Sturmschäden an Altbäumen: Thermische Rindenschäden - ein unterschätztes Folgerisiko

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1. Beim Ringporer Eiche und Zerstreutporer Linde werden dieselben kritischen Höchsttemperaturen im Kambium erreicht. Foto: Schneidewind

Zunehmende Wetterextreme stellen die grüne Branche vor neue Herausforderungen. Dabei geht es nicht nur um die steigenden Sommerhöchsttemperaturen und längere Trockenphasen. Problematisch ist auch die Zunahme von Sturmschäden mit ihren zum Teil verheerenden Folgen am Baumbestand.

Exemplarisch für ein solches Ereignis sind die Auswirkungen des Orkanes Ela vom 09.06.2014: "Sturm Ela - Neue Bäume für Düsseldorf¹. Der Gewittersturm 'Ela' zählt zu den schlimmsten Unwettern der vergangenen Jahrzehnte in Nordrhein-Westfalen. Mit Böen von über 142 Stundenkilometern richtete er verheerende Schäden an: Umgestürzte Bäume, abgeknickte Äste, herausgedrehte und gesplitterte Kronen - dieser Orkan hat das grüne Herz der Stadt schwer beschädigt. Auch im Zuge der Aufräumarbeiten mussten Bäume, die unrettbar geschädigt waren, fallen. Insgesamt hat die Landeshauptstadt Düsseldorf durch den Sturm am 9. Juni 2014 über 30.000 Bäume verloren und weitere 24000 Bäume benötigen intensive Pflegemaßnahmen, um sie zu erhalten. Die große Aufgabe der kommenden Jahre wird sein, die Gartenstadt Düsseldorf für die nächsten Generationen wiederherzustellen und in Teilen neu zu erschaffen."

Ist nach solch einem Schadereignis dieser Größenordnung schon die Herstellung der Verkehrssicherheit einschließlich Aufarbeitung und Abfuhr des Sturmholzes eine Herausforderung, folgt die nächste unmittelbar danach. Wie ist mit den geschädigten Bäumen umzugehen? Sind sie langfristig zu erhalten? Sind zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich? Welche Kosten sind damit verbunden? Die Stürme der vergangenen Jahre haben die Diskussion zum Umgang mit den geschädigten Bäumen noch einmal intensiviert, wichtige Aspekte haben Eingang in Regelwerke wie die ZTV² gefunden.

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2. Freigestellte Altbuche mit neun Jahre altem Schutzanstrich (Rindenreinigung, Voranstrich LX 60, Arbo-Flex Stammschutzfarbe). Foto: Jeschke
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3. Wohnbebauung in aufgelichtetem Buchenbestand, Schutz der freigestellten Buchen. Foto: www.niedenhoff-baumpflege.de
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4. Hofgarten Düsseldorf, Schutz des Restbestandes nach Orkan Ela. Foto: Lammert
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5. Schutznotwendigkeit infolge unzureichender Beschattung des Stammes nach umfangreichen Pflegemaßnahmen (Leinfelden Echterdingen). Foto: Gröner

Nachfolgend wird ein Aspekt möglicher Folgeschäden nach solchen Ereignissen näher erörtert, die thermischen Rindenschäden. Die bisherigen langjährigen Erfahrungen zur Vermeidung von Sonnen- und Rindenbrand aus der Jung- und Altbaumpflege lassen den Schluss zu, dass diese auch auf sturmgeschädigte Bäume übertragbar sind.

Ob eine Schädigung ganzer Bestände wie im Hofgarten Düsseldorf oder des Solitärs im Park, für jeden Baum muss eine Einzelfallentscheidung getroffen werden. Häufig ist ein Kompromiss gefragt. Entweder Baumerhalt, aber wegen der Kronenausbrüche im Starkastbereich dann mit einem Erscheinungsbild, das eher der unerwünschten, nicht fachgerechter Kappung entspricht. Oder eben die Entfernung des Baumes. Die Tendenz geht in der Regel zum Baumerhalt. Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist aber die Beantwortung von zwei entscheidenden Fragen:

Ist die Restkrone für eine Regeneration und damit für den Baumerhalt noch ausreichend?

Einen hervorragenden Leitfaden bietet hierfür die "Vitalitätsbeurteilung von Bäumen" von Roloff³. Es kann damit nicht nur die Kronenentwicklung eingeschätzt werden, sondern auch die künftigen Probleme einschließlich der Pflegekosten.

Die Schnittmaßnahmen an stark geschädigten Bäumen wurden in der Vergangenheit als Kronensicherungsschnitt beschrieben ("Extreme Einkürzung der Krone von schwer geschädigten Bäumen zur Herstellung der Verkehrssicherheit … ohne Rücksicht auf den Habitus"²). Diese Maßnahme wird in der neuen ZTV im Punkt 0.2.3. "Stark eingreifende Schnittmaßnahmen" abgehandelt, wobei nach Möglichkeit Punkt 0.2.3.2. "Sofortmaßnahmen an geschädigten Baumkronen nach unvorhersehbaren Schadereignissen (z. B. Tornado, Eisbruch)" zu berücksichtigen ist: "Die verbleibende Krone soll sich langfristig wieder möglichst art- bzw. sortentypisch entwickeln können."

Mit dieser Definition ist sowohl von der Ausgangslage als auch von der Zielstellung eine eindeutige Unterscheidung von der "Kappung [als] umfangreiches, baumzerstörendes Absetzen der Krone … ohne Rücksicht auf Habitus und physiologische Erfordernisse"² möglich (ZTV Seite 65).

Folgeschäden minimieren - eine weitere Voraussetzung für den Baumerhalt

Neben den gegebenenfalls erforderlichen Kronensicherungsmaßnahmen geht es dabei vor allem um die Gefährdung durch thermische Rindenschäden und ihre Folgen, hervorgerufen durch die plötzliche Freistellung von Stämmen und Kronen oder deren Teile.

Punkt 0.2.8.1. der ZTV führt hierzu aus: "Anzahl, Art und Umfang sowie Zeitraum von vorbeugenden Maßnahmen gegen Sonneneinwirkung, z. B. reflektierende Anstriche oder Matten bei … älteren Bäumen, z. B. nach Freistellungen, …, Sturmschäden. An problematischen Standorten … bei empfindlichen Bäumen für die Dauer von z. B. bis 10 Jahren." (ZTV Seite 26) Unter 3.8. wird weiter ausgeführt, dass "Schutzmatten … so zu befestigen [sind], dass sie bei Sturm nicht beschädigt werden und das Dickenwachstum nicht beeinträchtigen.

Reflektierende Anstriche sind so aufzutragen, dass sie mindestens 5 Jahre auf der Rinde haften. Die Rinde ist dafür vor dem Auftrag zu reinigen." (ZTV Seite 49) Im Altbaumbereich gilt vor allem die Buche als hochempfindlich für Sonnen- oder Rindenbrand.

Kurzer historischer Rückblick und aktueller Wissenstand zu thermischen Rindenschäden

Die Problematik temperaturbedingter Rindenschäden an Jung- und Altbäumen ist seit mehr als 150 Jahren bekannt. Die Ursachen waren bis in die 1930er-Jahre umfangreich untersucht worden, verschiedene Schutzmaßnahmen hatten sich bewährt und wurden in der Fachliteratur publiziert. Leider gerieten diese Kenntnisse im GaLaBau nach 1945 zum Teil wieder in Vergessenheit (Jeschke, 2011)4.

Zunehmende Schäden an Jungbaumpflanzungen rückten das Thema in den 1990iger Jahren wieder verstärkt in den fachlichen Mittelpunkt (Schneidewind 1998)5. Als "Neuartige Stammschäden an Jungbäumen" stellten Dujesiefken und Stobbe 2002 in Augsburg die Problematik erstmals einem breiteren Fachpublikum vor6. Seitdem erschien eine Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema7. Schutzmaßnahmen gegen temperaturbedingte Rindenschäden gehören bei Jungbaumpflanzungen mittlerweile zum fachlichen Standard und sind Bestandteil von Regelwerken wie der FLL8, der FGSV im STLK9 oder der ZTV-Baumpflege².

Als Schutzmaßnahmen haben sich der Weißanstrich und die Schilfrohrmatte durchgesetzt. Das ist interessanterweise der bereits 1883 von R. Goethe dokumentierte Fachstandard aus dem Obstbau "Große Beachtung und häufige Anwendung verdient das Bestreichen der Stämme mit Kalk". Wegen der geringen Haltbarkeit der Kalkanstriche favorisierte Goethe aber die von Lucas empfohlenen "aus Schilf gefertigte Hüllen, welche den Stamm auf seiner ganzen Länge umschließen, ohne dicht anzuliegen", damit "… die Rinde [nicht] verweichlicht wird"10. Allerdings können Schilfrohrmatten die Funktion der langsamen Rindenanpassung an den Standort nur erfüllen, wenn "… Zwischenräume der Mattenelemente von 0,2 cm bis max. 1,0 cm gewährleiste[t]" sind, die Matte also nicht blickdicht ist (Schneidewind, 2009)11 und sich die Überlappung der Matte nicht auf der Südseite befindet. Leider werden diese altbekannten Forderungen für den fachgerechten Einbau von Schilfrohrmatten in der Praxis bislang nur unzureichend berücksichtigt.

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6. Altbuche in der Feldmark mit Starkastausbrüchen, Sonnenschutz mit Schilf und Jute. Foto: www.na-tour-denkmal.de
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7. Bochum Kemnade: halbseitiger Kronenausbruch, Schutzanstrich der Südseite ab 10 Zentimeter Astdurchmesser. Foto: Kamplade
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8. Bochum Kemnade: Sonnenbrand im ungeschützten Grobastbereich nach einem Jahr (Astdurchmesser 8 cm). Foto: Jeschke

Für die Rindenanpassung gegen thermische Rindenschäden ist nach bisherigen Erfahrungen ein Zeitraum von mindestens fünf Jahren erforderlich (ZTV und STLK), auf Extremstandorten sogar bis zu zehn Jahren (FLL und ZTV). Eine Rindenanpassung durch die langsam nachlassende Schutzwirkung ist bei Farbanstrichen nur gegeben, wenn die Farbe kleinstrukturiert (netzartig) aufreißt. Flächige Farbablösungen führen zu thermischen Rindenschäden (Stobbe, Dujesiefken 2008).11a

Gegenwärtig wird über die Schutznotwendigkeit von Zerstreutporern (Schutz in der Regel erforderlich) und Ringporern (Schutz in der Regel nicht erforderlich) (Uehre, Herrmann, Röder 2013) debattiert.¹² Temperaturmessungen auf der Rinde stützen diese These. Sie sollten aber immer unter dem Blickwinkel der Örtlichkeit und der Risikoabschätzung bei den zu erwartenden klimatischen Veränderungen betrachtet werden. So wurden in Österreich erstmals seit Temperaturaufzeichnung die 40 Grad Celsius im Jahr 2013¹³ überschritten, in Quedlinburg im Harz wurde 2015 erstmals diese Grenze erreicht (Schneidewind mündl.). Nicht nur in Europa, sondern weltweit ist eine Zunahme sehr heißer Sommertage zu beobachten. Das zeigt eine Studie des britischen Fachmagazins "Environmental Research Letters": "Hitzewellen - … es (gab) zwischen 1973 und 2012 in rund der Hälfte der weltweit 217 untersuchten Städte eine signifikante Zunahme von Hitzeperioden mit sehr heißen Tagen. Unter den fünf Jahren in diesem Zeitraum, in denen es global gesehen die meisten Hitzewellen gab, waren die jüngst vergangenen Jahre 2009, 2010, 2011 und 2012"14.

Es stellt sich daher nicht die Frage, bei welchen heimischen Baumarten ein thermischer Rindenschutz grundsätzlich verzichtbar ist, sondern wie lange man bei diesen Baumarten gegebenenfalls noch auf einen Schutz verzichten kann, bevor eine Rindenschädigung auftritt. Aktuelle Temperaturmessungen im Kambialbereich von Eiche und Linde zeigen, dass die Antwort schon vorliegt. So wurden von Schneidewind 2015 in Jungbäumen von Eiche und Linde dieselben Höchsttemperaturen von fast 50 Grad Celsius gemessen (Bild 1). Allerdings zeigen sich diese hohen Temperaturen bei der Eiche nicht in einem äußerlich sichtbaren Rindenschaden. Interessanterweise verweist schon Hartig 1880 auf Sonnen- und Hitzerisse unter anderem an Eichen.15

Ebenso unkalkulierbar ist die Risikoabschätzung einer Kambialüberhitzung anhand der Lufttemperatur. In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass die Temperatur in der Rinde zehn Grad Celsius bis 15 Grad Celsius über der Lufttemperatur liegt. Demnach könnte der kritische Bereich der Kambialtemperatur bei einer Lufttemperatur von 30 Grad Celsius erreicht werden. Allerdings kann bereits ein einziger Tag als "statistischer Ausreißer" zu Rindenschäden führen. So registrierte Lieberum16 am 19.08.1959 im Kambium einer Altbuche 50 Grad Celsius. Die Tageshöchsttemperatur der Luft betrug dabei lediglich 26,3 Grad Celsius. An einer Fichte wurden zeitgleich 48,9 Grad Celius erreicht. Diese Höchsttemperaturen wurden erst um 16.30 Uhr gemessen! Vermutet werden kann, dass dies zudem ein windstiller Tag war, denn die Rindentemperatur steigt mit fallender Windgeschwindigkeit (Schneidewind/Uehre-mündlich).

Das unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit des "unmittelbaren Stammschutzes" (Stobbe, Schneidewind, Dujesiefken 2008)17 nach Pflanzung beziehungsweise Freistellung. Dieser kann wetter- oder zeitbedingt zunächst auch mit provisorischen Maßnahmen erfolgen.

Altbaumschutz

Maßgeblich ist der Hinweis von Pfeil 1847 auf Rindenbrand an Waldbäumen durch plötzliche Freistellung. Dies "ist eine so bekannte Erfahrung, dass man … von jedem gebildeten Forstmann verlangen kann, dass er sie kennt und … [sie] vermeidet".18 Ist eine Freistellung unvermeidbar, zum Beispiel bei Straßenverbreiterungen oder Sturmschäden, empfiehlt Borgmann 1930 den "Anstrich einzelner wertvoller Stämme (Alleebäume usw.) mit Kalkmilch … oder Umbinden … mit Reisig"19.

Erste den Verfassern bekannte praktische Anwendungen mit Weißanstrichen an Buche zum Schutz von freigestellten Waldrändern datieren aus den 1960er-Jahren (Gerd Bollmann und Firma Maurer). Die bereits zitierten umfangreichen Temperaturmessungen von Lieberum erfolgten auf der Südseite eines freigestellten Altbuchenmischbestandes. Er bestätigte die Temperaturminderung unter weiß gestrichener Buchenrinde. Amelung20 untersuchte 1992 gravierende Rindenschäden an freigestellten Buchen, die letztendlich zur Auflösung des Bestandes führten. Die zum Teil über 100-jährigen Empfehlungen zur Vermeidung von thermischen Rindenschäden an Altbäumen wurden dann erstmals im bereits genannten STLK von 2009 für einen breiten Anwenderkreis verbindlich: "Baum nach Freistellung gegen Rindenbrand/Sonnenbrand schützen, Schutz = Stammschutzfarbe, Mindesthaltbarkeit 5 Jahre" oder "Schutz = Schilfrohrmatte, sturmsicher befestigen … Stämmlinge und Starkäste ab 10 Zentimeter Durchmesser schützen" . (STLK Seite 52)

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9. Altbuche,Starnberger See, Kronenrückzugsschnitt Frühjahr 2008. Foto: www.gutebaumpflege.de
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10. Altbuche, Starnberger See, geschlossene Krone, Herbst 2018. Foto: www.gutebaumpflege.de
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11. Hängebuche Schlosspark Biebrich, Schutz freiliegender Äste mittels grobmaschigen Beschattungsnetzes. Foto: Jocksch

Schutzmaßnahmen anhand von Fallbeispielen

1. Freistellung von Altbäumen durch Bau- oder Hiebsmaßnahmen

Der Waldeigentümer kennt das Problem aus der regulären Waldbewirtschaftung. Die Freistellungen von Einzelbäumen oder Waldrändern kann zwar in der Regel durch geeignete Hiebsführung deutlich reduziert, aber nie gänzlich vermieden werden. Die sehr schnell von "Sonnenbrand" betroffenen Randbäume versucht man möglichst lange als Schattenspender zu erhalten. Die mit beginnender Fäule einsetzende Bruchgefahr gehört zu den waldtypischen Gefahren für Waldbesucher. Anders sieht es allerdings aus, wenn diese Bäume unter die Verkehrssicherungspflicht fallen, beispielsweise an Straßen, Wanderwegen oder Waldkindergärten. Ein Schutz des beziehungsweise der freigestellten Bäume kann hier trotz der hohen Kosten langfristig sinnvoll sein. Wird der betroffene Schattenspender gefällt, bekommt zwangsläufig der dahinterstehende ebenfalls einen Sonnenbrand, muss dieser gefällt werden, der nächste und so weiter (Reißverschlussprinzip). Dass entsprechende Schutzmaßnahmen über viele Jahre wirken, zeigt eine Anwendung der städtischen Betriebe Minden aus dem Jahr 2007. Auf einem Grundstück musste eine Buche aus einer Baumgruppe aus Verkehrssicherungsgründen ("Sonnenbrand" mit nachfolgender Fäule) gefällt werden. Der nächststehende, nunmehr besonnte Stamm wurde von der Firma von Behren mittels Klettertechnik halbseitig eingestrichen. Leider fiel der Baum im Frühjahr 2018 durch den Sturm Frieda. Bis zu diesem Zeitpunkt (nach elf Jahren) wurden keine thermischen Rindenschäden beobachtet (Bild 2). Eine ähnliche Konstellation zeigt die Freistellung durch Bestandesauflichtung für Baumaßnahmen (Bild 3).

2. Freistellung durch Sturmereignisse

Wichtig ist, dass auch hier der Schutz zeitnah, also unmittelbar nach der Freistellung erfolgt. Das ist nicht immer möglich. So konnten die Buchen im Düsseldorfer Hofgarten erst mehrere Monate nach dem Orkan Ela (9. Juni 2014) geschützt werden. Offensichtlich wurden bis zu diesem Zeitpunkt keine kritischen Temperaturen erreicht, denn die Bäume weisen bislang noch keine thermischen Rindenschäden auf. (Bild 4)

3. Freistellungen durch Pflege- oder Schnittmaßnahmen

Eine Freistellung des Stammes im Sinne des ZTV stellt beispielweise das Entfernen oder Zurückschneiden (auf den Stock setzen) des Unterwuchses oder das Aufasten für das Lichtraumprofil dar. Wird eine nicht fachgerecht angebrachte Schilfrohrmatte (blickdicht, keine Hinterlüftung) nach Jahren entfernt, ist auch dies eine plötzliche Freistellung mit entsprechenden Folgen. Gleiches gilt bei der Entfernung von Stammaustrieben (Wasserreisern). Die Abschätzung des Risikos für einen thermischen Rindenschaden erfolgt immer vor Ort. Es kann sich dann durchaus als sinnvoll herausstellen, auch bei schon vor längerer Zeit gepflanzten Bäumen einen Schutz zu veranlassen (Bild 5). Ein zusätzlich gewünschter Aspekt ist in diesem Beispiel die optische "Straßenbegrenzung".

Klassiker für Freistellungen von Stämmen oder Kronenteilen sind auch Starkast- oder Stämmlingsausbrüche. Der Schutz ist ganz pragmatisch durch Beschattung mit Matten und lockerem Juteeinband, aber damit verbundenen dauerhaft notwendigen Kontrollen möglich (Bild 6). Ein Schutzanstrich der Äste ist zwar aufwändig, eine weitere Betreuung ist aber nicht erforderlich, wie das Naturdenkmal Blutbuche in Bochum Kemnade zeigt (Bild 7). Leider stellte sich an diesem Baum erst im Nachhinein ein schon länger bestehender Pilzbefall heraus, so dass eine Fällung aus Verkehrssicherheitsgründen erforderlich wurde. Dass Kronenrückschnitte (Kronenrückzugsschnitte) eine wichtige Maßnahme zum "Erhalt und Pflege von Archebäumen und stark geschädigten Baumveteranen" darstellen, hat Fay 2015 in seinem Beitrag "Der richtige Umgang mit uralten Bäumen…" sehr eindrucksvoll dargestellt²¹. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Konzeptes kann aber speziell bei der Buche wegen der hohen Temperaturempfindlichkeit der freigestellten Äste Probleme aufwerfen. Besonders, wenn ein Eingriff im Grobastbereich erforderlich ist. Bevor der Baum mit neuen Trieben diese Bereiche wieder selbst beschattet, kann "Sonnenbrand" die Basis für Holzfäulen gelegt haben. Nach einigen Jahren ist dann aus Gründen der Verkehrssicherheit wieder ein Rückschnitt erforderlich. Die Abläufe wiederholen sich. Ein Erhalt der Krone und damit des Baumes ist selten über einen längeren Zeitraum als zehn bis 15 Jahre möglich. Die Forderung des STLK, erst Äste ab zehn Zentimeter Durchmesser (Starkast) zu schützen, ist daher als Mindestforderung anzusehen. Besonders bei stark reduzierten Kronen sollte auch der Grobastbereich (5 bis 10 cm Durchmesser) geschützt werden (Bild 8).

Wie erfolgreich Rindenschutzmaßnahmen sein können, zeigt die Kronenentwicklung an einer Altbuche über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Krone hat sich inzwischen komplett geschlossen. Es handelt sich um eine inzwischen fast 200-jährige Rotbuche, die vor der Schnittmaßnahme bereits eine Kronenverlichtung aufwies. Die Pflege wurde von Markus Müller (Gute Baumpflege) durchgeführt (Bild 9-10).

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12. Hängebuche in Preetz, durch Schutz- und Pflegemaßnahmen kann seit 15 Jahren die seinerzeit vorhandene Oberkrone erhalten werden. Foto: Jarmatz
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13. Hängebuche, Bad Eilsen, 2014. Foto: Amelung
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14. Hängebuche, Bad Eilsen, nach Orkan und Schnittmaßnahme, 2017. Foto: Amelung

4. Hängekronen

Sie sind für den Baumpfleger das Sorgenkind. Die freiliegenden Äste sind permanent den Witterungseinflüssen ausgesetzt, eine Fäule unausbleiblich. Wird die Restwandstärke zu gering, muss der Ast entfernt werden oder bricht aus. Eine Kronenauflösung ist dann in der Regel nicht mehr aufzuhalten. Im Schlosspark Biebrich wurde als Sonnenschutz für den freiliegenden Kronenteil ein Beschattungsnetz eingebaut (Bild 11). Nachdem dieser Bereich durch Triebe wieder beschattet worden war, konnte das Netz entfernt werden (Ausführung Herr Jocksch, Firma Leitsch). Problematisch bleibt dennoch der obere freiliegende Kronenbereich. Dass durch rechtzeitige Maßnahmen die Restwandstärke der oberen Äste stabilisiert werden kann, zeigt eine Anwendung in der Stadt Preetz in Schleswig-Holstein. Der imposante Baum steht im unmittelbaren Eingangsbereich des Rathauses.

Vor circa 15 Jahren wurde die Wandstärke der U-förmigen Äste als grenzwertig eingestuft und ein Weißanstrich als Rindenschutz aufgetragen. Dieser wurde, obwohl noch gut erhalten, im Abstand von etwa fünf Jahren erneuert, der dritte Anstrich erfolgte im Frühjahr 2018. Alle vor 15 Jahren als kritisch bewerteten Äste konnten ihre Restwandstärke stabilisieren. Das ursprüngliche Gesamtbild des Baumes wurde erhalten.

5. Biotopbäume

Wie ein Baum trotz Kronenverlustes als prägender Bestandteil einer Parkanlage erhalten werden kann, zeigen die Bilder 13 und 14. Zudem entstand ein interessanter Biotopbaum. Ohne Kenntnis der näheren Umstände würde man die Schnittmaßnahme nach Roloff als "starke, nicht fachgerechte Einkürzung/Stämmlingskappung (Versorgungsäste <1/3 bzw. fehlend)"³ einstufen. Die noch vorhandenen Äste und der Neuaustrieb lassen den Schluss zu, dass der Baum erhalten werden kann, auch wenn eine "Vitalitätsansprache entsprechend Verzweigungsstruktur (VS) erst nach fünf bis zehn Jahren wieder möglich"³ ist. Allerdings war diese Schnittmaßnahme die notwendige Folge eines Sturmes mit einem Totalverlust der Krone. Die "Kappungsschnitte" entsprechen demzufolge den Forderungen der ZTV, Punkt 3.3.2 "Sofortmaßnahmen an geschädigten Baumkronen nach unvorhersehbaren Ereignissen (z. B. Tornado, Eisbruch) … Äste ab 3 cm Durchmesser sind an Bruchstellen glatt nachzuschneiden" (ZTV Seite 43). Es wäre aus naturschutzfachlicher Sicht (raue Bruchkanten) auch möglich, auf das Glattschneiden zu verzichten. Zumal im englischsprachigen Raum solche Brüche sogar künstlich erzeugt werden (coronet cuts).²² Unter anderem wurde an solchen natürlichen Bruchkanten ein stärkerer Adventivaustrieb beobachtet als beim Schnitt auf Astring. Die ZTV berücksichtigt diese Möglichkeit unter Punkt "0.2.3.2.2. Art und Umfang von Ästen und Stämmlingen, welche nicht glatt nachzuschneiden sind und an denen die Bruchstellen belassen werden sollen." (ZTV Seite 21)

Ein zusätzlicher thermischer Rindenschutz war an diesem Baum nicht erforderlich, da die freiliegenden Stammteile vom bereits vorhandenen Weißanstrich abgedeckt worden waren.

Zusammenfassung

Nach Orkanstürmen aber auch nach Schnee- oder Eisbruch werden häufig bislang beschattete Bestandsränder, Einzelbäume oder Kronen- beziehungsweise Kronenteile freigestellt. Auf der Südwestseite kann es dabei zu erheblichen Rindenschäden (Sonnen-/Rindenbrand) und Folgeschäden (Fäule, Verkehrssicherungsprobleme, Bestandesauflösung) kommen. Als Schutzmaßnahmen haben sich die mechanische Beschattung und Weißanstriche bewährt. Eine Anpassung der Rinde an die veränderten Bedingungen ist aber nur möglich, wenn geltende Fachstandards und allgemeine Praxiserfahrungen berücksichtigt werden:

  • Der unmittelbare Rindenschutz nach Freistellung.
  • Mechanische Beschattung (Schilfmatte) muss eine Hinterlüftung gewährleisten und darf nicht blickdicht sein. Grobmaschige Beschattungsnetze sind ebenfalls geeignet. Der künftige Wartungsaufwand für diese Maßnahmen ist zu berücksichtigen.
  • Weißanstriche entsprechen den Forderungen der ZTV-Baumpflege und des STLK, wenn sie mindestens fünf Jahre auf der Rinde haften. Für eine Rindenanpassung ist eine langsam nachlassende Schutzwirkung unter anderem durch kleinstrukturiertes (netzartiges) Aufreißen des Anstrichs erforderlich. Flächige Farbablösungen führen in der Regel zu thermischen Rindenschäden. Anstriche sind wartungsfrei und gewährleisten den uneingeschränkten Blick auf die Rinde bei späteren Baumkontrollen.
  • An problematischen Standorten und bei empfindlichen Bäumen kann ein Schutz bis zu zehn Jahren erforderlich sein (ZTV). Nach bisherigen Erfahrungen kann sowohl die fünfjährige Mindesthaltbarkeit als auch der Zehn-Jahresschutz mit einem Einmalanstrich erreicht werden (Rindenreinigung + Voranstrich + Stammschutzfarbe).
  • Je geringer die Restkrone, umso wichtiger ist deren Erhalt. Äste sollten daher bereits ab Grobaststärke (5 bis 10 cm) geschützt werden. In der Regel ist bei Schutzanstrichen im Altbaumbereich eine halbseitige Behandlung des Baum- oder Astumfanges (Südwestseite) ausreichend.

Auf Extremstandorten (z. B. keine oder geringe Luftbewegung, starke Rückstrahlung von Glasfassaden) oder bei besonders exponierten Kronenbereichen (Hängekronen) kann ein längerer oder dauerhafter Schutz erforderlich sein. Das wird zum Beispiel durch einen wiederholten Anstrich nach acht bis zehn Jahren erreicht oder den dauerhaften Einbau von Beschattungsnetzen. Zum Schutz freigestellter Waldränder (Buche) vor Sonnenbrand hatte sich bereits in den 60er-Jahren erfolgreich ein spezieller, daher länger haftender Weißanstrich bewährt. Diese Erfahrung ist besonders für die Waldeigentümer von Interesse, die beispielsweise für öffentliche Belange Wald veräußern müssen (Leitungs- und Eisenbahntrassen, Autobahnen, Bundesstraßen …) und das Risiko der drohenden Bestandesauflösung am Südrand minimieren wollen. Die Forderung an den Verursacher, sich zumindest an den Kosten der Schadensbegrenzung zu beteiligen, ist auf Grundlage bestehender Regelwerke legitim.

Literatur

1 www.duesseldorf.de/stadtgruen/dokumentation.html

2 ZTV-Baumpflege Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege, Ausgabe 2017.

3 Roloff, A.: 2017 Vitalitätsbeurteilung von Bäumen - Aktueller Stand und Weiterentwicklung, Haymarket Media GmbH.

4 Jeschke, R.; 2011: Thermische Rindenschäden an Bäumen - Erfahrungen der letzten zehn Jahre, Pro Baum 1/2011, Patzer-Verlag, Seite 14-19.

5 Schneidewind, A., 1998: Frostschäden an jungen Straßen- und Alleebäumen in der Region Quedlinburg. Neue Landschaft 43, Seite 29-34.

6 Dujesiefken, D.; Stobbe, H., 2002: Neuartige Stammschäden an Jungbäumen; Jahrbuch der Baumpflege, Thalacker Medien, Seite 73-80.

7 u. a.

  • Schneidewind, A, 2002: Der richtige Sonnenschutz für Jungbäume.
  • g`plus - die Gärtner-Fachzeitschrift - 25/2002.
  • Schneidewind, A.; 2009: Stammanstrichstoffe als thermischer und mechanischer Rindenschutz für Jungbäume am Endstandort; Meyer Taschenbuch - Aktuelles Wissen GaLaBau, Seite 287.
  • Dujesiefken, D; H. Stobbe, 2006: Abiotische Stammschäden an Jungbäumen - helfen weiße Stammanstriche?, Jahrbuch der Baumpflege, Haymarket.
  • Dujesiefken, D; H. Stobbe, 2008: Untersuchungen zur Haftung weißer Stammanstriche-Ergebnisse nach fünf Jahren; Taspo Baumzeitung - 2/2008; Heymarket.
  • Dujesiefken, Schneidewind, A. D; H. Stobbe, 2008: Stammschutz an Jungbäumen - Stand des Wissens, Pro Baum 3/2008, Patzer-Verlag.

8 FLL, 2015: Empfehlungen für Baumpflanzungen, Teil 1.

9 VGSV-Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen 2009: STLK Standardleistungskatalog für den Straßen- und Brückenbau. Leistungsbereich 107 Landschaftsbauarbeiten.

10 Goethe, R., 1883: Die Frostschäden der Obstbäume und ihre Verhütung, Vereinsausgabe des Deutschen Pomologen Vereins, Paul Parey , Seite 42

11 Schneidewind, A., 2009: Thermischer und mechanischer Rinden- und Stammschutz für Jungbäume am Endstandort, Meyer Taschenbuch - aktuelles Wissen GaLaBau, Seite 294-304.

11a Stobbe, H., D. Dujesiefken, 2008: Untersuchungen zur Haftung weißer Stammanstriche: Ergebnisse nach fünf Jahren, Taspo Baumzeitung 2/2008, Seite 22-24.

12 Uehre,P., S. Herrmann, S. Röder, 2013: Stress durch Hitze, Taspo Baumzeitung 4/2013, Seite 27-29.

13 Matulla, 2013, Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Vortrag auf dem Niederösterreichischer Baumtag.

14 Studie des britischen Fachmagazins "Environmental Research Letters", zitiert als: Hitzewellen-Großstädte sind zunehmend von lang anhaltenden Hitzeereignissen betroffen, Taspo Baumzeitung 02/2015, haymarket.

15 Hartig, R., 1880: Über den Sonnenbrand oder die Sonnenrisse der Waldbäume, Untersuchungen, S. 141.

16 Lieberum, H.J.; 1961: Temperaturen in stehenden Holzgewächsen - Dissertation, Hann. Münden.

17 Stobbe, Schneidewind, Dujesiefken 2008: Stammschutz an Jungbäumen - Stand des Wissens, Pro Baum 2008 (3) Patzer-Verlag.

18 Pfeil, W., 1847: Kritische Blätter, Leipzig, Baumgärtners Buchhandlung, Seite 124.

19 Borgmann, W., 1930: Schutz gegen atmosphärische Einwirkungen in Heß-Beck Forstschutz, zweiter Band, Verlag von J. Neumann-Neudamm, Seite 384.

20 Amelung, C.; 1992: Ausgewählte Problemstandorte für Bäume im Großraum Hannover, Diplomarbeit.

21 Fay, N. Der richtige Umgang mit uralten Bäumen: Archebäume und Baumveteranen, Seite 181-197, Jahrbuch der Baumpflege 2015.

22 Ullrich, J., Gezielte Brüche, Seite 30-34, Taspo Baumzeitung 05/2017, haymarket.

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