Berlin: Immer eine Reise wert?
von: Dipl.-Ing. Horst SchmidtNa klar, Berlin ist immer eine Reise wert. Auch wenn man dort so manche Überraschung erlebt. Kaum angekommen, konnte man am 28. Juni im Tagespiegel auf Seite 28 unter dem Schlagwort "Stadtgefühl" lesen: "Berliner Steppenwitz. Grüne Metropole? Von Wegen! Im Frühling scheinen wenige Sonnenstunden auszureichen, um Parks dieser Stadt für den Rest des Jahres in Ödland zu verwandeln." Anstoß zu dem aufrüttelnden Artikel war die Wiese vor dem Reichstag, über "… deren Verwahrlosung nun ein öffentlicher Streit entbrannt ist. … sie ist aber keineswegs der einzige Platz in der Stadt, der schändlich vernachlässigt wird. … Immer wieder hört man, dass für Grünpflege nicht mehr genug Geld da sei. … Das liegt ja wohl nicht in erster Linie am Geld, sondern an falschen Prioritäten. … Andere Städte, die nicht so viel Wert auf Grünanlagen gelegt haben, rüsten gerade mächtig nach. … Anderswo wächst das Bewusstsein für Lebensqualität, in Berlin wird es weniger." (Elisabeth Binder, Tagesspiegel 28.06.2014)
SUG-Stellenmarkt
Nach dieser Lektüre führte der Weg durch den Tiergarten an der Spree entlang zum Kanzlerbungalow. Und siehe da, die Rasenstreifen und die Rasenflecken im Belag vor der Arbeitsstätte unserer Kanzlerin strahlen in leuchtendem Grün. Dort muss die Grünflächenpflege wohl funktionieren. Rasen und Fassadengrün werten die Architektur auf und wirken bei den internationalen Besuchen erfrischend in die weite Welt.
Ein paar Schritte weiter ändert sich das Bild. Die Wiese vor dem Reichstag wirkt ungepflegt. Die ausgebrannten Fehlstellen nehmen zu und je näher man dem Reichstag kommt, desto mehr verschwindet das Gras. Die vertrockneten, abgelaufenen Flächen wechseln sich mit Pfützen ab, da es gerade etwas geregnet hat. Es ist wirklich eine verwahrloste Fläche und als Angehöriger der grünen Zunft schämt man sich für den Zustand dieses Rasens vor dem Reichstag, in dem uns der demokratisch gewählte Bundestag repräsentiert. Viele Besucher, auch aus dem Ausland, warten hier bei jedem Wetter, um den Bundestag zu besuchen und um die Aussicht aus der Kuppel des Reichstages zu genießen. Dort sollten sich Berlin und unser Land eigentlich von der besten Seite zeigen.
Doch wieder finden wir das Grundproblem, das wir in fast allen unseren Städten haben: Für die Grünflächenpflege und die Grünflächenentwicklung werden zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Das ist eigentlich nicht zu verstehen, da die Lebensqualität wesentlich von den Grün- und Freiflächen unserer Städte geprägt wird und die Bevölkerung sie auch zunehmend fordert, da man das Schöne und die Natur in der Stadt wieder stärker schätzt und der Beitrag zum angenehmen Stadtklima immer deutlicher spürbar wird. Wenn man konkurrierende Großstädte wie New York, Paris und Lyon besucht, stellt man fest, dass dort erheblich mehr Mittel für die Grünflächen zur Verfügung stehen, um den Bürgern und der Wirtschaft die erwünschte Lebensqualität durch anspruchsvolles Grün zu bieten und den Auswirkungen des Klimawandels vorzubeugen.
Zurück zur Vorfläche des Reichstages. Der Bundestagsabgeordnete Frank Steffel aus Berlin-Reinickendorf fasste in einem früheren Interview des Tagesspiegel zusammen: "Die Wiese ist die Visitenkarte des meistbesuchten Parlaments der Welt und kein Trampelpfad." Senat und Bezirk haben festgestellt, ausgelöst durch die steigende Belastung der Fläche fehlen mittlerweile mindestens 80.000 Euro, die aber aus dem Haushalt nicht geleistet werden können. Die Ergebnisse einer Ausschreibung liegen vor, der Auftrag kann aber nicht vergeben werden, da das Geld fehlt. Nun hofft man, dass der Bund das Geld für den "Vorgarten des Bundestages" zur Verfügung stellt. Wichtig ist, dass der Schandfleck endlich bald beseitigt wird und sich das Ambiente vor dem Reichstag ähnlich würdevoll zeigt, wie in der Nachbarschaft vor dem Kanzleramt.
Die nächste, aber positive Überraschung erlebt man auf dem Weg zur Museumsinsel. Zwischen dem Dom, dem Alten Museum und dem wieder entstehenden Schloss liegt der Lustgarten. Und siehe da, dort funktioniert die Rasenpflege. Viele Leute frequentieren die Rasenfläche, ruhen sich mitten in Berlin auf dem Rasen in der Sonne aus und schauen dem lebhaften, erfrischenden Wasserspiel des Brunnens zu. Solche gärtnerisch intensiv gepflegten und gut gestalteten Flächen wie der Lustgarten oder der Kolonnadenhof der Museumsinsel waren immer die Highlights in den Städten. Sie werten das Stadtbild auf und erfreuen Bürger und Besucher.
Die ständige Konferenz der Gartenamtsleiter im Deutschen Städtetag hat am 13. September 1982 in Erlangen nach zweijähriger Diskussion seiner Arbeitsgruppe den Beschluss gefasst, die bis dahin fast ausschließlich intensiv durchgeführte Grünflächenpflege einschließlich Herbizidverwendung zu ändern - und zwar in eine abgestufte Konzeption von intensiv gepflegten Grünflächen bis zu naturnah extensiv gepflegten Flächen in landschaftlicheren Außenbezirken mit dem Ziel einer größeren Biodiversität. Schrittweise trat auch eine Änderung ein, die eine jeweils vernünftige Dimension von innerstädtisch intensiv gestalteten Stadtplätzen mit Sommerblumen, Staudenflächen über Blumenwiesen bis zur Spontanvegetation auf naturnah entwickelten Flächen mit nur punktuell erforderlichen Pflegeeingriffen zum Ziel hatte.
Wichtig war für jede Stadt die richtige Dimensionierung der jeweiligen Stufe zur ästhetischen Bereicherung, der Nutzbarkeit und der Biodiversität zu entwickeln. Aber die zwischenzeitlich durch die Stadtfinanzen verordneten Kürzungen der Haushaltsmittel bei gleichzeitiger kräftiger Ausdehnung der Grünflächen und deren verstärkter Nutzung haben die Dimensionen der jeweiligen Grünflächenqualitäten erheblich verlagert. Die intensiv gestalteten Stadtplätze, die hochwertigen historischen Gärten sowie Sommerblumen- und Staudenflächen haben ihren Anteil deutlich verringert und werden meist auch nicht mehr so intensiv gepflegt wie eigentlich notwendig. Die anderen Grünflächen werden ebenfalls weniger gepflegt, und zum Teil fehlt die entsprechende Ausbildung des Personals für eine kontinuierliche und nachhaltige Pflege. Das zeigt sich auch immer deutlicher in Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist keine Ausnahme.
Die Vorliebe der Bürgerinnen und Bürger für solche hochwertigen Grün- und Freiflächen ist unter anderem am intensiven Besuch der grünen Highlights abzulesen. Das Interesse an bunten, blühenden Blumen ist ein historisch gewachsenes Bedürfnis in der Stadt, gerade auch in unserem Land, und zeigt sich heute in Berlin an den erstaunlich vielen, bunten Balkonpflanzungen in allen Stadtteilen. In Paris, Lyon oder auch in New York kann man erleben, wie dankbar solche wieder verstärkt angebotenen Highlights in Gärten, Parks und auf Plätzen angenommen werden.
Der Zuzug in die Städte nimmt laufend zu. Die Lebensqualität, die durch ein gut abgestuftes Grünflächensystem gesteigert wird, muss auch bei uns durch Anheben der finanziellen Mittel wieder optimiert werden.
Unserer deutschen Hauptstadt steht es gut zu Gesicht, dass sie sich in mehreren Grün- und Freianlagen mit unserer Geschichte des letzten Jahrhunderts auseinander setzt, wie das kaum in einer anderen Hauptstadt zu beobachten ist. Berliner Mauerweg, Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße, Topographie des Terrors und Holocaustdenkmal sind nur als Beispiele der ausdrucksstarken Erinnerungsorte genannt.
Überrascht ist man über die positive Entwicklung der Biodiversität der Grünflächen in Berlin, zum Beispiel bei der Gestaltung des Gleisdreieckparks über den Flaschenhalspark bis zum Naturpark Schöneberger Süd. Dort erlebt man eine Kombination von robust angelegten Wegen, Sport- und Spieleinrichtungen sowie Schrebergärten mit großflächig geschützter Spontanvegetation, die sich seit über einem halben Jahrhundert auf den still gelegten Bahnanlagen in aller Ruhe entwickeln konnte und eine interessante Artenvielfalt aufweist. Positiv fallen die öffentlichen Toiletten auf, die unverständlicherweise in den Grünanlagen vieler deutscher Städte immer noch fehlen.
Ihr grünes Image verdankt die Metropole Berlin seit vielen Jahrzehnten besonders den zahlreichen Straßenbäume in den auffallend breiten Straßenräumen. Sie machen einen ganz wichtigen Teil des grünen Kapitals der Hauptstadt aus. Es bedarf natürlich einer intensiven Pflege. Dafür gestaltet es das Stadtbild so erfrischend freundlich und angenehm und bedeutet ein großes Plus im Hinblick auf das Stadtklima.
Die Kleingärten sind in Berlin historisch verwurzelt und mit dem "urban gardening" und "urban farming" hat das Gärtnern dort einen unkomplizierten, mobilen neuen Zweig entfaltet. In den Prinzessinnengärten am Moritzplatz wachsen seit 2009 Gemüse sowie Kräuter in mobilen Kisten und die Kartoffeln schon gleich in Säcken. Ein alternatives Bohemiencafé unter Robinien bedient das internationale Publikum. Das Grundstück wird Jahr für Jahr gepachtet und wenn die Baulücke bebaut werden soll, zieht der ganze Garten weiter.
Auf dem ehemaligen Tempelhofer Flugfeld haben sich auf drei "Pionierstandorten" zum Beispiel am Eingang Oderstraße im Areal des "Allmende-Kontors" 700 Urban Gärtnerinnen und Gärtner seit April 2011 zusammen gefunden und gärtnern in perfekt selbstgebauten oder zusammengestückelten Hochbeeten mit bunten Mischungen aus Gemüse, Kräutern und Blumen. 250 weitere Interessenten stehen auf der Warteliste. Und auf dem Flugfeld gibt es noch weitere Areale, auf denen gegärtnert wird. Es scheint dort erfrischend unkompliziert zuzugehen und es sprießt aus allen Ritzen. Man gärtnert, hält sich mit Kindern und Freunden auf, trifft sich und gibt Erfahrungen weiter. Trotz aller Internationalität, die der Ursprung der Freifläche suggeriert, spürt man einen Hauch von liebenswert deutscher, romantischer Gemütlichkeit. Man kann gespannt sein, was sich daraus noch entwickelt. Ein Freiraum der Ideen mit Bodenhaftung?
Eine ganz große Chance für die grüne Entwicklung Berlins liegt auf dem Flugfeld Tempelhof. Das Faszinierende, das jeden überrascht, ist die ungeahnte Weite dieser riesigen Fläche. Ihre unermessliche Dimension ist der Kontrast zur Dichte der Stadt. Sie überwältigt den Betrachter und ist eine erfreuliche, neue Erfahrung, ein traumhaftes Erlebnis, dass das wichtigste Thema jeder Neuplanung bleiben muss.
Diese einmalig große grüne Fläche kann zu einem der wichtigsten Highlights der Stadt werden. Man denkt sofort an den Central Park in New York, der für Besucher wirklich eine der wichtigsten Attraktionen darstellt, für die Einwohner der Stadt nach der Sanierung heute wieder ein Stück unschätzbare Lebensqualität bietet und einen wichtigen Garant für das Stadtklima in der Zukunft bildet. Tempelhof muss auch für Berlin ein großer Wurf werden. Diese Chance darf nicht durch ein kleinliches Zerstückeln vertan werden, so dass Berlin auch in Zukunft immer eine Reise wert bleibt.
- Themen Newsletter Grünflächenpflege bestellen