Dark Sky Parks setzen ein Signal gegen Lichtverschmutzung

Die Dunkelheit öffnet dem Städter die Augen

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Sonnenuntergang mit Milchstraße; ISS und Perseiden. Foto/Montage: Florian Schickling

Das Gedicht unten links im Bild schrieb ein Kind der zweiten Schulklasse im Jahr des ersten Sputnikfluges 19571).Die Sternzeichen, die eine dem menschlichen Augenmaß zugängliche Konstellation hatten, sind der Gesellschaft abhanden gekommen. Die Beobachtung des Himmels von der Erde ist durch die Beobachtung der Erde vom Himmel aus ersetzt worden. Das Licht der Auf-Klärung hat die Sterne verschluckt. Die künstliche Verlängerung des Tages hat die Nacht - verteufelt als Macht der Finsternis oder Obskurantismus - nicht beseitigt, aber gestört. Die Streuung durch künstliches Licht reicht bis zu zehn Kilometer, und die Lichtglocke Berlins ist 100 Kilometer hoch weit zu sehen. Die nächtliche Aufhellung der Atmosphäre nimmt jährlich bis zu sechs Prozent zu.

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„Dark Sky Reserve“ Rhön. Lila umrandet sind die Kernzonen E0, dunkelgrün und dunkelblau ist die Pufferzone E1. Grafik: Michael Müller/Andreas Hänel
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Messungen der Himmelshelligkeit im Westhavelland sind einer Satellitenkarte des nach oben gerichteten Lichts überlagert. Karte: NOAA-VIIRS-Daten, Andreas Hänel

Der Perspektivenwechsel wird zur Selbstbespiegelung der städtischen Zivilisation, wenn der Himmel wolkenverhangen ist. Das vom Boden abgestrahlte Licht wird zurückgeworfen. Das Spiegelbild ist unbestimmt. Die Menschen des technischen Zeitalters erkennen sich nicht als Verursacher. Aus Prometheus, der den Göttern das Feuer (als natürliches Licht) raubte, ist Narziss geworden. Meteorologen sprechen wegen der unnatürlichen Färbung dieses Lichtsmogs von "stürmischen roten Nächten". Die Virtualisierung sozialen Handelns durch die digitalen Medien tut ein Übriges zur Aufhebung der Perspektive. Durch die Raum/Zeit-Kompression der elektronischen Übermittlung werden die Ereignisse ortlos und in Gleichzeitigkeit gesetzt. Diese Zeit kennt keinen Tag, keine Nacht. Wo Licht ubiquitär wird, dient es nicht mehr der Orientierung, sondern behindert diese. Siedlungsräume lassen sich im großen Lichtkegel nicht mehr voneinander unterscheiden. Die Entwicklung der Sternengesellschaften und der menschlichen Gesellschaften korrespondieren miteinander.

Ein Zuviel an Licht setzt seinen Gebrauchswert herab. Der Überschuss produzierten Lichts tritt auf als Streuung, als Blendung und als störender Einfall (Trespass) etwa in Privaträume. Dieses Licht trifft zur falschen Zeit auf den falschen Ort. Die Strahlung ist nicht punktgenau, sondern reicht über das - hell - gewünschte Objekt hinaus. Eine verkehrte spektrale Zusammensetzung des Lichts beeinträchtigt den Lebensrhythmus von Mensch und Tier. Leuchten im Außenraum sollten weder horizontal noch nach oben abstrahlen. Ein Drittel des fehlgerichteten Lichts stammt vom Autoverkehr. Per Satellitenerkundung konnten besonders helle Lichtzentren weltweit identifiziert werden. In Holland tragen Gewächshäuser und Häfen zum Übermaß bei. Der Flughafen Schiphol wurde auf energiesparende Lampen umgerüstet. Sie strahlen nun heller als vorher. Dies ist ein Beispiel für den "Rebound-Effekt", der die gesamte Geschichte der Beleuchtung begleitet: Eine durch technische Innovationen erzielte relative Herabsetzung des Energieverbrauchs wird durch eine absolute Heraufsetzung der Helligkeitswerte ausgeglichen, wenn nicht überkompensiert. Die Neu-Installation von Lichtsystemen wird selten zum Mindestbedarf hin orientiert, und was einmal gewohnt ist, lässt sich schwerlich zurückdrehen. Das nennt sich "Sperrriegel-Effekt". Dark Sky Parks, welche den Nachthimmel als Element der Kulturlandschaft zurückgewinnen sollen, sind keine Marotte von Hobby-Astronomen. Die "Nachtnische" ist von evolutionärer Bedeutung. Sie wurde und wird als unsichtbarer Schutz vor Fressfeinden und anderen Gefahren genutzt. 60 Prozent aller wirbellosen Tiere sind nachtaktiv. Viele Nachtfalter sind Bestäuber. In den Städten haben deren Populationen bereits abgenommen. Damit sind Nahrungsketten beeinträchtigt, etwa für Fledermäuse.

Verantwortlich ist der "Staubsaugereffekt" künstlicher Lichtquellen, die Insekten anziehen. Meisen und Amseln brüten früher, wodurch der Nachwuchs gefährdet ist. Bedrohlich wird gleichbleibendes Licht für manche Nager, deren Körperfunktionen einem jahreszeitlichen Rhythmus folgen. Zugvögel, die sich nach dem "Sternenkompass" richten, können die Orientierung einbüßen. Der Leiter des Forschungsverbundes "Verlust der Nacht", der Gewässerökologe Franz Hölker, weist darauf hin, dass sogar Fische sensibel auf veränderte Lichtwerte reagieren. Die Melatoninproduktion wird deviant, womit der Bogen zum Menschen geschlagen ist. Wird der "zirkadiane Rhythmus" gestört, kann der Botenstoff Melatonin, der die Phasen der Ruhe und Erholung operationalisiert, nicht mehr adäquat wirken. Die Folgen reichen bis zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas/Diabetes und Krebs.

Die Wissenschaft sollte jedoch ihre Befunde sorgfältig ausdifferenzieren. Wenn an Schichtarbeitern überproportional Prostatakrebs festgestellt worden ist, heißt das nicht, dass der Mensch nicht seine Aktivitäten schadlos mal mit dem Tag, mal mit der Nacht synchronisieren kann - sofern er es in Maßen tut. Auch das gehört zur Evolution, dass der Homo sapiens seine Beute durch willentliche Änderung seines Rhythmus überlisten kann. Darin steckt jedoch die alttestamentarische Hybris, sich die Erde untertan zu machen, und die Frage bleibt, wie lange das bei allgemein sinkender Konzentrationsfähigkeit und wachsender Müdigkeit2) gut gehen kann. Auch die Aufmerksamkeit ist chronisch gestreut und gestört. Ein "sozialer Jetlag" schleicht sich ein, eine mangelnde Adaption an den chronobiologischen Rhythmus, ob wir nun mit dem Flieger verreisen oder nicht. Für die Stadt- und Landschaftsplanung wird die Forderung akut, weniger die Ebene der räumlichen Gleichzeitigkeit aller Elemente und stärker die tages- und jahreszeitlichen Zusammenhänge zu berücksichtigen.

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Ein Landeplatz für Außerirdische? Foto: J. Däpp
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Die Milchstraße und das schwache grünliche Nachthimmelsleuchten (Airglow) über der Hohen Geba beweisen die gute Himmelsqualität über der Rhön. Foto: Andreas Hänel
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Schlecht ausgerichtete Anstrahlungen lenken viel Licht unnütz zum Himmel. Foto: Andreas Hänel

Learning by Zoning

Franz Hölker schränkt ein, dass in der Forschung noch umstritten ist, welche Lichtquelle mehr und welche weniger insektenfreundlich ist. Es könnte je nach Insektenart variieren. Die Fragestellung bei der Etablierung von Dark-Sky-Arealen, die Siedlungen einschließen, ist umfassender: Wo muss welches Kunstlicht wann hin? Es geht nicht um Wegnahme des Lichts aus dem Außenraum menschlicher Behausungen, sondern um Optimierung. Für die "Beleuchtungsrichtlinien" in den beiden bereits mit festem Status versehenen Parks ist die Empfehlung, ohne Natriumhochdrucklampen auszuschließen, eindeutig: LED-Licht ist effizient, strahlt punktgenau und trägt am wenigsten zum Lichtsmog bei. Die blauen und ultravioletten Bestandteile müssen so weit wie möglich herausgefiltert werden. Die Kriterien für eine optimale Beleuchtung im Außenraum sind: 1. Die Lichtquelle ist gegen Blendung abzuschirmen, 2. die Lichtlenkung sollte vornehmlich nach unten gerichtet sein, 3. Lichtmenge und -dauer sind am tatsächlichen Bedarf zu orientieren, 4. die Lichtfarbe sollte warmweiß bis bernsteinfarben sein.

Die Beleuchtungsrichtlinien, die der Astrophysiker Alexander Hänel für die Dark Sky Parks im Naturpark Westhavelland und im Biosphärenreservat Rhön erarbeitet hat, erfüllen die Vorgaben der International Dark Sky Association (IDA). Die Organisation ist 1988 in den USA gegründet worden, einem der Länder mit der größten Lichtverschmutzung. Die Organisation bringt alle Akteure aus Politik, Industrie, Planung und Astronomie mit Nutzerinteressen zusammen, um "intelligente Lichtlösungen" zu finden. 2006 ging es mit einem Dark Sky Park in Utah los, 2009 war Schottland als erstes europäisches Land dran. Weltweit gibt es an die 60 Dark-Sky-Areale mit einer Gesamtfläche von etwa 42.000 Quadratkilometern. Der Anerkennung des Dark-Sky-Status geht ein Zertifizierungsverfahren durch die IDA voraus. Die Antragsteller haben Lichtmessungen durchzuführen und ein Leuchtenkataster zu erstellen. Das Westhavelland bekam die Anerkennung im Februar 2014, die Rhön sechs Monate später.

Das Dilemma, dass Dunkelheit sich der Vermarktung entzieht, umgehen die deutschen Betreiber durch eine semantische Umkehrung in "Sternenpark". Es dunkelt nicht, es funkelt. Damit ist aber auch das begriffliche Problem umschifft, dass es sich in Deutschland nach der IDA-Taxonomie nicht eigentlich um Parks, sondern um "Dark Sky Reserves" handelt. Es sind keine reinen Dunkelgebiete, sondern vom Zentrum aus nimmt in mehreren Zonen die Besiedelung und mit ihr die nächtliche Aufhellung zu. Ganz pragmatisch decken sich die Sternenparks mehr oder minder mit dem Gebiet des Naturparks Westhavelland hier und des Biosphärenreservats dort. Die Kernzonen sind mit den Naturschutz- und FFH-Gebieten identisch. Man könnte sie als Zonen naturnaher Nachtlandschaft bezeichnen. Die Auflagen für diese Zonen lesen sich streng, aber es gibt wenig Konfliktpotenzial, weil die Besiedelung gegen Null geht. Selbst wenn Sabine Frank, amtliche Betreuerin des Sternenparks in der Rhön, beklagt, dass der NABU sich das Thema nicht zu eigen gemacht habe, ist das Sternenpark-System ein zusätzlicher Schild für den Naturschutz.

Um die Kernzone ist eine Pufferzone gelagert. Die dringlichste Aufgabe ist hier, eine "Rückstrahlung" in die dunkelste Zone durch Abschirmung und Lichtlenkung zu verringern. In dieser Zone (E1) kommen neben der Straßenbeleuchtung Gewerbeflächen, private Außenräume und Sportplätze ins Spiel. Anstrahlungen von Gebäuden, aber auch von Bäumen und Büschen sind möglichst zu vermeiden. (Leucht-)Reklamen gehören auf die Agenda.

Die Lichtmasten sollten nicht zu hoch sein. In privaten Außenräumen sollen Bewegungsmelder auf die geringstmögliche Reaktion eingestellt werden; auf Kugelleuchten ist zu verzichten. Das ist per Aufklärungsarbeit zu vermitteln. Entsprechende Flyer könnten Baugenehmigungen beigefügt werden. Für eine dritte Außenzone sind die Bestimmungen noch einmal gelockert. Diese Abstufungen sind gleichsam das didaktische Konzept von Dark Sky Reserves. Es ist ein Prozess der sukzessiven Verbesserung von innen und außen: "Better Practice" als der pragmatische Schritt zur Best Practice. Allerdings lässt das Monitoring laufender Implementierungsprozesse zu wünschen übrig.

Den Beleuchtungsrichtlinien müssen 80 Prozent der Kommunen der beantragenden Region zustimmen, um das Dark-Sky-Prädikat zu erhalten. Dieses Quorum wird in beiden Sternenparks überboten, außer in der Außenzone des etwa 243.000 Hektar großen Rhön-Reservates, wo noch "nachzuarbeiten" ist. Die Zustimmung durch die Gemeinderäte und -parlamente hat den Charakter einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Die Richtlinien greifen auch erst bei Umrüstungen oder Neu-Installation. Einzelne Kommunen haben die Verbindlichkeit der Beleuchtungsrichtlinien durch Übernahme in Gestaltungssatzungen erhöht. So oder so sind alle Beteiligten an einen Tisch zu holen und ist Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Kraft zur Überzeugung nimmt man Sabine Frank, die ihr Hobby, die Astronomie, zu ihrem Beruf gemacht hat, sogleich ab. Ihr Schachzug war, die örtlichen Energieversorger aktiv einzubinden. Bürgermeister hören auf Techniker und Fachleute, aber mit den Praktikern kehrt auch Ernüchterung ein. Diese weisen darauf hin, dass die Entwicklung der letzten Jahre einen Rollback bei umweltfreundlicher Beleuchtung gebracht hat. Mit LED kam weißes Licht. Der State of the Art ist nicht immer der beste für die Umwelt. Ein Fortschritt ist warmweißes LED-Licht (3300 Kelvin), aber das wünschenswerte gelborange Licht (2200 Kelvin) haben die meistenkommunalen Versorger nicht in ihrem Portfolio. Es ist zu teuer. An diesem Punkt drehen die Bürgermeister den Spieß um, indem sie wegen ihrer Haushaltslage die billigste Lösung favorisieren. Andere kommunale Vertreter übernehmen hingegen ungeprüft das Umwelt-Argument mancher Anbieter. Diese instrumentalisieren den State of the Art, um überdimensionierte Lichtsysteme zu verkaufen. Das fällt dann sogar vom Himmel aus auf in Form heller Punkte, ohne dass dort größere Städte liegen. Sabine Frank rekapituliert: Die Frage von Lichtmenge und Kosten sollte in Abhängigkeit von der Lichtqualität betrachtet werden.

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Lichtverschmutzung 2010. Karte: Andreas Hänel
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Verleihung der Grünen Palme 2015 von GEO an Andreas Hänel. Rechts Sabine Frank. Foto: Mathias Schmidt
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Straßenszene mit dem daraus abgeleiteten Leuchtdichtebild. Quelle: Fachgruppe DARK SKY/Andreas Hänel

Projektionen

Nicht nur für die besprochenen Gebiete gilt, dass an naturnahe Landschaften andere Beleuchtungsmaßstäbe anzulegen sind als an urbane Räume. Das Berliner Lichtkonzept empfiehlt für Grünanlagen "Orientierungsbeleuchtung". Landschaftsarchitekten und Stadtplaner müssen jedoch mit Angsträumen umgehen. Es gibt viele Ansätze, das Sparsamkeitsgebot und das Sicherheitsbedürfnis der Nutzer zu vereinbaren. Eine interaktive Beleuchtung zum Beispiel reagiert mit Helligkeitszonen auf die Bewegungen der Nutzer und kann diesen jeweils "vorausleuchten". Aber die Angst sitzt bekanntlich tiefer. Räume gefühlter Angst und Kriminalitätsräume sind keine Größen, die sich signifikant miteinander korrelieren ließen. Nächtliches Abschalten der Straßenbeleuchtung führt weder zu erhöhter Kriminalität noch zu mehr Unfällen, besagen englische Studien3).

Die Substanz der Beleuchtungsrichtlinien für die Sternenparks ist auch auf diese Fälle anwendbar: Die Beleuchtung ist gezielt auf die Risiken einzustellen. Eine positive Wirkung scheint vom Dimmen auszugehen, was daran liegen könnte, dass das potenzielle Opfer nicht mehr so gut erkannt wird und selbst nicht geblendet wird.

Der Bürgermeister des thüringischen Geisa, das im Bereich des Biosphärenreservats liegt, lehnte nicht nur den Dark-Sky-Status für seine Stadt ab, sondern er stellte bei der IDA einen "Antrag auf Nichtanerkennung des Sternenlichtreservates"4).

Woher rührt diese Aggressivität? Die Stärke der Abwehr lässt auf ein Verdrängtes schließen. Der Bürgermeister gibt selber Aufschluss, wenn er sagt: "Menschen sind da, wo Licht ist. Ohne Licht vertreibt man sie." Wie wir alle ist der Bürgermeister ein Vertriebener. Wir kommen aus der Dunkelheit. Sie ist ein Unheimliches. Sigmund Freud machte auf die Ambivalenz aufmerksam, dass im Wort sowohl das Heimliche, Heimatliche steckt als auch das Bedrohliche, die Dämonen, die uns wieder einholen könnten. Dagegen hilft nur, die Dunkelheit als zum Licht, zum Leben gehörig anzuerkennen. Wäre alles gleich hell, sähen wir nichts. Schon Leonardo da Vinci wusste, dass Licht und Schatten in dauernder Gemeinschaft den Körpern verbunden sind.

Neben der psychologischen kommt eine soziologische Komponente ins Spiel. In einigen Partien des Westhavellandes, so in Rhinow, murrten auch die Bürger gegen die Verdunkelung durch Abschaltung. Die Zunahme der natürlichen Dunkelheit hatte jedoch - wie meist - finanzielle Gründe, die wiederum durch die wirtschaftlichen und demographischen Schrumpfungsprozesse bedingt waren. Es ist nachzuvollziehen, dass die Bewohner rein metaphorisch das Gefühl haben, bei ihnen "gehen die Lichter aus" - und zu allem Überdruss kommen aus dem Westen Menschen und Modelle, denen zufolge ganz wörtlich auch noch das elektrische Licht abzuschalten ist. Stichwort "Dunkeldeutschland". Die Frustrationen und Aggressionen sind ernst zu nehmen, umso mehr, als sie rassistische Untertöne enthalten. Schon das ach so rationale Zeitalter der Aufklärung störte sich daran, dass es verstockte Menschen wie die Juden gibt, welche sich dem Licht der christlichen Vernunft ("Ego sum lux") verweigern. So etwas passiert immer dann, wenn das Dunkle Produkt von Verdrängungsprozessen ist.

So etwas passiert heute noch, wenn die Bedeutung von Dunkelheit und Schatten in Lichtplänen nur als Fußnote abgehakt wird. Licht und seine Vermehrung sind gleichsam selbst-evident. Es beseitigt Störungen, es kann nicht selbst Störung sein. Obwohl zu viel künstliches Licht eine ähnliche Wirkung hat wie Lärmimmissionen, fällt der Schutz davor durch die gesetzlichen Roste. Die Technische Anleitung fehlt. Naturschutzrechtliche Bestimmungen gehen von einem Landschaftsbild aus, das im Raum fixiert ist. Planungen sind grundsätzlich auf das fiktive Bild des fertigen Objekts fokussiert. In ihm sind alle produktiven Arbeitsschritte in Gleichzeitigkeit zusammengezogen, und von ihm aus wird rückwärts gedacht. Das statische Denken ignoriert den Prozess. Was wie ein Allgemeinplatz klingt, wurde etwa beim Berliner Großflughafen missachtet. So sehr, wie die Landschaft Raum ist, ist sie Zeit. Die Nachtlandschaft und ihr Himmel sind ein schützenswertes Gut. Wertvolle - und immer weitere - Landschaften sind vor dem Wandel zu schützen, aberzugleich ist ihr Wandel zu schützen.

Landschaft kann uns lehren, das Dunkle, die Höhle, zu akzeptieren. Englische Landschaftsgärten wie das Wörlitzer Gartenreich versinnbildlichten in ihrer Gestaltung die Passage über den Styx ins Totenreich. Die Rückkehr ist möglich, mit Risiko zwar, aber auch mit Gewinn: Nur dem, der sich seiner Schatten bewusst ist, wächst das Licht der Erkenntnis zu.6)

Was Städte angeht, ist nicht nur vom Widerstand zu berichten. Den Beleuchtungsrichtlinien zugestimmt haben Rathenow und Premnitz im Westhavelland, beides BUGA-Standorte. Deutschlandweit mehren sich die Initiativen. Für den Nationalpark Eifel sind nur noch Statusfragen (siehe vorne) zu klären, und die Schwäbische Alb könnte der nächste Kandidat werden.

Die Alleinstellungsmerkmale für den Tourismus seien hier ausgeklammert. Aber warum nicht einmal an einer Sternenführung teilnehmen? Die Sterne sind, schreibt Nietzsche irgendwo, unsere an den Himmel projizierte Vorgeschichte.

ANMERKUNGEN

Ich danke meinen Gesprächspartnern Sabine Frank, Andreas Hänel und Franz Hölker.

1 Zit. nach Irmela Schneider u. a. (Hg.): Medienkultur der 60er-Jahre, S. 237.

2 Vgl. Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft, 9. Aufl. Berlin 2014.

3 Vgl. Florian Rötzer: Beleuchtung macht Straßen nicht sicherer, in: Telepolis, URL: www.heise.de/tp/artikel/45/45700/1.html

4 Paul Munziker: Die dunklen Städte in der Rhön, in: Der Tagesspiegel (Weltspiegel), 21.09.2014.

5 Das "Jahr des Lichts" und "Festivals of Light" liegen in diesem Trend, der die gebauten Städte in Kulissen verwandelt.

6 Vgl. Bernhard Wiens: Die im Lichte sieht man nicht, in: Telepolis, URL: www.heise.de/tp/artikel/35/35758/1.html

Dr. Bernhard Wiens
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Beuth Hochschule

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