Möglichkeiten zur Weiterentwicklung extensiv genutzter Rasenflächen in Großsiedlungen

Rasen - ein verschenktes Freiraumpotenzial?

von:
Grünflächen
Beschränkung der regelmäßigen Rasenpflege auf dauerhaft genutzte Bereiche im unmittelbaren Wohnumfeld, Chemnitz 2007.

Große Rasenflächen prägen seit ihrer Entstehung das Erscheinungsbild der Großwohnsiedlungen (GWS) in Ostdeutschland. Im intakten Wohnumfeld waren die Rasenflächen von intensiver Nutzung - häufig sogar Übernutzung - der Anwohner zur Freizeitgestaltung, Erholung und hauswirtschaftlicher Bewirtschaftung geprägt worden.¹) Heute dagegen ändern sich mit einer stetigen "Überalterung" der Anwohner und einem veränderten Freizeitverhalten der Bevölkerung auch die Nutzungsanforderungen an die Rasenflächen. So fallen einige der Grünflächen brach oder werden entsprechend ihrer extensivierten Pflege nur noch selten und mit einer geringen Intensität genutzt.

Diese aus Mangel an Alternativlösungen entstandenen großen Rasenflächen stellen jedoch keine zufriedenstellende Lösung im Umgang mit den neu gewonnenen Freiräumen dar. Sollen die GWS zukünftig weiterhin wettbewerbsfähig bleiben, so bedarf es einer den Bedingungen angepassten, kurz- bis mittelfristig wirksamen Zwischenbegrünung des Bauerwartungslandes.

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Grünflächen
Tab. 1: Auswertung der kartierten Rasenbestände nach ihrem gestalterischen Artenpotenzial.
Grünflächen
Tab. 2: Charakteristische Vegetationsgruppen von Rasen in Großwohnsiedlungen.

Untersuchung ausgewählter Rasen in GWS von Wolfen, Dessau und Chemnitz

Trotz einer Vereinheitlichung der Standortvoraussetzungen beispielsweise mittels Oberbodenaufschüttungen und der Verwendung normierter Rasenmischungen auf Basis weniger regenerationsfreudiger Gräser (Lolium perenne, Festuca rubra, Poa pratensis, Agrostis stolonifera und Agrostis capillaris) und standardisiert durchgeführter Pflegemaßnahmen entstehen aufgrund natürlicher Entwicklungen regional abgrenzbare Rasentypen.²) Seit Ende der 70er Jahre stehen diese Entwicklungen von Zier- und Gebrauchsrasen des Siedlungsraumes im Fokus pflanzensoziologischer Untersuchungen.3) Unterschiede in der Artenzusammensetzung ergeben sich maßgeblich in Abhängigkeit vom Standort, Alter, eingebrachter Saatgutmischung und Pflege der Rasenflächen.4)

Aufbauend auf den nunmehr gut untersuchten Vegetationstyp Rasen, werden die Rasenflächen der drei Untersuchungsgebiete im Folgenden pflanzensoziologisch untersucht, eingeordnet sowie mit anderen Rasengesellschaften verglichen und deskriptiv dargestellt. Anschließend werden diese zusammen mit dem Bodendiasporenspeicher - als Basis zur anschließenden Konzepterarbeitung - auf ihre standortgerechte Verwendung und gestalterisch-funktionalen Potenziale hin analysiert.

Grundlage der Untersuchung bilden die in 68 Rasenaufnahmeflächen (5x5 Meter) nachgewiesenen 159 Blütenpflanzen.

Die Größe und Verteilung dieser Flächen orientierte sich an den Vorgaben der Pflanzensoziologie von Hartmut Dierschke.5) Die Vegetationsaufnahme nach der Methode von Braun-Blanquet umfasst sowohl alte Rasenstandorte intakter Wohnstrukturen als auch neue innerhalb der Rückbauflächen.

Pflanzensoziologische Systematik von Rasengesellschaften

Die Untersuchungen von Scherrasen im Siedlungsbereich sind ein vergleichsweise noch junger Wissenschaftszweig in der Pflanzensoziologie. Diese werden nach Tüxen6) dem Cynosurion cristati - Verband der Fettweiden und Vielschurrasen - zugeordnet. Die eigenständige Assoziation Crepido capillaris-Festucetum rubrae (Grünpippau-Rotschwingel-Scherrasen) von Kienast7) kann nach Dierschke8) als erste genauere Beschreibung städtischer Scheerrasen am Beispiel Kassels genannt werden. Später fügte Müller9) mit der Trifolio repentis-Veronicetum filiformis eine umfassende Übersicht zur Vegetation der Vielschnittrasen im südlichen Bayern hinzu. Diese und zahlreiche Folgeuntersuchungen10) zeigen neben vielen Übereinstimmungen auch regionale Besonderheiten, die sich in einer unüberschaubaren Zahl an gebildeten Subassoziationen widerspiegeln. Als Assoziationskennarten gelten Crepis capillaris und Veronica filiformis. Mit Ausnahme dieser Kennarten wird die Assoziation gegenüber denen der Weiden vorwiegend negativ durch das Fehlen vieler nicht schnittfester Arten, zum Beispiel Cynosurus cristatus, Leontodon autumnalis und Phleum pratense, begrenzt.11)

Auf Ebene der Unterverbände fordert Röhricht12) eine klarere Trennung zwischen echten Weiderasen und Scherrasen. Analog der insgesamt schwachen Abgrenzung des Verbandes lassen sich auch diese Untergesellschaften nicht sehr scharf charakterisieren. Maßgebliches Abgrenzungsmerkmal des neuen Unterverbands der Park- und Scherrasen Bellidenion perennis suball. nov. gegenüber dem der echten Weiderasen Cynosurenion critati ist eine erhöhte Mahd. So treten nicht schnittfeste Klassenkennarten der Molinio-Arrhenatheretea weiter zurück und weit verbreitete schnittfeste Arrhenatheretalia Ordnungskennarten nehmen stetig zu. Innerhalb des Bellidenion perennis eingegliederte (Sub)Assoziationen entstehen maßgeblich aus Unterschieden in der Pflegeintensität, dem Alter, Großklima (atlantisch - kontinentale Prägung), Boden (nährstoffreich, bindig - nährstoffarm, sandig und der Trittintensität. Die Übergänge zwischen den Gesellschaften sind in der Regel fließend.13)

Rasen mit starker Trittbelastung werden in (sub)atlantischer Lage dem Lolietum perennis zugeordnet. Bei dauerhafter Belastung lösen sich Rasen in lückige Bestände der Plantago major-Trifolium repens-Gesellschaft auf. Diese zeichnen sich durch einen hohen Anteil an ruderalen Arten aus.14)

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Gepflegtes Wohnumfeld mit halböffentlichem Wirtschaftsbereich, Chemnitz 2007.
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Blühaspekte mit Ranunculus repens und Trifolium pratense auf einem extensiv gemähten Rasen,Chemnitz 2007.

Pflanzensoziologische Einordnung der Rasenbestände

Die untersuchten Rasenflächen lassen sich vegetationskundlich dem Verband Cynosurion cristati (Weiden und Parkrasen) zuordnen. Verbandscharakterarten15) mit der höchsten Stetigkeit sind Lolium perenne (82 Prozent) und Trifolium repens (63 Prozent). Die beiden Assoziations-Kennarten unterschiedlicher geographischer Verbreitung Veronica filiformis und Crepis capillaris (ein Prozent) waren nicht oder nur einmalig in den Flächen zu finden.

Darüber hinaus wurden in den Untersuchungsgebieten viele schnittfeste (Festuca rubra 74 Prozent, Poa pratensis 44 Prozent, Achillea millefolium 50 Prozent) und bodennah wachsende (Taraxacum officinalis 75 Prozent, Plantaogo lanceolata 74 Prozent, Bellis perennis 28 Prozent) Ordnungs- (Arrhenatheretalia) und Klassen- (Molinio-Arrhenatheretea) Charakterarten des Scherrasens aufgefunden.16) Die teilweise eine typische hohe Stetigkeit aufweisen.

Eine Abgrenzung des Cynosurion gegenüber dem Arrhenaterion erfolgt durch das Fehlen oder durch das starke Zurücktreten hochwüchsiger, nicht schnittfester Arrhenatherion-Charakterarten wie Arrhenaterum elatius (drei Prozent), Heracleum sphondylium (sieben Prozent), Leucanthemum vulgare (sechs Prozent) Galium album (drei Prozent) oder Lathyrus pratensis (6 Prozent).

Das vereinzelte Auftreten dieser nicht schnittfesten Wiesenarten und die hohe Anzahl ruderaler Hochstauden wie Artemisia vulgaris (35 Prozent), Hypericum perforatum (19 Prozent), Arctium lappa (sechs Prozent), Rumex obtusifolius (22 Prozent) sind Hinweise auf eine überwiegend nur extensive Rasenpflege der Flächen. Eine Abgrenzung gegenüber echten Weiderasen ist durch das Fehlen der wenig schnittfesten Trennart Cynosurus cristatus (Weidekammgras) möglich.

Innerhalb der Untersuchungsflächen lassen sich verschiedene Vegetationsgruppen herauslösen, die in Tabelle auf Seite 38 genauer dargestellt werden. Auf eine Unterteilung und Zuordnung in (Sub-)Assoziationen wird hier verzichtet, da diese für eine Umnutzung der Flächen wenig hilfreich ist.

Im Vergleich fällt der hohe Anteil von Nicht-Rasenarten auf. Insbesondere stechen jene ruderale Hochstauden und Wiesengräser hervor, die hochwüchsig und konkurrenzstark jedoch wenig schnittverträglich sind. Einige Flächen wurden zusätzlich mit bunt blühenden "Blumenwieseneinsaaten" von Landschaft- oder Kräuterrasen angereichert. In den Randzonen konnten sich vermehrt Gehölzkeimlinge und vereinzelt Arten aus Nachbarbiotopen wie Geum urbanum, Luzula pilosa, Filipendula ulmaria sowie Gärten (Armoracia rusticana) ansiedeln. Ferner ist das insgesamt nur unstete Auftreten von Trittzeigern auffällig. Diese Tatsache ist zugleich Hinweis einer extensiven Rasennutzung.

Analyse der Rasenbestände

Die Analyse des Bestandes dient als Arbeitsgrundlage der konzeptionellen Weiterentwicklung von Rasenflächen und unterteilt sich grob in zwei Bereiche. Im ersten Schritt werden die funktionalen Voraussetzungen zu Boden, Pflegezustand und Alter herausgearbeitet. In einem weiteren Schritt wurden eigene allgemeingültige Bewertungsparameter zur Beurteilung der wichtigsten gestalterischen Potenziale gebildet und übersichtlich in Tabelle 1 zusammengestellt. Diese spielen neben der Nutzbarkeit eine wichtige Rolle für die Akzeptanz der Grünflächen bei den Anwohnern.

Das Alter des Rasenbestandes

Die genaue Entstehungszeit und die verwendeten Saatgutmischungen ließen sich für viele Untersuchungsflächen im Rahmen dieser Arbeit nicht eindeutig zurückverfolgen. Doch viele der Rasen entstanden im Zuge der Rückbaumaßnahmen und waren zum Kartierungszeitpunkt entsprechend nur wenige Jahre alt. Diese jungen Rasenbestände sind in den ersten Jahren noch stark geprägt von den typischen Gräsern und Kräutern der Saatgutmischungen. Daneben befinden sich auch kurzlebige und ausdauernde Arten gestörter Standorte, die mit der Bodenvorbereitung aus dem Bodendiasporenspeicher aktiviert oder anderweitig aus der Umgebung eingebracht wurden. Diese "Wildarten" werden bei regelmäßiger Pflege innerhalb weniger Jahre durch die an häufigen Schnitt angepassten Rasenarten aus der Fläche verdrängt.

Mit zunehmendem Alter nimmt auch der Kräuteranteil zu und vegetativ ausbreitende Arten kommen zur Vorherrschaft, da eine dichte Grasnarbe die generative Vermehrung erschwert. Nach etwa acht Jahren wird in den meisten Rasen ein erstes pflegebedingtes Klimax-Stadium erreicht, in welchem sich eingesäte Gräser und spontan auftretende schnittangepasste Arten die Waage halten.17) Ab diesem Stadium werden die "Raseneinsaaten" nach Müller18) als Junge Rasen bezeichnet. Die Dominanz von Lolium perenne und die Artenvielfalt dienen als Indikatoren zur Altersbestimmung der Rasenbestände. So wird Lolium perenne nach Röhricht19) aufgrund strenger Winter im subkontinentalen Klima der Projektgebiete sukzessive durch Poa pratensis und Schafschwingelarten (aus Festuca ovina agg.) ersetzt. Auch die älteren Rasenbestände der Untersuchungsgebiete sind jedoch infolge der Entstehungsgeschichte der GWS mit maximal 30 Jahren in ihrer Entwicklung noch nicht abgeschlossen.

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Extensiv gemähter, mehrschichtiger und artenreicher Rasen, Wolfen 2007.
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Lückenhafte Raseneinsaat (1a) stark dominiert vom einjährigen Chenopodium album, aktiviert aus dem Bodendiasporenspeicher, Chemnitz 2008.

Böden

Die Böden der Untersuchungsgebiete wurden im Rahmen des standardisierten Bauablaufes der GWS mit großer Sicherheit zum Teil stark verändert. Nach Oberbodenabträgen, stellenweisen Verdichtungen, Horizontumschichtungen und ähnlichem wurden mit Beendigung der Hochbautätigkeiten die Böden in der Regel oberflächlich gelockert und anschließend mit einer neuen Deckschicht bestehend aus Lehm-, Sand- und Bauschuttgemischen mit einem hohen Humusanteil aufgeschüttet.

Über die tatsächlichen Bodenverhältnisse wie Wasser- und Stickstoffhaushalt geben Zeigerpflanzen nach Ellenberg20) innerhalb der Rasenbestände zuverlässig Aufschluss. Die Aussagefähigkeit der Angaben steigt mit zunehmendem Alter durch Verschiebungen des Artengefüges: weg von den standardisierten Raseneinsaaten, hin zu immer stärker standortangepassten Rasenbeständen.21) Diese natürliche Standortanpassung wird durch eine fehlende Bewässerung und Düngung innerhalb der Projektgebiete zusätzlich begünstigt.

In Anlehnung an Untersuchungen Münchner Rasen- und Wiesenflächen von Bracke22) wurde der Mittelwert aller erfassten Bestandsarten zur Beurteilung der Untersuchungsstandorte gebildet. Eine Gegenüberstellung dieser Zeigerwerte verdeutlicht die charakteristischen Bodeneigenschaften der einzelnen Untersuchungsgebiete. In Wolfen befinden sich überwiegend trockene und nährstoffarme Flächen. Hingegen ist das Chemnitzer Untersuchungsgebiet von frischen und mäßig nährstoffreichen Böden geprägt. Dessau nimmt mit seinen trockenen bis frischen mit mäßiger Nährstoffversorgung ausgestatten Böden eine Zwischenstellung ein. Diese Methode der Bodenanalyse bedarf jedoch einer differenzierten Betrachtung der Durchschnittswerte. Denn bei der Beurteilung von sehr kleinteilig wechselnden Bodenverhältnissen führt die Bildung der Durchschnittswerte von Mager- und Feuchtigkeitszeigern innerhalb einer Fläche zu irreführenden Schlussfolgerungen.

Pflegezustand

Viele der Rasenbestände zeichnen sich durch einen auffällig hohen Anteil mäßig schnittverträglicher Störungszeiger aus. Dies deutet auf eine nur unregelmäßig durchgeführte Pflege vieler Rasen hin. Diese Hinweise werden durch eigene Beobachtungen vor Ort bestätigt. Nur im intensiver genutzten wohnungsnahen Umfeld erfolgt eine regelmäßigere Mahd, so auch im Chemnitzer Untersuchungsgebiet wo sich die Rasentypen 1b und 2c konzentrieren.

Erscheinungsbild

Regelmäßig gepflegte grüne Rasenflächen gehören zum gewohnten Erscheinungsbild städtischer Freiflächen und entsprechen dem Wunsch der Anwohner nach Ordnung und Sauberkeit im Wohnumfeld. Extensiv gepflegte Rasen dagegen werden, wie in zahlreichen Gesprächen vor Ort bestätigt, eher negativ wahrgenommen. Sie werden häufig mit Unordnung und Vernachlässigung der Grünanlagen gleichgesetzt. Gründe hierfür sind unter anderem ungewohnte Bilder mit nicht ersichtlicher, gestalterischer Intention und der hohe Anteil von "Unkräutern" innerhalb der Flächen. Auch der Forderung nach Blütereichtum können diese Flächen nicht entsprechen. Diese Beobachtungen decken sich ebenfalls mit den Untersuchungen im Wohngebiet Berlin Hellersdorf.²³)

Die Beurteilung des Erscheinungsbildes hängt maßgeblich vom Vegetationstyp und den an ihn gestellten Anforderungen ab. Während ein Ruhe ausstrahlender Vielschnittrasen in Höhe, Farbe und Textur möglichst homogen wirken soll, wird von den lebhaften Wiesengesellschaften eine hohe Abwechslung in Höhe, Form und Farbe erwartet. Ziel der folgenden Arbeit ist die Weiterentwicklung der Vielschnittrasen hin zu neuen Vegetationsbeständen. Entsprechend dieser Zielstellung erfolgte die Zusammenstellung der Bewertungskriterien. Für eine möglichst objektive Beurteilung des Artenbestandes wurden unter anderem der Deckungsgrad und die Artenvielfalt hinzugezogen. Die Wuchshöhe sowie Auffälligkeiten in Blüte und Struktur der Arten wurden unabhängig vom aktuellen Pflegeregime, auf ihre Potenziale im Rasenumbau untersucht. Der durchschnittliche Deckungsgrad zum Kartierungszeitpunkt war mit rund 90 Prozent für ein gutes Erscheinungsbild ausreichend hoch. Ausnahmen bildeten junge Raseneinsaaten, die ihren maximalen Deckungsgrad noch nicht erreicht hatten respektive Rasen sehr trockener oder frisch gemähter Standorte.

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Tab. 3: Auswertung des erfassten Bodendiasporenvorrats nach dessen gestalterischen Artenpotenzial.
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Styropor-Anzuchtschalen mit den gesiebten Bodenproben im Kalthaus der TU-Berlin.
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Zehn Zentimeter tiefe Bodenprobenentnahme mittels eines Rasensodenstechers.

Optisch dominierten nur wenige Grasarten (16 Prozent vom Artenspektrum) das Rasenbild. Diese decken in der Regel mehr als Zweidrittel der Flächen ab. Besonders bei "unkrautfreien" Neuansaaten ist die Dominanz der Saatgutgräser entsprechend hoch. In sieben der 68 Aufnahmen war die Kräuter-Gräser-Deckung annähernd ausgeglichen und bei acht Aufnahmen dominierten sogar die Kräuter das Erscheinungsbild der Flächen. Hohe Deckungsgrade erreichten überwiegend niedrige Leguminosen wie Trifolium repens, Medicago sativa agg., Trifolium pratense oder an Schnitt angepasste Kräuter wie Achillea millefolium, Ranunculus repens und Taraxacum officinale. Gestalterisch auffallend ist die mit über 60 Prozent hohe Artenvielfalt auffällig blühender Arten. Dieses Potenzial wird jedoch in den regelmäßig geschnittenen Rasen meist unterdrückt oder nur bei vereinzeltem Auftreten in der Fläche bisher kaum wahrgenommen.

Als Kriterien zur Beurteilung der Blühwirkung dienen mitunter die Blütengröße, -anzahl, -form und Lage. Dominierende Farbtöne sind gelb und weiß, welche sich ausgezeichnet von dem grünen Hintergrund abheben. Auch bei den übrigen Farbspektren dominieren helle Pastelltöne das Bild. Der potenzielle Blütezeitraum erstreckt sich vom Frühsommer bis Herbst, mit dem Höhepunkt im Frühsommer. Neben der Blüte trägt der Schichtaufbau einer Pflanzengemeinschaft entscheidend zum Erscheinungsbild bei. In Vielschnittrasen ist der Aufbau einschichtig aus niedrig wachsenden Arten und an Schnitt angepassten hohen Arten zusammengesetzt. Überraschend ist daher der mit mehr als 60 Prozent insgesamt große Artenanteil hoher (< 100 Zentimeter) und mittelhoher Pflanzen (50 bis 100 Zentimeter). Darunter befinden sich auch weniger schnittverträgliche Arten, die von der bereits reduzierten Schnittanzahl einiger Rasenflächen profitieren. So sind die Rasenbestände bei einer dauerhaften Pflegereduzierung kurzfristig in der Lage, mehrschichtige Pflanzenbestände auszubilden.

Keimfähiges Diasporenpotenzial der Rasenböden

Viele Pflanzen überdauern längere Zeiträume mittels Lagerung ihrer Diasporen (Samen und Früchte) im Boden und können bei einer Störung der Rasennarbe kurzfristig aktiviert werden. Die genaue Zeitspanne, die keimfähige Samen im Boden überdauern können, ist laut Villiers24) von Art zu Art sehr unterschiedlich und wird durch eine gute Wasserversorgung im Boden begünstigt. Artenzusammensetzungen und Diasporenanzahl der Oberböden stehen nach Kirmer25) in starker Abhängigkeit vom Bodentyp und der vorangegangenen Nutzungsgeschichte. Untersuchungen von Grünlandgesellschaften zeigen jedoch, dass selbst bei gleichbleibenden ökologischen Bedingungen der Samenvorrat im Boden nicht identisch mit den Arten des Vegetationsbestandes ist und das dieser für den langfristigen Bestandsaufbau nur eine untergeordnete Bedeutung darstellt.26)

Seit Ende der 1980er Jahre rückte vermehrt die Bedeutung der Diasporenbank bei der Renaturierung und Wiederherstellung von Grünlandgesellschaften in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Diskurses.27) Auch für die Weiterentwicklung von Rasengesellschaften wurden die Bodensamen-Potenziale von Parkrasen in die Forschung eingeschlossen.28)

Untersuchungen der Diasporenvorräte von Rasenflächen in Großwohnsiedlungen lagen bisher nicht vor. Die in allen Projektgebieten verbindende Besonderheit ist die vielschichtige Nutzungsgeschichte. Im Zuge von Bau- und späteren Abrissmaßnahmen wurden immer wieder Oberböden abgetragen, zwischengelagert, gemischt, neu aufgebracht und stellenweise stark verdichtet. Im Vorfeld der Rasenumwandlung stellte sich daher die Frage, welches gestaltungsrelevante Artenpotenzial innerhalb dieser Oberböden ruht und mit Verletzung der Rasennarbe den Entwicklungsprozess der Rasenflächen beeinflusst. Wie unterscheidet sich der Samenvorrat im Boden von den Vegetationsspektren des Rasens? Hemmt oder fördert dieser die Entwicklung der Zielvegetation im Rasenumbauprozess?

Zur Beantwortung dieser und anderer Fragen wurden Samenbänke beispielhafter Flächen untersucht. Vegetative Ausbreitungseinheiten und der Sameneintrag aus der Umgebung sind in diese Betrachtungen nicht mit eingeschlossen.

Versuchsaufbau

Um den Aufwand an Zeit und Kosten in einem dafür angemessenen Rahmen zu halten, wurde in jeden der Untersuchungsgebiete von jeweils acht der kartierten Rasenflächen das keimfähige Bodensamenpotenzial analysiert. Unter den möglichst gleichmäßig in den Wohngebieten verteilen Rasenstandorten befinden sich neben jungen Rasenansaaten auf Rückbauflächen auch Rasenbestände noch intakter Wohnanlagen aus den 1970er und 80er Jahren.

Überprüft wurde die Samenbank bis in zehn Zentimeter Bodentiefe, da vorausgegangene Untersuchungen29) in Grünlandgesellschaften zeigten, dass darunter die Zahl der keimfähigen Samen rasch abnimmt. Im Juni 2007 wurden von den jeweils 25 Quadratmeter großen Rasenkartierungsflächen acht kreisrunde Rasensoden (Durchmesser zehn Zentimeter) mit durchwurzelter Erde entnommen.

In Anlehnung an Thompson et al.30) und Bekker et al.31) wurden mittels Siebung der Bodenproben alle vegetativen Pflanzenteile größer als drei Millimeter entfernt und die Proben anschließend in Styropor-Anzuchtschalen etwa zwei Zentimeter stark aufgebracht. Die Pflanzenkeimlinge der Proben wurden zwölf Monate lang im Kalthaus gezählt und nach der Bestimmung entfernt oder zur Nachbestimmung umgetopft. Im Anschluss erfolgten eine Umschichtung der Bodenproben und eine Wiederholung der Untersuchung für weitere zwölf Monate. Die Erfassung der aufkommenden Keimlinge erstreckte sich somit über 24 Monate. Die wichtigsten daraus abgeleiteten Ergebnisse sind in Tabelle 3 dargestellt.

Auswertung

Insgesamt konnten 12 114 Bodenkeimlinge ausgezählt und bestimmt werden. Dies entspricht einem Mittelwert von 8037 Diasporen/Quadratmeter in den oberen zehn Zentimetern der Rasenböden. Im Vergleich mit anderen Untersuchungen des Diasporengehaltes von extensiven Feuchtgrünland (45 778), Grünlandbrachen (14 281) Patzelt³²) und niederländischen Dauerweiden (9954 in Null bis fünf Zentimetern) Altena³³) ist dieser Durchschnittswert entsprechend gering. Die Differenzen zwischen den jeweiligen Einzelproben von 637 bis 36 529 Diasporen/Quadratmeter sind entsprechend hoch.

Aufgrund der geringen Anzahl an Untersuchungsflächen konnten bezüglich den Standortvoraussetzungen und der Diasporenmenge und Artenvielfalt keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden. Dennoch zeichnen sich erste eminente Tendenzen ab. So befindet sich die höchste Diasporendichte überwiegend in den etablierten Rasen trockener Standorte. Böden mit nur geringeren Samenanteilen sind verteilt über alle Rasentypen, tendenziell jedoch vorzugsweise auf frischeren Standorten. Die geringste Artenvielfalt befindet sich ebenfalls in eher frischen bis feuchten Lagen. Der Einfluss aufgrund von Bautätigkeiten neu eingebrachter Oberböden auf das Artenspektrum ließ sich nur an einer frisch eingesäten Rückbaufläche in Dessau eindeutig aufzeigen. Hier war nur ein sehr geringer Diasporenvorrat im Boden nachweisbar.

Insgesamt liegt die Übereinstimmung des Artenspektrums vom Bodendiaporenspeicher und dem Rasenbestand zwischen 70 bis 90 Prozent. Somit ist im Gegensatz zu untersuchten Dauerweiden34) ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Bodenspeicher und der vorhandenen Vegetation nachweisbar. Ein Grund hierfür könnte das vergleichsweise geringe Alter der Rasenbestände sein, da der Vorrat an Bodendiasporen erst mit zunehmenden Alter steigt, oder ein gegenüber der freien Landschaft insgesamt geringerer Sameneintrag aus der Umgebung.

Rasenkennarten mit der höchsten Stetigkeit und Samenanzahl sind Poa trivialis (96 Prozent), Taraxacum officinale (79 Prozent), Poa pratensis (79 Prozent) und Lolium perenne (75 Prozent). Der maßgebliche Anteil gestalterisch relevanter Wiesenarten tritt mit einer Stetigkeit von zehn bis 30 Prozent in den Untersuchungsflächen auf. Von den Leguminosen dominieren Trifolium repens (71 Prozent) und Medicago lupulina (67 Prozent) den Bodenbestand.

Ablesbare Divergenzen zum Rasenbestand bestehen im erhöhten Anteil kurzlebiger Arten überwiegend gestörter Standorte wie Capsella bursa pastoris 92 Prozent, Poa annua (79 Prozent), Chenopodium album (79 Prozent), die im Rasen nur vereinzelt auftreten. Dieser Anteil wird von ausschließlich im Boden nachgewiesenen Arten wie Stellaria media (83 Prozent), Spergularia rubra (54 Prozent), Arabidopsis thaliana (46 Prozent) zusätzlich verstärkt. Insgesamt dominieren diese schnellwüchsigen Arten der Ackerwildkraut- und Ruderalgesellschaften die Bestände, die daher bei einer Aktivierung des Bodenspeichers in den ersten Jahren einen hohen Einfluss auf die Entwicklung von Neueinsaaten nehmen können.

Auch Arten der Wald(rand)- und Gebüschgesellschaften treten im Boden zusammen mit an mehreren Lebensbereichen gut angepassten Universalarten verstärkt auf. Arten wie Galium aparine und Stachys sylvatica können besonders bei der Entwicklung im Gehölzrandbereich der Rasenflächen von Bedeutung sein. Neue, für eine Planung relevante, langlebige Wiesenarten sind im Boden in der Regel nicht zu erwarten. Einzige Ausnahme waren Festuca nigrescens-Samen in einer Wolfener Aufnahmefläche.



Anmerkungen/Literatur

¹) Birgelen, Alexander von (2010): Freiräume in Großwohnsiedlungen der ehemaligen DDR. Teil 2: Realisierung von Pflege und Unterhaltung der Grünflächen in den 1970er- und 80er Jahren. In: Stadt+Grün 10/2010, S. 45-51.

²) vgl. Müller, N. 1989.

³) Kienast, D. (1978): Die spontane Vegetation der Stadt Kassel in Abhängigkeit von bau- und stadtstrukturellen Quartiertypen. Urbs et Regio 10, Kassel.

4) vgl. Müller (1989), Müller (1989a).

5) Dierschke, Hartmut (1994): Pflanzensoziologie - Grundlagen und Methoden. Eugen Ulmer Verlag - Stuttgart.

6) vgl. Tüxen 1947 in Dierschke (1997).

7) vgl. Kienast (1978).

8) vgl. Dierschke (1997).

9) Müller, Norbert (1988): Südbayrische Parkrasen - Soziologie und Dynamik bei unterschiedlicher Pflege. In: Dissertationes Botanicae Band 123, J. Cramer Verlag Berlin Stuttgart

10) vgl. u.a. Röhricht (2003).

Maurer, Ute (2002): Pflanzenverwendung und Pflanzenbestand in den Wohnsiedlungen der 1920er und 1930er Jahre in Berlin - ein Beitrag zur historischen Pflanzenverwendung. In: Dissertationes Botanicae Band 353, J. Cramer Verlag Berlin Stuttgart, S. 1-221.

Oberdorfer, Erich (Hrsg.) (1993): Süddeutsche Pflanzengesellschaften - Teil III. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, New York. 3. Auflage. S. 1-455.

Hard, Gerhard (1983): Die spontane Vegetation der Wohn- und Gewerbequartiere von Osnabrück (I). In: Osnabrücker naturwissenschaftliche Mitteilungen 9. S.151-203.

11) vgl. Dierschke (1997).

12) vgl. Röhricht (2003).

13) vgl. ebd.

14) vgl. ebd.

Dierschke, Hartmut & Briemle, Gottfried (2002): Kulturgrasland: Wiesen, Weiden und verwandte Staudenfluren, Ulmer Verlag, Stuttgart.

15) nach Dierschke (2002).

16) vgl. ebd.

17) vgl. Müller (1989a).

Müller, Norbert (1989b): Zur Umwandlung von Parkrasen in Wiesen - Teil 2: Die Entwicklung junger Parkrasen und Rasenansaaten bei Pflegeumstellung. In: Das Gartenamt 38 (1989) Mai, S. 311-316.

18) vgl. Müller (1989b).

19) vgl. Röhricht (2003).

20) Ellenberg, Heinz, Weber, Heinrich, Düll, Ruprecht, Wirth, Volkmar, Werner, Willy (2001): Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropa. In: Scripta Geobotanica XVIII, 3., durchgesehene Auflage, Erich Goltze Verlag, Göttingen.

21) vgl. Müller (1989).

22) Brackel, Wolfgang von & Brunner, Michael (1997): Geobotanische Dauerbeobachtung in Grünflächen der Stadt München - Untersuchungen zur Optimierung der Pflege von Parkrasen und -wiesen. In: Stadt und Grün 2/97, S.107-116.

23) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Auftraggeber) (2001): Sozialstudie - Oberweißbacher Straße in Marzahn Hellersdorf. STATTBAU, Berlin (Auftragnehmer), Eigenverlag, Berlin.

24) vgl. 1973 Villiers in Patzelt, Anette (1998): Vegetationsökologische und populationsbiologische Grundlagen für die Etablierung von Magerwiesen in Niedermooren. In: Dissertationes Botanicae Band 297, J. Cramer Verlag Berlin Stuttgart, S. 1-154.

25) Kirmer, A. & Tischew, S.; Hrsg. (2006): Handbuch naturnahe Begrünung von Rohböden. B.G. Teubner, Wiesbaden.

26) vgl. Patzelt (1998).

Müller, Norbert (1989c): Zur Umwandlung von Parkrasen in Wiesen - Teil 3: Gezielte Artenanreicherung durch Einsaaten. In: Das Gartenamt 38 (1989) Juni, S. 375-379.

27) vgl. Patzelt (1998).

28) vgl. Müller (1988).

29) bspw. von Numata 1984 in Müller (1989c).

Foerster, E. (1956): Ein Beitrag zur Kenntnis der Selbstverjüngung von Dauerweiden. In: Z. Acker-Pflanzenbau 100, S. 273-301.

Bekker, Renée; Verweij, Geurt; Bakker, Jan & Fresco, Latzi (2000): Soil seed bank dynamics in hayfield succession. In: Journal of Ecology 88, S. 594-607.

30) Thompson, K., Bakker, J.P. & Bekker, R.M. (1997): Soil Seed Banks of North West Europe: Methodology, Density und Longevity. Cambridge University Press, Cambridge, UK.

31) vgl. Bekker et al. (2000).

32) vgl. Patzelt (1998).

33) Altena, Suzanne van & Minderhoud, J.W. (1977): Sukzession an einem Zierrasen. In: Zeitschrift Acker- und Pflanzenbau 139, Paul Parey Verlag, Berlin und Hamburg S. 95-109

34) vgl. Bekker et al. (2000), Altena (1972).

Prof. Dr. Alexander von Birgelen
Autor

Hochschule Geisenheim, Institut für urbanen Gartenbau und Pflanzenverwendung

Hochschule Geisenheim

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