Wechselfeuchte Vegetationssysteme – der Turbinenplatz in Zürich
Fit für die Zukunft!?
von: Dipl.-Ing. Axel HeinrichDer Turbinenplatz in Zürich West entwickelt sich mit seiner Grünraumausstattung zu einem Mosaik von bodengebundenen Lösungen, Grünräume nach verschiedensten Ansätzen zu konzipieren und zu managen. Neben Wasser sparenden Baumgruppen gibt es direkte Regenwassermanagements.
Letztere wurden in Stadt und Grün in der Ausgabe 3/2018 mit seiner Hochstaudenflur als Beispiel von bepflanzten Retentionsflächen durch Catharina Bauer vorgestellt. Ende 2020 konnten im direkten Umfeld der erste Schweizer Schwammstadtbaustein an der Giessereistrasse mit drei Testbaumarten realisiert werden. Dieser Projektbaustein wurde in der Ausgabe 8/2021 ausführlich auch aus der Sicht der Pflanzenverwendung beschrieben. Im Frühjahr 2021 wurden zudem der Baumbestand auf diesem Stadtplatz im Zuge der Klimawandelanpassungsstrategie der Stadt Zürich mit drei weiteren Arten durch das Tiefbauamt Zürich "verdichtet".
Wechselfeuchte Hochstaudenflur, eine Feuchtwiese in der Stadt?
2020 konnte ein Erfahrungsbericht des Regenwassermanagements am Stadtzürcher Turbinenplatz mit der Laufzeit 2014-2019 an die Grün Stadt Zürich abgegeben werden.
Der Hintergrund: die "Städte werden durch intakte und attraktive Grüninfrastrukturen bereichert und neben sozialen, sind vor allem ökologische und klimatische Funktionen zu erfüllen" (Huber 2019). Einerseits steigt durch die Bevölkerungszunahme in Ballungszentren der Nutzungsdruck auf die vorhandenen Grüninfrastrukturen, anderseits sinken die direkt verfügbaren Mittel der öffentlichen Haushalte für Unterhaltsleistungen der öffentlichen Grünanlagen. Es stellt sich die Frage: gibt es städtebauliche Strategien, die multifunktionales Grün ermöglichen? Wenn ja, dann müssen exemplarische Vegetationssysteme als Best Practice - Beispiel vorhanden sein, welche auch in extremtrockenen Jahren und in sich aufheizenden Innenstadträumen präsentieren.
(Ein entsprechend herzlicher Dank geht an die Grün Stadt Zürich für die sehr gute und erkenntnisoffene Projektzusammenarbeit!)
SUG-Stellenmarkt
Rechtliche Ausgangssituation für wechselfeuchte Vegetationssysteme
Dabei ist der rechtliche Rahmen für sogenannte Regenwassermulden streng vorgegeben: das Wasser darf nur einen Tag (24 Stunden) darinstehen, anschließend muss es versickert sein. Die Anstauhöhe beträgt in der Schweiz 20 Zentimeter (wohl wegen der hohen Niederschlagsmengen), in Deutschland und Österreich 30 Zentimeter. Dabei muss beim Versickern das in der Regel verunreinigte Oberflächenwasser langsam und ausreichend gefiltert, resektive gereinigt werden, dies geschieht über den bewachsenen Boden-Wurzelfilter aus einer Schichtstärke von minimal 10 bis 20 Zentimetern. Darunter sind Kiese oder Sande, die eine zügige Drainage in die Tiefe garantieren, eingebaut. In der Regel werden derartige Begrünungen mit Rasenansaaten, wenn es schnell gehen muss sogar mit Rollrasen etabliert. Wiesenartige Vegetationen und "Bodendecker" wären nach den aktuellen Regelwerken ebenso zulässig.
Vegetationstechnisch "biologische" Grundlagen für das Funktionieren der Regenwassermulden
Verdunstungs- und versickerungstechnisch ist es zwingend notwendig, dass alle Pflanzenteile standfest sind und sich eine belebte somit aktive Wurzel- und Krautschicht im Vegetationssystem befindet. Nur standfeste vertikale Strukturen verdunsten Dank Wind und Bewegung der Pflanzenteile eine genügend große Wassermenge über die Blattmasse und nehmen so ganz nebenbei über das angeregte Pflanzenwachstum Wasser und Nährstoffe auf. Bei Windzunahme erfolgt zudem eine höhere Wasseraufnahme (und Nährstoffaufnahme) oder wie nach Unwettern wird auch das Überangebot an Nähr- oder Schadstoffen in den Wurzeln und der Blattmasse (ober- und unterirdische Biomasse) aufgenommen und in organische Substanz umgebaut.
Fazit: Nur, wenn sich alle oberirdischen Pflanzenteile im Wind wiegen können, verdunsten sie optimal Wasser und der Kreislauf der Nähstoffaufnahme ist garantiert. Nebenbei wird die oberste Substratschicht optimal Sauerstoff versorgt und verklebt (versottet, kolmatiert) nicht. Das Bodenleben ist in seiner Vielfalt aktiv, verstoffwechselt die verschiedensten Einträge ins System. Die Unterhalts- und damit Funktionskriterien, die für Schilfkläranlagen gelten, liefern hierfür die Leistungskriterien der Pflanzenarten, die in einem derartigen Vegetationssystem benötigt werden. Andererseits verwundert es nicht, dass der sehr gut schnittverträgliche Schilf als die Art in allen Schilfkläranlagen vorrangig eingesetzt wird, die für den Unterhalt optimal ist.
Praxisbeispiel Zürich Turbinenplatz
2012 erhielt die Forschungsgruppe Pflanzenverwendung der ZHAW den Forschungsauftrag, die nicht zufriedenstellenden Vegetationsbilder in der "Regenwasser-Versickerungsmulde" des 2003 erstellten Turbinenplatzes zu überarbeiten und zu urban zuverlässig pflegbaren, ästhetisch ansprechenden Vegetationssystemen zu entwickeln. Ökosystemare Leistungen wie Drainage, Versickerung, Trockenstressfähigkeit, mechanische Belastungen und Konkurrenzfähigkeit, aktuell unter dem Begriff "Resilienz" von Vegetationssystemen in Gebrauch, standen im Fokus. Neben der Entwicklung des Vegetationssystems wurde dessen Weiterentwicklung und eine kurze Dokumentation der jährlichen Vegetationsentwicklung in 2014-2018 durchgeführt. 2019 konnte eine gesamthafte Erfolgskontrolle auf Einzelartenebene realisiert werden.
Auftrag der Grün Stadt Zürich
Die ZHAW testete am Turbinenplatz ein "repräsentatives Vegetationssystem aus Hochstauden" in einem Regenwassermanagement auf einem eigens hierfür entwickelten Substrat. Der fünfjährige Versuch startete 2013 nach einer Sanierung und endete im Dezember 2018. Die Staudenkomposition wurde nach naturräumlichen Kriterien und den Angaben der "Lebensbereiche der Stauden" für die feuchte Freifläche zusammengestellt. Ein besonderes Kriterium waren die verschiedenen aufeinanderfolgenden Austriebszeitpunkte sowie ihre Rolle im ganzjährigen Vegetationszyklus der Einzelarten. Von Anfang an diente hierfür die "Ereignistabelle" als wichtiges planerisches Werkzeug (s. Abb. 2). Etabliert wurde das Vegetationssystem nach dem "Prinzip der Aspektbildner" mit 30 Arten.
Das Vegetationssystem entwickelte sich sehr schnell in der Regenwasser-Mulde. Ein dauerhafter Beikrautbesatz konnte so bis 2018 unterdrückt werden. Auch versagten die Ruderalstrategen fast komplett nach der ersten Vegetationsperiode. Die langlebigen Arten führten zu einem dichten, verwobenen Vegetationsbild, welches sich naturgemäß im Laufe der Vegetationsperioden permanent veränderte. Die extremen Hitze- und Trockenphasen 2017/2018 wie auch Einstauungen wurden unbeschadet überstanden. Es wurde ab der Pflanzung nie zusätzlich gewässert oder gedüngt. Kolmatierungseffekte und der Aufwuchs von Pioniergehölzen sind zudem ebenfalls nicht feststellbar.
Der ursprüngliche Bestand des RWM am Turbinenplatz
2012 ist die generelle Situation im mehrteiligen Muldensystem des Turbinenplatzes unbefriedigend, unfunktional, "unordentlich" im Eindruck. Es hatte sich eine "wiesenartige Matte" mit starkem Anteil an Equisetum arvense auf mehr als der Hälfte der Fläche bestandsbildend entwickelt. Diese lagerte im Sommer und erfüllte den Auftrag eines Regenwassermanagements so nicht. Der Boden war zudem oberflächlich verschlämmt. Die Equisetum wiesen zusätzlich auf eine Bodenverdichtung im Untergrund mit wasserführender Schicht hin. Somit wäre die Versickerungsleistung in die Tiefe (Schwammfunktion des Unterbodens) nach Starkregen und Wasseranstau bestenfalls eingeschränkt oder nicht gegeben.
"Unplanmäßige" Arten wiesen neben einer Verdichtung des Substrates auch auf Trockenheitsphasen hin: so wird Deschampsia cespitosa nach den "Lebensbereichen der Stauden" dem "Gehölzrand/Gehölz trocken bis frisch (gar feucht)" G/GR1-2(3) zugeordnet. Panicum virgatum gehört der "frischen Freifläche" (FR2) an.
Lösungsansatz für ein neues Vegetationssystem
Eingeteilt wurde die neue Pflanzenauswahl in spezielle Verwendungskategorien nach Arten (vgl. Abb. 1).
Nach acht Jahren lässt sich aktuell feststellen, dass bei einem einmaligen Winterrückschnitt die Etablierung von Hochstaudenfluren in Regenwassermulden sehr sinnvoll und praktisch langfristig realisierbar ist. Die Pflege muss dabei vorrangig auf die Funktionalität, die Aufgabe eines Regenwassermanagements, abgestimmt und angepasst sein. Kolmationsprozesse sind zu unterdrücken und eine lebende Bodendecke ist auch im Winter für dessen Funktionalität zu erreichen. Dabei wurden beim frühzeitigen Winterrückschnitt Ende Dezember/Anfang Januar die Biomasse und Unrat komplett entfernt.
In Regenwassermanagements können sich aus artenreichen Pflanzungen mit mehr als 30 Arten mittelfristig stabile pflegeoptimierte Vegetationseinheiten entwickeln. Einzelarten übernehmen hierbei auf Zeit infolge sukzessiver, sich einpendelnder Prozesse oder durch Störungen wichtige Aufgaben. Das "Prinzip der Aspektbildner" mit den differenzierten Austriebszeitpunkten hat sich hierfür außerordentlich bewährt. Eingewanderte störende krautige Arten sind gegebenenfalls zu dezimieren.
Fazit, Artenreichtum erhöht Resilienz
Eine Matrix aus sehr früh austreibenden Arten (Camassia, Leucojum, Hemerocallis, Deschampsia und spät austreibenden Arten (Molinia, Panicum, Althaea, Aster) garantiert einen funktionalen und langen attraktiven (vitalen) Gesamteindruck. Funktional und optisch überbrückt und ergänzt werden Lücken in der Höhenstaffelung durch wiesenartige Begleiter (Alchemilla, Geranium, Sanguisorba, Iris sibirica).
Das dauerhafte Gerüst der Pflanzung sind Röhricht begleitende und spät blühenden Großstauden für die Gesamt-Standfestigkeit und Dauerhaftigkeit des Vegetationssystems vor allem mit Althaea officinalis, Aster glehnii 'Agleni', und nachträglich zusätzlich ausserhalb des Versuchsperimeters hinzugesellten Veronicastrum 'Pink Glow' und Leucanthemella serotina. Die Dimension der Großstauden (Durchmesser und Blütenstängel) nahm von Jahr zu Jahr stetig zu und garantiert gegen Ende Saison die Standfestigkeit.
In einer Zwischenphase vom 3.-5. Standjahr (2015-2017) hatten die Gräser eine Hochzeit. Danach erfolgte die sichtbare Ausbreitung (Horste und Volumen) der Blütenstauden. 2016 konnte erstmals ein deutlicher Höhenzuwachs der Großstauden auf etwa 150 Zentimeter festgestellt werden.
Die drei Ruderalstrategen wurden aus "Akzeptanzgründen" anfänglich benötigt. 2017 waren von den drei gesetzten Pionierarten noch je eine Silene flos-cuculi und Succisia pratensis letztmalig dokumentierbar.
Der Deckungsgrad der Pflanzung lag bis 2014 ab Anfang Juni, ab 2015 dann ab Mitte Mai bei kontinuierlich 100 Prozent bis zum Rückschnitt nach jeder Vegetationsperiode. Hier setzte die deutliche Flächen-Zunahme der krautigen Arten in ihren Einzelexemplaren ein.
Die früh austreibenden Arten sind für das Aufbrechen des Bodens und von Sedimenten offenbar enorm wichtig. Für die Pflege hatte diese den überraschenden Effekt, dass der maschinelle Rückschnitt der Fläche nicht erst Ende Februar, sondern in warmen Innenstadtlagen bereits durch individuelle Kontrolle Ende Dezember stattfinden muss. Dann werden die austreibenden Geophyten nicht geschädigt. So reagierten einzeln gesetzte Leucojum aestivum auf den früheren Rückschnitt ab 2017 mit deutlichem Zuwachs. 2018 blühten durchschnittlich zwei Blütenstängel pro Zwiebel, 2020 mehr als fünf Blütenstängel trotz fortschreitendem Klimawandel und extremer Frühjahrstrockenheit seit 2017.
Das bewusst gewählte luftführendere Substrat mit 35 Prozent Blähschiefer-Anteil 8/16 Millimeter im lehmigen Oberboden ("Landerde") hat sich inzwischen in mehreren ingenieurbiologischen Projekten bewährt. Die Substrate bleiben besser strukturstabil, nehmen Wasser zügiger auf und die Durchwurzelung mit den "Leitarten" kann schneller erfolgen. Kolmationen (Verschlämmungen) traten nicht auf.
Aktuelle Entwicklungen und Ausblick
Die besonders trockenen Jahre 2018 und 2019 haben vermutlich den Zuwachs der Stauden gefördert. 2021 gestaltet sich insofern herausfordernd, dass durch die Starkniederschläge am Alpenbogen immer wieder ein Wassereinstau erfolgt und Ende Juni die Großstauden schon mannshoch gewachsen sind. Trotz häufigerem Einstau, nun bereits im achten Standjahr, scheint sich die geringere Einstauhöhe von 20 Zentimeter in Zürich für das System als vorteilhaft zu erweisen.
Verwendungskategorien nach Arten
- 8 Arten "Gräser und Grasartige" (Gräser und Iris-Arten)
- 6 Arten "Vertikale standfeste Grossstauden ohne Sommerschnitt"
- 2 Arten "Begleiter ohne Sommerschnitt"
- 3 Arten "Kurzlebige Versamer/R-Strategen"
- 10 Arten "Schleppe/Kletterer/Webepflanzen"
- 3 Arten "Geophyten"
Abb.1: Leitarten Turbinenplatz für die Sanierung des Regenwassermanagements 2013
Vorteil Blähschiefer-Anteil im RWM (in bindigen Substraten) bei biologischer Belastung
- Durchlüftung (anaerobe Prozesse) - Schadstoffabbau, Bioturbation
- Überlaufbarkeit, Strukturstabilität, keine "mikrobielle Kolmation"
- Anregung gleichmäßiges Wurzelwachstum in die Tiefe (im gesamten Substratkörper) Kolmatierung in tieferen Schichten ("Dekolmation")
- Verringerung Wurzelwachstum in Schichten (Equisetum-Effekt 2012) ("pflanzliche Kolmation")
- Zusätzliche Drainage ins Substrat Dank Wasserspeicher
- Lagerhaftigkeit, kein Abschwämmen
- Imitiert Sandfilter
- pH neutral (milieuangepasst)
Literatur
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