüses per Boot bis zum Markt bildeten seit dem Mittelalter eine Existenzgrundlage für viele Menschen.

Die Kulturlandschaft der Hortillonnages

Mit dem aus den Kanälen entnommenen Substrat wurden die Parzellen aufgehöht und gedüngt. So entstanden Inseln. Im 15. Jahrhundert waren es mehr als 1500 Hektar, um 1900 war die Fläche bereits auf 500 Hektar geschrumpft. Aktuell sind es noch etwa 300 Hektar. Ein Teil des Areals unterliegt als Natura-2000-Fläche dem Naturschutz. Die Zahl der Gemüsebauern ist stark zurückgegangen. Es gibt nun eine Vielzahl von Inseln, die als Freizeitgärten genutzt werden oder brachliegen. Damit verschwindet das Wissen von den Hortillonnages, die auch als "schwimmende Gärten" bezeichnet wurden. Abb. 3 bietet einen Eindruck von dieser alten Kulturlandschaft: einzelne große Weiden und sich kreuzende Wasserläufe mit den charakteristischen Brücken. Sie sind als Durchlass notwendig für die hoch beladenen Boote der Gemüsebauern.

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Abb. 2: Die Areale des \'Festivals international de jardins\' sind grün dargestellt; E Eingang des Fußweges und B Start am Bootsanleger der Besucherboote; K Kathedrale von Amiens, H Startpunkt der traditionellen touristischen Bootstouren. Grafik V. Stillger, Kartengrundlage OpenStreetMap 21.08.21
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Abb. 3: Kreuzung von Wasserwegen mit zwei der typischen hohen Brücken. Foto: Verone Stillger
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Abb. 4: Schwimmender Empfangspavillon \'Origami\' von Alexis Deconinck, im Vordergrund eine Holzbarke mit Elektromotor. © art & jardins Hauts-de-France – Foto: Yann Monel
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Abb. 5: Gärten des Festivals sind gelb gekennzeichnet: links zu Fuß und rechts per Boot, Anlegestellen und Brücken zwischen den Inseln sind rot markiert. Grafik: art & jardins Hauts-de-France

Das Gartenfestival

Das "Festival international de jardins - Hortillonnages Amiens" findet seit 2010 von Anfang Juni bis Mitte Oktober statt. Es verbindet Kunst und Natur und verfolgt drei Hauptziele:

  • das bedrohte Erbe der Hortillonnages zu sichern
  • das kreative Schaffen von jungen Künstlern und Landschaftsgestaltern zu fördern und
  • neue Bevölkerungsgruppen anzusprechen, für Umweltbelange zu sensibilisieren und ein attraktives Kulturprojekt für alle zu entwickeln.

Es herrscht eine eigene Atmosphäre in dieser alten Kulturlandschaft und dem daran adaptierten ungewöhnlichen Konzept: per Boot oder zu Fuß erkunden die Besucher allein künstlerische Objekte und Gärten auf den vielen Inseln. Der Turm der Kathedrale von Amiens ist zu sehen, aber man hat nicht das Gefühl, in einer Stadt oder auf einem Gartenfestival zu sein, siehe Abb. 2.

Der Landschaftsraum mit seiner naturräumlichen und kulturellen Eigenart soll verantwortungsvoll erhalten werden und erlebbar sein. Gleichzeitig soll eine Auseinandersetzung mit aktuellen Umweltfragen stattfinden. Themen wie Produktion von gesunden Nahrungsmitteln, Umgang mit Ressourcen, nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz werden vermittelt, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger und langen Texten, sondern mit künstlerischen Impressionen, Naturerleben und in großer Ruhe. Das Festival ist eine Einladung an alle, die Hortillonnages zu besuchen.

Gemüseanbau, Freizeitgärten, üppige Vegetation auf Brachflächen und Wasserflächen bilden die Kulisse für die von einer Jury ausgewählten Arbeiten.

Sie thematisieren häufig die Geschichte und den Naturraum, reflektieren die Vergänglichkeit der Inseln, deren manchmal winzige Uferstreifen stetig vom Wasser abgetragen und immer wieder neu aufgeschüttet werden müssen. Oder sie zeigen auf, wie dieser Raum in der Zukunft aussehen könnte, welche Interventionen Impulse bieten könnten. Die Dringlichkeit für einen ökologischen Wandel und Klimaschutz ist bekannt, aber wie für dieses Phänomen die Menschen sensibilisieren? Wie sie anregen, unsere Beziehung zur Umwelt und unseren Lebensstil zu hinterfragen und zu ändern? Dazu soll das Festival beitragen.

Bei den bisher elf Festivals wurden fast 170 Gärten und Installationen von 260 Kreativen geschaffen. Einige Arbeiten bleiben über Jahre erhalten, andere verschwinden mit dem Ende des Festivals im Herbst. Fast alle Werke thematisieren Nachhaltigkeit und den Bezug des Menschen zur Natur, mal konkret auf die Hortillonnages bezogen, mal global. Sie fügen sich ein in diese weitläufige, idyllische Landschaft. Mehr als 50 Installationen und Gärten, hoch aufragend oder bodennah, mit poetischen oder provokanten Titeln konnten 2021 in diesem Ambiente besucht werden: eine Kunstausstellung im Freien, mehr oder weniger versteckt auf den Inseln. Umgeben von Naturgeräuschen bewegen sich die Menschen zu den Exponaten. "Wir befinden uns in der Natur, daher müssen die Dinge wachsen, und das ist es, was für die Besucher des Festivals interessant ist. Wenn sie in ein oder zwei Monaten wiederkommen, werden sie nicht dasselbe sehen", sagt Gilbert Fillinger, der Leiter des Festivals.

Das Ausstellungsgelände

Es gibt weder Verkaufsstände noch Cafés noch Kioske in den Arealen des Festivals. Bereits mehr als 400.000 Menschen haben die Ausstellung in den vergangenen Jahren besucht. Selbst während der Coronazeit 2020 und 2021 waren, trotz strenger Kontakt-Beschränkungen in Frankreich, Besuche per Boot mit maximal sechs Personen aus einem gemeinsamen Haushalt mit Terminbuchung und Registrierung immer möglich. Der Besuch der Hortillonnages wird in Amiens auch als eine Touristenattraktion ähnlich wie im Spreewald vermarktet, mit Bootsführer, dicht sitzenden Passagieren, fester Route, anderem Startpunkt und ohne Besuch der Garten- und Kunstprojekte. In den Jahren 2020 und 2021 mussten diese Touren wegen diverser Coronafälle gestoppt und außerdem wegen der strengen Lockdown-Regelungen der französischen Regierung mehrere Monate eingestellt werden. Umso attraktiver war es, sich in den Gärten des Festivals und der Szenerie des Landschaftsraums individuell zu bewegen und Entspannung zu finden. Die Nachfrage war sehr hoch.

Der Name des Startpunkts lautet anschaulich: Port à Fumier - Hafen für Mist. Der Pferdemist aus den Ställen von Amiens wurde hier in die Boote der Gärtner verladen. Heute startet hier die Tour mit flachen Holzbarken, ähnlich den Fahrzeugen der Gemüsebauern, am schwimmenden Pavillon "Origami". Der weitgehend offene Baukörper, von der japanischen Tradition des Papierfaltens inspiriert, verbessert seit 2020 den Zugang zum Festival, Abb. 4. Er beherbergt die Rezeption mit Ticketschalter für die Bootsmiete, ist Start- und Endpunkt sowie Lagerraum für die Ausrüstung. Um das Boot steuern, den kleinen Elektromotor bedienen und die Route zwischen den verschiedenen Inseln finden zu können, reicht eine kurze Einführung. Abb. 5 rechts zeigt den Parcours für die Boote, links den Bereich mit weiteren Gärten und Installationen. Dieses Areal ist nur zu Fuß zu besuchen.

Ausgewählte Gärten und Installationen

Aus der Fülle, der 2021 zu besichtigenden Arbeiten werden hier einige exemplarisch vorgestellt, um die thematische Breite und die Vielfalt der künstlerischen Ansätze zu zeigen:

Für MÉMOIRE D'ARBRE richtete Yuhsin U Chang für die Ausstellung Eldorado Lille3000 einen abgestorbenen Baum im Park von Buissonnets wieder auf, um diese Skulptur zu schaffen, siehe Abb. 1. Das Werk wurde dort demontiert und in Amiens wieder aufgestellt. In den Hortillonnages gibt es viele Gehölze in mehr oder weniger fortgeschrittener Zersetzung, wo sich unmerklich und ständig neu Insekten, Larven, Würmer etc. einnisten, alles, was eine lebendige Natur umfasst und unabdingbar ist, um die biologische Vielfalt zu erhalten. Die Installation visualisiert eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem sie den Zyklus der Transformation des Lebendigen nachzeichnet.

Die Installation LE BANQUET CORNÉLIEN wurde 2020 von Atelier du Dehors: Guillaume Besnier gestaltet. In jeder Phase von Ernährung wird Energie verbraucht, die meist fossilen Ursprungs ist: Lebensmittelproduktion, Warentransport, Verarbeitung, Vertrieb, Verzehr und Abfallwirtschaft. Abhängigkeiten und negative Auswirkungen unseres Lebensmittelsystems versus drastische Reduzierung und Umstellung dieser Nutzung zeigt er als Dilemma und stellt das heutige Produktionssystem mit seinen hohen Kosten für Mensch und Umwelt in Frage. Ein kleines Labyrinth mit Versuchsflächen zeigt Bewirtschaftungsalternativen, die von Landwirten und Gemüsebauern mit agrarökologischen Techniken bereits entwickelt wurden. In der Mitte des achteckigen Gartens steht ein Banketttisch, der auf Ölfässern ruht. Deren Deckel symbolisieren Teller und nennen Zahlen zum Energieverbrauch in der Lebensmittelproduktion, siehe Abb. 6.

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Abb. 6: Installation Le banquet cornélien – dt. sinngemäß Das Dilemma-Bankett - von Atelier du Dehors: Guillaume Besnier, 2020 © art & jardins Hauts-de-France. Foto: Yann Monel
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Abb. 7: La chambre des lisières – dt. Das Zimmer der Kanten – von Solène Ortoli, 2018. Foto: Verone Stillger
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Abb. 8: Le jardin d\'érode – dt. Der Garten der Erosion – von Mathieu Gontier Wagon Landscaping, 2011 © art & jardins Hauts-de-France. Foto: Yann Monel

Für das CHAMBRE DES LISIÈRES hat die Bühnenbildnerin Solène Ortoli, inspiriert von einer mit Erlen und Birken bewachsenen Insel, einen zweigeteilten Raum gestaltet, der mit Kanten oder Raumgrenzen und der Landschaft als Bühne spielt. Spiegel, Rahmen und Fenster in einer Holzkonstruktion enthüllen und verzerren die Ausblicke. Spiegelungen und Raumelemente machen die Raumkanten unkenntlich und schaffen einen kontemplativen Ort, der mit Abb. 7 kaum darstellbar ist. An Ort und Stelle ist die Situation beeindruckend, auch der Ausstellungskatalog zeigt diese Arbeit auf dem Titel.

LE JARDIN D'ÉRODE greift das Abrutschen der Uferbereiche, das Ausbaggern und die daher notwendige Stabilisierung des Bodens mit Holzplanken als Uferbefestigung auf. Um diese fortwährende Arbeit zu reduzieren, hat der Landschaftsarchitekt Mathieu Gontier für eine von größeren Gehölzen bewachsene Fläche 2011 eine Holzkonstruktion entworfen, die die Insel gegen das ständige Abbrechen der Ufer sichert. Sie hält Treibgut in den Kanälen zurück und stützt gleichzeitig die Wurzeln der Bäume. Außerdem sind so wunderbare Sitzplätze entstanden auf den Stegen und Podesten im Schatten der Gehölze. Holzpfähle markieren den Umfang der Insel bei der Erstellung 2011. Deutlich ist der Verlust von fast 1,5 Meter Uferzone zu erkennen, siehe Abb. 8.

Der Garten ÉLEVER LA TERRE zeigt Formen von traditionellem Gemüseanbau in Feuchtgebieten in aller Welt, die die Schwankungen der Wasserstände für die Be- und Entwässerung von Anbauflächen nutzen. "Wenn das Wasser das Arbeitsmittel der Gärtner ist, ist der Wasserüberschuss ihre ständige Angst", beschreiben die Künstler Éric Mollard und Annie Walter die Herausforderung. Die Erde wird buchstäblich angehoben. Gezeigt werden mexikanische Chinampas mit gerahmten Pflanzflächen, gefüllt mit fruchtbarem Schlamm und umgeben von Rinnen, siehe Abb. 9, südamerikanische Camellones mit abgestützten Seiten, thailändische Hortillonias aus schmalen Hochbeeten und Dugum Dani-Hügel aus Ozeanien für den Anbau von Knollenfrüchten.

Die Installation ROQUES von Atelier Faber möchte die Verletzlichkeit der Umwelt und die anthropogenen Bodenveränderungen mit einer fortschreitenden Verringerung der landwirtschaftlichen Nutzfläche vermitteln. In Frankreich werden jedes Jahr zwischen 60.000 und 80.000 Hektar besiedelt, was rechnerisch etwa einer Fläche von 20 Quadratmeter pro Sekunde entspricht. Genau diese Fläche hat der Pavillon aus Holzplanken, wie sie üblicherweise hier zur Instandhaltung der Ufer verwendet werden. Direkt daneben liegt als Pendant eine gleich große gemähte Vegetationsfläche, siehe Abb. 10.

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Abb. 9: Élever la terre – dt. Die Erde anheben – von Éric Mollard und Annie Walter, 2021, vorne mexikanische Chinampas, im Hintergrund südamerikanische Camellones. Foto: Verone Stillger
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Abb. 10: Installation Roques – dt. Rochade – von Atelier Faber, 2020. Foto: Verone Stillger
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Abb. 11: Module – Mouvement n°13 - dt. Bewegung Nr. 13 – von Charles-Henry Fertin Foto: Verone Stillger
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Abb. 12: 3 kilomètres à la ronde – dt. 3 km im Umkreis. © art & jardins Hauts-de-France – Foto: Yann Monel

Das Objekt MOUVEMENT n°13 von Charles-Henry Fertin, an einem Wasserlauf platziert, scheint gerade aufzutauchen, siehe Abb. 11. Es bewegt sich mit der Strömung oder dem Wind, ständig verändern sich die Reflektionen. Dieses Objekt kann von einem Weg am Gewässerrand aus verschiedenen Perspektiven beobachtet werden. Dieser westliche Bereich des Festivalgeländes ist in Abb. 2 als "Bereich zu Fuß" grün dargestellt. Die Vielzahl von Arbeiten in diesem Teil ist in Abb. 5 in der linken Kartendarstellung zu erkennen.

Der Garten 3 KILOMÈTRES À LA RONDE von Alix Eoche-Duval und Cyril Servettaz zeigt eine Vielfalt von Pflanzen, die als Pollen- und Nektarspender hier in einem Umkreis von 3 Kilometern vorkommen. So weit reicht das Hauptfluggebiet von Bienen. Der Garten thematisiert das Zusammenwirken und die gegenseitige Abhängigkeit von Menschen, Bienen und Pflanzen. Den drei geflochtenen Bienenstöcken in Abb. 12 sind drei Themen zugeordnet: Feldanbau, Obstbau und Gemüseanbau, als Symbole für die Produktion, die uns ernährt. Weiden, die typische Gehölzart der Hortillonnages, liefern das Material für den Bau der Bienenrefugien.

Die Installation AFFAISSEMENT von Simon Augade visualisiert die Durchlässigkeit zwischen Land und Wasser, zwischen Natur und Kultur, die sich auch in der Instabilität der Ufer ausdrückt. Der fragile Zustand spiegelt sich in einem kräftigen, weißen Balken wider, eigentlich ein solides Stützelement, der aber selbst nur von dünnen, verkohlt wirkenden Hölzern gehalten wird: ohne Stabilität und eine stete Herausforderung, das Gleichgewicht zu halten, siehe Abb. 13.

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Abb. 13: Affaisement – dt. Senkung. Affaisement – dt. Senkung, von Simon Augade, 2019. Foto: Verone Stillger
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Abb. 14: Samarobriva vom Kollektiv Les Éphémères, 2021, eine studentische Arbeit der Universität Picardie FB Kunst. Foto: Verone Stillger
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Abb. 15: L\'ile de la Pépinière – dt. Insel der Baumschule, von Fanny Anthoine-Milhomme und Jean-Philippe Teyssier, 2010. Foto: Verone Stillger

Die Installation SAMAROBRIVA ist eine studentische Projektarbeit aus dem Fachbereich Kunst der Universität Picardie. Sie bezieht sich auf den gallorömischen Namen der Stadt Amiens - Brücke über die Somme. Mit einer Hütte, die vor Schlamm scheinbar überquillt, werden die Begriffe Zerstörung, Überschwemmung und Invasion assoziiert. Das Material simuliert schlammige Fluten als Entstehungsprozess des Ortes, siehe Abb. 14. Im Sommer 2021 ist mit den extremen Überschwemmungen an der Ahr eine solche Situation in Deutschland bedrückende Realität geworden. Hier ist es ein visueller Effekt und soll ein Denkanstoß sein.

Auf der L'ILE DE LA PÉPINIÈRE werden seit dem ersten Festival 2010 Weiden kultiviert. Auch dieser Garten von Fanny Anthoine-Milhomme und Jean-Philippe Teyssier thematisiert die Pflege der Ufer. Heute werden die Randbereiche der Inseln mit senkrechten Bohlen befestigt, was die Tradition des Flechtens und der Faschinen abgelöst hat. Die heutige Technik erfordert weniger Pflege und hält länger, verhindert aber den Austausch zwischen Wasser und Land, Fauna und Flora. Die Fläche bietet der Stadt Amiens sowohl eine Gehölzreserve als auch ein Experimentierfeld. Eine Vielzahl von Weidenarten wird von einem Expertenteam nach verschiedenen Methoden gepflegt, Abb. 15. Außerdem gibt es hier einen größeren Sitzplatz mit einer Pergola für die Besucher und einen weiten Blick über eine große Wasserfläche.

Es gibt noch viel mehr zu entdecken in diesem Gartenreich. Bei allen Objekten steht jeweils eine kleine Tafel mit Informationen zur Arbeit in französischer und englischer Sprache und ein QR-Code. Zusätzlich gibt es einen schön gestalteten Katalog, mit ergänzenden Essays zur Geschichte des Landschaftsraums und des Festivals, ebenfalls in beiden Sprachen.

Wie konnte ein solches Projekt gelingen?

Wegen der schweren körperlichen Arbeit, der Konkurrenz durch Kühltransporte und billige Importe gaben Betriebe auf und viele Inseln fielen brach. Vordrängende Siedlungsentwicklung, eine geplante Umgehungsstraße mittendurch und eine Überschwemmung im Jahr 2001 gefährdeten die Existenz zusätzlich und veränderten die Grenzen und den Charakter der Hortillonnages. Durch Erosion beschädigte Ufer, verschlammte Kanäle und zunehmende Verbuschung zeigten deutlich die schwierige Situation.

Der damalige Direktor des Maison de la Culture - Kulturhaus - in Amiens, Gilbert Fillinger, hatte die Idee, in dieser sensiblen Landschaft ein landschaftliches und künstlerisches Ereignis zu schaffen, das auf der Sanierung und Pflege der aufgegebenen Anbauflächen basiert. Das Festival mit dem Titel "Art, villes & paysage" - "Kunst, Städte & Landschaft" - wurde aus dem Kulturbereich von ihm und dem Team des Kulturhauses von Amiens entwickelt. Es konnte mit dessen Personal und einem Budget aus einem staatlichen Programm zur Förderung junger Künstler realisiert werden.

Im Gespräch mit Gilbert Fillinger wird sein Hintergrund mit Theater und Kunst deutlich. Die Basis des Konzeptes sind starke Impulse aus dem Theater, mit Bühnenbildern und Inszenierungen, um eine Atmosphäre und eine Vision zu entwickeln. Er betont, dass die Erfahrung mit konzeptionellem Arbeiten, der Mut, etwas zu riskieren und ständig zu improvisieren, im Kontakt mit vielen Akteuren bei knappen Finanzmitteln bis heute wesentliche Faktoren für die Entwicklung und Erhaltung des Festivals sind.

Zu Beginn war es ein großes Wagnis, aber schon bald entwickelte es sich zu einem großen Erfolg. Heute gibt es ein breites Spektrum an Geldgebern, Unterstützern und Medienpartnern. Es ist eine kulturelle Aktivität und ein Angebot für alle, die eine Kulturlandschaft zeigt und in Wert setzt.

Durch das Festival und dank der von den verschiedenen Akteuren zur Verfügung gestellten Mittel, von Arbeitskraft und Wissen konnte eine neue Entwicklung eingeleitet werden. Wichtig dafür war und ist die Unterstützung aus dem Kreis der Gemüsebauern und deren fachliche Beratung, nicht nur um den Gemüseanbau zu erhalten. Das Festival hat mit ihrer Hilfe selbst auch "Wurzeln geschlagen".

2016 wurden die Regionen Picardie und Nord-Pas-de-Calais zu einer neuen Region Hauts-de-France zusammengelegt. Im Zusammenhang damit wurden Projekte gefördert, um eine regionale Identität zu stärken oder neu zu stiften. Der Anbau von Nahrungsmitteln ist ein wichtiges Thema in dieser Region, die geprägt ist von großen landwirtschaftlichen Flächen. Auch die "schwimmenden Gärten" von Amiens sind weithin bekannt. Auf Initiative des Präsidenten der neuen Region wurde 2018 der Verein art & jardins | Hauts-de-France gegründet. Er verantwortet das Festival nun unabhängig vom Kulturhaus Amiens unter dem Titel "Festival international de jardins I Hortillonnages Amiens", weiterhin unter der Leitung von Gilbert Fillinger.

Das Festival heute

Der Verein weitet seine Projekte und Aktionen auf die gesamte Region aus. Beispiele sind die Gärten des Friedens auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs, die partizipativen Gärten im französischen Bergbaubecken und eine landschaftlich-künstlerische Route von Saint-Quentin bis zum Ästuar der Somme am Ärmelkanal; art & jardins | Hauts-de-France versteht sich als ein Label für künstlerisches und landschaftliches Schaffen in dieser Region. Mit den Projekten möchte art & jardins - Hauts-de-France unter Anwendung der Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung dazu beitragen, das kulturelle Erbe der Region aufzuwerten und zu erhalten. Ein weiterer Aspekt ist die soziale Integration durch Arbeit, um Langzeitarbeitslosen und jungen Menschen ein Zugang in den Arbeitsmarkt zu verschaffen. Viele Projekte des Vereins haben einen starken sozialen Charakter. So werden die Festivalgärten von einer anerkannten Integrationswerkstatt mit zwölf Mitarbeiter*innen gepflegt. Das Projekt wurde vom Europäischen Sozialfonds im Rahmen des französischen Programms "Beschäftigung und Eingliederung" 2014-2020 kofinanziert.

Ein Ausblick

Heute sind es weniger als zehn professionelle Anbauer, die die Tradition der Gemüsekultur fortführen und in der Regel biologischen Anbau betreiben. Sie produzieren eine große Vielfalt an Gemüse der Saison: Lauch, Radieschen, Salat, Rhabarber, Kartoffeln, Karotten, Bohnen, Erbsen, Zucchini, Auberginen, Artischocken, Paprika, Kräuter, Tomaten. Die ausschließlich der Landwirtschaft gewidmete Fläche umfasst nur noch ein Zehntel des Geländes. Erst in den letzten Jahren wurden einzelne Betriebe von jungen Leuten übernommen, die auch neue Vermarktungsstrategien wie solidarische Landwirtschaft und soziale Medien nutzen. Grün-blaue Kisten kennzeichnen auf dem Markt die lokale Produktion mit kurzen Transportwegen und betonen die Frische als Qualitätsmerkmal. Das Festival ist eine Facette, um das kulturelle Erbe der lokalen Nahrungsmittelerzeugung zu vermitteln. Immer mehr Inseln werden in Ziergärten umgewandelt, für die Entenzucht und Jagd oder den Fischfang genutzt oder liegen brach. Die Hortillonnages sind seit langem ein Areal von Gemüsebauern, Anglern, Wasservogeljägern, Naturschützern, Freizeitgärtnern und nun auch Festivalbesuchern, die sich diesen Raum teilen, ein kleinteiliges Patchwork. Das Festival hat eine Zukunft in die Hortillonnages gebracht. Konfliktfrei ist sie nicht.

Es ist ein inspirierendes, unkonventionelles und kritisches Gartenfestival, das zum Nachdenken anregt und gleichzeitig witzig und poetisch, skurril und genussreich ist, insgesamt sehr gut konzipiert und inszeniert. Das Festival ist eine Entdeckungsreise, die aufzeigt, wie es möglich ist, die Verbindungen zwischen Natur, Kultur, Landwirtschaft und Kulturerbe zu präsentieren, aufzuwerten und zu bewahren. Unbedingt eine Reiseempfehlung und gute Wünsche für ein Fortbestehen!


Das "Festival international de jardins - Hortillonnages Amiens"

  • Im Sommer ist täglich geöffnet,
  • ab September von Mittwoch bis Sonntag.

Der Mietpreis einer Barke für 2,5 Stunden hängt von der Anzahl der Personen ab (Stand 2021):

  • 1-2 Pers. 19 Euro, 3-4 Pers.
  • 24 Euro und 29 Euro für 5-6 Personen,
  • Kinder unter 3 sind gratis.

Möglichkeit zum Reservieren und weitere Information:

www.artetjardins-hdf.com

Alle Übersetzungen von V. Stillger.

Prof. Verone Stillger
Autorin

Landschaftsarchitektin, BFSP Zukunft Lebensraum Stadt

Hochschule Osnabrück

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