Baumkontrollen
Übertragung der Straßenverkehrssicherungspflicht auf Dritte in Hessen
von: Ass. jur. Armin BraunZum Sachverhalt: Am 03.10.2021 befuhr die Klägerin eine Kreisstraße, deren Straßenbaulastträger der Kreis als Beklagter zu 1 ist. Ein an die Kreisstraße angrenzender Waldrandbaum, eine Pappel, brach ab und verursachte am Fahrzeug der Klägerin einen wirtschaftlichen Totalschaden. Mit Vertrag vom 27.09.2000 hatte der Kreis die Baumkontrollen in dem fraglichen Bereich vertraglich auf das Land (Beklagter zu 2) übertragen.
Der Beklagte zu 2 führte seitdem jährliche Baumkontrollen, abwechselnd in belaubtem und unbelaubtem Zustand, durch. Die letzte Baumkontrolle vor dem Unfall fand ohne Befund am 23.06.2020 statt. Die nächste Baumkontrolle war für Ende Oktober/Anfang November 2021 vorgesehen. Die Baumkontrollen wurden von einer ausgebildeten Gärtnerin durchgeführt, die bereits seit 1987 im Bereich der Baumkontrolle tätig ist und regelmäßige Auffrischungsschulungen durchlaufen hat. Die Baumkontrollen erfolgten aus dem fahrenden Fahrzeug heraus. Mit der Klage begehrt die Klägerin Schadenersatz in Höhe von mehr als 12.000 Euro.
Das LG Kassel hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung und Sachverständigengutachten durch rechtskräftiges Urteil vom 18.12.2023 – 2 O 2068/22 – abgewiesen.
Das Gericht hat die Klage gegen den Kreis bereits deshalb abgewiesen, weil dieser die Verkehrssicherungspflicht wirksam auf das Land übertragen hat. Verkehrssicherungspflichten können vertraglich auf einen Dritten übertragen werden, wobei es einer klaren Absprache bedarf, die die Sicherung der Gefahrenquelle garantiert. Der Übernehmende muss gewillt und in der Lage sein, die Verpflichtung ordnungsgemäß zu erfüllen. Die Verkehrssicherungspflichten des Übertragenden verengen sich dann auf Kontroll- und Überwachungspflichten. Selbst im Hinblick auf einen Straßenbaum scheidet eine eigene Verantwortlichkeit des Straßenbaulastträgers aus § 839 BGB bereits deshalb aus, weil die Straßenverkehrssicherungspflicht in Hessen (als einzigem Bundesland) privatrechtlich ausgestaltet ist.
Die Klage gegen das Land hat das Gericht mangels schadenursächlich gewordener schuldhafter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht abgewiesen. Zunächst hat es darauf hingewiesen, dass eine ausgebildete Gärtnerin, die bereits seit mehr als 30 Jahren im Bereich der Baumkontrolle tätig ist und regelmäßig Auffrischungsschulungen durchläuft, für die Durchführung von Baumkontrollen ausreichend qualifiziert ist.
Das Baumkontrollintervall hält das Gericht vorliegend für ausreichend, weil es sich nicht um einen Straßenbaum handele, der halbjährlich zu kontrollieren sei, sondern um einen Waldbaum, weil dieser – gemäß BGH-Rechtsprechung – keine Eigentümlichkeiten aufwies, die ihn zum Waldgebiet abgrenzten und ihn der Straße zuordneten. Bei Waldbäumen geht das Gericht von einem differenzierten Kontrollintervall nach den FLL-Baumkontrollrichtlinien aus. Weiterhin geht es von einer fachgerechten Durchführung der Baumkontrollen aus.
Baumkontrollen in dem streitgegenständlichen Bereich aus dem fahrenden Fahrzeug heraus seien zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht ausreichend. Eine Einzelbaumkontrolle in einem Waldgebiet sei dem Land nicht zumutbar. Schließlich stehe aufgrund des Sachverständigengutachtens fest, dass es an der erforderlichen Kausalität zwischen einer möglichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und dem Schadeneintritt fehle. Der Baum sei nämlich nicht im sichtbaren Stamm-/Stammfußbereich gebrochen, sondern unterirdisch, was im Rahmen der Regelkontrolle nicht erkennbar gewesen sei.
Die Entscheidung des LG Kassel ist in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig. Zutreffend sind die Ausführungen des Gerichts zur Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten. Begrüßenswert ist auch, dass das Gericht in einer gärtnerischen Ausbildung in Verbindung mit einer langjährigen Berufserfahrung in der Baumkontrolle und regelmäßigen Fortbildungen eine ausreichende Qualifikation sieht. Nicht nachvollziehbar ist aber, warum das Gericht entgegen dem Stand der Technik (vgl. FLL-Baumkontrollrichtlinien, Ausgabe 2020, 5.2.2.2 und BADK-/GALK-Musterdienstanweisung Baumkontrolle, Ausgabe 2021, 3.1) Baumkontrollen aus dem fahrenden Fahrzeug heraus bei Waldrandbäumen für ausreichend hält.
Verfehlt – weil überholt – ist auch die Einschätzung des Gerichts, Straßenbäume seien halbjährlich zu kontrollieren ebenso wie die Einschätzung, die FLL-Baumkontrollrichtlinien seien ausschließlich oder speziell anerkannter Stand der Technik für das Baumkontrollintervall bei Waldbäumen. Zudem fand die letzte Baumkontrolle vor dem Unfall exakt 15 Monate und zehn Tage vorher statt. Damit ist auch das Jahreskontrollintervall nach den FLL- Baumkontrollrichtlinien (maximal 15 Monate) nicht eingehalten.
Folglich hätte man prüfen müssen, ob das Jahreskontrollintervall vorliegend überhaupt einschlägig ist. Im Ergebnis ist die Entscheidung allein deshalb zutreffend, weil der schadenursächlich gewordene Defekt des Baumes selbst bei ordnungsgemäßer Regelkontrolle im Vorfeld äußerlich nicht erkennbar war.
Ass. jur. Armin Braun
GVV Kommunalversicherung