Pflanzenverwendung und Biodiversität im Klimawandel
Abgesang oder Anpassung?
von: Dr.-Ing. Florian Bellin-HarderSolange Wasser, Dünger, Energie, Finanzmittel und Personal unbegrenzt verfügbar sind, machen repräsentative Pflanzen-Kreationen auch dann Spaß, wenn kein günstiges Klima herrscht. Gärtnerische Kunst bestand immer darin, Grenzen der gegebenen Bedingungen zu überwinden. Aber was passiert genau, wenn die Verfügbarkeiten von Wasser, Energie und Personal aus unterschiedlichen Gründen enden und Dünger sich aus gewässerökologischen Gründen verbietet?
Einige der hierfür relevanten Probleme sind in der Pflanzenverwendung durchaus bekannt,¹ aber bisher ist keine entsprechende basale Wende erkennbar. Es gibt trockenresistente Staudenmischpflanzungen wie zum Beispiel den Silbersommer. Dieser hat überdies den Vorzug, bei wenig Produktivität geringen Pflegeaufwand zu verursachen. Allerdings werden auch die aktuell trockenen Bedingungen mit großer Wahrscheinlichkeit extremer und diese Bestände verfügen schon jetzt kaum über eine geschlossene Grasnarbe, die sie aus sich heraus auch mit dem Anteil selbst versäender Arten kaum schließen können, sodass sie der künftig einsetzenden Dynamik ausgesetzt sind.
Die klimatische Entwicklung verläuft selbst im vergleichsweisen kleinen Deutschland sehr unterschiedlich. Einige Orte trifft dieses Problem härter, wie generell den Osten und die Städte, so auch zum Beispiel Kassel im Zentrum Deutschlands. Die klimatischen Wirkungen sind inzwischen stellenweise so machtvoll, dass dort auf die moderne Pflanzenverwendung nur noch ein Abgesang folgen kann, wenn nicht alsbald grundlegende Konsequenzen aus den aktuellen Beobachtungen gezogen werden. Da die Klimaveränderungen nicht linear verlaufen, stellen daher Phänomene wie das vergangene niederschlagsreiche Winterhalbjahr zwar eine Entspannung dar, zugleich sind nach den verfügbaren Daten die dauerhafte Erwärmung und abnehmende Niederschläge trotzdem höchst wahrscheinlich.
Die Verschiebungen der Artenzusammensetzungen, die seit 2016 deutschlandweit sichtbar in Wäldern und auf Bergkuppen stattfinden, demonstrieren allerdings auch ohne langfristige Vorhersage die zunehmende Veränderung der Standorte aller Vegetationsbestände sowie der aktuellen Biodiversität.
Solange Arten noch Orte in ihrer Nähe finden, an denen künftig Bedingungen herrschen, die sie an angestammten Plätzen verlieren, gelingt vielleicht eine Verschiebung.² Mag sein, dass auch das Klima eines Tages wieder zuträglicher wird, bis dahin aber benötigen die Pflanzen ortsnahe besiedelungsfähige Refugien, um ggf. später zurückkehren zu können. Sonst findet nicht einfach nur eine Migration, sondern eine Selektion statt.
Das, was lange Zeit der Pflanzenzucht vorbehalten war, nämlich Pflanzen für bestimmte Zwecke bei gegebenem Klima auszulesen, wird dann durch eine Auslese seitens des Klimas bei gegebenen Pflanzenbesatz ersetzt. Dabei werden Arten, die nicht ausweichen oder sich anpassen können (z. B. durch Erschließung neuer bzw. veränderter Standorte oder physiologische Veränderungen), aussterben.³ Da der Wandel schnell erfolgt, wird die Anpassung der Vegetation in vielen Fällen zu langsam sein. Standardisierte Pflanzensortimente und reduzierte Grünflächenämter, insbes. abgebaute Stadtgärtnereien erschweren zusätzlich die Suche nach und Kultivierung von sich anpassenden Sorten in den Siedlungsgebieten.
Man mag den Veränderungen in der Pflanzenverwendung mit allerlei technischen Tricks begegnen bzw. auf deren Entwicklung hoffen (Schwammstadt, Anlage von Zisternen, Tröpfchenbewässerung, Dachwasserspeicherung, Mulchauflagen etc.). Von den Kosten für die Kommunen, die mit ihren zunehmenden Aufgaben ohnehin finanziell und personell überlastet sind, abgesehen, überschreitet die Trockenheit aber zum Teil auch schon an gut versorgten Standorten die Wasserreserven im Boden. Dies ist vor allem am Bewuchs unter Bäumen zu erkennen.
So gut Bäume zunächst die bodennahe Vegetation schützen, so sehr ist ihr Wurzelsystem in Extrem-Situationen überlegen und seien die Stauden darunter auch optimal für die Licht- und PH-Verhältnisse ausgewählt worden. Von Bedeutung ist aber nicht nur die Dauer der Trockenphasen, sondern auch der Zeitpunkt ihres Eintritts.
Frühsommer-Dürre als klare Grenze der Vegetationsperiode
In einem Zeitraum von gut vier Wochen (zw. Mai und Anfang Juli) ohne Regen änderte sich der Vegetationszustand am Universitätsstandort Holländischer Platz in Kassel 2023 von frühsommerlichem Grün zu spätsommerlichem Steppenbeige.
Dies wiederholte sich in Kassel inzwischen zum vierten Mal in sieben Jahren seit 2016, wobei die Dürre 2022 noch zwei weitere Monate anhielt. Stets fällt schon zum Ende des Frühjahrs kein Regen mehr, also in der bisher für die Pflanzenproduktion wichtigsten Wachstumsphase. Die Gräser reifen verfrüht aus, aber zahlreiche Stauden erreichen die Samenreife gar nicht erst. Vor allem blühen einige klassische Spätsommerblüher wie Dost (Origanum vulgare) und Flockenblume (Centaurea jacea) bereits vor Juli und August. Die Herbstzeitlose war schon im Juni 2023 mit voll ausgereiften Samen in größeren Beständen am Stadtrand von Kassel zu finden.
Schleichende Verschiebungen der Gräserzusammensetzung von Rasen sind erst bei genauem Hinsehen zu erkennen wie die Zunahme des zusammengedrückten Rispengrases (Poa compressa) und die Abnahme von Weidelgras (Lolium perenne). An den Rändern von Pflanzungen und Staudengesellschaften siedeln zunehmend therophytische (einjährige) Gräser wie Sorten von Trespe (Bromus sterilis) und Federschwingel (Vulpia myuros), von wo sie in Lücken der Staudengesellschaften einwandern, die zum Beispiel durch Trockenperioden entstehen. Mit anderen Worten bleibt es nicht bei früher Austrocknung und spätem Wiederaustrieb, sondern die Rasen verändern ebenso wie die anderen Pflanzengesellschaften und Pflanzungen grundlegend ihre Zusammensetzung.³ Bemerkenswerter Weise gilt dies auch für bisher extrem robuste und in Siedlungsgebieten verbreitete Pflanzen.
Das Versagen der klassischen städtischen Ruderalvegetation
Selbst die sonst resistente Ruderalvegetation der Beifuß-Rainfarn-Flur (Tanaceto-Artemisietum) stößt an neue Grenzen. Zwar sind Nährstoffversorgung und geringe Pflege- sowie Nutzungsintensität für beide namengebenden Arten immer noch sehr günstig, aber die Trockenheit verschafft besser daran angepassten Pflanzen phasenweise deutliche Vorteile, sodass es zu Anteilsverschiebungen innerhalb der Gesellschaften und Vegetationsbestände kommt.4 (vgl. Kegel 2012, 271–279)
In den Jahren 2022 und 2023 war beispielsweise bis zum September ein großer Teil der Krautschicht an sehr vielen Standorten des Campus oberirdisch abgestorben, so auch die Austriebe von Beifuß und Goldrute (Solidago canadensis). Daraus muss nicht der Tod der Pflanzen folgen, aber sie können keinen Zuwachs erzeugen und verlieren dadurch in Trockenjahren offenbar ihren Standort- und Durchsetzungsvorteil. Der frühsommerliche Wachstumseinbruch lässt sich vor allem gestalterisch nur schwer überbrücken.
Die Trockenheit verhindert den Traum von ganzjähriger Blüte im Prachtstauden-Beet
Die Vorverlegung der Blühzeitpunkte und anschließende Trockenheit reißen ein Loch in die Blühabfolge von Staudenpflanzungen, die seit Karl Foerster genau geplant werden konnte. In einem südexponierten Saum des Campus Kassel, in dem neben Taglilien auch Wildformen von Pfingstrosen vorkamen, sind beide schon vollständig verschwunden. Ein Ausweichen der Arten an andere, für sie günstigere Standorte, ist aus zwei Gründen nicht möglich: Zum einen fehlen zum Ausweichen in Beetnähe Orte mit künftig frisch-nährstoffreichen Bedingungen, zum anderen haben viele der Prachtstauden keine Ausbreitungsorgane (z. B. nur gefüllte Blüten), um überhaupt an andere Orte ausweichen und sich dort wiederum gegen spontane Konkurrenten durchsetzen zu können.
Das Problem betrifft in ähnlicher Weise Artvorkommen in isolierten Schutzgebieten, wie Kalkhalbtrockenrasen oder Heiden. Schon vor dem klimatischen Wandel sorgte dort häufig Herdentrieb für den Diasporen-Transport (vgl. Kegel (Bernhard) 2012 und Anm. 4) Bei Pflanzungen geht es aber zuerst um das Problem der Diasporen oder Rhizom-Produktion, sprich die Reproduktionsfähigkeit und erst da dann um die notwendigen Umweltbedingungen. Besonders kritisch ist die Etablierung von Arten bei Frühjahrs-Pflanzungen, weil dann derzeit schon ab Mai gewässert werden müsste.
Das ist stadtgärtnerisch und auch für andere Verwaltungen ohne technische Investitionen nicht durchzuhalten. Gleichzeitig bleiben Herbstpflanzungen noch späten Barfrösten ausgesetzt, sogar eher häufiger als früher, weil zum einen deutlich weniger Schnee fällt. Zum anderen treten wachstumsfördernde höhere Temperaturen vor dem Ende der Frostperioden auf, sodass die Pflanzen im empfindlichen sehr frühen Wachstumsstadium von der Kälte getroffen werden. Dadurch sind auch Herbstpflanzungen kritisch und die Auswahl reduziert sich auf möglichst sicher trockenresistente, kälteunempfindliche und zugleich nachsommerlich regenerierende Arten.
Die aktuellen Probleme reichen aber auch hinein in die hinsichtlich klimatischer Auslese relevante Alternative zur Pflanzung, die Ansaat. Auch hier entstehen Einschränkungen des Auswahl-Spektrums und des Saattermins, wofür erneut Frühjahrstrockenheit (durch verringerte Keimraten oder Vertrocknen der Sämlinge) und späte Fröste (durch Auswintern von im Herbst aufgelaufener Saat) sorgen. Trotzdem ist die an das Saatgut gekoppelte Reproduktionsfähigkeit der Pflanzen eine der entscheidenden Optionen der Vegetationsentwicklung im Klimawandel und insbesondere des Schließens von Lücken in Beständen. Solche Arten müsste man ggf. finden (vgl. Kegel 2012).
Die hoffnungsfrohe Suche nach passenden Arten bedient den dauernden Traum von neuen Ideen und Pflanzkonzepten
Wie Stefan Körner ausgeführt hat (vergl. Körner 2007; 2009), begleitet die Idee von Gärten und Pflanzen der Zukunft die Pflanzenverwendung der Moderne. Von Beginn an ist das Versprechen des Neuen die Triebfeder wechselnder Gestaltungsbilder für die Nachfragesteigerung am Markt. Daher ist die Suche nach Pflanzen aus anderen Klimazonen und Kontinenten in der Pflanzenverwendung seit dem Landschaftspark nie abgerissen. Baumschulen bereiten schon die klimafesten Zukunftsbäume vor. Aber der Vorgriff auf die Zukunft ändert wenig an grundlegenden Prinzipien der Eigendynamik von Vegetation, die zugleich noch immer nicht in allen Konsequenzen verstanden ist. Vor allem die Entwicklungsdynamik wird durch den Wandel zentraler Standortbedingungen befeuert (Hauck/Leuschner/Homeier 2019; Beierkuhnlein 2007/2014). Eine Prognose gründet gleichwohl zwingend auf Beobachtungen und Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Wo schon das Scheitern vergangener Pflanzkonzepte kaum ausreichend reflektiert wird, steht zu befürchten, dass statt notwendiger Beobachtungs-, Lern- und Versuchsschritte 4 weiter mit der Zukunft spekuliert und ein neues Artenspektrum angeboten wird.
Vegetationskunde und Populationsbiologie beobachten schon länger den Wandel von Standortbedingen wie dem Klima und interpretieren die Reaktionen vor allem spontan auftretender Vegetation (oder der Tierpopulationen bzw. auch ganzer Ökosysteme). Auf den ersten Blick hat es spontane (bzw. wildwachsende) Vegetation aufgrund ihrer Reproduktionsfähigkeiten deutlich leichter sich auszubreiten und anzupassen. Zumindest lässt sich davon grundsätzlich für die bewusste Beeinflussung von Vegetation lernen.
Regenerationsfähigkeit und Reproduktionsfähigkeit – eine Regelfür die Pflanzenverwendung
Sich nicht spontan ausbreitende Pflanzen können, wenn sie nach sommerlichem Austrocknen nicht regenerieren, nur ersetzt werden. Im modernen Konzept geschlossener aus diversen Arten zusammengesetzter Pflanzendecken seit Richard Hansen ist der Ausfall einzelner Arten ähnlich wie in spontan auftretenden Pflanzengesellschaften kompensierbar, weil andere Arten freiwerdende Plätze besetzen können (so im Silbersommer). Solange aber die in den Pflanzungen verwendeten dauerhaften Arten keine keim- und überlebensfähigen Nachkommen produzieren, die am jeweiligen Standort sicher gedeihen, gelingen weder eine Verjüngung im Bestand noch das Schließen größerer Lücken etwa nach Betreten oder Trockenheit. Insbesondere Beet- und Pflanzungsränder, die tritt- oder anders störanfällig sind, enthalten selten Pflanzen, die nach einer Störung auf den gestörten Stellen siedeln können (sei es wegen Verdichtung oder wegen zu geringer Konkurrenzkraft gegen Spontanvegetation).
Als erste Regel für Pflanzungen in Zeiten eines dynamischen Klimas ist somit neben Trockenverträglichkeit die Reproduktionsfähigkeit am Wuchsort eine Mindestanforderung an die verwendeten Arten sowie ein ausreichend einkalkuliertes Spektrum von Standortschwankungen und -beeinflussungen. Die spekulative Ergänzung möglicher künftig überlebensfähiger Arten aus angrenzenden Klimagebieten ist vor allem in Form von Saatbeimengungen einfach zu erreichen und zu testen, ohne dass ausschließlich auf diese gesetzt werden müsste.
Andere standortorientierte Ansätze als die verbreiteten Staudenmischpflanzungen haben schon früher mit dem Reproduktionspotenzial insbesondere von Spontanvegetation gearbeitet und auch in gealterten Privatgärten ist dies als Erfahrung vorhanden, in Kassel zum Beispiel mit Arten wie Bergflockenblume (Centaurea montana) und Pfirsichblättrige Glockenblume (Campanula persicifolia) (Müller/Hülbusch 1986; Bellin-Harder 2024; Reif, Cress, Becker 2014). Sie überdauern durch Aussaat und reagieren schon lange auf Veränderungen zum Beispiel durch Hacken, Bodenverdichtungen, Schattenzunahme unter Sträuchern und werden durch selektive Auslese gefördert. Aber das Klima wird auch in den Gärten weiter für Veränderungen vorkommender Arten sorgen. Seit einiger Zeit nehmen zum Beispiel Habichtskräuter (Hieracium murorum, H. pilosella, H. aurantiacum) zu und Zwiebelpflanzen, von denen viele ohnehin sommerliche Wachstumspausen einlegen, scheinen bisher von der Erwärmung unbeeindruckt bis begünstigt zu sein.
Tatsächlich wird in dieser Situation die Suche nach überlebensfähigen Pflanzen relevant. Hier setzen auch die jüngeren Erfahrungen am Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung (Prof. Stefan Körner) an (Bellin-Harder/Körner/Lorberg 2024; Körner/Bellin-Harder 2021). Die klimatische Auslese weiterhin verwendungsfähiger Arten findet buchstäblich und aktuell vor unseren Augen statt. Pflanzen, die einst am Hochschulstandort in Kassel als Beimengung für mögliche extrem trockene Bedingungen von der Kasseler Schule angesät worden waren, wie beispielsweise Felsennelken (Petrorhagia prolifera und saxifraga), breiten sich aktuell massiv selbst auf geschotterten Parkplätzen aus, wo vorher Einjährige Trittrasen durchsetzungsfähiger waren.
Zwar regenerieren Arten wie Dauerlein (Linum perenne), Echtes Labkraut (Galium verum) und Leimkraut (Silene vulgaris) aus dem Spektrum der wärmeliebenden Säume bisher gut, aber auch hier bleiben die besonders Trockenheit und Hitze ertragenden Arten übrig. Das Spektrum dieser Arten ist in den bisherigen Anwendungen noch nicht ausgeschöpft, aber in vielen Fällen fehlt das Saatgut im Stadtgebiet, wie zum Beispiel von Arten der nächsten Trockenstufen der Steppenrasen (Xerotherm-Rasen) oder der Zwergstrauchheiden (Nardo-Galion) und subkontinentalen Trockenrasen (Festucetalia valesiaca)4a. Einzelne schon gärtnerisch relevante Arten dieses Spektrums wie Ysop (Hyssopus officinalis) und Rosmarin (Salvia rosmarinus) zeigen bereits ihr Ausbreitungs-Potenzial.
Nicht umsonst wandern Spezialisten der Dachbegrünungen am Boden ein. Sie sind dort aber, wie etwa die Dickblattgewächse, nicht quetsch- oder riebfest und werden daher, wo Tritt erfolgt, von anderen Arten ersetzt. Daneben zeigen einzelne sehr erfolgreiche Zier-Arten anderer geografischer Herkunft wie Goldaster (Heteroteca camporum) und Palisadenwolfsmilch (Euphorbia characias) durch ihre Resistenz, dass auch die Neophyten-Diskussion weitergeführt werden muss (Körner 2024). Das heißt also, dass die Suche, trotz oben erwähnter Kritik, nach "Neuen Pflanzen" relevant bleibt, aber keine ausschließliche Option sein kann, weil sonst der Anpassungsfähigkeit für vorhandene Arten (und damit der Reaktionsfähigkeit biodiverser Vegetation) keine Chance gelassen werden würde.
Diese Diskussion ließe sich ebenso deutlich am Beispiel von Felskuppen in Naturschutzgebieten führen. Deren Neubesiedelung nach dem Absterben von Spezialisten-Gesellschaften wirft die Frage auf, wie künftig extremere Bedingungen ertragende Vegetation ohne anthropogene Unterstützung dorthin gelangen soll.
Relevant ist daran, dass auch die Pflanzenverwendung dringend auf die klimatischen Änderungen reagieren und sich von den klassischen Beet- und Prachtstaudenpflanzungen auf frischen und gut nährstoffversorgten Standorten verabschieden sollte. Sie läuft sonst Gefahr, in Zeiten von Nachhaltigkeits-Debatten zum ausschließlichen Luxus-Produzenten oder schlicht nebensächlich zu werden.
Die Zukunft, so sieht es im Moment aus, spricht vor allem für ein im besten Sinne vegetationskundliches Beobachten und Verstehen der Entwicklungen. Der zunehmende, auch ergänzende Einsatz von Saaten statt Pflanzungen, gegebenenfalls unter Beigabe von Pflanzen, die im Siedlungsgebiet noch gar nicht vorkommen, könnte eine alternative Konsequenz aus diesen Beobachtungen werden. Mit Blick auf die kleinklimatische Relevanz bodenbedeckender Vegetation (im Sinne des Haltens und der allmählichen Verdunstung von Wasser) erscheint es (ob inner- oder außerhalb von Siedlungsgebieten) fahrlässig, auf ein selbständiges Einwandern weiterer Extremstandort-Spezialisten aus Süd- und Osteuropa einfach nur zu warten. Denn unbewachsene Orte fördern die Austrocknung und verringern die Wasserhaltefähigkeit im Boden; von der Anschauungsqualität einmal abgesehen.
Ist es noch möglich, die Diversität in Siedlungsgebieten zu steigern?
Zwar wird immer wieder geäußert, dass in Siedlungsgebieten die Diversität höher sei als im Umland, es wird aber auch bezweifelt, dass die im Umland bedrohten Pflanzenarten eigenständig in Städte hinein ausweichen können. Gerade für Arten armer Kalkböden ist das Problem eigenständiger Wanderung in andere Gebiete, wie erwähnt, längst bekannt (Hard 1964). Die Kasseler Schule hat aber in den 1980er Jahren mit ihren Ansaaten zeigen können, wie viele dieser Pflanzenarten sich in hochverdichteten intensiv genutzten Siedlungsgebieten bewusst ansiedeln lassen (Müller/Hülbusch 1986). Jüngere Untersuchungen der Vegetation am Campus Holländischer Platz bestätigen nicht nur die Ansiedlungsfähigkeit seltener Arten an für sie lebensfeindlich gehaltenen Standorten wie Zum Beispiel Parkplätzen, sondern auch die der den Pflanzen folgende Tier-Diversität (Bellin-Harder/Körner/Lorberg 2024). Wie an anderer Stelle ausgeführt (Körner, Bellin-Harder, Lorberg 2025), sind Kommunen wie Zürich und Berlin bereits sehr erfolgreich damit, mehr Diversität im Wesentlichen durch Pflegeumstellung in Siedlungsgebieten zu erreichen. So lässt sich etwa in Bayreuth feststellen, dass das Gartenamt mit der Anlage von Pflanzungen mit in Städten seltenen Arten auf mageren Substraten beginnt, die unter anderem auf der nahegelegenen Frankenalb zu finden sind wie Goldhaaraster (Aster linosyris) und Gelbe Skabiose (Scabiosa ochroleuca).5
Wer die Vegetation in Jahren wie 2022 beobachtet hat, verliert umgekehrt das Verständnis für die Bekämpfung städtischen spontan auftretenden Bewuchses ohne vergleichbar regenerations- und anpassungsfähigen Ersatz. Es scheint glücklich, wer künftig noch lebensfähige Pflanzen (ob Zier-, Wild- oder Kulturpflanze) für die Standorte vor der eigenen Tür findet.
In diesem Sinne ist auch die Biodiversität nur durch eine ganze Reihe basaler Veränderungen zu fördern, unter denen die Veränderung des Bewusstseins in der Bevölkerung (bis hinein in die Stadtverwaltungen und Planungsbüros) den höchsten Rang einnimmt, weil es allerorten an Wissen und Erfahrungen im Umgang mit Vegetation mangelt. Durch Versuche des Einflusses auf gesellschaftliches Bewusstsein greift die Planung allerdings in Pädagogik und Meinungsbildung über, ohne dafür explizit geschult zu sein.
In der gegebenen Situation kann der Bezug auf die Erfahrung des Gelingens von Alternativen in der Pflanzenverwendung durch angepasste Pflanzungen, von Saaten und Pflege vielleicht überzeugend sein. Die aktuell relevante Erfahrung des klimatischen Wandels beschränkt sich jedenfalls nicht auf professionelle und behördliche Pflanzenverwendung, sondern wird prinzipiell von allen Gartenbesitzer*innen und Nutzer*innen geteilt.6 Daher ist der Verweis auf Erfahrungen nicht nur vergleichsweise leicht möglich, sondern auch einfach nachzuvollziehen. Dies gilt umso mehr, wenn statt normierender Einschränkungen (wie jüngst bei den Steingärten) Handlungsoptionen in privaten Freiräumen eröffnet sowie begründet werden und überdies anerkannt wird, dass individuelle Nutzungen von Handlungsspielräumen schon jetzt erheblichen Anteil an der Diversifizierung der Lebensräume in Siedlungsgebieten haben.
Der Beitrag basiert auf Inhalten eines Freitagsgesprächs am Lindenhof 2022 in Bayreuth und auf Hearings-Vorträgen in Erfurt 2018 und Höxter 2023 sowie einem öffentlichen Vortrag in Bad Arolsen 2023 und nicht zuletzt auf gemeinsamen Erfahrungen im Fachgebiet Landschaftsbau, Landschaftsmanagement und Vegetationsentwicklung der Universität Kassel (Prof. Stefan Körner). Über Details der Entwicklung der Biodiversität am Universitätsstandort Holländischer Platz in Kassel wird an anderer Stelle berichtet (Bellin-Harder/Körner/Lorberg 2024).
Anmerkungen
¹ Solche hat es schon immer gegeben. Eine jüngere ausführliche Darstellung der biologischen Zukunft im Klimawandel findet sich bei B. Kegel 2021, zur Verschiebung der Vegetation bei sich ändernden Standortbedingungen (Tüxen/Westhoff 1963).
² Anke Jentsch et al. berichten, dass Wiesen in der Lage sind, sich als Gesellschaften zu regenerieren. Allerdings lassen auch sie offen, was geschieht, wenn Trockenperioden dauerhaft oder in sehr viel kürzeren Intervallen wiederholt auftreten (Kegel 2021; Jentsch et al 2011; Hauck, Leuschner Homeier 2019; Beierkuhnlein 2007).
³ Gerhard Hard kam bereits 1964 (Hard 1964) zu dem Schluss, dass Arten von Kalkmagerrasen Barrieren (z. B. Täler) nur mit Hilfe von getriebenen Tierherden überwinden konnten, um entfernte, vergleichbare Standorte besiedeln zu können; (vgl. Schenkenberger 2024).
4 Eine relevante Ausnahme stellen z. B. die Untersuchungen von Beierkuhnlein et. al. dar (Jentsch et al 2011; Beierkuhnlein et al 2014).
4a Hierzu entsteht gerade eine Doktorarbeit von Sebastian Hobmeier am Fachgebiet Landschaftsbau, Kassel.
5 Außerdem verfügt auch der Botanische Garten der Universität Bayreuth nicht nur über viel Erfahrung zum Anbau und zur Unterhaltung vergleichbarer Vegetation in einem lehrreichen Bestand, sondern über Forschungs-Expertise in Fragen klimabedingter Vegetationsentwicklung (Beierkuhnlein 2007).
6 Die Anfragen nach Vorträgen für Gartenbesitzer*innen nehmen daher zu.
Literatur
- Beierkuhnlein, Carl (2007): Biogeografie. Die räumliche Organisation des Lebens in einer sich verändernden Welt. Stuttgart.
- Beierkuhnlein, Carl; Jentsch, Anke; Reineking, Björn; Schlumprecht, Helmut; Ellwanger, Götz (Hg.) (2014): Auswirkungen des Klimawandels auf Fauna, Flora und Lebensräume sowie Anpassungsstrategien des Naturschutzes. Naturschutz und Biologische Vielfalt 137. Bonn, Bad Godesberg.
- Bellin-Harder, Florian (2024): Ohne Ernte bleibt nur Pflege. Zur Vergeblichkeit von Pflanzenverwendung und Naturschutz ohne Verständnis der Arbeitswirkung in der Vegetation. In: Landschaft und Vegetation, hg. v. Florian Bellin-Harder. Bielefeld, S. 579–622.
- Bellin-Harder, Florian; Körner, Stefan; Lorberg, Frank (2024): Hinweise zu Entwicklung und Pflege verschiedener Hochschulstandorte der Universität Kassel auf Basis von Erhebungen zur Flora und Fauna. In: Landschaft und Vegetation hg. v. Florian Bellin-Harder, Bielefeld, S. 799–834.
- Bouillon, Gottfried (2013): Handbuch Staudenverwendung. Stuttgart.
- Hard, Gerhard (1964): Kalktriften zwischen Westrich und Metzer Land. Heidelberg.
- Hauck, Markus; Leuschner, Christoph; Homeier, Jürgen (2019): Klimawandel und Vegetation. Eine globale Übersicht. Berlin.
- Jentsch, Anke; Kreyling, Juergen; Elmer, Michael; Gellesch, Ellen; Glaser, Bruno; Grant, Kerstin; Hein, Roman; Lara, Marco; Mirzae, Heydar; Nadler, Stefanie E.; Schloter, Michael; Singh, Brajesh K.; Stadtler, Jutta; Walter, Julia; Wellstain, Camilla; Wöllecke, Jens, Beierkuhnlein, Carl (2011): Climate extremes initiate ecosystem-regulating functions while maintaining productivity. In: Journal of Ecology 99, S. 689–702.
- Kegel, Bernhard (2021): Die Natur der Zukunft: Tier- und Pflanzenwelt in Zeiten des Klimawandels. Köln
- Körner, Stefan (2007): Die Naturgartenidee. In: Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit Bd. II, hg. v. Ulrich Eisel u. Stefan Körner. Kassel, S. 105–115.
- Körner, Stefan (2009): Nachhaltige Pflanzenverwendung. In: Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit Bd. III, hg. v. Ulrich Eisel, Stefan Körner u. Norbert Wiersbinski. Kassel, S. 152–172.
- Körner, Stefan (2024): Das Heimische und Fremde revisited. Über Naturschutz und Freiraumplanung, Einwanderungsgesellschaften, die Liebe zur Artenvielfalt, zu solidem Handwerk und ökologischen Überraschungen sowie ein praktisch-programmatischer Ausblick auf den Umgang mit der Stadtnatur. In: Landschaft und Vegetation, hg. v. Florian Bellin-Harder, Bielefeld, S. 441–472.
- Körner, Stefan; Bellin-Harder, Florian (2021): Artenrückgang und Klimawandel erfordern nachhaltige Pflanzen. 15 Jahre Pflanzenverwendung an der Universität Kassel. In: Stadt + Grün 8/2021, S. 23–29.
- Körner, Stefan; Bellin-Harder, Florian; Lorberg, Frank (2025): Reflexionen über die Freiräume der Universität Kassel am Holländischen Platz als Beispiel für Begrünungsmaßnahmen in einem eng bebauten Quartier. In: Jahrbuch Stadterneuerung 2025, Stadterneuerung und Klimawandel, hg. v. Ronald Kunze et al. Heidelberg. (Druck in Vorbereitung).
- Müller, Hans-Ulrich; Hülbusch, Karl Heinrich (1986): Krautern mit Unkraut oder: Gärtnerische Erfahrungen mit der spontanen Vegetation. Kassel.
- Reif, Jonas; Kress, Christian; Becker, Jürgen (2014): Blackbox-Gardening: Mit versamenden Pflanzen Gärten gestalten. Stuttgart.
- Schenkenberger, Julia (2024): Fließgewässerrenaturierung. Wann ist das Einbringen von Pflanzenmaterial sinnvoll? In: Landschaft und Vegetation hg. v. Florian Bellin-Harder. Bielefeld, S. 749–772.
- Tüxen, Reinhold/Westhoff, Victor (1963): Saginetea maritimae, eine Gesellschaftsgruppe im wechselsalinen Grenzbereich der europäischen Meeresküsten. In: Mitteilungen der floristisch-soziologischen Arbeitsgemeinschaft Neue Folge 10. Stolzenau/Weser, S. 116–129.
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