Trotz Verdichtung Lebensräume für Flora und Fauna erhalten
Ökologischer Ausgleich im Siedlungsgebiet: Ein Balanceakt
von: Reto Hagenbuch, B.Sc. Tobias WildhaberDie Biodiversität befindet sich auch in der Schweiz in einem kritischen Zustand (Forum Biodiversität Schweiz, 2022). Rund ein Drittel aller bekannten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten ist gefährdet (Federal Office for the Environment FOEN, 2018). Dieser Verlust an Biodiversität ist vor allem auf die intensive Nutzung natürlicher Ressourcen durch den Menschen zurückzuführen (Schweizerischer Bundesrat, 2018).
Trotz verschiedener Schutzbemühungen und einem wachsenden Bewusstsein für die Bedeutung der Biodiversität hat die Schweiz bisher nur einen kleinen Teil ihrer selbst gesteckten Biodiversitätsziele erreicht (Bundesamt für Umwelt BAFU & Bundesamt für Landwirtschaft BLW, 2016).
Der Biodiversitätsverlust birgt auch erhebliche Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft, die auf die vielfältigen Leistungen der Biodiversität angewiesen sind. Arten und die mit ihnen verbundenen Ökosystemleistungen gehen unwiederbringlich verloren, was die aktuellen Herausforderungen weiter verschärft. Insbesondere zwischen dem Biodiversitätsverlust und dem Klimawandel bestehen klare Wirkungszusammenhänge (McElwee, 2021; Shivanna, 2022). Eine hohe Biodiversität kann eine relevante Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel spielen oder als Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels dienen und damit zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Bevölkerung beitragen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Biodiversität reichhaltig und anpassungsfähig gegenüber Veränderungen ist (Bundesamt für Umwelt BAFU, 2021).
Vor diesem Hintergrund ist ein verstärktes Engagement dringend notwendig. Insbesondere sind die Kantone und Gemeinden gefordert, die biologische und landschaftliche Qualität zu fördern und zu erhalten. Der ökologische Ausgleich ist dabei ein wichtiges Instrument, um dem Verlust der Biodiversität entgegenzuwirken. Er soll in intensiv genutzten Gebieten den Verlust an naturnahen Lebensräumen und Strukturen kompensieren, die Vernetzung fördern und die Artenvielfalt unterstützen (Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG), 1991). Dies betrifft insbesondere das Siedlungsgebiet.
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Ein Schlüsselelement für Biodiversität im Siedlungsraum
Urbane Räume sind durch eine intensive Landnutzung und eine zunehmende bauliche Verdichtung geprägt. Der ökologische Ausgleich soll trotz dieser Bedingungen zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität beitragen. Durch die Schaffung naturnaher und ökologisch wertvoller Flächen sollen negative Auswirkungen auf die Umwelt ausgeglichen und natürliche Lebensräume für Tiere und Pflanzen neu geschaffen oder verbessert werden. Beispiele für solche Flächen sind Blumenwiesen mit standortheimischen Arten, Wildhecken, Bäume, stehende und fließende Gewässer, Trittsteine aus Kleinstrukturen oder auch extensive Dachbegrünungen.
Die Umsetzung von Maßnahmen des ökologischen Ausgleichs ist jedoch ein komplexes Unterfangen, das im Spannungsfeld zahlreicher Faktoren steht, darunter rechtliche Rahmenbedingungen, unterschiedliche Interessen von Akteurinnen und Akteuren sowie die Wahrnehmung und aktive Beteiligung der Bevölkerung.
Der rechtliche Rahmen
Die erfolgreiche Umsetzung des ökologischen Ausgleichs im Siedlungsgebiet hängt stark von der gesetzlichen Verankerung und den rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Diese definieren die konkreten Anforderungen und Standards an die Kompensationsmaßnahmen und tragen zur Sicherstellung des Vollzugs bei. In der Schweiz ist dieser Vollzug des ökologischen Ausgleichs stark subsidiär geregelt. Der Bund schreibt die Umsetzung des ökologischen Ausgleichs im Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) vor, lässt den Kantonen und Gemeinden aber einen großen Handlungsspielraum. Dies bringt einerseits eine hohe Flexibilität, um auf lokale Besonderheiten eingehen zu können. Andererseits besteht Rechtsunsicherheit und der Interpretationsspielraum führt zu großen Unterschieden in der Vollzugspraxis. Diese Situation soll nun mit einer Arbeitshilfe des Bundes geändert werden, welche die Kantone und Gemeinden bei der Schaffung klarer Bestimmungen unterstützt (Bundesamt für Umwelt BAFU, 2022).
Ein koordinierter Ansatz
Aufbauend auf einer umfassenden und eindeutigen Rechtsgrundlage erfordert der ökologische Ausgleich eine enge Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren. Eine effiziente Vernetzung auf verschiedenen Ebenen – innerhalb der Gemeinden, zwischen den Gemeinden und zwischen den politischen Ebenen – kann dazu beitragen, Synergien zu optimieren und Konfliktpotenziale zu reduzieren. Darüber hinaus trägt ein koordiniertes Vorgehen dazu bei, den ökologischen Ausgleich als Querschnittsthema in verschiedenen Politik- und Handlungsfeldern zu verankern.
Eine frühzeitige Einbindung des ökologischen Ausgleichs in Planungsprozesse ermöglicht eine sinnvolle verwaltungsinterne Abstimmung mit anderen umwelt- und gesellschaftspolitischen Instrumenten. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen zur Klimaanpassung, zum Regenwassermanagement oder zum Baumschutz.
In der Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen und Planenden ergibt sich eine verbesserte Abstimmung mit anderen Nutzungsinteressen und eine Einpassung in gestalterische Ansprüche im Siedlungsraum. Dies betrifft insbesondere Grundeigentümerinnen und Bauherrschaften, Fachplanerinnen aus Architektur und Landschaftsarchitektur sowie der Raumplanung.
Fachliche und finanzielle Unterstützung: Schlüsselelemente für erfolgreiche Maßnahmen
Basierend auf einer integrativen Planung ermöglicht eine fachliche und finanzielle Unterstützung den Beteiligten, konkrete Ausgleichsmaßnahmen effektiv und nachhaltig umzusetzen.
Die fachliche Begleitung stellt sicher, dass die Maßnahmen geeignet sind und die angestrebten ökologischen Ziele erreichen. Sie vermittelt Fachwissen dort, wo es heute oftmals fehlt oder noch ungenügend ist. Dies betrifft zum Beispiel kleinere Gemeinden, die selbst nicht über das notwendige Fachpersonal verfügen. Die Unterstützung kann durch Fortbildungsmaßnahmen, Beratungsangebote oder den Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen und Umsetzungsleitfäden erfolgen. Wissensportale wie die von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW, zehn Schweizer Städten und dem Bundesamt für Umwelt, entwickelte Plattform fokus-n (www.fokus-n.ch) tragen ebenfalls zu einer fachlich korrekten Umsetzung bei.
Für die Umsetzung von ökologischen Ausgleichsmaßnahmen ist eine finanzielle Unterstützung unerlässlich. Eine Ausstattung mit angemessenen Finanzmitteln kann die Qualität und den Umfang der umgesetzten Maßnahmen verbessern, deren fachgerechte Pflege gewährleisten und damit den langfristigen Erfolg sichern.
Akzeptanz und Beteiligung: Ein wichtiger Aspekt in der Umsetzung
Nicht zuletzt ist die gesellschaftliche Akzeptanz und die aktive Beteiligung der Bevölkerung ein wesentlicher Einflussfaktor für die Umsetzung von ökologischen Ausgleichsmaßnahmen – oder von Naturförderungsmaßnahmen im Allgemeinen. Beides trägt dazu bei, die Wertschätzung für die Natur und die Notwendigkeit der Erhaltung der Biodiversität im Siedlungsraum zu erhöhen. Durch gezielte Informations- und Bildungsmaßnahmen soll das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Bauprojekten, der allgemeinen menschlichen Nutzung und den daraus resultierenden Veränderungen der natürlichen Lebensräume sowie den notwendigen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen gestärkt werden. Durch Sensibilisierung und Beteiligung der Öffentlichkeit sollen Bauherrschaften und politische Entscheidungsträgerinnen stärker in die Verantwortung genommen werden, indem Erwartungen und Forderungen der Öffentlichkeit formuliert und in politische Prozesse einerseits und Planungsprozesse andererseits eingebracht werden.
Der Ökologische Ausgleich als Chance
Der ökologische Ausgleich im Siedlungsgebiet stellt große Herausforderungen, aber auch neue Chancen für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität im Siedlungsraum dar. Zwar gilt die beschriebene rechtliche Ausgangslage besonders für die Schweiz – der Druck auf die Natur in den Städten und im intensiv genutzten Umland ist jedoch nicht länderspezifisch.
Mit einem konsequenten, koordinierten und partizipativen Vorgehen kann es gelingen, diese Herausforderung als Querschnittsaufgabe wahrzunehmen und damit lebenswerte Städte für Mensch und Natur zu gestalten. Der ökologische Ausgleich ist dabei nur ein Instrument unter vielen und muss mit anderen Interessen gut abgestimmt werden. Ziel ist es, eine Balance zu finden – zwischen kurzfristigen Zielen und langfristig wirksamen Maßnahmen.
Literatur und Quellen
Bundesamt für Umwelt BAFU. (2021). Ökologische Infrastruktur: Arbeitshilfe für die kantonale Planung im Rahmen der Programmvereinbarungsperiode 2020–24 (BAFU-417.21-4/3/4/7).
Bundesamt für Umwelt BAFU. (2022). Biodiversität und Landschaftsqualität im Siedlungsgebiet – Empfehlungen für Musterbestimmungen für Kantone und Gemeinden.
Bundesamt für Umwelt BAFU & Bundesamt für Landwirtschaft BLW. (2016). Umweltziele Landwirtschaft: Statusbericht 2016.
Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG), Pub. L. No. SR 451.1 (1991). https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/249_249_249/de
Federal Office for the Environment FOEN. (2018). Switzerland’s Sixth National Report to the United Nations Convention on Biological Diversity (Nr. R514-0040).
Forum Biodiversität Schweiz. (2022). Was die Schweiz für die Biodiversität tun kann – Handlungsoptionen für ausgewählte Sektoren. Akademie der Naturwissenschaften.
McElwee, P. (2021). Climate Change and Biodiversity Loss. Current History, 120(829), 295–300. https://doi.org/10.1525/curh.2021.120.829.295
Schweizerischer Bundesrat. (2018). Umwelt Schweiz: Bericht des Bundesrates (UI-1813-D).
Shivanna, K. R. (2022). Climate change and its impact on biodiversity and human welfare. Proceedings of the Indian National Science Academy, 88(2), 160–171. https://doi.org/10.1007/s43538-022-00073-6