Leibniz Universität Hannover: 75 Jahre Umwelt gestalten
Vielfältig. eigenartig. schön.
von: Dr. Ursula Kellner, Prof. Dr.-Ing. Bettina OppermannVor 75 Jahren wurde der heutige Studiengang Landschaftsarchitektur und Umweltplanung in Hannover gegründet. Keimzelle war die sogenannte Gartenbau-Hochschule Hannover. Im Lauf der Jahrzehnte wechselten Studiennamen und Studieninhalte, im Kern geht es aber immer um die heute mehr denn je notwendige, aufgeklärte Gestaltung von Umwelt und Landschaft.
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Institutioneller Neubeginn 1947 - inhaltliche Kontinuität
Nur wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges ergriffen Heinrich Friedrich Wiepking, ehemaliger Professor für Garten- und Landschaftsgestaltung der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, und der hannoversche Gartenarchitekt Wilhelm Hübotter die Initiative zur Gründung einer neuen Hochschule in Hannover. Sie konnten die Politik von der Notwendigkeit einer universitären Ausbildungsstätte für Erwerbsgartenbau und Landschaftspflege in den westlichen Besatzungszonen überzeugen. Der Niedersächsische Landtag beschloss am 6. August 1947 die Gründung einer selbständigen wissenschaftlichen Hochschule für Gartenbau und Landeskultur mit den Abteilungen Gartenbau und Landespflege in Hannover. Die Hochschule erhielt eine Senatsverfassung und das Promotionsrecht.
Erster vorläufiger Standort bis zur Fertigstellung der neuen Anlagen in Hannover-Herrenhausen war ein Villengrundstück in Sarstedt (Kreis Hildesheim). Dort bildeten Studierende und Lehrende nach dem Vorbild englischer Colleges eine engagierte Gemeinschaft - Leben und Arbeiten waren eng miteinander verbunden.
Diesem Neubeginn stand allerdings eine belastete Vergangenheit entgegen. Heinrich Friedrich Wiepking war zuvor in den Planungs- und Machtapparat der Nationalsozialisten eingebunden. Als "Sonderbeauftragter des Reichskommissariats für die Festigung Deutschen Volkstums für den landschaftlichen Aufbau der neuen Siedlungsgebiete" (in Polen und der westlichen Sowjetunion) verantwortete er mit anderen den sogenannten Generalplan Ost. Dieses Planwerk sollte große Teile von Polen und den Westen der Sowjetunion zur deutschen Kolonie werden lassen und die dortige Bevölkerung verdrängen und vernichten. Die nationalsozialistische Ideologie scheint in den Reden und Veröffentlichungen Heinrich Friedrich Wiepkings, der mit der Gründung der Hochschule betraut wurde, weiter durch.
Anfangs bestritt er als einziger Lehrstuhlinhaber der Abteilung Landespflege die Lehre im Alleingang und gewann sukzessive alte Kollegen, ehemalige Mitarbeiter und Schüler für Lehraufträge. 1955 wurde auf sein Betreiben hin ein Lehrstuhl für Konrad Meyer, den im "Dritten Reich" Verantwortlichen des Generalplan Ost, geschaffen. Die erste Generation der Lehrenden war ein Netzwerk ehemaliger Nationalsozialisten, die sich gegenseitig in den Entnazifizierungsverfahren entlasteten.
Vermittelt wurde einerseits praxisnahes Wissen für eine Gesellschaft, die sich dem Wiederaufbau nach dem Krieg widmete. Andererseits fanden wieder - eingebettet in verschwommen idealistische und pathetisch überhöhte Reden und Vorträge - Elemente nationalsozialistischer Ideologie Einzug in die Inhalte der neuen Ausbildung.
Auch die zweite Generation der Lehrenden - die Nachfolger Wiepkings, Werner Lendholt (1912-1980) und Konrad Buchwald (1914-2003), hatten ihre persönliche und fachliche Prägung überwiegend in der Zeit des Nationalsozialismus erhalten und aktiv in dem Regime mitgewirkt. Zwar ist Buchwald wie Lendholt eine Hinwendung zu fortschrittlichen und demokratischen Ideen nicht abzusprechen, doch ist in Publikationen - vor allem Buchwalds - eine nach wie vor völkisch-konservative Grundhaltung unverkennbar. Durch das Hinzukommen von jüngeren Lehrenden, die ihr Studium nicht im "Dunstkreis" Wiepkings absolviert hatten, vollzogen sich in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre allmählich Veränderungen.
Emanzipation von den "Gründungsvätern"
Angestoßen von der allgegenwärtigen Rebellion der sogenannten 68er-Generation gegen das Verdrängen der Vergangenheit, richtet sich in Hannover der studentische Protest (leicht verspätet erst 1972) gegen die alte Professorenriege, besonders gegen Wiepking.
Doch schon ein Jahr zuvor war den Studierenden mit dem Inkrafttreten einer überarbeiteten Studienordnung 1971 ein entscheidender Erfolg im Ringen um Neuerungen gelungen. Ziel der Ausbildung ist jetzt nicht mehr der gestaltende Gärtner, sondern der Planungsfachmann für alle Facetten von Freiraum. Akademischer Titel ist nach erfolgreichem Studium jetzt der "Diplomingenieur (Dipl.-Ing.) der Landespflege" und nicht mehr der "Diplomgärtner".
Zentrale Neuerung ist die Einführung des Projektstudiums, in dem die Studierenden lernen, selbstbestimmt allein oder gemeinsam in der Gruppe Aufgaben zu lösen, wie sie später in der beruflichen Praxis vorkommen. Mit der zunehmenden Erkenntnis, dass Planung immer politisch ist, rücken gesellschaftsrelevante Themen und Fragestellungen in den Mittelpunkt der Lehre und der Forschung. Wer hat Zugang zu Gärten und Parks? Welche Bedürfnisse werden von den Planerinnen und Landschaftsarchitekten gesehen, welche negiert? Um den Studierenden eine auf diese Themen zugeschnittene Grundausbildung empirischer Methoden der Sozialforschung zu ermöglichen, wird auf studentisches Drängen hin ein Lehrstuhl für planungsbezogene Soziologie eingerichtet - und damit das Fach Soziologie fest im Studiengang etabliert. Vordergründig angenehme Vermutungen und Moden sollen hinterfragt werden, Planungstheorie und Planungsmethodik untermauern planerische Vorgehensweisen theoretisch und öffnen den Blick für komplexe Zusammenhänge.
Studium im Zeichen der Umweltbewegung
Auch die Kehrseite des Wirtschaftswunders, nämlich deutliche Umweltschäden, werden zunehmend zum Thema des Studiums. Mit dem Waldsterben in den 1980er-Jahren interessierte sich die Generation der Babyboomer für das Thema und verstärkte den Zulauf zum Studiengang. Der Numerus Clausus war hoch, die Studierenden mussten lange Wartezeiten zur Zulassung hinnehmen und kamen aus ganz Deutschland nach Hannover. Nun ging es um eine rationale, verwissenschaftlichte Planung. Kybernetische Ansätze zum Verständnis des Ökologischen Systems waren en vogue. Die Erfassung der Umweltfunktionen in flächendeckenden Karten verdeutlichte den Wert der Landschaft in nachvollziehbarer Art und Weise. Mit methodischer Stringenz sollten Argumente geschaffen werden, die jede und jeden überzeugen. Gleichzeitig bremsten wirtschaftliche Krisen eine ambitionierte Umweltpolitik in der Bundesrepublik.
Mit den Regelungen zur Abfallbehandlung waren Anfang der 1990er-Jahre endlich alle relevanten Umweltgesetze erlassen und in Kraft gesetzt. Und im Boom der deutschen Einigung waren Diplomingenieure der Landespflege nach wirtschaftlichen Krisen wieder sehr stark gefragt. Große Infrastrukturprojekte bedurften der Trassenprüfung, der Bescheinigung einer relativen Umweltverträglichkeit und der Landespflegerischen Begleitplanung. Überdeutlich wurde aber auch, dass bei der Durchsetzung technischer Umweltschutzmaßnahmen der Arten- und Biotopschutz immer noch das Nachsehen hatte. Im Fachbereich standen Artenschutzmaßnahmen und Schutzgebietskonzeptionen im Fokus der Aufmerksamkeit, gleichzeitig inspirierten Debatten um postmoderne Ideen in Architektur und Städtebau die Landespflegerinnen und -pfleger.
Bei allen guten Gründen für mehr Umweltschutz nehmen die Menschen nicht mehr alle Planungsmaßnahmen widerstandslos hin. Seit langem und bis heute werden Planungen zum Ausbau der Atomkraft und zur Lagerung von radioaktivem Müll bekämpft. Auseinandersetzungen um den Ausbau von Flughäfen oder die Ausweisung von Nationalparken werden zu zeitgeschichtlichen Wegmarken in der Entwicklung der Republik. Das Debakel um die Tieferlegung des Bahnhofs in Stuttgart (Stuttgart21), zeigt, dass es neuartiger Konsens- und Aushandlungsprozesse bedarf, um unterschiedliche Interessen in der Planung miteinander in Einklang zu bringen Mediation, Partizipation und Planungskommunikation bis zum Marketing sind neue Kompetenzfelder, denen sich auch Landschaftsarchitektinnen und Umweltplaner stellen.
Als klassische Querschnittsdisziplin bearbeitet die Fachgruppe aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen von Klimawandelfolgen, Biodiversitätsverlust bis zu sozialer Ungleichheit. In vielen Feldern, zum Beispiel der Nachhaltigen Entwicklung, wurden Forschungsergebnisse frühzeitig, zum Teil unter anderen Bezeichnungen erarbeitet und öffentlich zur Debatte gestellt.
Im Rückblick ist es deutlich, dass die Studierenden den Studiengang maßgeblich mitprägten und bis heute prägen. Auch ihrer Hartnäckigkeit verdankt sich die stetige Anpassung des Stoffs an neue Fragen der Zeit und die Modernisierung des Studiums.
Gewissheiten in Lehre und Forschung
Geschafft wurden in den letzten Jahren die Umstellung auf das Europäische Bachelor- und Mastersystem mit der internationalen Ausrichtung von Lehre und Forschung. Weitergeführt wird die Pflege vielfältiger Kooperationen mit den Institutionen der Landeshauptstadt, der Region Hannover, dem Land Niedersachsen sowie die Zusammenarbeit mit Fachverbänden wie der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL).
Betrachtet man die Geschichte der Ausbildung in Hannover, so prägen grundlegende Gewissheiten die Lehre und die Forschung an der Leibniz Universität in Hannover:
Ein aufgeklärtes Naturverständnis
Pflanzen, Tiere und Menschen stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Die Umwelt, von der und in der wir leben, ist von Menschen gemacht und somit gestaltbar. Seien es Straßen, Kleingärten, Wälder, Parkanlagen oder Kulturlandschaften und Nationalparke - wir können und müssen sie nach unseren Bedürfnissen und mit einem energetisch so geringen Erhaltungsaufwand wie möglich transformieren.
Planung und Gestaltung, eingebettet in gesellschaftliche Entwicklungen
Landschaftsarchitektur und Umweltplanung sind angewandte Wissenschaften. Es geht immer auch um anspruchsvolle Ziele und gute Begründungen für Maßnahmen und Pläne. Diese sind nie richtig oder falsch, sondern aus unterschiedlichen Perspektiven immer nur mehr oder weniger überzeugend. Gerade in den Projekten lernen die Studierenden, wie viele gesellschaftliche Sichtweisen und Interessen in Planung und Entwurf zu berücksichtigen sind und wie sie sich für die jeweils umweltfreundlichen Lösungen positionieren müssen. Das Fach setzt nicht auf plattes Umweltmarketing.
Permanente (Um)Gestaltung der Umwelt - ein demokratie-politisches Projekt
Schon immer ringt die Profession mit ihrer Rolle. Ihre Vertreter und Vertreterinnen schwanken zwischen integrierender Allmacht und angeblich unpolitischer Planung, zwischen Methodendiktat und argumentativer Auseinandersetzung, zwischen Hightech- und Lowtech-Problemlösungen. Auch innerhalb der Profession existieren unterschiedliche Haltungen und Sichtweisen, die es auszuhalten gilt.
Ein Grund zum Feiern
Landschaftsarchitektinnen und Umweltplaner wühlen im urbanen Gartenboden, testen künstlerische Interventionen, gestalten die Landschaft für schützenwerte Arten oder simulieren virtuelle Landschaft in 3D. Alle setzen sich für die Vielfalt, die Eigenart und die Schönheit von Natur und Landschaft ein. Das hört man aus den Interviews mit Studierenden aus verschiedenen Jahrgängen gut heraus und kann es in dem neuen Podcast "vielfältig. eigenartig. schön. Stories und Stimmen zur Landschaftsarchitektur und Umweltplanung" hören. Unter diesem Motto wurde am 17. Juni auch der Geburtstag des Fachs gefeiert. Mit Ausstellungen, Führungen und Reden und vor allem mit einer von den Studierenden organisierten Sommernacht wurden alle Facetten dieser besonderen Ausbildung gewürdigt. In den nächsten Jahren werden viele Lehrstühle neu besetzt. Man darf gespannt sein, wie sich diese historisch gewachsene, aber höchst moderne und dringend gebrauchte Ausbildung am Standort Hannover weiterentwickelt.
Anmerkungen
Dr. Ursula Kellner studierte in Hannover von 1971 bis 1977. Sie hat sich mit Ihrer Dissertation mit dem Leben und Wirken Heinrich Friedrich Wiepkings beschäftigt. Von 2001 bis 2011 war sie die Redaktionsleiterin von Stadt und Grün.
Prof. Dr. Bettina Oppermmann studierte Landespflege an der Technischen Universität München und vertritt seit 2002 das Fachgebiet "Freiraumpolitik und Planungskommunikation" in Hannover.