Wie Naturschutz und Grünflächenpflege zusammengedacht werden
Thema Wildnis in der Stadt – ein Widerspruch in sich?
von: B.Sc. Julia MendeDazu soll zunächst erläutert werden, was "urbane Wildnis" überhaupt ist und wie diese etabliert werden kann. Welche Chancen bietet sie sowohl für den Menschen als auch für die Biodiversität (DUH 2014 und 2016: "Städte und wilde Natur in neuer Beziehung – ein Plädoyer für eine wildere Stadtnatur" und "Perspektiven für Wildnis in der Stadt")?
Ergänzt werden diese Ausführungen durch Perspektiven von Privatgärten, kindlichen Naturerfahrungen und Stadtentwicklung. Abschließend werden die Ergebnisse umweltethisch diskutiert.
Was ist Wildnis?
Der Begriff Wildnis wird in Wildnis und urbane Wildnis differenziert. Laut der Nationalen Biodiversitätsstrategie sind Wildnisgebiete ausreichend große, unzerschnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten (BfN 2023). Urbane Wildnis hingegen ist "innerstädtische Natur [. . . ] die sich ohne wesentliches Eingreifen und Lenken des Menschen entwickelt" (DUH 2016).
Obwohl diese Bereiche aufgrund der menschlichen Präsenz nicht als "echte" Wildnis betrachtet werden können, können sie dennoch wildnisähnliche Eigenschaften aufweisen. Auch die Entwicklung urbaner Wildnis ist ein dynamischer Prozess, der einige Jahre dauert und nie abgeschlossen ist.
Kein Stück Land sollte als zu klein betrachtet werden, um zumindest einige "wilde" Elemente zu beherbergen. Urbane Wildnis ist also ein ergänzendes und berechtigtes Konzept, das man auch als "Wildnis vor der Haustür" bezeichnen kann (DUH 2014).
Konzept der Vier Naturen
Nach dem Konzept der Vier Naturen, entwickelt von Ingo Kowarik, Professor für Ökosystemkunde und Pflanzenökologie, gibt es verschiedene Abstufungen von "Natur". Diese Einteilung ermöglicht eine differenzierte Betrachtung der Möglichkeiten und Potenziale, wie Natur in urbanen Gebieten existieren und entwickelt werden kann.
Natur der ersten Art oder "alte Wildnis" bezeichnet Relikte der ursprünglichen Naturlandschaft, meist Wälder, Feuchtgebiete, Auen oder Uferbereiche von Fließgewässern. So weisen beispielsweise Fließgewässer eine Eigendynamik auf, durch die sehr schnell "wilde" Strukturen entstehen, weswegen diese sich besonders für eine Wildnisentwicklung eignen (DUH 2016). Relikte der Naturlandschaft werden von Menschen hauptsächlich für Erholungszwecke genutzt (DUH 2014).
Bei der Natur der zweiten Art handelt es sich um Relikte der Kulturlandschaft, wie Äcker, Wiesen und Weiden. Solche landwirtschaftlichen Flächen können für eine Bebauung interessant sein.
Daher ist das Hauptziel bei solchen Flächen weniger Wildnisentwicklung als der Erhalt des Kulturlandschaft-Charakters. Entwickelt werden können naturnahe Landschaftselemente wie Streuobstwiesen, Blühstreifen und Pflegekonzepte wie extensive Mahd und Beweidung (DUH 2014).
Die Natur dritter Art umfasst die gärtnerisch geschaffene Natur, also gezielt angelegte und gestaltete urbane Grünflächen wie Hausgärten, Gartensiedlungen, Straßenbegleitgrün, Parkanlagen und Sportplätze bis hin zum Landschaftspark.
Auf solchen Flächen können naturnahe Elemente wie Hecken, Gewässerläufe, Gehölzinseln, alte Bäume oder Totholzstrukturen entstehen beziehungsweise bewahrt werden. Kleinräumige Ansätze zur Wildnisentwicklung sind zum Beispiel sich selbst überlassene Sukzessionsflächen in Parkanlagen oder Friedhöfe mit alten Bäumen, die bereits urbane Hotspots der Biodiversität sind (DUH 2014).
Natur der vierten Art oder "neue Wildnis" bezeichnet die urban-industrielle Natur. Darunter wird eine spontane Naturentwicklung auf zuvor bebauten oder intensiv urban-industriell genutzten Flächen verstanden (DUH 2014).
Dazu zählen Industriebrachen oder stillgelegte Gewerbeflächen, aufgegebene Bahngleise oder Flächen entlang von Bahntrassen, ehemalige Gelände der Wasserversorgung, aber auch Baulücken oder leerstehende Gebäude (DUH 2016). Solche vom Menschen vollständig überformten und dann aufgegebenen Flächen werden von der Natur zurückerobert und bieten damit ein hohes Potenzial für Wildnisentwicklung.
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Akzeptanz und Kommunikation
Voraussetzung für die Etablierung von mehr Natur und Wildnis in der Stadt ist die Akzeptanz der Bevölkerung. Laut der Naturbewusstseinsstudie von 2013 gefällt Natur (im Außenbereich) 65 Prozent der Befragten umso besser, je wilder sie ist.
Eine vielfältige strukturreiche Stadt mit vielen unterschiedlichen natürlichen Elementen wird als äußerst interessant und attraktiv wahrgenommen. Innerstädtisch wird Wildnis jedoch eher mit Vernachlässigung, Verwahrlosung oder Gefahr für die eigene Sicherheit assoziiert und als "Schandfleck" oder "Unort" bezeichnet (DUH 2014).
Das liegt daran, dass Menschen in Städten eher an gepflegte Grünflächen gewohnt sind, das Fehlen menschlicher Einflussnahme ist hingegen ungewohnt. Das kann einerseits neugierig machen und die Sinne wecken, andererseits aber auch verwundern und Unbehagen hervorrufen (DUH 2016).
Bedeutend für wohlwollende Akzeptanz ist daher die Sichtbarmachung, dass das "wilde" Erscheinungsbild einer Fläche gewollt ist. Dies kann erreicht werden durch Hinweisschilder, Bereitstellung von Wegen und Bänken und ein Mindestmaß an Pflege wie zum Beispiel die Mahd der Wegränder.
Auch das Belassen von Überresten der vorherigen Flächennutzung, welche an die urban-industrielle Geschichte der Fläche erinnern, das Installieren von Kunstobjekten oder auch Weidetiere können die Akzeptanz steigern.
Abgesehen davon ist die Beteiligung aller Akteur*innen bei der Planung und Gestaltung essentiell, insbesondere die lokale Bevölkerung als Hauptnutzende, aber auch Verbände, Initiativen, Bildungseinrichtungen, alle zuständigen Behörden, Flächeneigentümer*innen, Politik und Verwaltung.
Dies kann durch Veranstaltungen oder Beteiligungsworkshops erfolgen. Es lässt sich zudem feststellen, dass städtische Natur geschätzt wird, wenn sie sowohl erreichbar, am besten unmittelbar in der Wohnumgebung, und betretbar als auch ihr Zweck eindeutig erklärt ist (DUH 2014).
Bedeutung für den Naturschutz
Der Naturschutzwert resultiert insbesondere aus Brachflächen als unersetzlichen Bestandteil urbaner Grünstrukturen sowie Flächen, wo sich die Natur "unbemerkt" ohne direkten menschlichen Einfluss entwickeln kann (DUH 2014). Ein Konfliktpunkt können gebietsfremde oder nicht-heimische Arten sein, die oft urbane Flächen besiedeln und potenziell heimische Arten verdrängen.
Um dem entgegenzuwirken, kann die gezielte Pflanzung von gebietsheimischen Blumenmischungen, Wiesenansaaten oder Aufforstungen helfen, standortangemessene Biotope wiederherzustellen und die Ansiedlung nicht-heimischer Arten zu verhindern.
Allerdings kann dies zu einem vorübergehenden Verlust der gesamten Vegetation und damit der Biotopfunktion führen. Wartet man eine natürliche Entwicklung ab, sind wiederum negative Effekte durch Verdrängung und Invasion wahrscheinlicher.
Dennoch ist wichtig zu betonen, dass eine "exotische" Ausgangssituation häufig zu unerwarteten, sehr wertvollen Übergangsphasen führt. In Bezug auf die Vier Naturen ist die Bedeutung gebietsfremder Arten bei der Natur vierter Art ("neue Wildnis") am höchsten, sie siedeln sich spontan dort an.
Bei der Natur erster Art ("alte Wildnis) sind hingegen heimische Arten von größerer Bedeutung, da solche Relikte der Naturlandschaft eher eine einheimische Artenvielfalt beherbergen (DUH 2014).
Pflegemaßnahmen
Grundsätzlich stehen Wildnis und Pflege im Widerspruch. In Städten jedoch müssen Wildnisentwicklung mit menschlichen Bedürfnissen nach Erlebbarkeit und Sicherheit in Einklang gebracht werden. Daraus resultiert die Herausforderung, dass die Naturentwicklung nicht gelenkt oder gestört werden soll, während die Erlebbarkeit, also auch Zugänglichkeit und Verkehrssicherheit, gewährleistet sein sollen.
Dazu zählt unter Umständen auch das Freihalten von Sichtschneisen. Eine weitere Pflegemaßnahme ist die Beweidung zur Offenhaltung von Flächen. Dabei handelt es sich zwar um Kulturlandschaftspflege, dennoch gibt es auch eine "Wildniskomponente", da die genaue Gestaltung den Tieren überlassen wird.
Dies ist angelehnt an das Vorkommen großer Säugetiere in der nacheiszeitlichen Entwicklung Mitteleuropas. In diesem Zusammenhang kann wiederum diese naturhistorische Entwicklung bis zu einem gewissen Maß für Menschen erleb-und erfahrbar gemacht werden.
Eine andere Maßnahme ist die Bekämpfung von Neophyten, also gebietsfremden Pflanzenarten, deren Problematik oben thematisiert wurde. Dabei ist es wichtig, eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen. Nicht alle Neophyten sind zwangsläufig schädlich für die heimische Biodiversität.
Manche können auch durch Prozesse wie Beweidung oder zugelassene Sukzession auf natürliche Weise zurückgedrängt werden, ohne dass eine intensive Bekämpfung notwendig ist. Eine Bekämpfung sollte nur dann erfolgen, wenn heimische Tier- oder Pflanzenarten tatsächlich gefährdet sind, die Bekämpfung also ökologisch erforderlich und zusätzlich ökonomisch vertretbar ist (DUH 2016).
Gärten
Während die Publikationen der DUH sich auf Natur auf öffentlichen Flächen beziehen, soll im Folgenden genauer auf die Gestaltung privater Gärten eingegangen werden.
Lindemann-Matthies (2016) betont die Bedeutung ökologisch bewirtschafteter Gärten in stark urbanisierten Gebieten als wichtige Nahrungsquelle und Lebensräume für viele Arten und für die Vernetzung von Habitaten und damit für die Förderung biologischer Vielfalt.
Auch Schwarz (2016) plädiert für die Schaffung naturnaher Lebensgemeinschaften aus einheimischen Arten in den Gärten. Das ökologische Potenzial von Grünflächen, Biodiversität im Siedlungsraum zu erhalten, ist groß. Er spricht das Problem des intensiv bewirtschafteten Kulturlands und die Ausdehnung von Städten an, wodurch die Natur immer weniger Platz hat.
Aus Locher (2016) lässt sich ergänzen, dass eine gewisse Wildheit in einem Naturgarten dazu gehört. Die Entwicklung der biologischen Vielfalt verlaufe außerdem langsam, das müssen Gartenbesitzende annehmen, ebenso dass in einem Naturgarten Lebensprozesse "von der Geburt bis zum Tod" stattfinden können.
Bezüglich der Pflanzung nicht-heimischer Arten gibt es verschiedene Ansichten. Schwarz (2016) vertritt die Meinung, es dürfen ausschließlich einheimische Arten gepflanzt werden, um Lebensgemeinschaften mit natürlichen Nahrungsketten zu schaffen und eine biologische Verarmung zu verhindern.
Locher (2016) hingegen findet es vertretbar, auch fremdländische Arten zu pflanzen, solange die Mehrheit heimisch ist und damit die Grundlage für natürliche Nahrungsketten gebildet wird. Die langjährige Tradition bestimmter fremdländischer Arten in Gärten wird auch als kulturelles Gut betrachtet und als zusätzliche Bereicherung angesehen. Lebensräume wie zum Beispiel Hecken können außerdem sehr naturnah sein.
Lindemann-Matthies (2016) erläutert, dass auch Menschen von der entspannenden, erholenden und letztlich gesundheitsförderlichen Wirkung arten- und strukturreicher Gärten profitieren, die vielfältige Möglichkeiten für Pflanzen- und Tierbeobachtungen bieten.
Abgesehen davon zeigte ihre Untersuchung, dass ein Garten sowohl ökologisch als auch ästhetisch wertvoll sein kann. Menschen finden arten- und strukturreichere Gärten schöner als strukturärmere und charakterisieren attraktive Gärten als artenreich, bunt und natürlich.
Allerdings fanden Befragte wilde und chaotische Gärten eher unschön, woraus zu schließen ist, dass eine Arten- und Strukturvielfalt eher akzeptiert oder als schön empfunden wird, wenn eine gewisse Ordnung herrscht.
Essentiell für die Umsetzung ökologischer Gartenpraktiken ist einerseits Information und Aufklärung der Gartenbesitzenden. Andererseits kann sich die Tatsache nutzen lassen, dass das Aussehen von benachbarten Gärten einen starken Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Gartens hat.
So empfiehlt Lindemann-Matthies (2016) kleine Naturgartenstücke in botanischen Gärten, öffentlichen Parkanlagen oder Vorgärten anzulegen, die als Vorbild dienen können.
Naturerfahrung
Die Bedeutung von frei zugänglichen Naturspielräumen für Kinder wird in der Arbeit von Zucchi (2001) hervorgehoben. Solche naturnahen Orte wie naturnahe Bäche, unbebaute Grundstücke oder andere "wilde Stadtnatur" sind für Kinder von großer Bedeutung, da sie ihnen ermöglichen, verschiedene Lebensraumtypen kennenzulernen und die Veränderungen in der Natur mitzuerleben.
Der Kontakt mit heimischen Wildorganismen und das Erleben unterschiedlicher Sinnesreize fördern außerdem das Wohlbefinden und Glücksempfinden der Kinder.
Eine reizvielfältige Umwelt ist zudem bedeutsam für die Hirn- und psychische Entwicklung. Naturerfahrungen ermöglichen eine innige Bindung zur heimatlichen Natur und können eine positive Wirkung auf die Entwicklung umweltbewusster Einstellungen und Motivation zum Schutz der Natur haben.
Stellenwert von Natur in der Stadtentwicklung
Hauck und Weisser (2018) kritisieren die Trennung von Stadtplanung und Natur- und Landschaftsplanung. Diese resultierte aus der Entfernung der Natur aus dem städtischen Bereich und der Entstehung exklusiver Naturschutzgebiete, in denen der Mensch möglichst wenig eingreifen soll.
Außerdem wird im Rahmen des Vier-Naturen-Konzepts in Frage gestellt, inwiefern Stadtnatur im Vergleich zur potenziell natürlichen Vegetation als gestört (polyhemerob) oder naturfern bezeichnet werden kann. Hemerobie bezeichnet die Gesamtheit aller Eingriffe des Menschen in den Naturhaushalt und den Kultureinfluss (IÖR o. J.). Trotz der Naturferne von Städten beherbergen sie oft einen höheren Artenreichtum, insbesondere im Vergleich zur modernen Agrarlandschaft.
Dies rührt von den vielen unterschiedlichen Nischen, die für verschiedene Arten Lebensraum bieten. Durch eine innerstädtische bauliche Nachverdichtung können solche Nischen jedoch verschwinden, wodurch die urbane Biodiversität abnimmt. Diese Verdrängung von Arten kann auch nicht durch den gesetzlichen Schutz verhindert werden.
Daher sollten Natur- und Stadtentwicklung zusammen stattfinden, bei der Freiraumplanung wie beim Gebäudebau. Artenspezifische Bedürfnisse wie Habitatansprüche sollten dabei explizit berücksichtigt werden, nicht nur ganze Biotope oder Landschaften.
Bisher besteht der Natur- und Artenschutz in Städten darin, Biotope zu schützen und vernetzen. Darunter fallen Parks, Gewässer mit ihren Uferbereichen, ehemalige Bahnlinien, Industriebrachen und Stadtwälder. Solche Grünflächen erfüllen aber zweifelsohne Funktionen als Habitate für verschiedene Tier- und Pflanzenarten.
Darüber hinaus sind Grünflächen aber auch funktional für den Menschen, indem sie Ökosystemdienstleistungen wie frische Luft, Klimaregulierung, Regenwasserfilterung und Ästhetik bieten (Hauck u. Weisser 2018). Die Bedeutung von Stadtnatur für die Luftqualität und Temperaturregulierung betont auch Bauriedl (2018).
Weiterhin sind Stadtparke und Gemeinschaftsgärten Orte für Freizeitaktivitäten, soziale Begegnungen und sozialen Austausch, Naturerfahrungen und -erlebnisse im direkten Wohnumfeld. Außerdem können innerstädtische Brachflächen und Grünräume dazu dienen alternative Lebens- und Wirtschaftsweisen zu erproben und zur Selbstermächtigung marginalisierter Bevölkerungsgruppen durch Aneignung des Stadtraums führen.
In schrumpfenden oder strukturschwachen Regionen können durch die Umnutzung städtischer Brachflächen neue umfangreiche Grünflächen und Grünzüge geschaffen werden, was die Lebensqualität der Bevölkerung aufwerten kann. Allerdings gibt es auch einige Konflikte, insbesondere in wachsenden Großstädten, in denen eine Innenverdichtung angestrebt wird.
Hier konkurrieren Grün- und Freiräume mit Interessen an Siedlungs-, Industrie- oder Verkehrsnutzung. Außerdem können Probleme für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen entstehen. So kann es etwa zu Wertsteigerungen von Immobilien im Umfeld eines aufgewerteten Grünraums kommen, wodurch benachteiligte Gruppen verdrängt werden.
Zudem wird die Gestaltung von Stadtgrün hierarchisch gesteuert, da Bürger*innen zwar Ideen einbringen und sich an der Planung beteiligen können, aber letztendlich aufgestellte Landschafts-, Grünordnungs- und Bauleitpläne zu beachten sind (Bauriedl 2018).
Der Stellenwert von Grünflächen in städtischen Gebieten hat deutlich zugenommen. Sowohl die Umweltqualität als auch der Anteil an Grünflächen sind zu wichtigen Standortfaktoren geworden, da diese die urbane Lebensqualität von Städten maßgeblich beeinflussen (Bauriedl 2018).
Ergänzend sei zu sagen, dass im Bundesnaturschutzgesetz (§ 1 Abs. 6 BNatSchG) festgelegt ist, dass Freiräume im besiedelten und siedlungsnahen Bereich, wie zum Beispiel Grünzüge, Wälder, Bachläufe, gartenbau- und landwirtschaftlich genutzte Flächen, Flächen für natürliche Entwicklungsprozesse und Naturerfahrungsräume, zu erhalten, neu zu schaffen oder zu entwickeln sind.
Umweltethik
Nach dem Anthropozentrismus sind diejenigen natürlichen Prozesse zu schützen, an denen Menschen Interesse haben. Es ist also angeraten, Grünflächen in der Stadt zu fördern, da diese verschiedene, wichtige Funktionen für die Menschen erfüllen. Jedoch erklärt diese Sichtweise nicht, wieso auch sehr naturnahe Flächen oder Wildnis gefördert werden sollten.
Denn viele ökologische Dienstleistungen, die Menschen zugutekommen, können auch von angelegten und gestalteten Grünflächen erbracht werden – unabhängig davon wie "wild" sie wirklich sind. Abgesehen davon besteht das Paradox, dass es aus anthropozentrischen Gründen gerechtfertigt ist, dass Menschen wilde Flächen stark nutzen könnten, diese Nutzung gefährdet aber gleichzeitig den Schutz und damit die Attraktivität genau dieser Flächen (Gorke 2006).
In städtischen Gebieten ist es eine besondere Herausforderung, den Prozessschutz zu verwirklichen. Dennoch gilt es, der Natur in der Stadt Raum zur freien Entfaltung zu geben, wo immer es möglich ist.
Zu beachten ist, dass die menschliche Beeinflussung auf innerstädtischen, eher kleinen Flächen generell höher ist als in weniger besiedelten Landschaften, da hier Lärm, Schad- und Nährstoffeinträge sowie Erholungsnutzungs-Druck höher sind.
Dennoch kann Prozessschutz angewendet werden, da es nicht darum geht, einen bestimmten "natürlichen" oder "guten" Zustand herzustellen, sondern natürliche Prozesse zuzulassen und den menschlichen Einfluss zu minimieren (Gorke 2006).
Wildnis als Ziel sollte verfolgt werden, auch in der Stadt, aber andere Stadtnatur sollte dadurch nicht unbedingt abgewertet werden. Bezüglich der Vier Naturen ist vor allem die Renaturierung "alter Wildnis" zu begrüßen, auch wenn diese oft initial einen menschlichen Eingriff braucht.
Da in Städten der Erholungsfunktion eine höhere Bedeutung zukommt als außerorts, ist der Nutzungsdruck von Grünflächen groß. Es geht folglich nicht in erster Linie darum, die perfekte Wildnis, sondern natürliche Gebiete im Zusammenhang mit dem Menschen zu etablieren. In Parks oder Gärten bietet es sich an, seltener zu mähen, "wilde" Ecken zuzulassen, Gehölze und Totholz einzuführen, um vergleichsweise einfache Maßnahmen zu nennen. Dabei ist es für die Akzeptanz wichtig, eine gewisse Ordnung zu bewahren.
Eine andere Art des Konflikts gibt es bei Ruderalfluren, die als stark anthropogen geprägte Pionierbiotope eine wichtige Offenland-Lebensraumfunktion für Insekten und Vögel erfüllen. Genau diese bringen eine "neue Wildnis" und Blütenreichtum in anthropogen, insbesondere urban-industriell geprägte Gebiete.
Ruderalfluren sind jedoch im Umkehrschluss gefährdet durch Flächenversiegelung, "Verschönerung" von Grünanlagen und Mahd aller Grünbereiche (Prof. V. Luthardt, pers. Kommunikation, 12.07.2020, Otte 2008). Außerdem beherbergen sie von Natur aus viele Neophyten. Solche gebietsfremden Arten sollten daher grundsätzlich zugelassen werden, um die Biodiversität zu erhöhen.
Genauso kritisch abzuwägen sind Pflegemaßnahmen auf Stadtnatur-Flächen. So ist es vertretbar in eine Fläche einzugreifen, um die Zugänglichkeit und Akzeptanz zu gewährleisten und Vandalismus zu verhindern. Dafür kann etwa auch eine Einzäunung notwendig sein.
Die Natur hat in der Stadt ohnehin keine Möglichkeit sich ungehindert auszubreiten. Wildnisflächen in der Stadt sind zwar nicht mit "echter" Wildnis in großen unzerschnittenen Gebieten gleichzusetzen, dennoch können dort teilweise natürliche Prozesse zugelassen und wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere geschaffen werden.
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