Konflikte und Lösungen zwischen Grünflächen und Nahmobilität
Die "Abstimmung mit den Füßen"
von: Patricia R. BaumeisterWer kennt sie nicht? Die schnelle Abkürzung durch die begrünte Fahrbahnbegrenzung, da die Bushaltestelle rascher erreichbar ist, den kürzeren Weg zum Supermarkt oder einmal "querfeldein" über den begrünten Parkplatz. Dieses tägliche (Fehl-)Verhalten dürfte vielen Menschen bekannt vorkommen.
Zwar gehört die Nahmobilität, die den Fahrrad- und Fußgängerverkehr einschließt, zu den klimaschonenden und umweltfreundlichen Fortbewegungsformen, doch aufgrund verschiedener Nutzungsverhalten kommt es regelmäßig zu Konfliktsituationen mit dem Stadtgrün. Dabei wird überwiegend die Bodenvegetation durch Abkürzungen und neu entstandene Trampelpfade beeinträchtigt und zerstört. Die Folgen sind unerwünschte, unästhetische Pfade. Demnach stellen sich zahlreiche Fragen: Wieso werden Abkürzungen genutzt? Weshalb werden eigene Wege gegangen und konstruieren so unwillkürlich Trampelpfade? Welche Folgen haben diese?
Der Trampelpfad, der durch "häufige Begehung einer bestimmten Linie im Gelände" entsteht, gilt laut den Landschaftsarchitekten Loidl und Bernhard als der "Archetyp des Weges" (2014, S. 109). Dieser entsteht, indem ein Mensch als Pionier ein unbefestigtes Gebiet, zum Beispiel eine Rasenfläche, begeht und sich "seinen" Weg sucht. Unabhängig davon tun es ihm meist unbekannte Menschen gleich. Dies bezeichnen Loidl und Bernhard (ebd. 2014, S. 109) als "Nachfolgesyndrom". Mit steigender Nutzungshäufigkeit findet die Konsolidierung, also die Verfestigung des Trampelpfades, statt. Damit nimmt die Vertiefung des Weges zu und hebt sich immer stärker von der wachsenden Vegetation am Wegrand ab.
SUG-Stellenmarkt
Doch der wohl entscheidendste Grund, neue Wege zu gehen, ist der Faktor Zeit: Wenn wir in Eile sind und unter Zeitdruck stehen, ist das Bedürfnis abzukürzen besonders groß (Ankowitsch, 2010). Somit suchen wir den effizientesten und direktesten Weg, um Zeit zu sparen. Bedenkt man, dass es zu früheren Zeiten für den Menschen enorm wichtig war, sich so energie- und ressourcensparend wie möglich fortzubewegen, ist es nicht verwunderlich, dass der Drang des Abkürzens offenbar angeboren ist (Kölz, 2010, S. 242). Dabei galt es in erster Linie, kräftezehrende Umwege und potenzielle Gefahren und Risiken zu vermeiden (Wissenschaft.de, 2013). Dieses Verhalten ist bis heute zu beobachten. Davon zeugen unzählige Trampelpfade weltweit, die urbane Rasen- und Grünflächen durchschneiden. Doch dieses natürliche Verhalten gerät laut des Architekten und Stadtplaners Jan Gehl oft "in einen unglücklichen, fast komischen Konflikt mit dem Architektenlineal und den damit gestalteten rechtwinkligen städtebaulichen Projekten" (Gehl, 2018, S. 148).
Die "Trampelpfad-Formel"
Laut des Physikers Dirk Helbing entstehen Trampelpfade keinesfalls zufällig. Sie bilden sich aus genau zwei Gründen: entweder, wenn Wege komplett fehlen oder wenn "Menschen das Gefühl haben, dass die vorhandenen nicht gut genug sind" (Helbig nach Ankowitsch, 2010). Dazu entwickelte Helbing die sogenannte "Trampelpfad-Formel". Entscheidend ist das Verhältnis von Weg und potenzieller Abkürzung. Umwege von bis zu 25 bis 30 Prozent werden von Fußgängern akzeptiert. Was darüber hinausgeht, unabhängig wie gering der Unterschied zur ursprünglichen Strecke ist, wird konsequent abgekürzt (Wissenschaft.de, 2013). Dieses Verhalten führt zu Konflikten zwischen öffentlichem Stadtgrün und Nahmobilität. Daher ist es wichtig, Kompromisslinien auf unterschiedlichen Ebenen zu finden. Eine Möglichkeit solche Kompromisslinien und Lösungen zu finden, basiert auf einer simplen, schneebedeckten Fläche. Anhand der Fußspuren im Schnee ergeben sich natürliche Wunschlinien der Nutzer. So kristallisieren sich nicht nur die höchstfrequentierten, sondern auch die damit beliebtesten und direktesten Verbindungen heraus (Gehl, 2018, S. 148).
The Oregon Experiment
Doch da nicht immer mit winterlichen Bedingungen, wie einer dichten Schneedecke zu rechnen ist, entwickelte bereits 1970 der österreichische Architekt und ehemalige Dozent der Universität Oregon (USA) Christopher Alexander eine alternative Methode. Er war der Überzeugung, den Nutzern, also den Campusbewohnern selbst, die Macht zur Mitbestimmung und Gestaltung zu geben. Die Idee des bekannten "The Oregon Experiment" war geboren. Zu Beginn des Experiments ließ Alexander die gesamte Campusfläche mit Rasen einsäen. Im Laufe der Zeit bildeten sich durch die tägliche Nutzung der Studenten Trampelpfade, die daraufhin befestigt wurden. Durch dieses Vorgehen entwarfen sie anhand ihrer natürlichen Bewegungsmuster ihre eigenen Wege, was zu einer automatischen Wegeoptimierung führte. Insbesondere viele direkte Wegeverbindungen in Form von Diagonalkreuzungen, sowie gekrümmte, teils bogenförmige Wegeführungen sind auffällig. Demnach werden bevorzugt direkte, diagonale Verbindungen zwischen Quell- und Zielort gewählt, wohingegen auf rechteckige, gerade an den Gebäuden orientierte Wegeführungen, weniger beliebt sind.
Typologien von Trampelpfaden
Anhand eines Untersuchungsgebiets in der südhessischen Großstadt Darmstadt konnten drei wesentliche Typen von Trampelpfaden mittels Luftbildanalyse oder Vor-Ort-Begehung gefunden werden.
Zum einen entstehen Trampelpfade aufgrund von Eckabkürzungen. Sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer erscheinen - besonders bei ebenerdigen Bodenverhältnissen - rechtwinklige, bereits bestehende Linienführungen an Knotenpunkten unattraktiver. Daher werden diese meist - auch wenn es nur wenige Zentimeter ausmacht - abgekürzt. Doch diese Eckabkürzungen bergen durchaus ein erhöhtes Gefahrenpotenzial: Bei verdichteter Vegetation und damit verbundenen Sichteinschränkungen, kann es häufig zu Unfällen kommen, die von Radfahrern verursacht werden, weil sie zu schnell und zu unvorsichtig unterwegs sind. Die Abkürzungen führen jedoch zu massiven Beschädigungen der Bodenvegetation - gut sichtbar in braunen, neu entstandenen und schon aus großer Entfernung erkennbaren Pfaden (vgl. Abb. 2).
Ein weiterer Typ von Trampelpfaden entstand durch falsche oder fehlende Wegebeziehungen. Besonders infolge der hohen Frequentierung von Berufsschülern und sonstigen Besuchern, wie Freizeitsportlern und Spaziergängern, finden sich zahlreiche neue Wegeverbindungen im Bürgerpark Nord in Darmstadt. Doch diese Wegeoptimierungen gelten hinsichtlich ihrer ästhetischen und ökologischen Auswirkungen als unerwünscht. Dies liegt einerseits an der schädlichen Wirkung auf die umliegende Vegetation, andererseits an der Zerschneidung des Landschaftsbilds.
Der Typologie 3 sind Trampelpfade aufgrund von abweichenden Komfortansprüchen zugeordnet. Durch vermehrte Senkungen und Hebungen des Wurzelwerks, die auf die mittlerweile beträchtlich großen Bäume am Wegesrand zurückzuführen sind sowie wegen weiterer Belagsschäden ist der ursprüngliche Weg lediglich eingeschränkt nutzbar. Für mobilitätseingeschränkte Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, oder einen Kinderwagen mit sich führen, ist eine Nutzung kaum möglich. Auch für die häufig verkehrenden Fahrradfahrer stellen diese massiven Unebenheiten eine große Herausforderung dar. Deshalb wurde und wird zunehmend auf einen parallel zum Weg ausgeprägten, erdigen Pfad ausgewichen (vgl. Abb. 3).
Die im Zuge der wiederkehrenden Befahrung des Pfades freigelegte Wurzel, welche sich in der Mitte des Pfades befindet, gilt als Störung der Bewegungslinie. Solche Unebenheiten im Kleinrelief führen zu Verschwenkungen. Diese sind oft flache vorhersehbare Kurven, die Fußgänger beziehungsweise Fahrradfahrer bewältigen müssen (Loidl & Bernhard, 2014, S. 106). Doch nicht nur Radfahrer, sondern Sportler im allgemeinen wie Jogger oder Nordic Walker bevorzugen häufig einen weichen, gelenkschonenderen Untergrund und neigen dazu, parallele Wegestrukturen auf der Wiese auszubauen, um harten Bodenbelägen wie Asphalt, Pflaster oder Beton zu entgehen (Riedel, 2010). Ein weiteres entscheidendes Kriterium, weshalb sich links und rechts des ursprünglichen Weges neue Strukturen ausprägten, ist die unzureichende Gehwegbreite. Die auftretenden Wege wiesen eine Breite von lediglich 1,5 Metern auf. Dies machte ein Nebeneinandergehen von Fußgängern oder eine Begegnung zwischen Fußgängern und Radfahrern unmöglich.
Gestaltungsvorschläge
Um zukünftig diese Problematik zwischen Stadtgrün und Nahmobilität zu lösen, braucht es differenzierte Gestaltungsvorschläge. Doch wie sehen diese aus?
Eine effektive Möglichkeit, um potenzielle Eckabkürzungen zu verhindern, ist neben dem temporären Aufstellen von Zäunen oder Pflanzkästen, die dauerhafte Platzierung von Barrieren wie Geländern und Zäunen, die Pflanzung von Hecken oder das Aufschütten von Erdwällen. Diese Verhinderungsplanung wird in der Regel nach der Entstehung einer Abkürzung angewendet, um unter anderem weitere Schäden der Vegetation zu vermeiden.
Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit ist die Befestigung des neu entstandenen Trampelpfads. Diese kann durch Pflastersteine oder sonstigen stabilen Belag geschehen. Solche Umbaumaßnahmen werden ausschließlich nach der Entstehung von Abkürzungen angewendet. Sie geben den natürlichen Bewegungsmustern und Wunschlinien nach und stellen eine nachträgliche Wegeoptimierung dar.
Besonders in öffentlichen Grünanlagen ist auf ein differenziertes Erschließungssystem zu achten. Dort vereinen sich nicht nur unterschiedliche Benutzerwünsche, sondern es ist durch Tages- und Jahreszeit bedingt mit "ständig wechselnden Besucherfrequenzen zu rechnen" (Keller & Schneider, 1974, S. 55). Eine abwechslungsreiche Linienführung, die sich durch variierende Gehwegbreiten, bepflanzte Randzonen und abwechslungsreiche Eindrücke kennzeichnet, gilt als vorteilhaft. Insbesondere Fußgänger empfinden monotone Wegeführungen, die solche Merkmale entweder nicht aufweisen oder nur in gleichartiger Weise vorkommen, als eintönig, lang und scheinbar unendlich. Bei ihnen entwickelt sich das ungute Gefühl, dass sie nur sehr langsam oder kaum vorankommen (Henz, 1984, S. 259).
Gezielte Verschwenkungen der Wegelinie unterstützt durch vielfältige Wegmarken, wie künstlerisch wertvolle Skulpturen, interessante Gehölz- und Pflanzengruppen oder reizvolle Ausblicke gelten als passende Gestaltungselemente (Loidl & Bernhard, 2014, S. 118). Interessante Wegmarken "rahmen" den Weg nicht nur ein, sondern helfen Fußgängern bei der Orientierung und bieten ihnen gleichzeitig die passende Motivation den Weg zu bestreiten ("Positive Lenkung"). ""Schlängelwege" im ebenen Gelände ohne leitende, motivierende Hilfen (Wegmarken) wirken willkürlich, ärgerlich und ermüdend", da sie dem instinktiven, menschlichen Bewegungsmuster widersprechen (Ebd. 2014, S. 119). Die Folge ist eine "Arealstörung" in Form von abkürzenden Trampelpfaden (vgl. blaue Pfeile) (Henz, 1984, S. 200; 259).
Um den abweichenden Komfortansprüchen der Nutzer der Nahmobilität gerecht zu werden, sollte neben einer Verbreiterung des Gehwegs - welche laut der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) mindestens 2,5 Meter betragen muss - insbesondere die Beseitigung von Gehwegschäden im Fokus stehen (FGSV, 2006, S. 81). Die Wegrandbepflanzung sollte neben Busch- und Strauchwerk vorzugsweise aus Tiefwurzlern, wie Eichen oder Edelkastanien, zusammengesetzt sein, da diese aufgrund ihres großen Wuchsradius nicht ins Fundament des Weges eindringen. Eine Verbesserung der Oberflächenbeschaffenheit ist durch die Verwendung von adäquaten, witterungsbeständigen Bodenbelägen ebenfalls notwendig.
Auch die Überhöhung durch Vegetation, beispielweise durch dichtes Buschwerk oder Sträucher, und die Überhöhung durch Kanten- oder Bordsteine sind ebenfalls denkbar. Durch die konkrete Flächentrennung mit Hilfe von unterschiedlichen Höhen, Materialien oder durch die Verwendung von wegbegleitenden Einfriedungen, wie Mauern oder Hecken, scheint der ursprünglich geplante Weg wieder attraktiv und verwendbar.
Handlungsempfehlungen und Fazit
Durch die Entstehung von Abkürzungen und Trampelpfaden werden Fehlplanungen sichtbar, indem sie zeigen, an welcher Stelle im Straßenverkehrs- und Grünraum Optimierungsbedarf besteht. Um diese meist unerwünschten Pfade zukünftig zu vermeiden, ist besonders eine Verbesserung der Gesamtplanung wichtig. Die Voraussetzung zur Lösung des Problems der Entstehung von Trampelpfaden liegt vornehmlich im interdisziplinären Austausch zwischen den Fachplanungen während des Planungsprozesses. Dazu sollten in Planerrunden konkrete Absprachen und Planungsprinzipien bezüglich der Gestaltung in der Wegeführung festgelegt werden. Diese sollte im Idealfall direkt, umwegfrei und durch attraktive Wegmarken und interessante Sichtbeziehungen gestaltet werden ("Positive Lenkung"). Dabei ist die Möglichkeit der Vor-Ort-Begehung im Gelände, die auf Augenhöhe der ausführenden Planer stattfindet, ebenso sinnvoll, wie der Einsatz eines Funktionsschemas, das die Wegeverbindungen aufzeigt, in denen sich Wegebeziehungen kumulieren (Windt, 2018). Eine Partizipation von potenziellen Nutzern eines Wegesystems ist ebenfalls hilfreich. Dies stellte sich bereits in der Vergangenheit als sinnvoll heraus (vgl. The Oregon Experiment).
Insgesamt sollten Trampelpfade also nicht als unästhetische "Schandflecke", sondern vielmehr als nützliche Optimierungsvorschläge seitens der Nutzer in der Wegeplanung verstanden werden.
Literaturverzeichnis
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Henz, T. (1984). Gestaltung städtischer Freiräume (Vols. Schriftenreihe Landschafts- und Sportplatzbau, 4). Berlin, Hannover: Patzer Verlag GmbH u. Co. KG.
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Kölz, G. (2010). Städtischer Verkehr. In H. Prof. Dr. Bott, J. Prof. Dr. Jessen, & F. Prof. Dr. Pesch (Eds.), Lehrbausteine Städtebau - Basiswissen für Entwurf und Planung (p. 242). Stuttgart.
Keller, H., & Schneider, A. (1974). Grundlagen der Garten- und Freiraumplanung. Berlin und Hamburg: Paul Parey.
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