Kritik an Berliner Begegnungszonen wird zum integrativen Moment
Die Umkehrbarkeit einer Kopfgeburt
von: Dr. Bernhard WiensWahlkämpfe sind für Paukenschläge gut. In einem Antrag von Mitte Juli verlangte die SPD Friedrichshain-Kreuzberg, die Vorbereitungen für eine "Begegnungszone" in der Bergmannstraße zu stoppen. Die Schöneberger Maaßenstraße, wo solch eine Zone seit Oktober 2015 in Kraft ist, sei "mahnendes und abschreckendes Beispiel". Aber wo auf die Pauke gehauen wird, kann auch etwas umfallen. Tage später wurde der Antrag in den Umwelt- und Verkehrsausschuss überwiesen, um dort möglichst bis nach der Wahl zu schlummern. Festzuhalten bleibt, dass das Image von Begegnungszonen so weit gelitten hat, dass die SPD, die noch 2013 in der Bezirksverordnetenversammlung dafür gestimmt hatte, Stimmenverluste befürchtete, während CDU und FDP ziemlich flink auf den Zug der Gegner aufgesprungen sind. Die Pläne selbst kamen aus dem Haus der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
SUG-Stellenmarkt
Liegt die Krux in den Begegnungszonen selbst oder in der Art und Weise, wie sie vermittelt worden sind? Solche Zonen oder auch "Gemeinschaftsstraßen" sind eine reduzierte Form von Shared Space, dessen Spiritus rector der holländische Verkehrsplaner Hans Monderman war. Seine Idee ist, Verkehrsregeln und Schilder durch soziale Verhaltensregeln zu ersetzen. Die Verunsicherung, unabhängig vom Fortbewegungsmittel allen anderen in ein und demselben ungeordneten Raum zu begegnen, führt zu mehr Verkehrssicherheit.
Diese gleichberechtigte Teilhabe aller an einem öffentlichen Raum gilt als nicht übertragbar auf größere deutsche Städte, wobei vor allem die StVO im Wege steht. Gegen den antiautoritären Ansatz des Shared Space wird die Autorität eines Gesetzes ins Feld geführt, das die Dominanz des motorisierten Verkehrs besiegelt. In der Schweiz, deren zahlreiche Begegnungszonen als Vorbild auch für Berlin dienen, wurde wenigstens das Straßenverkehrsrecht zugunsten des Fußverkehrs modifiziert. So wird in Deutschland, selbst wenn das Niveau der Straße egalisiert wird, nicht auf Unterteilungen, neue Zonierungen verzichtet werden können, die im schlimmsten Falle die Konflikte zwischen den Gruppen eher verschärfen als abmildern.
Solche Konflikte spielen sich in der Maaßenstraße ab, welche den Winterfeldtplatz im Süden, ein urbanes Juwel samt Marktgeschehen, mit dem Nollendorfplatz im Norden verbindet. Ein Knäuel von Straßen bildet dort unter der Hochbahn einen Riegel zu einem unbelebten Quartier. Zur Verengung der Straße auf zwei Spuren, die Gegenverkehr, aber kein Parken ermöglichen, wurde von der vorhandenen Fahrbahn eine entsprechende Fläche in Längsrichtung abgeteilt. Da eine Pflastermarkierung nicht ausreichend schien, wurden längs der Fahrgasse Betonwürfel aufgereiht, um sie vom neu gewonnenen Fußgängerbereich abzugrenzen. Die Fahrgasse wirkt einerseits wie ein Korridor, den die Autofahrer ganz für sich haben; andererseits verleiten die Betonwürfel, zumal sie durch bunte Bemalung wie Spielwürfel aussehen, sich ihnen zu nähern, sie zu umrunden, zu beklettern und auf die nicht klar identifizierbare Fahrbahn zu geraten. Zu diesen Gefährdungen für Jüngere kommen Konfliktsituationen zwischen Erwachsenen, wenn etwa die "Verweilqualität" auf der einen durch Kfz auf der anderen Seite gestört wird, die bei laufendem Motor entladen werden. Wegen der Nähe der neuen Bänke zur Fahrbahn kommt es sogar zu Passantenunfällen.¹ Die Mischung aus Parzellierung und Öffnung ist gefährlich, weil sie in falsche Sicherheit wiegt.
Fahrradfahrer gehören nach der neuen Regelung und nach dem allgemeinen Trend auf die Fahrgasse, und ausgerechnet in der Maaßenstraße wählen viele die neue Aufenthaltsfläche zum Durchfahren, weil die Betonwürfel am Entree keinerlei Leitfunktion haben. Der Stadtplaner und emeritierte Professor Walter Ackers, der privat im Umkreis wohnt, hat "Anmerkungen" zur Situation verfasst, in denen er subjektive Positionen mit quasi gutachterlich-neutraler Weihe versieht. Gleichwohl weist er auf Feinheiten hin: "Vielleicht war der planerisch in Mode stehende 'Shared Space' Anregung und Vorlage, nur hat man sich wohl nicht getraut, wirklich derartige Mischflächen zu planen." Die neue Zone wirkt "pädagogisch zwanghaft".
Meinungen sind mal mehr, mal weniger gefragt
Zum Berliner Modell gehört, dass Lösungen kostengünstig sein müssen. Aber sind die Konsequenzen in der Maaßenstraße deshalb zwangsläufig? Die Abtrennung einer Aufenthaltsfläche für bisher zu kurz gekommene Verkehrsteilnehmer hat die Straße in eine trostlose Asphaltbrache verwandelt. Nicht ein einziger positiver Kommentar war im Zuge der Recherchen vor Ort zu vernehmen.² Die milderen unter den Urteilen reichen von "unterirdisch" bis "Beleidigung fürs Auge". Die Wohlmeinenden in der Fronde der Gegner dieser Variante von Verkehrsberuhigung ziehen den Vergleich zu anderen Beispielen von Freiraumgestaltung in Berlin, welche den urbanen Raum nachbarschaftlich erschließen. In der Maaßenstraße ist das Gegenteil der Fall. Die Bänke sind willkürlich arrangiert, und wenn die Metallpritschen Obdachlose von längerem Verweilen abhalten sollen, so vertreiben sie alle anderen gleich mit.
Angesichts dieser Erfahrungen argumentieren die Befürworter von Begegnungszonen aus der Defensive heraus: Wenn es auch ästhetisch ein Flop sei, ist doch der Zweck einer Entschleunigung und Flächengerechtigkeit rein funktional erreicht. Sie übersehen dabei eine Lehre, die ein Vermächtnis des 20. Jahrhunderts ist: Erst eine gute Konstruktion ergibt eine gute Form, und erst diese Form ergibt ein angemessenes Design. Was die Funktion mit der Form ideell verklammert, ist Ästhetik. Ohne Ästhetik gibt es keine Nachhaltigkeit. Die Anwohner ahnen es, wenn sie sagen: Es ist schlimmer als vorher. Es ist verwirrend anzusehen und verwirrend zu begehen. Daraus hat sich in der Maaßenstraße, unterstützt durch die örtliche FDP, eine Bürgerbewegung entwickelt, deren Forderung lautet: Rückkehr zum Status ante quo, Wiederherstellung der breiten Fahrbahn.
Diese Reaktion ist ein schlechtes Omen für vergleichbare Projekte. Die Bergmannstraße kann nur erfolgreich aufgewertet werden, wenn aus dem Fiasko der Maaßenstraße gelernt wird. Hier kam es zu einem merkwürdigen Bruch. Zur Organisation der Bürgerbeteiligung war ein sozialwissenschaftlich versiertes Unternehmen (zebralog) engagiert worden, und die ersten Ideenentwürfe wurden im Verbund von LK Argus und Breimann & Bruun erarbeitet und auf Versammlungen mit Anwohnern verfeinert. Erstere sind Stadt- und Verkehrsplaner, letztere sind Landschaftsarchitekten. Im Zuge der ersten Leistungsphasen erstellte LK Argus ein grundlegendes Konzept für die Flächenordnung, kurz gesagt: die Linienführung. Als es an Leistungsphase 3 (laut HOAI) ging, übernahm das bezirkliche Baudezernat die bautechnische Umsetzung. Die Landschaftsarchitekten waren draußen. Dabei wäre ihre Arbeit umso dringlicher gewesen, je konkreter es wurde. Das Resultat ist die Abwesenheit jedes Designs. Laut "Berliner Zeitung" distanziert sich inzwischen das Bezirksamt selbst vom "Pilotprojekt" Maaßenstraße.
Ayobamidele Gnädig, die den Widerstand in der Maaßenstraße mobilisiert hat, sagt: Was jetzt da ist, wurde so in den Entwürfen nie gezeigt.³ Die Inhaberin eines alteingesessenen Brillenladens, die alle Versammlungen besucht hatte, formuliert ungleich schärfer: "Sie drehen einem die Meinung um, bis es passt." Die Schere zwischen dem subjektiven Eindruck der Anwohner und dem von "zebralog" in aller Sorgfalt durchgeführten Erhebungs- und Beteiligungsprozess scheint weit geöffnet. In zwei Phasen, jeweils mit dem Feedback der Planer, wurden Online-Dialoge und Bürgerwerkstätten moderiert - analog in der Bergmannstraße. Methodisch stützte sich zebralog auf die qualitative Inhaltsanalyse. Diese Methode erfasst auch die subjektiven Momente von Aussagen. Die Fragestellung der Auswertung lautet in etwa: Wer sagt was mit welcher Intensität und welcher Wirkung? Aussagen werden durch Reduktion typisiert und wieder auf Ausgangssätze, die nun als prototypisch gelten, zurückbezogen.
Besondere Meinungen werden gewissenhaft protokolliert und nach Pro und Kontra sowie "Ja, aber" sortiert. Möchten die einen das Radfahren auf die Straße verlegen, sind die anderen dagegen. Plädieren die einen für ein Shared-Space-Konzept, sprechen sich die anderen für die Beibehaltung der Parkplätze aus. Beides geht am Konzept von Begegnungszonen vorbei und setzt das Verfahren zurück auf "Start". Zu den meisten Punkten sind in dieser Darstellungsform die Ergebnisse ambivalent bis gegensätzlich. Damit umzugehen, ist für die Planer extrem schwierig. Die Interpretationsspielräume, die sie notgedrungen nutzen, können rückwirkend von den Anwohnern so ausgelegt werden, dass sie "als Beteiligungsstatisten Begründungen für die Umsetzungsplanung nachliefern."4 Das Team von zebralog rechtfertigt dagegen sein Verfahren: "Die zahlenmäßige Mehrheit von Vorschlägen ist nicht (...) zwangsläufig ausschlaggebend für die Bewertung der eingegangenen Hinweise durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sowie das Büro LK Argus."5
Auf zahlenmäßige Mehrheit setzten hingegen knallhart die Oppositionellen in der Maaßenstraße. Sie erhoben auf eigene Faust. Mit nur wenigen Fragen kamen sie und die FDP-Vertreter zu dem Schluss, dass zwei Drittel der "Anwohner und Nutzer" und 92 Prozent der befragten Gewerbetreibenden für einen Rückbau "oder eine erhebliche bauliche Verbesserung"(?) sind. Letztere beklagen zugleich Umsatzeinbußen. Dazu fällt einem der Satz von James Callaghan ein: Mit Statistiken kann alles bewiesen werden, auch das Gegenteil davon. Die Korrelation des Umsatzrückgangs mit dem Straßenumbau ist sicher erst dann zu verifizieren, wenn der Zusammenhang mit anderen Faktoren, zum Beispiel dem zunehmenden Online-Handel, mit ins Kalkül genommen wird.
Sofern zur Analyse doch wieder nach qualitativen Momenten und "Inhalten" gesucht wird, tritt ein anders Motiv zutage: die Angst der Gewerbetreibenden vor der Gentrifizierung. Das ist ein Schlagwort geworden, das vom Ersatz eines Zustandes durch einen anderen, fertigen ausgeht. Übersehen wird, dass die Gentrifizierung in Wellen und Übergängen abläuft. In der Bergmannstraße fühlen sich die kleineren Kiez-bezogenen Läden durch Geschäfte mit Luxussortiment oder größere Verkaufseinheiten bedroht. Für die Maaßenstraße, wo die Evaluationsphase nach dem Umbau bereits läuft, spricht Ayo Gnädig gar von einer "Gentrifizierung rückwärts". Neue Geschäfte mit "unklarem Geschäftsmodell" und ohne Ortsbezug tauchen dort auf, und eine überbordende Gastronomie droht die Maaßenstraße zur "Fressmeile" abzuwerten. Alle Fehlentwicklungen werden, weil das Projekt schlecht kommuniziert worden ist, auf den Umbau geschoben.
Als wichtigste Ursache des Umsatzrückgangs wird der Wegfall der Parkplätze angegeben, der in den Erläuterungen der Senatsverwaltung zu Begegnungszonen fixiert und in der Maaßenstraße bereits praktiziert ist. In der 500 Meter langen Begegnungszone der Bergmannstraße wäre die doppelte Anzahl von Parkplätzen bedroht. Die Geschäftsleute befürchten, dass vor allem die kaufkräftige Kundschaft wegbleibt. Auch dieses simplifizierende Argument, das die kleinteilige Struktur des Geschäftslebens außer Acht lässt, könnte ein tiefer liegendes Motiv haben: die Sorge, nicht mehr mit dem eigenem Wagen vorm Geschäft parken zu können. Diese Sorge berührt sich mit einer Urangst aller Autobesitzer. Hier massiv durch Wegnahme zu intervenieren, bedeutet einen Tabubruch, der andernorts dem Schlachten von Kühen gleichkäme, die auf der Straße herumlaufen. Die Senatsverwaltung, welche die Begegnungszonen als Teil ihrer Fußverkehrsstrategie6 auf den Weg bringen möchte, hat sich mit dem Ausrufen der "reinen Lehre" keinen Gefallen getan.
Paradoxe Reaktionen auf gut Gemeintes
Die Kreuzberger Bergmannstraße liegt im gleichnamigen Kiez nördlich des Tempelhofer Feldes. Das gründerzeitliche Quartier gilt als hip. Die geplante Begegnungszone wird an einem Ende von der historischen Marheinekehalle begrenzt, die sich nach Renovierung und mehr Feinkostangeboten unter den Marktständen wiederbelebt hat. Die Geschäftswelt der Bergmannstraße und Umgebung ignorierte die ersten Phasen einer Bürgerbeteiligung und wachte plötzlich auf. Die Sozialforschung nennt es "Partizipationsparadox": Zu Beginn eines Beteiligungsprozesses herrscht Gleichgültigkeit vor, und gegen Ende, wenn der planerische Spielraum geringer geworden ist und die Umsetzung ins Auge springt, kommt der Aufschrei.
Das Partizipationsparadox gilt sogar, ironisch gesehen, in seiner weitesten Fassung: Der Senat will seinen Bürgern endlich etwas Gutes tun, aber die sperren sich. Die trotzige Reaktion mag die Folge von zu viel Professionalismus sein. Nach der Kritik an der Maaßenstraße wollten es alle besser machen, die Verkehrs- und Landschaftsplaner, die Partizipationsexperten, die Bezirksämter und das zuständige Referat beim Senat, aber jeder machte es für sich, innerhalb seines Schemas. Die Fehler wiederholten sich.7 Die Verklammerung der Zuständigkeiten bildete das in entscheidenden Punkten rigide formulierte Programm. Dieses war das Omen für die Durchführung des Verfahrens, das bei allen Beteuerungen des Senats, die Bezirke hätten doch die Begegnungszonen je nach Beschwerdeaufkommen der Bürger vorgeschlagen, top-down ablief. Darauf zielte auch die Kritik aus den Reihen der Bürger- und Händler-Initiativen in der Bergmannstraße: Die Fußverkehrsstrategie sei ein "Modellvorhaben aus politischen Idealvorstellungen", kurz, eine "akademisch-politische Kopfgeburt". Die Richtung sei schon vorgegeben.
Diese Kritik war allein deswegen konstruktiv, weil jene Initiativen nach anfänglichem Zögern die angebotenen und erweiterten Plattformen für ihren Protest nutzten. Sie waren formal integriert. Ein inhaltlicher Dialog war möglich. Die Initiativen hatten gleichsam den langen Marsch durch die Institutionen beschlossen. Ihre Vertreter gingen dann auch in die Steuerungsrunde. In der Maaßenstraße gab es das nicht, womit das wichtigste Axiom aus dem Mutterland der Begegnungszonen, der Schweiz, vernachlässigt wurde: Kommt die Initiative nicht aus der Bürgerschaft, braucht man gar nicht erst anzufangen. Für die Geschäftsleute der Bergmannstraße wurden eigene Veranstaltungen angesetzt. Hatten sie anfangs die gleichen Bedenken wie die Händler der Maaßenstraße, so suchten sie im zweiten Schritt Alternativen zu den Senatsplänen und wandelten sich zuletzt zu begeisterten Scribblern und Entwerfern. Nicht alle, aber die, denen Meinungsführerschaft zu bescheinigen ist.
Was sie vorschlugen, erwies sich als kompatibel mit den Vorlagen von LK Argus. Bei der Frage des Fahrbahnquerschnitts und dem Verzicht auf Verschwenkungen kam man sich entgegen. Auf einmal kam auch in die Parkplatzfrage in Bewegung, wobei sich die Senatsseite im Unterschied zu den übrigen Beteiligten noch ein wenig zierte. Aber nach dem Prinzip des "halbleeren oder halbvollen Glases" wurden die Positionen manövrierfähig. Verlangten die Gewerbetreibenden, so viel Straßenparkplätze wie möglich zu erhalten, so ist die Senatsverwaltung geneigt, so viel wie möglich wegzunehmen. Das riecht nach Konsens. Eine andere Anwohner-Initiative kam quasi "um die Ecke" in die Bergmannstraße und befruchtete den Fortgang. Die Initiative "Leiser Bergmannkiez" hatte sich in der Friesenstraße formiert. Diese Straße, Teil eines überörtlichen Nord/Süd-Zuges, ist laut Berliner "Lärmaktionsplan" stark belastet. Die gründerzeitlich gefasste Straße hat Kopfsteinpflaster und ist leicht ansteigend.
Das Problem könnte mit "Flüsterasphalt" gedämpft werden, aber das reicht den Initiatoren nicht. Die Wurzel des Übels ist der Durchgangsverkehr, der sich über einen versetzt geführten Knoten an der Marheinekehalle quält. Dieser Knoten wird in Ost/West-Richtung von der Bergmannstraße durchquert, war aber nicht in die Bereiche der geplanten Begegnungszone aufgenommen worden. Es wurde ein "Do ut des." "Nehmt Ihr den Knoten in die Planung der Begegnungszone auf", argumentierte die Bürgerinitiative, "dann machen wir grundsätzlich beim Senatsprojekt mit." Unter den Vorschlägen zur Entschleunigung, welche LK Argus für diesen Bereich machte, ist eine Kreisellösung die originellste. Das bedürfte baulicher Maßnahmen. Doch plötzlich kam alles ganz anders.
Vom Parkplatz zum "Parklet"
Was sich in den Steuerungsrunden mehr im Stillen angebahnt hatte, wurde im Juli dieses Jahres offiziell. Nicht mehr ging es um einzelne Knoten, vielmehr um den gordischen Knoten, der die Begegnungszonen drosselt. Das bisherige Verfahren, das Tandem aus Bürgerbeteiligung und Vorplanung, aus Erhebung und Gestaltung, wird zwar noch zu Ende geführt, soll jedoch ab Herbst in ein neues Verfahren übergehen, das nicht mehr linear, sondern reversibel ist. Modulare Elemente sollen in einem eineinhalbjährigen Praxistest auf die Straße gebracht werden. Nichts wird eingebaut, was nicht verändert werden kann. Das erst wäre ein "anrainergestütztes Pilotvorhaben" wie von den Initiativen gewünscht. Die Anwohner wären auch in das Design des Partizipationsablaufs aktiv einbezogen. Der Vorschlag zu einer Testphase mit provisorischen Elementen war schon im März von Teilnehmern einer Bürgerwerkstatt gemacht worden. Niemand musste es den Bürgern beibringen.
Die neue Idee hat einen Namen: Parklets. In Berlin werden sie mit "Begegnungsmodule" eingedeutscht und sollen die Fläche von zwei Pkw-Stellplätzen einnehmen. Sie müssen eigens gefertigt werden. Sie bilden Gehwegvorstreckungen dort, wo Bedarf entsteht und wo es Sinn macht. Macht es keinen mehr, sind sie versetzbar, Sie dienen verschiedenen Funktionen wie Aufenthalt auf Bankgruppen, Abstellflächen für Fahrräder oder Begrünung. Sie sind bespielbar zu kulturellen Zwecken, ob als "weißer Raum" oder als Bühne. Die Parklets sind nicht nur temporäre Elemente, sondern auch räumliche Übergangszonen. Die Grenzbereiche von Bürgersteig und Straße sortieren die Verkehrsflüsse nicht mehr nur nach Gehen hier und Parken dort. Die mentale und psychische Schranke zwischen den Bereichen wird an diesen Orten überwunden. "Übergangsriten" werden eingeübt. Der Straßenraum wird für Fußgänger erfahrbar gemacht.
Die Parklets wurden von Jan Gehl zur "Marke" gemacht, der berühmt geworden ist für seine weltweiten Bemühungen, den Straßenraum auch hochentwickelter Städte für Radfahrer und Fußgänger zurückzugewinnen. Die erste Generation dieser Module wurde in amerikanischen Städten ab 2005 erprobt. Sie sind sowohl in der Herstellung wie auch in der Verwendung "Open source", wobei die Gefahr besteht, dass sie zunehmend kommerzialisiert werden in Form von Außenterrassen gastronomischer Betriebe. In Berlin wäre dem durch Nutzungsstatuten für die Begegnungszonen vorzubeugen.
Kreuzungen und Einmündungen, die an der Bergmannstraße vorhanden sind, eignen sich wegen der abgerundeten Ecken nicht für Parklets. Hier könnten Abmarkierungen, unterstützt möglicherweise durch Fahrradbügel oder Pfosten, für Einschnürungen zugunsten der Fußgänger sorgen. Aber prinzipiell soll in der Erprobungsphase unter Realbedingungen auf bauliche Interventionen verzichtet werden. - Wirken dann die Parklets nicht wie Streu-Elemente, isoliert und bar des Zweckes, den Blick auf künftige stadträumliche Perspektiven zu lenken? Aber man kann nicht alles auf einmal haben. Der Praxistest mit mobilen Modulen bietet die Chance, punktuell und behutsam zu planen. Zudem würde in der Freiraumplanung endlich ein Paradigma umgesetzt, das in der Architektur "inkrementelles" oder "unfertiges Bauen" heißt - unfertig, weil die Bewohner das Haus selber weiterbauen können.
Ist die Maaßenstraße das abschreckende Beispiel, das die Begegnungszone Bergmannstraße aushebelt, oder können die inkrementellen Prozesse in der Kreuzberger Straße die verfahrene Situation in der Maaßenstraße aufbrechen? Bei Redaktionsschluss dieses Beitrages stand noch nicht fest, ob die Wahlen in Berlin den Ausschlag in die eine oder die andere Richtung geben. Die Bürgerinitiative, die sich in der Maaßenstraße gegen die bestehende Begegnungszone formiert hat, nennt sich "Rolle rückwärts". In politischen Jargon übersetzt, hieße es "Rollback". Wollen die Anrainer der Maaßenstraße die schweren Fehler bei der Umsetzung durch kompletten Rückbau des Rückbaus wettmachen? Wollen sie wirklich die Rückkehr zur autogerechten Stadt? Wenn sie verlangen, dass die bevorstehende Evaluation ergebnisoffen sein möge, sollten auch sie sich für ein Ergebnis offenhalten, welches die Stadt vom Freiraum her interpretiert, als Plattform für die Begegnung der Bürger. Diese Art von städtischer Freiheit kommt gut mit einer Rückbildung des innerstädtischen Automobilverkehrs aus.
Literatur
Ich danke meinen Gesprächspartnern Dirk Bartel, Ayobamidele Gnädig, Birgit Hammer, Dr. Eckhart Heinrichs, Hans-Peter Hubert, Hans Panhoff, Mark Pflüger, Norbert Rheinländer, Horst Wohlfarth von Alm.
1So die SPD Tempelhof-Schöneberg in einer Mitteilung vom 27.07.2016.
2Nur "Die Welt" (03.06.2016) steigerte sich innerhalb eines Jahres vom Verriss zur Lobeshymne.
3 Kinder und Jugendliche hatten in einer Planungswerkstatt reizvolle Modelle erarbeitet. Was herausgekommen ist, wirkt wie eine Verhöhnung.
4 So eine aktive Gruppe von Gewerbetreibenden in der Bergmannstraße.5 Aus dem Auswertungsbericht zur Öffentlichkeitsbeteiligung/Pilotvorhaben Maaßenstraße, S. 81. - Die Ergebnisse sind so stark ausdifferenziert, dass sie kaum noch vermittelbar sind.
7 Wenn es im Protokoll der Steuerungsrunde Bergmannstraße vom April dieses Jahres heißt, es müsse den Bürgern "klar werden, dass es im Stadium der Vorplanung um eine Verkehrsplanung und nicht um eine Freiraumplanung geht", ist genau das der Ausdruck vergangener Fehler.
- Themen Newsletter Stadtentwicklung bestellen