Haftung

Wenn ein Baum auf Bahngleise stürzt

Bahngleise Baumpflege
Am 31.07.2013 kollidierte eine Lok der Klägerin mit einem während eines Gewitters vom Grundstück der Streitverkündeten umgestürzten Baum. In einem vor dem LG Hagen geführten Rechtsstreit nahm die Beklagte den Grundstückseigentümer (bzw. dessen Rechtsnachfolger) und hiesigen Streitverkündeten in Anspruch. Foto: doris oberfrank-list, adobe stock

Im Urteil des OLG Celle vom 10.02.2021 - 14 U 12/20 -, juris, r+s 4/2021, 234 geht es um die Haftung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens für einen auf einem Privatgrundstück stehenden umgestürzten Baum entlang einer Bahntrasse.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen macht mit der Klage Schadensersatzansprüche gegen ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen geltend wegen der Kollision eines geleasten Zuges mit einem auf der Strecke liegenden Baum. Am 31.07.2013 kollidierte eine Lok der Klägerin mit einem während eines Gewitters vom Grundstück der Streitverkündeten umgestürzten Baum. In einem vor dem LG Hagen geführten Rechtsstreit nahm die Beklagte den Grundstückseigentümer (bzw. dessen Rechtsnachfolger) und hiesigen Streitverkündeten in Anspruch. Die dort eingeholten Sachverständigengutachten führen den Umsturz des Baumes auf fehlende Standfestigkeit durch Befall mit Zunderschwamm und Weißfäule zurück. Mit Urteil vom 22.11.2019 hat das LG Hannover - 17 O 330/17 - nach Beweiserhebung der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG Celle bis auf die Verzinsung der Klageforderung weit überwiegend als unbegründet zurückgewiesen.

Das OLG Celle bejaht zunächst die ordnungsgemäße Verwertung der vom LG Hagen eingeholten Sachverständigengutachten durch das LG Hannover und die Aktivlegitimation der Klägerin als Leasingnehmerin der beschädigten Lok. Sodann stellt das OLG fest, dass die grundsätzliche Haftung der Beklagten gemäß §§ 1, 13 HPflG zwischen den Parteien unstreitig ist.

Gestritten werde letztlich allein darüber, ob der Klägern im Rahmen einer Haftungsquote eine Betriebsgefahr - nach Vorstellung der Beklagten i.H.v. 1/3 - für den Betrieb der Lok anzurechnen sei oder nicht. Dies lehnt das OLG Celle ab, da im Rahmen der erforderlichen Abwägung die klägerische Betriebsgefahr hinter dem erheblichen Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten im Hinblick auf die Verkehrssicherungspflicht vollständig zurücktreten müsse.

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Vorliegend habe die umgestürzte Rotbuche circa zehn Meter von der Bahntrasse entfernt gestanden und sei nach den gutachterlichen Feststellungen bereits seit fünf bis zehn Jahren vom Zunderschwamm befallen gewesen, was spätestens im Januar oder Februar 2013 erkennbar gewesen sei, möglicherweise auch bereits seit dem Sommer 2012. Foto: benjaminnolte, Adobe Stock

Zu der schadensursächlich gewordenen schuldhaften Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte weist das OLG darauf hin, dass bei einem auf einem Privatgrundstück stehenden Baum die Abgrenzung der Zuständigkeit hinsichtlich der Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht im Einzelfall schwierig sei. Vorliegend habe die umgestürzte Rotbuche aber nur circa 10 Meter von der Bahntrasse entfernt gestanden und sei nach den gutachterlichen Feststellungen bereits seit fünf bis zehn Jahren vom Zunderschwamm befallen gewesen, was spätestens im Januar oder Februar 2013 erkennbar gewesen sei, möglicherweise auch bereits seit dem Sommer 2012. Dies habe im Rahmen ordnungsgemäßer Sichtkontrollen erkannt werden und eine eingehende Untersuchung durchgeführt werden müssen.

Erforderlichenfalls hätte die Beklagte mit dritten Grundstückseigentümern Begehungs- und Kontrollmöglichkeiten aushandeln müssen. Die Verkehrssicherungspflicht bestehe vorliegend unabhängig von den Pflichten Dritter, um einen Zuständigkeitsstreit zu vermeiden und etwaige Streitfragen im Wege des Regresses zu klären. In der Regel sei von einem echten Nebeneinander der Pflichten von Eigentümer und Straßenbaulastträger/Eisenbahninfrastrukturunternehmen auszugehen, wobei der Pflicht des (solventen) letzteren grundsätzlich ein gewisser Vorrang zukommen dürfte, damit sich dieser seinen Verpflichtungen nicht entziehen könne. Die Beklagte könne sich daher gegenüber der Klägerin nicht mit einem Verweis auf die Streitverkündete entlasten.

Die ausführlich begründete Entscheidung überzeugt nicht in jeder Hinsicht. Nachvollziehbar ist das vom Gericht angenommene vollständige Zurücktreten der Betriebsgefahr der Lok hinter einem gravierenden Verschulden des für den Baum Verkehrssicherungspflichtigen. Dass dem Betreiber der Eisenbahntrasse neben dem Baumeigentümer aber nicht nur gleichwertig die Verkehrssicherungspflicht für den Baum aufgebürdet wird, sondern dieser sogar noch ein gewisser Vorrang gegenüber der originären Verkehrssicherungspflicht des Baumeigentümers allein aufgrund der durch das Gericht vermuteten Solvenz des Eisenbahninfrastrukturunternehmers eingeräumt wird, überzeugt nicht. Dies läuft letztlich auf eine unzumutbare Überbürdung der Verkehrssicherungspflicht für sämtliche Privatbäume am unmittelbaren Rande einer Bahntrasse auf das Eisenbahninfrastrukturunternehmen hinaus.

Ass. jur. Armin Braun, GVV-Kommunalversicherung

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