Radwege als Aufgabe der Freiraumplanung
Mehr als Fahrbahnen für Fahrräder
von: Dr.-Ing. Katrin KorthDiese Frage der Ausgestaltung sollte nicht nur den Verkehrsplanungs- und Tiefbaubüros überlassen werden, die üblicherweise Verkehrsanlagen planen, sondern ist als eine Aufgabe der Freiraumplanung zu verstehen. Schließlich geht es bei der Planung von Radwegen (und auch bei der Planung von Gehwegen) um mehr als eine verkehrstechnische Dimensionierung. Nur wenn sich Radwege gestalterisch angemessen in den öffentlichen Raum integrieren, können sie ihre Funktion gut erfüllen, eine angenehme Nutzung ermöglichen und im besten Fall sogar animieren, mehr auf das Rad zu steigen.
Gestalterische Aspekte bei der Radwegeplanung bewegen sich oft zwischen zwei Extremen: dem Versuch, Fahrradwege möglichst unsichtbar im Stadtraum zu führen, was gern als "selbstverständliche Integration" nach dem Vorbild von Shared space bezeichnet wird und dem Umgang mit den mehr oder minder auffälligen, farbigen Belägen, die mittlerweile nicht mehr nur in Kreuzungsbereichen eingebaut oder aufgestrichen werden. Beide Ansätze können richtig sein. Sie können gleichzeitig komplett falsch sein, wenn sie die sonstigen nutzungsspezifischen und stadträumlichen Randbedingungen nicht ausreichend beachten.
Die Aufgabe, Radwegeinfrastrukturen in einer angemessenen Funktion gestalterisch in den Stadt- oder Landschaftsraum zu integrieren, ist eine der spannenden Aufgaben innerhalb der Transformation unserer Städte. Dabei polarisiert die Planungsaufgabe Radinfrastruktur und führt zu kommunalpolitisch erbitterten Diskussionen. Denn auch wenn sich im Grundsatz alle einig zu sein scheinen, dass Radverkehr gefördert werden sollte, wird es bei der konkreten Umsetzung oft kritisch, denn der Platz für Fahrradinfrastruktur geht meist zulasten des Platzes für Autos. Wenn Autoparkplätze für Fahrradwege weichen müssen, dann ist Schluss mit der Einigkeit. Theoretisch ist klar, dass es eine Umverteilung im Stadtraum geben muss. Praktisch sollte das möglichst nicht zu einem Verlust an Straßenbreite oder Stellplätzen führen. In diesem Fall ziehen zu Fuß gehende Menschen den Kürzeren und Rad- sowie Fußwege drängen sich auf den verbleibenden Flächen, was zwangsläufig zu neuen Konflikten führt.
SUG-Stellenmarkt
Rüpelnde Radfahrende, irrlichternde Fußgänger, überforderte Autofahrende? Wachstumsmarkt Radverkehr
Verfolgt man die Diskussionen über Radverkehr in Leserbriefspalten oder auch sozialen Medien, dann scheint es, als wären heutige Radfahrende eine neue Spezies egozentrischer, rücksichtsloser und permanent regelbrechender Verkehrsteilnehmer – dies finden Autofahrende und zunehmend auch zu Fuß gehende Menschen. Umgekehrt beklagen viele Radfahrende das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmenden. Hier lohnt sich ein kurzer Blick auf die Entwicklung des Radverkehrs. In der Zeit vor der autogerechten Stadt war der Normalfall das Zufußgehen, irgendwann ergänzt durch Fahrräder und öffentlichen Verkehr. Mit der autogerechten Stadt wurde der Radverkehr an den Rand gedrängt. Die Fahrbahn wurde gebraucht für fahrende und zunehmend auch parkende Autos. Für Fußgänger gab es Bürgersteige. Radwege wurden, wenn es denn welche gab, in der Regel als Teil der Bürgersteige verstanden. Radfahrende gerieten aus dem Blickwinkel der Autos und brauchten (und brauchen) im Alltagsverkehr Mut und Phantasie, um im autogeprägten Stadtverkehr zurechtzukommen. Gleichzeitig war das Fahrrad immer schon ein praktisches Gefährt: Fahrradfahren ist einfach. Einmal gelernt, verlernt man es nicht mehr. Das Fahrrad ist günstig in der Anschaffung, man kann es einfach überall abstellen, es ist flexibel bei der Nutzung etwa von Straßen, Radwegen, Bürgersteigen oder Feldwegen. Die Nutzung des Fahrrads ist zudem scheinbar keinen Regeln unterworfen.
In den letzten Jahren widerfuhr dem Fahrrad ein erstaunlicher Entwicklungsschub und mit ihm veränderte sich der Radverkehr deutlich. In fast allen Städten und selbst auf dem Land hat der Radverkehr deutlich zugenommen – im Alltag, im Freizeitverkehr und im Tourismus. Es gibt viele Gründe für das Fahrradfahren und die meisten sind ideologiefrei. Mit dem Rad ist man in der Stadt meistens schneller, muss keinen Parkplatz suchen und hat sogar etwas für die Gesundheit getan. Die Städte profitieren auch vom zunehmenden Radverkehr und selbst der Einzelhandel, der oft genug immer noch den Autoparkplatz vor der Tür will, hat Mehreinnahmen durch Radlerinnen und Radler.
Das Fahrrad oder Pedelec ist im Verkehrsmittelvergleich das Fortbewegungsmittel mit dem höchsten Wachstumspotenzial. 2022 gab es knapp zwei Fahrräder je Haushalt in Deutschland, was 82,8 Millionen Fahrrädern entspricht, davon zehn Millionen Pedelecs. Mit dem flächendeckenden Durchbruch der elektrisch angetriebenen Fahrräder stieg in den letzten Jahren das Geschwindigkeitsniveau deutlich. Die Radwegeinfrastruktur ist nicht mitgewachsen und so drängen sich immer mehr Radfahrende auf den zu wenigen und nicht ausreichend ausgebauten Wegen. Dementsprechend lautet die Forderungen an die Politik: mehr Radwege bauen und sichere Fahrrad-Abstellanlagen errichten.
Konfliktträchtiger Radverkehr
Der größte Teil des Rad- und Fußverkehrs findet innerhalb von Ortschaften statt. Im Jahr 2023 starben hier 902 Menschen, davon waren 66 Prozent mit einem Fahrrad mit und ohne Elektroantrieb oder zu Fuß unterwegs. Zwar ging die Zahl der Verkehrstoten in den letzten 13 Jahren um 22,2 Prozent zurück, jedoch stieg in diesem Zeitraum die Zahl der auf Fahrrädern Getöteten um 17,1 Prozent. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Schuld an Unfällen zumeist bei Fahrradfahrenden gesehen und auch die Presse berichtet leider oft genug so, als wäre der schuldhafte Zusammenstoß eines Autos mit einem Fahrrad eine unvermeidbare Vorsehung nach dem Motto: "Autofahrer übersah Fahrradfahrerin beim Rechtsabbiegen". Richtigerweise müsste es ja heißen: "Autofahrer nahm Fahrradfahrerin die Vorfahrt." Tatsächlich sind bei fast 75 Prozent der Zusammenstöße zwischen Fahrrad und Auto die Autofahrenden Hauptverursachende.
Die häufigsten Ursachen sind Vorfahrtsfehler, vor allem an Einmündungen, und zu dichtes Überholen, denn das Einhalten des Abstands von mindestens 1,5 Metern fällt offensichtlich immer noch schwer. Auch hier gibt es eine eindeutige Forderung an die politischen Entscheidungsträger: mehr Platz und bessere Trennung der Radfahrenden von den Pkw-Fahrenden und den Zufußgehenden, mehr Schutz- und Radfahrstreifen und die Einrichtung von mehr Fahrradstraßen.
Lange Zeit war der Ansatz der Verkehrsplanung, mit Fahrradstreifen und Angebotsstreifen auf den Fahrbahnen ein Platzangebot für den Radverkehr zu schaffen und dabei Sichtbarkeit und Sicherheit zu erhöhen. Das Schöne an Rad- und Angebotsstreifen ist, dass sie platzsparend und günstig errichtet werden können, sie lassen sich an vielen Stellen ohne Umbau der vorhandenen Straßen realisieren. Sie nehmen den Autofahrenden gefühlt nichts weg. Die gefühlte Sicherheit der Fahrradfahrenden hat diesen Vorteilen allerdings keine Rechnung getragen und auch die tatsächliche Sicherheit ist nicht selten fragwürdig. Mittlerweile wird versucht, den Radverkehr, wo es räumlich machbar ist, vom Autoverkehr und auch vom Fußverkehr deutlich zu trennen. Das bedingt wiederum in Kreuzungen und Einmündungen größere Umbauten und es braucht dafür generell mehr Platz, womit wir wieder beim politischen Teil der Debatte angelangt sind.
Mittlerweile problematisch ist das Geschwindigkeitsniveau. Der steigende Anteil an elektrisch betriebenen Fahrrädern erhöht das Geschwindigkeitsniveau des Radverkehrs insgesamt und vergrößert gleichzeitig die Varianz zwischen den Radfahrenden. Kinder, ältere Menschen, nichtmotorisierte oder unsichere Fahrende treffen auf sehr schnell fahrende Radelnde auf hochmotorisierten Fahrrädern. Keine Gruppe der Verkehrsteilnehmenden ist in sich so unterschiedlich wie Fahrradfahrende. Dazu kommen die anderen Verkehrsteilnehmenden, die damit ihre liebe Not haben. Und so gibt es zunehmend Konflikte mit den Zufußgehenden, die sich durch schnelle Radelnde bedrängt fühlen. All das passiert in einer Gesellschaft, die an vielen Stunden des Tages auf das Mobiltelefon fixiert und ohnehin reizüberflutet ist. Schließlich gibt es eine ausgeprägte Regelunwilligkeit bei vielen Radfahrenden. Am Fußgängerüberweg vom Fahrrad absteigen oder Einbahnstraßen korrekt nutzen? Warum? Die Straßenverkehrsregeln und wenig sinnvolle Verkehrsführungen, die vorrangig für den Autoverkehr gemacht werden und die Bedürfnisse Radfahrender außer Acht lassen, erschließen sich vielen Fahrradfahrenden nicht, was eine mitunter freie Interpretation von Regeln und Verhaltensmaßstäben zur Folge hatte und hat.
Was es für einen funktionierenden und angenehmen Radverkehr braucht
Anders als bei Straßen für Autos sind die benannten Faktoren hinsichtlich der sich daraus ergebenden funktionalen Aspekte bei der Planung längst nicht so eindeutig wie es auf den ersten Blick scheint. Und so muss für jede Situation neu abgewogen werden, was die angemessene Lösung sein könnte.
Trennen oder mischen?
Der Trend geht in Richtung Trennung der Verkehre. Geteilte Räume (Shared space) funktionieren nur, wenn der Autoverkehr gering ist und die Platzverhältnisse großzügig sind, um Konfliktpotenziale zwischen Zufußgehenden und Radfahrenden zu minimieren. Zudem sollten die Verkehre diffus verteilt sein. Hauptwegeachsen für den Fuß- und Radverkehr in einem geteilten Raum sind problematisch, man sollte diese deutlich kennzeichnen.
Breite der Radwege
Die Zeit der schmalen Radwege ist vorbei. Die Mindestvorgaben der ERA (Entwurfsempfehlungen für den Radverkehr) und der RASt (Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen) geben Mindestmaße an und diese sollten die Ausnahme, nicht die Regel sein. Sicherheitsabstände zu Einbauten und für aufklappende Autotüren sind wichtig und müssen sichtbar gemacht werden.
Gestaltung der Oberflächen und Farbe
Um die Gestaltung der Oberflächen wird unter den Planenden seit Jahren gerungen. Die einen wollen möglichst unauffällige Radwege, die anderen möglichst auffällige. Allerdings ist die Frage der Farbe keine Entscheidung des Geschmackes, über den sich bekanntlich ohnehin nicht streiten lässt. Zwischen den unterschiedlichen Bereichen (Rad-Fuß, Rad-KFZ) braucht es wahrnehmbare farbliche Unterschiede, wie auch immer die ausgebildet werden. Deutlich sichtbar sollten Fahrradwege dort gemacht werden, wo sie an oder über Kreuzungen führen, in Übergängen in eine andere verkehrsrechtliche Situation (zum Beispiel: Fahrradweg Ende und Beginn einen Fußgängerbereiches mit Fahrrad frei) und in Bereichen, wo mit hohen Nutzungsfrequenzen und Konflikten zwischen den Verkehrsarten zu rechnen ist.
Gestaltung der Oberflächen und Kontraste
Fahrradfahrende bevorzugen Asphalt, vor allem auf den schnellen Hauptstrecken. Sie kommen mit Pflasterbelägen klar, wenn diese gut verlegt sind und gerade Oberflächen haben. Wichtig ist ein wahrnehmbarer Kontrast im Belag zwischen Radweg und Gehweg, zumindest auf einer Hauptachse. Das ist vor allem in historischen Innenstädten mitunter ein Problem und hier kann es denn auch keine allgemeinen Hinweise geben, da immer eine Einzelfallbetrachtung notwendig ist.
Gestaltung der Ränder und Übergänge
Sinnvoll sind taktil erfahrbare Ränder mit einem deutlichen Farbunterschied, die explizit kein barrierefreies Leitsystem sein dürfen. immer dort, wo verkehrsrechtliche Zuweisungen wechseln, braucht es deutliche Hinweise. Schilder sind hier verkehrsrechtlich ohnehin notwendig. Mindestens genauso wichtig sind aber sichtbare Markierungen, taktile Elemente, ein deutlich anderer Bodenbelag oder Piktogramme auf dem Boden, die den Radelnden deutlich machen, dass sie hier aufpassen und Rücksicht nehmen müssen.
Einbettung
Fahrradwege funktionieren dort gut, wo sie stadträumlich eingebettet sind. Das kann eine belebte Geschäftsstraße sein, eine schattige Allee, ein Radweg entlang eines Parks ohne Störungen. Dann macht Radfahren besonders Spaß und dann werden sogar Umwege in Kauf genommen.
Schatten
Fahrradwege sollten heute nach Möglichkeit immer begrünt und baumbestanden sein. In Zeiten des Klimawandels wird der kühlende Schatten von Bäumen immer wichtiger. In diesem Sinne können die sogenannten Protected Bike Lanes immer nur ein zeitweiser Kompromiss sein, es sei denn, sie haben eine besondere Gestaltung.
Besondere Höhepunkte (Leuchttürme)
Radwege sind dann besonders attraktiv, wenn sie gestalterische Höhepunkte einbinden. Das kann eine besondere Brücke sein, ein Aussichtspunkt oder ein Rastplatz. Dies gilt vor allem für den touristischen Radverkehr, ist aber auch im Alltagsverkehr eine willkommene Abwechslung. Dabei wirken die Höhepunkte selbstverstärkend und zeigen den Radverkehr den anderen Verkehrsteilnehmenden als bedeutendes Element im Stadtverkehr.
Klare Ablesbarkeit
Radwegeinfrastruktur braucht für eine gute Nutzbarkeit eine durchgehend klare Ablesbarkeit. Es lohnt deshalb, den grundlegenden Prinzipien für Farbe, Oberflächen, Abgrenzungen und Ränder, Übergangsgestaltungen sowie Piktogrammen auseinanderzusetzen und diese Elemente dann schrittweise flächendeckend zu realisieren.
Zu guter Letzt
Wir reden oft von Rücksichtnahme und meinen damit in der Regel die anderen, die rücksichtslos sind. Etwas mehr Gelassenheit täte uns hier allen gut und etwas mehr Rücksichtnehmen gegenüber den anderen. Interessant ist hier ein Blick in die Niederlande. Dort gibt es deutlich weniger hochmotorisierte Fahrräder. Das Geschwindigkeitsniveau bei den Fahrrädern ist insgesamt niedriger, aber letztlich flüssiger und damit schneller. Da die Radwege breit sind und das Netz klar ablesbar, macht Radeln hier meistens viel Freude. Daran sollten wir uns ein Vorbild nehmen.
Literatur und Quellen
Dokumentation Plan b: richtig radeln, ZDF 2024, über den Radverkehr in Tübingen, die Autorin hat hier ein umfassendes Radinfrastrukturprojekt realisiert, https://t1p.de/mzkfl
Anzahl der E-Bikes je 100 private Haushalte in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2022, aus Statistisches Bundesamt, abgerufen unter https://t1p.de/w4hyt
Durchschnittlich acht Tote und 1004 Verletzte pro Tag im Straßenverkehr im Jahr 2023, aus: Statistisches Bundesamt Pressemitteilung Nr. 261 vom 5. Juli 2024
Zdf heute vom 08.04.2023: Immer mehr Radunfälle: So schützen Sie sich. Beitrag von Charlotte Bauer, abgerufen unter https://t1p.de/wqe1e