Kleine Oasen ernähren viele Insektenarten und bieten Nistplätze

Grüne Balkone mit hoher Biodiversität in dichten Städten

von:
Die Möglichkeiten für klimaresiliente und biodiverse Begrünung in der dichten Stadt sind begrenzt: Dächer, Fassaden, Straßenbäume, Parks und Gärten. Vergessen wird von Fachleuten meist die große Bedeutung der Balkone und Fensterbänke. In Deutschland haben 58 Millionen Menschen einen Balkon oder Terrasse. Diese Begrünung wird von Bewohnern ausgeführt, jenseits kommunaler Strategien und Verordnungen. Doch sie bietet, richtig betrieben, gleich viele positive Effekte: Sie trägt bei zur Klimasenkung und Biodiversität, Wohlfühlorten und selbst zum Anbau von frischem Gemüse.
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 1: Vertikalbeete helfen, den Platz auf Balkons wesentlich besser auszunutzen, sorgen für ein besseres Mikroklima und ermöglichen reiche und frische Ernte. Auf kleiner Grundfläche kann in sieben Etagen übereinander gegärtnert werden. Es ist nicht verbunden mit der Hauswand, sondern steht frei durch Eigengewicht. Aufgrund der durchgehenden Erdrückwand haben die Pflanzen einen großen Wurzelraum zur Verfügung, außerdem verdunstet weniger Wasser. Eine automatische Bewässerung ist angeschlossen. Foto: Birgit Schattling

Auf Einladung der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e. V. diskutierten am 4. März 2024 mehr als 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Kommunen, Verbänden, Wissenschaft und dem Garten- und Landschaftsbau über heimische Wildpflanzen im Stadtgrün. Die Referentinnen und Referenten spannten in ihren Impulsen den Bogen von der Wildpflanzenproduktion über naturnahes Grün auf dem Balkon und auf dem Dach bis zu Wildpflanzenbeeten in der Stadt. Die im Bundesprogramm Biologische Vielfalt geförderte Kampagne "Tausende Gärten – Tausende Arten" stellte Mitmachmöglichkeiten für Kommunen, Unternehmen und Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner vor. Die Veranstaltung fand in der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau und Arboristik (LVGA) e. V. in Großbeeren statt, die seit dem vergangenen Jahr einen Lehrgang für Gärtnern zur Förderung der Biodiversität anbietet.

Im Rahmen dieser Veranstaltung "Mehr Biodiversität mit heimischen Wildpflanzen" zeigte ich als Organisatorin des Online Bio-Balkon-Kongresses, wie ich auf meinem Balkon im sechsten Stock in Berlin hundert verschiedenen heimischen Pflanzen eine Heimat gebe und nicht nur von zahlreichen Insekten, sondern auch von Eichhörnchen, Vögeln und Stockenten Besuch in luftiger Höhe bekomme. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Balkon, jedes Fensterbrett und jeder Meter Platz zählt.

SUG-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Referentin/Referenten (m/w/d) für..., Kleinmachnow  ansehen
Gärtner*innen, Karlsruhe  ansehen
Gartenbauhelfer/-in für Spielplätze (m/w/d) , Stuttgart  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 2: Immer häufiger wird der Balkon von Stockenten als Brutstätte genutzt, das ist nicht nur in Berlin so. Die Bebauung in den Städten verdichtet sich immer mehr, die Menschen drängen immer dichter an die Gewässer heran, mit ihnen die Hunde. Die Ente legte jeden Tag vormittags ein Ei und flog wieder weg. Am nächsten Tag kam sie wieder, legte ein weiteres Ei und flog wieder zum See. Foto: Birgit Schattling
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 3: Eichhörnchen auf den Fensterbänken, sogar der Nachwuchs ließ sich dort gut beobachten. Foto: Birgit Schattling

Aus meiner langjährigen Erfahrung als Berliner Balkongärtnerin weiß ich bestens, wie viel auf den Balkonen möglich ist und welch große Freude wir aus jedem frisch geernteten Salat und Radieschen ziehen können: So sind selbst an meinem Extremstandort überhitzter Innenstadt-Balkon (4 m² + 5 m² + fünf Fensterbretter mit jeweils zwei Balkonkästen) 24 Vogelarten gesichtet worden. Es gab tägliche Eichhörnchen-Besuche, viermal konnte sogar Eichhörnchen-Nachwuchs beobachtet werden.

Das Bio-Balkon-Projekt wurde 2017 gegründet, seither gab es 14 Online Bio-Balkon-Kongresse, zwei Ratgeber-Bücher sind entstanden. Außerdem gibt es Balkonkurse und Vorträge, die weitere Balkonbesitzer einladen sollen, vor allem in unseren Städten noch viel mehr grüne, blühende, vielfältige Wohlfühlorte für Mensch und Tier mit angenehmem Mikroklima und üppiger Ernte zu schaffen.

Naturnah gestaltete Balkone und Fensterbretter sind wertvolle Trittsteinbiotope für Insekten, sogar für spezialisierte Wildbienen. Dort sind nicht nur die häufigen Gehörnten Mauerbienen und Rostrote Mauerbienen anzutreffen. Großes Erstaunen gab es bei Untersuchungen auf innerstädtischen Balkonen in München, Tübingen und Halle/Saale als bekannt wurde, dass von den in Deutschland rund 600 vorkommenden Wildbienenarten 52 Wildbienenarten, davon sogar 20 spezialisierte Wildbienen wie beispielsweise Große Glockenblumen-Scherenbiene, Kleine Glockenblumen-Scherenbiene, Hahnenfuß-Scherenbiene, Reseden-Maskenbiene, Rainfarn-Maskenbiene, Lauch-Maskenbiene, Distel-Maskenbiene sowie Platterbsen-Mörtelbiene gesichtet werden konnten. 4

Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 4: Mit Glockenblumen fördert man die auf deren Pollen spezialisierten Glockenblumen-Scherenbiene, mit der Aussaat oder Pflanzung von Natternkopf die Natternkopf-Scherenbiene. Foto: Stefanie Binder
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 5: Mit Glockenblumen fördert man die auf deren Pollen spezialisierten Glockenblumen-Scherenbiene, mit der Aussaat oder Pflanzung von Natternkopf die Natternkopf-Scherenbiene. Foto: Stefanie Binder
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 6: Bei Daniela Berg @wasbluehtberlin blühen auf 8 Quadratmetern in Berlin Mitte 80 verschiedene heimische Wildpflanzen acht Monate im Jahr – ein wahres Bienenparadies. Foto: Daniela Berg
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 7: Lilli Erasin @blumengoldbeck liebt ihr #Himmelnest von 7 Quadratmeter in Berlin-Mitte: "Die ersten Blattläuse sind da! Hurra! Dieser Balkon ist Bestandteil des Ökosystem." Foto: Lilli Erasin

Dass Balkone so viele Arten anlocken, hätte früher niemand gedacht, nicht einmal die Experten der Naturschutzorganisationen. Doch es ist noch viel mehr möglich, wenn die "Balkonier" noch gezielter und deutlicher motiviert werden, insektenfreundlich zu gärtnern. Um noch mehr Kenntnisse darüber zu erlangen, welche (spezialisierten) Wildbienen und anderen Insekten in welcher Stadt in welche Stockwerke hochfliegen, wurde aktuell das Citizen-Science-Projekt "Stadtinsekten.com" aufgelegt. Es bietet die einfache Möglichkeit, eigene Beobachtungen online zu melden.

Grundlage ist ein reiches Angebot an heimischen Wildpflanzen, die vom zeitigen Frühjahr bis zum Herbst blühen. Hilfestellung zur Auswahl geeigneter insektenfreundlicher Pflanzen gibt die ökologisch ausgerichtete Pflanzendatenbank NaturaDB www.naturadb.de. Sie hilft, die perfekten Pflanzen für das jeweilige Vorhaben zu finden, eine einfache Planung zu erstellen und weitere Potenziale für Tiere und Insekten aufzudecken. Sie zeigt neben möglichen Auswahlkriterien wie Blühfarbe, Blühdauer, Insektenfreundlichkeit, Wintergrün, Essbarkeit und Anbauhinweisen die ökologischen Aspekte. Handelt es sich um eine heimische oder eingebürgerte Pflanze, Züchtung oder Neophyt.

Bei Natura DB ist übersichtlich ablesbar, wie viele Wildbienen und Schmetterlinge sowie Schmetterlingsraupen, Käfer und Schwebfliegen diese Pflanze nutzen, sodass der ökologische Wert leicht jede Kauf- und Pflanzentscheidung beeinflussen kann. Die Planung einzelner Pflanzgefäße oder Beete ist möglich, dazu gibt es eine Erfassung in Listen, Ausgabe der Mengen, Blühkalender und eine deutliche Darstellung, wie viel und welchen Tierarten diese Planung nützen könnte.

Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 9 a: Bitte Gemüse und Kräuter als Angebot für Insekten blühen lassen ... Foto: Birgit Schattling
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 9 b: ... Die Blüten vom Wintergemüse (Grünkohl, Palmkohl, Asia-Salate, Winterkresse) ... Foto: Birgit Schattling
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 9 c: ... sind ein farbenfrohes Angebot ... Foto: Birgit Schattling
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 9 d: ... im Frühjahr für früh fliegende Wildbienen. Foto: Birgit Schattling
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 10: Zieht der Buntspecht Junge auf, holt er sich auf dem Bio-Balkon ungesalzene Erdnussbutter. Auf meinen Balkons hatte ich bisher 24 Vogelarten zu Besuch: Amsel, Baumläufer, Blaumeise, Buchfink, Buntspecht, Distelfink, Eichelhäher, Erlenzeisig, Feldsperling, Grünfink, Haubenmeise, Haussperling, Hausrotschwanz, Kernbeisser, Kleiber, Kohlmeise, Nebelkrähe, Ringeltaube, Rotkehlchen, Singdrossel, Sperber, Star, Turmfalke, Zaunkönig. Foto: Birgit Schattling
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 11: Säen wir Kornblumen, Skabiosen, Disteln, Sonnenblumen oder Wilde Karde, werden die exotisch aussehenden Stieglitze bis in den 6. Stock und höher fliegen, wenn sie in der Umgebung vorkommen. Foto: Birgit Schattling

Es lassen sich viele Aktivitäten beobachten:

Es gibt vielfältige Hummeln mit Vorliebe für Himbeerblüten im Mai, Brombeerblüten im Juni und Salbeiblüten im Mai/Juni sowie Tomatenblüten von Juli bis September

Buntspecht-Weibchen fressen an Meisenknödel, in Nistkasten gibt es erfolgreich brütende Blaumeisen – die ersten Jungen in diesem Jahr sind jetzt schon flügge, die Eltern basteln gerade weiter am Nest für die zweite Brut im Juni, in einer Ecke in einem Balkonkasten auf dem Fensterbrett gibt es brütende Ringeltauben

Grünfinken sind beim Samenpicken zu beobachten während Kohlmeisen beim Nistkasten auskundschaften zu sehen sind, den dann aber doch die Blaumeisen weiter bezogen haben.

Meine Erfahrung als Initiatorin der Bio-Balkon-Bewegung hat mir gezeigt, wie schwer es ist, Besitzer von Geranien-Balkonen für heimische Wildpflanzen zu gewinnen. Wenige sind bereit, mehr als drei Balkonkästen mit Kräutern zu bepflanzen oder hochwachsendes Grün wie Gehölze und Rankpflanzen zu verwenden, damit ein eigenes Mikroklima auf dem Balkon entsteht. Der Begriff "Naturbalkon" oder "naturnah gestalteter Balkon" lädt schon mehr dazu ein, heimische Wildpflanzen zu verwenden und sich auf Wildbienen, Wespen und Schwebfliegen einzulassen.

Beim 11. Bio-Balkon-Kongress 2023 stellte eine junge Frau aus Bielefeld ihren nur 6,5 Quadratmeter großen Balkon vor, der eine außergewöhnliche Artenvielfalt beherbergt. Der Vortragstitel "Ordentlicher Balkon" erwies sich als Volltreffer (bio-balkon.de/experten/katrin-wittek).

Katrin Wittek verriet ihre besten Tipps für die Gestaltung eines optisch sehr ansprechenden Naturbalkons und führte ihre vielen tierischen Besucher vor. Sie kultiviert überwiegend heimische Pflanzen in einheitlichen weißen Balkonkästen, was nicht wild und "öko" wirkt, sondern schön und strukturiert. Diese Ästhetik sprach sehr viele Menschen an, die begeistert kommentierten, auch sie wollten sich künftig auf heimische Wildpflanzen einlassen.

Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 12: Katrin Wittek aus Bielefeld stellte beim 11. Bio-Balkon-Kongress 2023 ihren "ordentlichen" Balkon mit 160 Pflanzen auf 6,5 Quadratmeter und großer Artenvielfalt vor. Foto: Katrin Wittek
Balkonpflanzen Biodiversität
Abb. 13: Verschiedene Insektennisthilfen sind ein Angebot an Wildbienen, wichtiger ist ein ausreichendes Nahrungsangebot vom Frühjahr bis zum Herbst! Foto: Katrin Wittek

Verschiedene Insektennisthilfen sind ein Angebot an Wildbienen, wichtiger ist ein ausreichendes Nahrungsangebot vom Frühjahr bis zum Herbst! Diese Anforderungen sind zu beachten:

  • Saubere, nicht ausgefranste Bohrungen in Hartholzblöcke, Schilfhalme, Pflanzenstängel oder Pappröhren.
  • Innendurchmesser zwischen 3 und 9 Millimeter, die Gangtiefe sollte 15 Zentimeter betragen.
  • Optimal ist ein regengeschützter Standort mit viel Sonne am Morgen. Die Nisthilfe kann auch nach Südosten oder Südwesten ausgerichtet sein. Sie darf nicht im Wind schwanken, deshalb besser mit Schnur beziehungsweise Kabelbinder befestigen und nicht direkt auf dem eventuell nassen Boden stehen. Ist sie Regen ausgesetzt, dann ein schützendes Dach anbringen.
  • Die Nisthilfe im Winter nicht ins Haus bringen.
  • Aufrecht stehende, tote hohle markhaltige Stängel von Sonnenblume, Himbeere, Brombeere, Distel oder Königkerze.

Die vielen Balkone, ja jedes begrünte Fensterbrett, ist ein weiteres kleines Puzzlestück zur Renaturierung unserer Städte. Die Bio-Balkon-Bewegung fördert lebendiges, dauerhaftes Substrat in den Töpfen und Kübeln, lässt wilde Ecken zu und schneidet die Pflanzen nicht vor dem Winter zurück, damit Insekten und andere Lebewesen Winterschutz bekommen. Jeder Meter zählt!

 Birgit Schattling
Autorin

Balkonbotschafterin, Veranstalterin Online Bio-Balkon-Kongress, Autorin

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle grüne Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen