Ein Ausblick aus sachverständiger Sicht

Zur Verwendung von gebietseigenen Gehölzen

von:
Gebietseigene Arten Gehölze
Fall 1a. Kompensationsmaßnahme in der freien Natur. ... Foto: Andreas Plietzsch
Gebietseigene Arten Gehölze
Fall 1b. ... Dort sind ab März 2020 zwingend gebietseigene Gehölze zu verwenden. Foto: Andreas Plietzsch

Was dem einen die Eule, ist dem anderen die Nachtigall, sagt ganz treffend das Sprichwort. Manche ziehen deshalb heimische Blumen, die nicht gepflückt werden dürfen, den fremden Blüten der Gärten vor, die in vollen Sträußen die Wohnungen zieren können. Welche Betrachtungsweise gerade vorherrscht, bestimmen nicht die Fakten, sondern der Zeitgeist. Die Natur gibt nichts vor. Sie wertet nicht, denn sie ist keine Person. Die Urteile und Wertungen stammen von Menschen. (Josef H. Reichholf, Die Zukunft der Arten, Neue ökologische Überraschungen, 2009)

Seit dem 2. März 2020 greift § 40 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) erstmals vollumfänglich. Bisher galt eine Übergangsfrist, die dann ausläuft. Der § 40 regelt das Ausbringen von Pflanzen und Tieren in der freien Natur und hat den folgenden Wortlaut:

Rechtliche Grundlage

(1) Das Ausbringen von Pflanzen in der freien Natur, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit mehr als 100 Jahren nicht mehr vorkommt, sowie von Tieren bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde. Dies gilt nicht für künstlich vermehrte Pflanzen, wenn sie ihren genetischen Ursprung in dem betreffenden Gebiet haben. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten der Mitgliedstaaten nicht auszuschließen ist. Von dem Erfordernis einer Genehmigung sind ausgenommen:

  • der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft,
  • der Einsatz von Tieren zum Zweck des biologischen Pflanzenschutzes (… )
  • das Ansiedeln von Tieren, die dem Jagd- und Fischereirecht unterliegen (… )
  • das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut außerhalb ihrer Vorkommensgebiete bis einschließlich 1. März 2020; bis zu diesem Zeitpunkt sollen in der freien Natur Gehölze und Saatgut vorzugsweise nur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden. (...)

2) Genehmigungen nach Absatz 1 werden bei im Inland nochnicht vorkommenden Arten vom Bundesamt für Naturschutz erteilt.

(3) Die zuständige Behörde kann anordnen, dass ungenehmigt ausgebrachte Tiere und Pflanzen oder sich unbeabsichtigt in der freien Natur ausbreitende Pflanzen sowie dorthin entkommene Tiere beseitigt werden, soweit es zur Abwehr einer Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten erforderlich ist.

Es ist ausdrücklich nicht das Ziel des vorliegenden Diskussionsbeitrages, diesen Paragrafen in Gänze oder in seinen Teilen rechtlich zu würdigen. Vielmehr wird das Ziel verfolgt, die fachlichen Auswirkungen abzuschätzen. Dennoch sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass beispielsweise der Begriff „freie Natur“ bisher keine abschließende rechtliche Ausgestaltung erfahren hat. In der hierzu vorliegenden Literatur werden die Begriffe „freie Natur“ und „freie Landschaft“ immer wieder synonym verwendet. In der Regel werden darunter jedoch alle Flächen außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile verstanden. Die freie Natur bedeutet hierüberwiegend Kulturlandschaft und nicht unberührte Natur.

Weiterhin kritisch anzumerken ist die Festlegung für einen Genehmigungsvorbehalt, wenn eine Pflanzenart in dem betreffenden Gebiet nicht oder seit mehr als 100 Jahren nicht mehr vorkommt. Dieser Bezug auf 100 Jahre ist als willkürlich anzusehen und hat keinen belastbaren fachlichen Hintergrund, denn gestalterische Eingriffe in Natur und Landschaft gab es in Mitteleuropa und in Deutschland seit deutlich mehr als 100 Jahren (beispielsweise Bornimer Feldflur bei Potsdam durch Lennè, Wörlitzer Gartenreich durch Fürst Pückler). Wenn damals einheimische Gehölze wie üblich ausverschiedenen Quellen angepflanzt wurden und diese heute noch stehen sollten, würde es sich jetzt gemäß gesetzlicher Definition um gebietseigene Gehölze handeln. Ob das immer sinnvoll ist, soll dahingestellt bleiben

Fachliche Grundlage

Als wesentliche fachliche Grundlage ist der „Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze“ anzusehen. Dieser Leitfaden wurde im Jahr 2012 vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) herausgegeben und ist online kostenfrei abrufbar. Darin werden in dreiTeilbereichen die wesentlichen inhaltlichen Themenkomplexe ausgeführt: Der naturschutzfachliche Hintergrund und der Geltungsbereich für § 40 Absatz 4 BNatSchG, das Vorgehen im konkreten Ausschreibungsfall und weitere Ausführungenzum naturschutzrechtlichen Hintergrund.In dem Leitfaden sind weiterhin einige Begrifflichkeiten definiert.

Es ist eine Liste mit den natürlich vorkommenden Gehölzsippen für Pflanzungen in der freien Natur enthalten (55 Gehölzarten) und es sind sechs Vorkommensgebiete dieser Gehölze auf der Grundlage der ökologischen Grundeinheiten in Deutschland festgelegt worden.Ein interessanter Aspekt in dem genannten Leitfaden ist die Festlegung von sogenannten Sonderfällen. Dabei handelt essich um Standorte, die sich zwar in der freien Natur befinden,die jedoch abweichend davon im konkreten Fall nicht zur freien Natur gezählt werden. Das heißt, die Anpflanzung von Gehölzen aus gebietsfremden Herkünften wird dort als zulässig angesehen.

Es müssen dort nicht zwingend gebietseigene Gehölze verwendet werden. Zu diesen Sonderfällen gehören neben (I) den innerstädtischen und innerörtlichen Bereichen,(II) das Straßenbegleitgrün außerorts und (III) Obstgehölze in der Landschaft. Zum Geltungsbereich heißt es in dem Leitfaden: (I) Das Ausbringen von Gehölzen gebietsfremder Arten im innerstädtischen und innerörtlichen Bereich sowie in Splittersiedlungen, Gebäuden zugeordneten Gärten und Wochenendhausgebieten im Außenbereich (sogenannter besiedelter Bereich) sowie in Sportanlagen unterliegt nicht der Genehmigungspflicht. (II) Sonderstandorte an klassifizierten Straßen und Gemeindestraße (unmittelbarer Straßenseitenraum, Mittel- und Trennstreifen, Lärmschutzwände, Steilwände, Stützbauwerke) sind hier ebenfalls nicht zur freien Natur zu zählen. An diesen Standorten werden die Aspekte Lichtraumprofil,Gewährleistung der Verkehrssicherheit, Verträglichkeit gegenüber vorhandenen Emissionen und Salzfrachten als vorrangig betrachtet. (III) Ein Genehmigungsvorbehalt besteht ebenfalls nicht bei der Neupflanzung von Kulturobstsorten inder freien Landschaft zum Zwecke der Sortenerhaltung oder der Erhaltung traditioneller Kulturlandschaften, deren Pflanzung nicht immer einem landwirtschaftlichen Betrieb zuzuordnen ist.

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Gebietseigene Arten Gehölze
Fall 2a: Kompensationsmaßnahmen Streuobstwiese in der freien Natur.... Foto: Andreas Plietzsch
Gebietseigene Arten Gehölze
FAll 2b: ... Dort sind keine gebietseigenen Gehölze zu verwenden. Foto: Andreas Plietzsch

Definitionen und Begrifflichkeiten

In der Praxis gründen sich viele Missverständnisse im Zusammenhang mit der geforderten Verwendung von gebietseigenen Gehölzen vor allem auf die begrenzte Kenntnis von Definitionen und Begrifflichkeiten. Deshalb sollen hier die wesentlichen Begriffe kurz definiert und mit Beispielen belegt werden.Einheimische Gehölze sind Gehölzarten, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich ganz oder teilweise in einem bestimmten Areal befindet (beispielsweise in Mitteleuropa oder in Deutschland). Sie kommen dort seit langer Zeit und ohne Mitwirkung des Menschen vor. Dazu zählen in Deutschland unter anderem der Gewöhnliche Spindelstrauch (Euonymus eu-ropaeus), der Gewöhnliche Liguster (Ligustrum vulgare), die Rote Heckenkirsche (Lonicera xylosteum), die Schlehe (Pru-nus spinosa), die Hunds-Rose (Rosa canina) und die Winter-Linde (Tilia cordata).

Nichteinheimische Gehölze (fremdländische Gehölze) sind Gehölzarten, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich nicht in einem bestimmten Areal befindet (beispielsweise nicht in Mitteleuropa oder nicht in Deutschland). Sie können jedoch durch Mitwirkung des Menschen hierher verbracht wordensein. Dazu zählen in Deutschland unter anderem der Korkflügel-Spindelstrauch (Euonymus alatus), der Japanische Liguster (Ligustrum japonicum), die Tatarische Heckenkirsche (Lonicera tatarica), die Spätblühende Traubenkirsche (Prunusserotina), die Glanz-Rose (Rosa nitida) und die Silber-Linde(Tilia tomentosa).

Gebietsfremde Gehölze sind Gehölzarten, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich außerhalb eines bestimmten Areals befindet. Sie sind noch nicht seit langer Zeit, aber durch Mitwirkung des Menschen hierher gelangt. Hierzu zählen sowohl nichteinheimische Gehölze wie die Silber-Linde (Tilia to-mentosa), deren natürliches Verbreitungsgebiet sich außer-halb von Deutschland befindet. Dazu gehören jedoch auchGehölze, die nur in bestimmten Gebieten innerhalb vonDeutschland einheimisch sind, die aber beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg nicht natürlich verbreitet sind (wie etwa Ligustrum vulgare, Lonicera xy-losteum). Im Nordosten Deutschlands werden sie daher als gebietsfremd angesehen.

Als gebietsfremd gelten weiter auch einzelne Gruppen einer Gehölzart, die in ganz Deutschland natürlich verbreitet ist, deren Gruppenmitglieder aber voneinander genetisch unterschieden werden können. Gebietseigene oder gebietsheimische (autochthone) Gehölze sind Gehölzarten, die an einem konkreten Standort innerhalb von Deutschland beispielsweise in Baden-Württemberg oder in Bayern als natürlich verbreitet angesehen werden (unter anderem Ligustrum vulgare, Lonicera xylosteum). Sie sollen ohne Mitwirkung des Menschen seit langer Zeit dort siedeln. Diese Gehölze stellen gewissermaßen eine Teilmenge der in Deutschland einheimischen Arten dar.

Weil im BNatSchG nur von gebietsfremden Gehölzen die Rede ist, fehlt ein einheitlicher Begriff für die gegenteilige Gruppe. Diese Gehölze werden deshalb in der Praxis unterschiedlich aber synonym als gebietseigene und gebietsheimische Gehölze bezeichnet. Der Begriff autochthon wird im Zusammenhang mit gebietseigenen Gehölzen nur selten und lokal verwendet. Er stammt ursprünglich aus der forstlichen Praxis und regelt die Verwendung von forstlichem Pflanz- und Saatgut. Er bedeutet sinngemäß, dass diese Gehölzarten am konkreten Standort entstanden und bodenständig sind.

Als Vorkommensgebiet (Vkg) werden Gebiete bezeichnet, in denen gebietseigene Gehölze natürlicherweise vorkommen.Der Leitfaden des BMU (2012) weist für Deutschland die folgenden Vorkommensgebiete für Gehölzarten für die Verwendung in der freien Natur aus:

  • Vkg 1 – Norddeutsches Tiefland
  • Vkg 2 – Mittel- und Ostdeutsches Tief- und Hügelland
  • Vkg 3 – Südostdeutsches Hügel- und Bergland
  • Vkg 4 – Westdeutsches Bergland und Oberrheingraben
  • Vkg 5 – Schwarzwald, Württembergisch-Fränkisches Hügelland, Schwäbisch-Fränkische Alb
  • Vkg 6 – Alpen und Alpenvorland.

Zusammenfassend kann zunächst folgendes festgestellt werden. Von den in Deutschland einheimischen Gehölzarten kommen nicht alle Arten überall in Deutschland natürlicherweise vor. Der gewöhnliche Liguster (Ligustrum vulgare) und die Rote Heckenkirsche (Lonicera xylosteum) sind demnach im Westen und im Süden Deutschlands natürlich anzutreffen und im Nordosten nicht. Die Lorbeer-Weide (Salix pentandra) ist dagegen vor allem im Nordosten natürlich anzutreffen und fehlt im Westen und Süden Deutschlands. Es gibt jedoch auch Gehölzarten, die in Deutschland einheimisch und auch überall natürlich verbreitet sind, wie etwa die Gewöhnliche Hasel(Corylus avellana) und die Schlehe (Prunus spinosa).

Weitere Beispiele ließen sich anführen. In allen Definitionen finden sich demnach Aussagen zu Räumen (Gebiete, Standorte), zu Zeiträumen (Abläufe von Zuwanderungen und Einführungen) und zu Populationen (Gruppen von Individuen einer Gehölzart mit jeweils ähnlichen Eigenschaften). An dieser Stelle kommt in dem Leitfaden (BMU 2012) die genetische Vielfalt zur Sprache. Unter Verweis auf zentrale Kenntnisse aus der Fachliteratur wird darauf abgehoben, dass es genetische Vielfalt nicht nur im Sinne von Artenvielfalt, sondern auch als innerartliche Vielfalt gibt. Das heißt, in einembestimmten Gebiet ist nicht nur die genetische Vielfalt groß, wenn dort viele verschiedene Arten vorkommen, sondern auch innerhalb einer Gehölzart (beispielsweise Corylus avellana) können verschiedene Gruppen von Einzelgehölzen (Po-pulationen) existieren, die nur in bestimmten Teilgebieten vorkommen und dort besonders gut an die Standortbedingungen angepasst sein sollen.

Um diese postulierte Vielfalt und Angepasstheit innerhalb einer Gehölzart zu erhalten, müsste dann das Saatgut dieser verschiedenen Gruppen in ihren natürlichen Vorkommensgebieten getrennt geerntet werden. Die aus den jeweiligen Samen produzierten Jungpflanzen dürften auch nur dort wieder nach Vorkommensgebieten getrennt angepflanzt werden. Und genau das ist die Forderung gemäß § 40 BNatSchG, die ab 2. März 2020 bei Pflanzungen in der freien Natur umgesetzt werden muss.

Fachliche Würdigung

Aus sachverständiger Sicht ergeben sich aus diesen Ausführungen mindestens zwei zentrale Fragen. Erstens, kann man innerhalb einer Gehölzart, beispielsweise bei Corylus avella-nainnerhalb von Deutschland mehrere Gruppen von Haselnüssen unterscheiden, die genetisch verschieden sein sollen.Oder konkret gefragt, gibt es einen genetischen Unterschied zwischen einer Haselnuss-Population aus dem Vorkommensgebiet 1 (Norddeutsches Tiefland) und dem Vorkommensgebiet 2 (Mittel- und Ostdeutsches Tief- und Hügelland) oder den anderen Vorkommensgebieten und wie erfolgt hierfür der sichere Nachweis?

Zweitens, sind diese Gruppen von Gehölzen einer Art (Populationen) tatsächlich besser an die Standortbedingungenangepasst, unter denen sie dort natürlich vorkommen? Oder wieder konkret gefragt: Wachsen die Haselnüsse aus dem Vorkommensgebiet 1 nach einer Pflanzung im Vorkommensgebiet 2 schlechter als in 1 und gibt es dazu gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse?

Gebietseigene Arten Gehölze
Fall 3a: Kompensationsmaßnahmen direkt an einer Straße in der freien Natur. ... Foto: Andreas Plietzsch
Gebietseigene Arten Gehölze
Fall 3b: ... Dort sind keine gebietseigenen Gehölze zu verwenden. Foto: Andreas Plietzsch

Zur ersten Frage: Die meisten der Gehölze, die für eine Pflanzung in der freien Natur in Frage kommen, sind sogenannte Fremdbefruchter. Das heißt, nach der freien Bestäubung durch Wind oder Insekten werden bei jeder Befruchtung die Vatergene (Pollen) und die Muttergene (Eizelle) verschiedener Pflanzen einer Art neu gemischt. Es kommt zu einer Neukombination der genetischen Information. Bei der Ernte von Gehölzsaatgut in der freien Natur kennen wir jedoch in der Regel nur die Mutterpflanze, von der das Saatgut geerntet wurde und nicht den jeweiligen Vater der einzelnen Samen. Das ist für eine eindeutige Zuordnung der Nachkommen zu den Elternteilen (und damit zu Populationen oder zu den Herkunftsgebieten) jedoch ein Problem. Seit einigen Jahren gibt es deshalb wissenschaftliche Versuche zur Etablierung von Standardmethoden für die Untersuchung von genetischen Differenzen zwischen den einzelnen Herkünften.

Am Beispiel der Haselnuss (Corylus avellana) und der Schlehe (Prunus spinosa) haben der Forschungsverbund Isogen und die Universität Göttingen gemeinsam mit mehreren Landesforstanstalten eine Herkunftsprüfung durchgeführt sowie die verschiedenen Herkünfte bezüglich ihrer genetischen und geografischen Differenzierbarkeit mittels Genmarker-Analysen und ihre tatsächliche Anpassungsfähigkeit und Angepasstheit unter verschiedenen Umweltbedingungen mittels Biomarker-Analysen beurteilt. Danach kann für die Haselnuss ein Zusammenhang zwischen der Entfernung von Vorkommen und Ähnlichkeit ihrer genetischen Strukturen nachgewiesen werden.

Eine Abgrenzung einzelner Vorkommensgebiete erscheint somit aus populationsgenetischer Sicht für diese Gehölzart innerhalb von Deutschland gerechtfertigt. Bei den untersuchten Vorkommen von Schlehen zeigten sich auch deutliche genetische Unterschiede. Hier besteht jedoch kein ausgeprägter Zusammenhang zwischen der geografischen Lage der Vorkommen und ihrer Entfernung zueinander und dem Ausmaß genetischer Ähnlichkeit (Isogen et al.).

Zur zweiten Frage: In Ergänzung zu den Untersuchungen des obengenannten Forschungsverbundes hat die Universität Hannover unter kontrollierten Bedingungen in Klimakammern und in Gewächshäusern die Angepasstheit und die Anpassungsfähigkeit von verschiedenen Herkünften von Haselnuss und Schlehe über die Messung der Reaktionen auf definierte Trockenstress- und Frostreize mittels ausgewählter Biomarker untersucht. Bei der Haselnuss zeigten sich in den Versuchen zu Früh- und Spätfrösten überwiegend keine signifikanten Unterschiede in den Schäden und in den analysierten Biomarkern zwischen den Vorkommen. Bei der Schlehe ergaben sich bei den Versuchen zum Spätfrostverhalten im Austrieb und im Frostschaden bei den deutschen Vorkommen keine Unterschiede (Leibniz-Universität Hannover).

Offensichtlich stehen wir hier am Beginn von wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Ergebnisse für die relevanten Gehölzarten erst in Zukunft vorliegen werden und unterschiedlich ausfallen können. Bei einigen Arten werden sich genetische Unterscheidungsmöglichkeiten für räumlich getrennte Gruppen ergeben (wie bei der Haselnuss) und bei anderen Gehölzarten nicht (wie bei der Schlehe). Daraus resultiert die Frage, ob dann für die Schlehe bei der Verwendung in der freien Natur eine Unterscheidung in Vorkommensgebiete noch sinnvoll ist. Ein sicherer genetischer Nachweis wäre jedenfalls hier nicht möglich.

Auch die postulierte bessere Angepasstheit der Gehölze von bestimmten Herkünften an deren Standorte lässt sich anhand der bis jetzt vorliegenden Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig belegen. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, worin besteht dann der Vorteil dieser gebietseigenen Gehölze gegenüber gebietsfremden Gehölzen der gleichen Art? Außerdem wird hier zunächst von zwei Gehölzarten berichtet; im Leitfaden des BMU (2012) sind jedoch 55 Gehölzarten genannt, für deren größten Teil solche Untersuchungen noch fehlen.

Gebietseigene Arten Gehölze
Fall 4a: Kompensationsmaßnahmen im Siedlungsbereich (innerorts). ... Foto: Andreas Plietzsch
Gebietseigene Arten Gehölze
... Dort sind keine gebietseigenen Gehölze zu verwenden. Foto: Andreas Plietzsch

Praktische Konsequenzen

Eine erste praktische Konsequenz liegt auf der Hand. Wenn es Gehölzarten gibt, bei denen hier keine sichere genetische Unterscheidung von räumlich getrennten Gruppen möglich ist, dann kann aus sachverständiger Sicht auch keine sichere gutachterliche Beurteilung von Gehölzherkünften in Streitfällen erfolgen. Deshalb mussten hilfsweise andere Kontrollsysteme etabliert und eingeführt werden. Weil das BNatSchG nur die Verwendung dieser Gehölze regelt, nicht jedoch deren Auswahl, Beerntung, Anzucht und Kontrolle, wurde hier für die Privatwirtschaft in die Pflicht genommen. Aus diesem Grund haben sich über einen Zeitraumvon mehreren Jahren nunmehr verschiedene Systeme am Markt etabliert, die nicht einheitlich strukturiert sind, wie etwa das Zertifizierungssystem der EAB in Bayern, das System ProAgro in Brandenburg und die Zertifizierungsgesellschaft ZgG des Bundes deutscher Baumschulen.

Eine interessante Besonderheit regelt in diesem Zusammenhang der Leitfaden des BMU (2012). Danach dürfen zwar die Gehölze aus einem Vorkommensgebiet auch nur dort wiedergepflanzt werden, ihre Baumschulanzucht darf jedoch ausdrücklich auch außerhalb ihrer Vorkommensgebiete erfolgen, sogar außerhalb von Deutschland. Der Verwender kann also Jungpflanzen von Haselnüssen aus dem deutschen Vorkommensgebiet 1 auch aus einer ausländischen Baumschule beziehen, wenn diese sich einem der existierenden Zertifizierungssysteme unterwirft. In allen diesen Zertifizierungssystemen werden zu den Gehölzlieferungen entsprechende Begleitpapiere ausgestellt, die eine Echtheit der gelieferten Gehölze als gebietseigene Gehölze aus dem jeweils gewünschten Vorkommensgebiet bestätigen sollen.

Spätestens jetzt stellt sich die Frage nach der konkreten Marktsituation. Es ist zu fragen, ob überhaupt genügend Pflanzen für die geplanten Vorhaben aus den Baumschulen verfügbar sind und was geschieht, wenn dies im konkreten Fall nicht möglich sein sollte.Der Leitfaden des BMU (2012) empfiehlt deshalb, vor einer konkreten Ausschreibung eine Markterkundung durchzuführen. Dies ist einerseits wie bei konventionellen Gehölzen auch über eine oder mehrere Anfragen bei den einzelnen Baumschulen möglich. Andererseits existiert beim System EAB in Bayern die Möglichkeit, tagesaktuell und online mögliche Liefermengen für gebietseigene Gehölze aus bestimmten Vorkommensgebieten einzusehen.

Kurze Recherchen in den vergangenen Jahren und zuletzt im Februar 2019 haben ergeben, dass es erhebliche Engpässe bei bestimmten Gehölzengibt. Hinzu kommen jährlich stark schwankende Angebotszahlen. Wenn etwa bisher in Deutschland jährlich mehrere10.000 Stück Haselnüsse als Sträucher für Pflanzungen in der freien Natur zur Verfügung standen, so sind derzeit nur sehr wenige Stückzahlen an gebietseigenen Gehölzen aus bestimmten Vorkommensgebieten verfügbar (teilweise weniger als 100 Stück Haselnüsse je Pflanzgröße). Diese Aufzählung von Defiziten ließe sich fortführen.

Es ist gegenwärtig noch unklar, ob die geplanten Pflanzungen dann zeitlich verschoben werden müssen, wenn die gesetzlich geforderten Gehölze am Markt nicht verfügbar sind oder ob die Pflanzung von konventioneller Ware als Ausnahme genehmigt wird. Eine weitere praktische Alternative könnte darin bestehen, vor allem solche gebietseigenen Gehölzarten zubevorzugen, von denen immer genügend geeignetes Pflanzmaterial zur Verfügung steht. Dann würde jedoch der gewünschte Effekt zur Förderung einer Artenvielfalt bei Pflanzungen in der freien Natur erheblich eingeschränkt. In den letzten Jahren musste aufgrund von speziellen geltenden Rechtslagen in einigen Bundesländern (beispielsweise Erlasse zur Verwendung von gebietsheimischen Gehölzen in Brandenburg) bereits die ausschließliche Ausschreibung solcher Gehölze für eine Pflanzung in der freien Natur erfolgen.

Oftmals haben diese Ausschreibungen in der Praxis ein fehlendes Verständnis für das auszuschreibende Produkt erkennenlassen. Es wurden unter anderem wiederholt Obst-Sorten ausgebietseigenen Herkünften ausgeschrieben. Diese Gehölze sind jedoch vom BNatSchG in dem hier erörterten Zusammenhang überhaupt nicht betroffen. Weiterhin gibt es immer wieder Versuche, auch in innerstädtischen Bereichen gebietseigene Gehölze auszuschreiben, obwohl dies ausdrücklich als Sonderfall im Leitfaden des BMU (2012) ausgewiesenist und keine generelle Verpflichtung dazu besteht. In innerstädtischen Bereichen können gebietsfremde Arten ausgeschrieben und genehmigungsfrei angepflanzt werden (Ausnahme: innerstädtische Schutzgebiete und Außenbereiche).

Schlussfolgerungen und Ausblick

– Seit März 2020 dürfen keine gebietsfremden Gehölze mehr in die freie Natur gepflanzt werden; das heißt, keine fremdländischen Gehölze und auch keine einheimischen Arten,die in bestimmten Arealen dort natürlicherweise nicht vorkommen.

– Hierzu besteht noch ein relativ großer Aufklärungsbedarf, der sich vor allem auf ein fehlendes Problembewusstsein und auf nicht ausreichende fachliche Kenntnisse bei den Verwendern gründet.

– Es fehlt gegenwärtig ebenfalls noch eine umfassende wissenschaftliche Basis für die gesetzlich erhobenen Forderungen. Insbesondere die sichere genetische Unterscheidbarkeit zwischen gebietseigenen und gebietsfremden Gehölzen der gleichen Art ist für den größten Teil der relevanten Gehölzarten noch nicht möglich. Auch deren postulierte bessere Angepasstheit an die entsprechenden Standorte ist noch weitgehend unbewiesen.

– Damit wird auf der vorliegenden rechtlichen Grundlage zwar ein Produkt mit genauer Produktbeschreibung aber ohne eine abschließende sichere Kontrollmöglichkeit seiner Eigenschaften gefordert. Das kann in Streitfällen dazuführen, dass oftmals eine eindeutige Klärung nicht möglich ist.

– Aufgrund von jährlichen Schwankungen in der Angebotsmenge bei gebietseigenen Gehölzen und den bestehenden Defiziten bei der Bereitstellung von ausreichenden Mengen an Pflanzgut bei zahlreichen Gehölzarten wird es zu Lieferengpässen kommen. Grundsätzlich gibt es dann nur wenige legale Alternativen für die Verwender. Entweder die geplanten Bepflanzungsmaßnahmen werden zeitlich solange verschoben, bis die gewünschten Stückzahlen in Menge und Qualität lieferbar sind oder die zuständigen Behörden erteilen Ausnahmegenehmigungen, auf deren Grundlage dann wie bisher konventionelle Pflanzware in der freien Natur zum Einsatz kommt. Oder es werden immer wieder nur jene wenigen Gehölzarten gepflanzt, von denen regelmäßig genügend gebietseigenes Pflanzenmaterial verfügbar ist.

– Die Verwender sollten die genannten Sonderfälle unbedingt kennen und beachten. Im innerstädtischen Bereich, als unmittelbares Straßenbegleitgrün außerorts und bei Obstpflanzungen in der freien Natur ist eine Verwendung von gebietseigenen Gehölzen nicht in jedem Fall zwingend erforderlich.

– Gebietseigene Gehölze werden aufgrund des deutlich höheren Aufwandes bei der Auswahl der Erntebestände, der Beerntung und der getrennten Anzucht sowie der Zertifizierung mit einem höheren Preis am Markt gehandelt als konventionelle Pflanzware der gleichen Art.

– Es fehlen noch zahlreiche Informationen über die genetische Ausstattung und die räumliche Verteilung der innerartlichen Vielfalt bei den heimischen Gehölzarten. Diese Informationen können und werden niemals vollständig vorliegen. Dennoch verlangt der geltende rechtliche Rahmen ihre Unterscheidung und ihre Verwendung in der freien Natur als zwingend.

QUELLEN

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) 2012:Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze. 30 S.

Isogen et al.: Etablierung einer Standardmethode zur Untersuchung genetischer und spezifischer adaptiver Differenzierung von Herkünften am Beispiel der Straucharten Prunus spinosa und Corylus avellana.

Leibniz-Universität Hannover: Anpassungsfähigkeit verschiedener Herkünfte von Corylus avellana und Prunus spinosa an Trocken- und Froststress unter definierten Bedingungen.

Dr. Andreas Plietzsch
Autor

öbv Sachverständiger

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