Der Landschaftsarchitekt Hermann Mattern (1902-1971) als Lehrer
Vom Bauhaus zum Studium generale
von: Dr. Lars HopstockDer Architekt für Landschaftsbau hat gelernt, in abstrakten Raumbildern zu denken - neben seinen künstlerischen, wissenschaftlichen und technischen Befähigungen -, und das gibt ihm den Mut, auch über seine Zeit hinaus, ja eigentlich mit einem abstrakten Zeitbegriff, zu planen.¹)
Am 27. November 2012 jährt sich zum 110. Mal der Geburtstag von Hermann Mattern, einer Schlüsselfigur der Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Er übte zwischen 1949 und 1970 als Professor in Kassel und Berlin beachtlichen Einfluss aus. Das Thema Hochschulausbildung hält somit in seinem Leben zahlreiche bisher kaum behandelte Anknüpfungspunkte bereit.
Angesichts ständiger Reformen der Studiengänge an deutschen Universitäten scheint man nur selten zu bedenken, dass auch das Reformieren der Ausbildung eine Geschichte hat, die Erkenntnisse bereithalten könnte. Im Folgenden werden einige zentrale Punkte aus Matterns Beiträgen zu diesem Thema zusammengestellt.²)
Mattern und die akademische Welt
Verschiedene Gründe erschweren das theoretische Erfassen von Matterns Konzepten. Trotz einer strukturell klaren Sprache sperrt sich die Form seiner Texte gegen heutige Konventionen akademischen Schreibens. Unzufrieden mit dem herrschenden "philologischen Kuddelmuddel"³) verwendete Mattern außerdem eigene Begriffe, beispielsweise Architekt für Landschaftsbau, und produzierte so weitere Unklarheiten. Hinzu kommt eine spürbare Prägung durch Zeitgeist-Phänomene wie Expressionismus und Lebensphilosophie, beispielsweise indem Objekte rhetorisch personifiziert werden. Ein extremes Beispiel für Matterns unkonventionelle Publikationen stellt seine Werkschau "Gärten und Gartenlandschaften" (1960, Hatje Cantz) dar, in der seine Frau - ausdrücklich seinen Gedanken folgend - die abgebildeten Projekte in freien Versen dichtend kommentiert. Der Landschaftsarchitekt Wilhelm Hübotter, der sich in seiner Freundschaft zu Mattern Ironie erlauben konnte, wählte in seiner Besprechung des Buches erstaunlich offene Worte:
"Mattern hat es von Beginn seines Schaffens an immer verstanden, uns zu überraschen. Viele nannten ihn einen ,Bürgerschreck' oder einen Zertrümmerer althergebrachter und oft liebgewordener Formen und Gepflogenheiten. Wer sich aber aufmerksam in die Seiten dieses Buches vertieft und wer dann auch die Worte von Beate Mattern-zur-Nedden liest, dem wird es genauso gehen wie mir - man freut sich dauernd, selbst, wenn man sich manchmal ärgert. Eins muss ich hier sagen: Mattern ist eine ausgesprochene "Solitärstaude" [...]. Er ist schwer zu übersetzen, und ähnlich wie bei Malern oder Dichtern, die einem auch nicht ohne echtes Sinnen eingehen, muss man erst "dahinter kommen".4)
Auch in Ausbildungsfragen hatte Mattern eine Außenseiterposition inne mit der Idee, die Disziplin an einer - wenngleich speziellen - Kunsthochschule zu verorten. So grenzte er sich einerseits von Heinrich Friedrich Wiepkings Streben nach Verwissenschaftlichung ab, aber auch von Alwin Seiferts unverhohlen antimoderner Kritik an dieser.5)
Nach bisherigem Kenntnisstand zeichnen zwei Aspekte seines Wirkens als Hochschullehrer Mattern besonders aus. Erstens führte er, gemeinsam mit Gleichgesinnten und Bekannten aus dem Werkbund an der neu gegründeten Werkakademie Kassel die pädagogischen Konzepte des frühen Bauhauses nach dem Krieg weiter und in die Landschaftsarchitektur ein. Gleichzeitig wurde damit die in Deutschland einmalige Möglichkeit geschaffen, das Fach an einer Kunstakademie zu belegen.
Zweitens wurden durch Mattern bereits im Heimatschutz, beispielsweise von Alwin Seifert, vorangetriebene Ansätze einer ganzheitlichen sowohl künstlerischen als auch organizistisch-ökologischen Idealen folgenden Landschaftsgestaltung, unter Freistellung vom Völkischen und unter der neuen Bezeichnung Landschaftsaufbauplanung (anstatt Landespflege), in die bundesrepublikanische Landschaftsplanung überführt. Dies geschah während beispielsweise an der Universität Hannover mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Disziplin eine Abkehr von diesem Denken betrieben wurde.6) Im Gegensatz zu zweitem ist erstgenannter Aspekt bisher kaum gewürdigt worden. Er steht deshalb im Fokus des vorliegenden Textes.
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Die Werkakademie Kassel - Staatliche Hochschule für Gestaltung
1932 waren im Rahmen einer wirtschaftspolitischen Notverordnung in Breslau, Kassel und Königsberg die Kunstakademien von der Preußischen Staatsregierung geschlossen worden. Die Geschichte der Kasseler Akademie wurde im Jahr 1948 von Mattern, dem als dokumenta-Initiator bekannt gewordenen Künstler Arnold Bode (1900-1977) und dem Kunstpädagogen Ernst Röttger (1899-1968) durch die Initiierung einer Neugründung als "Werkakademie" wieder aufgegriffen.7) Dies war auch die Zeit, in der Mattern mit dem späteren Direktor der Hamburger Kunsthochschule, Herbert von Buttlar, (1912-1976) und Arnold Bode den Grundstein für die spätere dokumenta legte, um die unter der Nazi-Herrschaft als entartet gebrandmarkten Künstler zu rehabilitieren und die von moderner Kunst entwöhnte deutsche Öffentlichkeit einen Anschluss an die internationalen Entwicklungen zu ermöglichen.8) Die Werkakademie grenzte sich durch das Ersetzen des Begriffes "Kunst" durch "Werk" demonstrativ von der traditionellen Kunstausbildung ab. Gleichzeitig wurde durch die Bezeichnung "Akademie" ein Kontrast zu den aus handwerklicher Tradition im 19. Jahrhundert entstandenen Kunstgewerbeschulen betont, nun "Werkkunstschulen" genannt.9)
Was an die Stelle des gemiedenen Begriffs "Kunst" trat, versuchte das knapp drei Jahre nach der Neugründung veröffentlichte manifestartige "ABC der Werkakademie" zu definieren, nämlich: "unserer gesamten Umwelt menschenwürdige Form zu geben", und im Streben nach "noch so hoch gesteckten Zielen, den Boden der Realität nicht unter den Füßen (zu) verlieren".10) Ähnlich abstrakt formulierte es Carl Linfert, als er anlässlich einer Werkakademie-Ausstellung 1955 in "Baukunst und Werkform" über Heinrich Lauterbachs (1893-1973) Architekturklasse schrieb: "Architekten, sonst vorwiegend im Technischen ausgebildet, müssten, wenn sie dem Sinne dieser Akademie gemäß sein wollen, schon in ihrer ersten Leitvorstellung eine Umwelt anderer Art vor Augen haben, weder eine irgendwie stilistisch geregelte, noch eine regellos technoide Umwelt."11) Weiter heißt es: "Die wichtigste und das Wesen solcher Bauziele erst ganz aufhellende Erweiterung bietet Prof. Hermann Mattern mit seiner Abteilung 'Landschaftskultur'." Illustriert waren diese Zeilen mit Photos aktueller Mattern-Projekte.
Die Werkakademie stellte, beispielsweise neben der Hamburger Landeskunstschule (unter Gustav Hassenpflug) und der in dieser Hinsicht weitaus bedeutenderen Hochschule für Gestaltung Ulm (unter Max Bill), einen der wenigen ernsthaften Versuche dar, das Bauhaus nach dem Krieg als Hochschule wiederzubeleben.12) Als eigenständige Klasse hatte hier Gartengestaltung nie existiert, und Gropius war ihr gegenüber ignorant gewesen, was bereits zu einer Auseinandersetzung Matterns mit dem Bauhaus-Gründer geführt hatte.13)
Eine Wiederbelebung von Bauhaus-Gedanken stieß nicht nur auf Wohlwollen, wie die berüchtigte Bauhaus-Debatte von 1953 zeigte.14) Gegen die an vielen Kunstschulen der Nachkriegszeit eingeführte Grundlehre wurden teils berechtigte Formalismusvorwürfe erhoben, da die in der Bauhaus-Grundlehre noch propagierten (beispielsweise sozialen) Inhalte nun kaum mehr eine Rolle spielten.15) Neben der offensichtlichen Vorbildfunktion betonte das ABC der Werkakademie auch Differenzen: Es mache keinen Sinn mehr, nach einem modernen Stil zu suchen, insofern solle auch das Bauhaus-Konzept nicht eins zu eins weitergeführt werden.16)
Auch innerhalb der Profession erfuhr Mattern nicht nur Zustimmung. Seifert beispielsweise, der "die jungen Gartengestalter bei den Technikern [...], nicht bei den Graphikern und Keramikern (wissen)" wollte, 17) kritisierte scharf:
"Die wirkliche Welt draußen [...] (wird) abseits der Papierkünstler gebaut. [...] Die Aufgaben der Garten- und Landschaftsgestalter von morgen sind technische, biologische und soziologische viel eher als bloß schmückend-künstlerische."18)
Dies hatte wenig zu tun mit dem klassischen Unverständnis von Technikern gegenüber Entwerfern, da Seifert selbst ja stets für ein "musischbauendes"19) Denken warb. Die Äußerungen verdeutlichten jedoch ein grundlegendes Missverständnis gegenüber dem Konzept Werkakademie. Mattern verwies später gern auf die Forderungen Christian Cay Lorenz Hirschfelds (1742-1792) nach einer Berücksichtigung der Gartenkunst an den Kunstakademien, und damit einer Gleichstellung mit den anderen Künsten. Die Werkakademie habe dies in Deutschland umgesetzt.20) Gleichwohl wurde hier keinesfalls reine Gartenkunst betrieben. Dies zeigte schon die Aufführung der Fächer "Pflanzensoziologie" (Dozent Oswald Sauer) und "Gartenverwaltung, Naturschutz" (Dozent Erich Voß) im "ABC" abgedruckten Studienprogramm. Das ABC betonte außerdem eine über die Mitarbeit der Studierenden an Matterns Aufträgen realisierte Praxis-Orientierung:
"Als die Gartenbauausstellung 1950 vorbereitet wurde, war eigentlich die ganze Abteilung während eines Semesters in Stuttgart auf dem Killesberg anzutreffen. Wer als Garten- und Landschaftsgestalter fertig ausgebildet die Werkakademie verlässt, hat bereits eine praktische Berufsausbildung aufzuweisen (S. 2)."
Die Zulassung zum Studium erfolgte über eine Eignungsprüfung anstatt über Zeugnisnoten. Dies war nur an einer Kunsthochschule möglich, was Mattern, der die Aussagekraft von "Berechtigungsscheinen" grundlegend in Frage stellte, als ein großes Potential gegenüber anderen Ausbildungsstätten ansah.²³) Sein erklärtes Ziel war es, einem Menschen eine den Veranlagungen entsprechende Ausbildung angedeihen zu lassen:
"Wir haben in unseren Büros hervorragende Mitarbeiter mit einer autodidaktischen Bildung, und wir haben hervorragende, und auch weniger hervorragende Mitarbeiter mit allen Berechtigungsscheinen. Das ,weniger Hervorragend' bezieht sich dann aber nicht auf den Menschen, sondern auf die Tatsache, dass er eigentlich in eine andere Fachrichtung gehört hätte. Nur wenige sind mit dem Drang zur Gestaltung belastet, aber noch weniger befähigte Menschen sehen ein, dass ein hervorragender Gartenbauer (Bauleiter) wertvoller ist als ein schwacher Planunterfertiger."24)
Dazu wünschte er sich, dass als Grundlage in "hervorragenden gartenbautechnischen Institutionen [...] die elementarsten pflanzenbaulichen und gartenbautechnischen Begriffe [...] gelehrt und geübt werden".25) Daran anschließend sollten die Studierenden ihren Neigungen entsprechend die Institution wechseln: an Universitäten um wissenschaftlich zu arbeiten oder an neu zu gründende technische, kommerzielle und verwaltungstechnische Institutionen bei entsprechender Neigung. Wenn sie nun aber gestalterisch begabt seien, hätten sie "diese Fähigkeiten möglichst in Verbindung mit anderen gestalterischen Disziplinen zu entwickeln"26). Dementsprechend absolvierten an der Werkakademie die Studierenden aller Fächer - Architektur, Kunstpädagogik, Grafik, Landschaftskultur und Malerei - zunächst ganz bauhäuslerisch gemeinsam die zweisemestrige Vorlehre.
die als "so etwas wie ein Läuterungsprozess27) charakterisiert wurde. Sie war geprägt durch Arbeitsdisziplin und klar definierte Aufgabenstellung. Hier erfuhren die jungen Menschen gemeinsam ihre "Befreiung" vom "künstlerischen Krampf" - das heißt von "angelesener" und "angesehener Vorbildung"; so werde "für jeden der Weg frei zu sich selbst".28) In diesem Bekenntnis wird noch einmal der Bezug zur Reformpädagogik und damit zum Bauhaus deutlich.
Mattern und das Bauhaus
Mattern war spätestens während seiner Zeit als Student an der Dahlemer Lehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau durch zwei Jugendfreunde direkt mit dem Bauhaus in Berührung gekommen. Der Maler und Kunstschreiner Friedrich Wilhelm Bogler (1902-1945) gehörte zu Oskar Schlemmers Theaterklasse, sein älterer, politisch ambivalenter Bruder Theodor (1897-1968), wurde als vielleicht wichtigster Bauhaus-Keramiker und später als Prior der Abtei Maria Laach bekannt, deren Außenraum Mattern 1955 umgestaltete. Beide Brüder hatten wie Mattern das Gymnasium in Hofgeismar besucht und waren dort von dem Kunstlehrer Adolf Faust (1882-1945) geprägt worden, den Mattern stets als "wirklichen Künstler" und "stärkste Persönlichkeit seiner Jugendzeit" bezeichnete.29) Fasziniert von Expressionismus, moderner Grafik, Kunst und Architektur, besuchte Mattern während der frühen Zwanziger Jahre als Gasthörer einige Male die Klassen von Gropius und Schlemmer. Besonders für Schlemmer hatte er eine große Achtung, und 1937 beauftragte er den seelisch angeschlagenen Künstler als Unterstützung in der Zeit der Ächtung durch die Nationalsozialisten mit der Bemalung einer Wand seines Potsdamer Hauses. Eine weitere, indirekte Verbindung zum Bauhaus bestand durch die Freundschaft mit dem Kunsthändler Ferdinand Möller (1882-1956), an dessen Privathaus und Galerien Mattern vor und nach dem Krieg die Außenräume entwarf.
Für den jungen Mattern persönlich spielte das Bauhaus und moderne Kunst allgemein also eine prägende Rolle. Es gab aber noch weitere, bisher bestenfalls als historische Fußnote registrierte Vorkommnisse, die für die Landschaftsarchitektur insgesamt von Bedeutung sind. Diese betreffen die Absicht des ehemaligen Bauhäuslers, Hubert Hoffmann (1904-1999), im Rahmen seiner Bemühungen um eine Neugründung des Bauhauses nach dem Krieg in Dessau die von Hannes Meyer eingeführte biologische Ausrichtung "zu einer Grundhaltung" auszubauen; der Vorkurs sollte "zum überwiegenden Teil aus einer Gärtnerlehre bestehen [...]".30) Hoffmann "hatte Mattern als Leiter des zukünftigen Bauhauses vorgeschlagen" und "sein Mitarbeiter (Walter) Funke sollte das Stadtgartenamt übernehmen".31) Der wieder eingesetzte frühere Bürgermeister Dessaus, Fritz Hesse, hatte "das Schloss Groß-Kühnau in landschaftlich prädestinierter Lage für eine Gartenbauwerkstatt und eine botanisch angereicherte Vorlehre zur Verfügung (gestellt)"32). Die Vorbereitungen waren weit fortgeschritten, als der Einspruch der an die Macht erlangten SED dem heute traumhaft erscheinenden Projekt ein Ende setzte. Wie bekannt, entschied Mattern sich daraufhin für West-Deutschland, wo er in Kassel auf Gleichgesinnte stieß.
An der Werkakademie ging es vor allem um Erkenntnis durch Praxis. Der Anspruch war, "Fertigkeiten zur Vorbereitung echter Kunst zu vermitteln",³³) denn Kunst an sich sei nicht lehrbar - zentrales Paradigma der Kunstschulreform des frühen 20. Jahrhunderts und Essenz der Bauhaus-Idee.34) Die an der Werkakademie gepflegte Methodenvielfalt und die Freiheit von stilistischen Vorgaben erscheinen nach wie vor zeitgemäß. Für eine solche pädagogische Haltung wurde Mattern auch auf seinem späteren Berliner Lehrstuhl bei den Studierenden bekannt.
Studium generale an der Technischen Universität Berlin
Im Jahr 1961 folgte Mattern nach einigem Zögern angesichts des politischen Klimas einem Ruf als ordentlicher Professor für Gartenkunst und Landschaftsgestaltung an die TU Berlin, wo er Gustav Allinger (1891-1974) ablöste. Hier hoffte er, mit Hilfe des besser ausgestatteten Lehrstuhls mehr Aufmerksamkeit für die Probleme der ungehemmt fortschreitenden Landschaftszerstörung gewinnen zu können, wenngleich er die Lehre in Kassel bis zur Berufung Günther Grzimeks 1965 fortführte. Allinger war im Dritten Reich als überzeugter Nazi aufgetreten. Die Ablösung durch einen liberaleren Nachfolger wurde von ehemaligen Studierenden als Aufbruch empfunden. Zu diesem Eindruck trug der von Mattern initiierte Umzug des Instituts von Dahlem in das neue, von Rolf Gutbrod und Hermann Kiess erbaute IBM-Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz bei. Matterns didaktische Fähigkeiten wurden von Einigen als durchaus verbesserungswürdig beschrieben und auch seine große Eitelkeit bot Anlass zur Kritik. Er verfolgte jedoch unzweifelhaft - auch im Vergleich zur Werkakademie - eine Ausweitung und Ausdifferenzierung des Lehrprogramms; wie stark, zeigt der Vergleich der Vorlesungsverzeichnisse vor und nach 1961.
Der Fächerkanon umfasste nun neue Einzeltitel wie Landschafts- und Ortsplanung, Hausgärten und Schulen, Friedhöfe, Grünflächen am Siedlungsbau und mehr. Neu hinzu kamen auch Empfehlungen für Veranstaltungen anderer Fakultäten wie "Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen von Sprache und Musik", Kunst- und Musikgeschichte, Landschaftsökologie, Rechts- und Wirtschaftsfächer. Als Gastdozenten tauchen bekannte Namen auf wie Helmut Bournot (1925-1980), Herta Hammerbacher (1900-1985) und Walter Rossow (1910-1992).
Von Allinger waren oft klassische Gartengestaltungsaufgaben gestellt worden - "Garten des Bienenfreundes", "Garten des Kinderfreundes", "Garten des Rosenfreundes" -, und unter den niedrigeren Semestern kursierten Vorlagen zum Durchkopieren.35) Mattern hingegen widmete sich auch den Jüngeren, organisierte gemeinsame Entwurfsstudios mit Architekten und Stadtplanern und ermutigte die Studierenden zum Studium generale. Wie bereits in Kassel leitete er regelmäßig Exkursionen, auch ins Ausland.
Zahlreiche Gastdozenten behandelten in Seminaren, Tagungen oder einzelnen Gastvorträgen neue Themen - von Fragen der Forstwirtschaft über japanische Gartenkunst bis hin zu modernen soziologischen Forschungsmethoden mit Hilfe transportabler Tonbandrekorder. Das Gästebuch des Instituts zeugt von einer enormen internationalen Vernetzung und stellenweise von positiver Resonanz - sicherlich nur zum Teil Höflichkeitsfloskeln - auf die von Mattern eingeführten Lehrmethoden.37) Respektvoll äußerten sich beispielsweise C. Th. Sørensen, Bohdan Wagner (Gartenbaufakultät Lednice) und der israelische Landschaftsarchitekt Zvi Miller, der "die auf höchstem Niveau stehende Erziehung künftiger Garten- und Landschaftsarchitekten" lobte und emphatisch vermerkte: "Könnte man doch mehrmals auf die Schulbank! ...". Ähnlich drückt es der mit Mattern befreundete Belgier René Pechère 1968 aus: "Ich wäre hier lieber Schüler als Meister [...], nicht wirklich um jünger zu sein ..., sondern weil es hier immer so viel zu lernen gibt."38)
Zu Beginn des Studiums wurden technische und planerische Grundlagen gelehrt. Bemerkenswerterweise taucht das Thema Pflanzenverwendung, mit dem Mattern im Allgemeinen stark assoziiert wird, in seinen Beschreibungen der Lehre so gut wie nicht auf. Neben Fächern mit abstrakten Titeln wie "Funktionsbestimmungsübungen" oder "Grundlagen zu Ortsbestimmungen" erfolgte im 6. und 7. Semester die Erarbeitung eines Landschaftsaufbauplanes. Im Zuge dessen wurden "Wirtschaftsgefüge-Untersuchungen und die ökologischen und ökonomischen Grundlagen einer Gemarkung mit ihrem Ortskern in Form einer Studienpraxis erarbeitet".39) Die Abbildung oben rechts und Seite 27 zeigen, dass die Kasseler Vorlehre in den Kurs an der TU Berlin übertragen wurden. Die zentrale Stellung solcher Übungen begründete Mattern damit, dass es Abiturienten erfahrungsgemäß leichter falle, im Anschluss an die Schule mit wissenschaftlichen Methoden fortzufahren. Das technische und gestalterische und künstlerische Arbeiten sei für sie somit eher ungewohnt - eine Einschätzung die nicht erst heute durch Erkenntnisse der Wissensforschung untermauert ist.40)
Nach Mattern
1970 beantragte Mattern den Ruhestand, gezeichnet von der Krankheit, an der er innerhalb eines Jahres auf seinem bayrischen Hof starb. Mattern hatte sich bemüht, das Profil des Landschaftsarchitekten den veränderten Realitäten anzupassen, stets unter kritischer Distanz zu jeder Art eindimensionalem Rationalismus. Bei einem so menschengeprägten Objekt wie Landschaftsräumen könne es nicht um das Festschreiben eines Planwerkes gehen, sondern nur um ständig zu überdenkende, planvolle Integration ökologischer Kreisläufe und veränderter Nutzungsansprüche. Er bemühte sich dabei um Systematik, hielt es jedoch für "verfrüht (wenn nicht überhaupt sinnlos), sich auf eine Methode [...] festzulegen."41) Dies entsprach der für ihn charakteristischen Zurückhaltung hinsichtlich Schematisierungen - eine quasi "postmoderne" Eigenschaft, die ihn gegenüber manchen Zeitgenossen auszeichnete. Dennoch, als die Selbstwahrnehmung der jüngeren Generation in Richtung postmodern ging, wurde er als alter Herr einer verblassenden Epoche wahrgenommen und einhergehend damit schwand die Achtung vor dem Werk des Lehrers, der die großen gestalterischen Feindbilder wie Walter Gropius noch persönlich gekannt hatte. Dies änderte sich erst wieder, als gegen Ende der 1980er Jahre eine generelle Aufarbeitung der modernen Tradition der Profession begann.42) Während Matterns künstlerisches Schaffen heute kaum in Frage steht bleibt noch zu prüfen, inwiefern seine großräumlichen Konzepte einen "Aufbau" von Landschaft nachhaltig begünstigt haben. Im Hinblick auf die jüngere Diskussion über den Landschafts-begriff43) lohnt sich ein Blick auf seine integrative, hier nicht näher erläuterte Landschaftsaufbauplanung.
Matterns Nachfolger, Hans Kiemstedt, der durch die stärker empirisch ausgerichtete Hannoveraner Schule gegangen war, setzte dem spätmodernen Zeitgeist entsprechend in seiner Landschaftsbildanalyse ganz auf quantitative Methoden der Evaluierung. Auf Kiemstedt, der 1979 bereits wieder auf eine Professur nach Hannover zurückgekehrt war, folgte 1982 der in Forstwissenschaft und Landschaftsarchitektur ausgebildete Österreicher Hans Loidl, mit dem das Pendel in die entgegen gesetzte Richtung ausschlug. Loidl, dessen Ansatz perzeptionspsychologische und künstlerische Methoden vereinte, war in gewissem Grade wissenschaftsfeindlich eingestellt.44) Bei Loidls Nachfolger, Jürgen Weidinger, gehören der Vorlehre entsprechende Gestaltungsübungen in den ersten Semestern heute wieder zu den zentralen Grundlagen. Dass diese Lehrkonzepte vor mehr oder weniger hundert Jahren entstanden, scheint ihrer heutigen Relevanz nicht im Wege zu stehen.45)
Matterns Vertrauen in neue, vorbildlose Lösungen bedingte in seiner Lehre die Betonung des Entwerfens - einer Tätigkeit, die nach wie vor auf eine "Propädeutik des Sehens und des Machens"46) als Grundlehre des Studiums angewiesen ist. Aus Sicht der Professionsgeschichte hebt sich hier ein Aspekt als Fazit besonders ab: mit seiner Lehrtätigkeit spielte Mattern eine außergewöhnliche Rolle als Vermittler zwischen Landschaftsarchitektur und Bauhaus.
Anmerkungen
1) Mattern, H.: "Wer soll die Entwicklung der Landschaft planen?", Garten und Landschaft, 04/1970, S. 107.
2) Hinter dem hier präsentierten Material steht eine laufende Dissertation mit Schwerpunkt auf Mattern als Gestalter im Kontext der Moderne. Sie wird betreut von Peter Blundell Jones und Jan Woudstra an der University of Sheffield. Im Rahmen dieses Artikels relevante Informationen verdanke ich Reinhard Böcker, Raimund Herms, Christoph Repenthin, Helmut und Antje Solmsdorf, Jürgen Wenzel, Jürgen Zilling und insbesondere Vroni Heinrich.
3) Wie Anm. 1.
4) Wilhelm Hübotter ("Prof. Wilhelm Hübotter, Hannover, schreibt uns zu diesem Buch") in Garten und Landschaft, 11/1960, S.
5) Mattern, Hermann/Seifert, Alwin/Wiepking, Friedrich H./Wolf, Ulrich: "Die Ausbildung des Garten- und Landschaftsarchitekten", in: Garten und Landschaft, 10/1950, S. 1-4 (1). In seinem Beitrag zu genanntem Artikel beklagte Wiepking, der einstige Blut-und-Boden-Ideologe, dass im Dritten Reich die "Verhöhnung der Wissenschaften" begonnen habe (S. 2).
6) zu diesem Themenkomplex ausführlich: Körner, Stefan: Theorie und Methodologie der Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur und sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung vom Nationalsozialismus bis zur Gegenwart, Berlin: Technische Universität Berlin, 2001, S. 126-168.
7) weitere Lehrer-Persönlichkeiten an der Werkakademie waren beispielsweise die Architekten Heinrich Lauterbach und Hans Soeder, der Grafiker Hans Leistikow, und der Architekt und Kunstpädagoge Stefan Hirzel.
8) Briefe im Nachlass Mattern im Hochschularchiv der TU Berlin legen nahe, dass aufgrund von Meinungsdifferenzen über das Konzept der dokumenta Mattern jedoch vorzeitig aus dem Gründungsverein ausstieg.
9) Die Werkkunstschulen wurden später wiederum in "Fachhochschulen für Gestaltung" umgetauft. In Kassel wurde 1970 die Fachhochschule für Gestaltung mit der ehemaligen Werkakademie, jetzt Hochschule für bildende Künste, zu einer Kunsthochschule vereinigt, die wiederum ein Jahr später in die Gesamthochschule eingegliedert wurde. In Weimar war 1919 aus der durch Walter Gropius initiierten Fusion der Kunstgewerbeschule mit der Kunstakademie das Bauhaus entstanden. Vgl. Grohn, Christian: Die "Bauhaus-Idee": Entwurf - Weiterführung - Rezeption, Berlin 1991; Bober, Martin: Von der Idee zum Mythos. Die Rezeption des Bauhaus in beiden Teilen Deutschlands in Zeiten des Neuanfangs (1945 und 1989), Dissertation an der Universität Kassel (2006), abrufbar unter: kobra.bibliothek.uni-kassel.de/handle/urn:nbn:de:hebis:34-200603157583.
10) Das ABC der Werkakademie Kassel, hg. durch die Werkakademie Kassel (Staatliche Hochschule für Gestaltung), Kassel 1951, S. 2.
11) Linfert, Carl: "Die Staatliche Werkakademie in Kassel", Baukunst und Werkform, 8, 7, 1955, S. 411-438 (422).
12) Hoffmann, Hubert: "Das historische Bauhaus. Eine Darstellung seiner Idee und Geschichte 1919-1933", Baukunst und Werkform, 10, 11, 1953, 564-570 (570).
13) Heinrich, Vroni: Hermann Mattern: Leben und Werk, in: Valentien, C. (Hg.) Kontinuität oder Brüche? Werkstattberichte zur Landespflege, Freising: Technische Universität München 1996, S. 63.
14) 1953 wurde von Rudolf Schwarz (1897-1961) die von Alfons Leitl in Baukunst und Werkform moderierte "Bauhaus-Debatte" losgetreten, in der Schwarz den erstarrten Formalismus Gropius'scher Prägung anklagten, während die Gegenposition, wie Hubert Hoffmann, die geistige Offenheit des pädagogischen Programms der Anfangszeit beschwor. Siehe: Conrads, Ulrich (Hg.): Die Bauhaus-Debatte, (Serie Bauwelt-Fundamente). Braunschweig: Viehweg 1994.
15) Wick, Rainer K.: Bauhaus. Kunstschule der Moderne. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2000, S. 317.
16) Das ABC [...], 1951, S. 3.
17) Mattern et. al. (1950), "Die Ausbildung [...]", Garten und Landschaft, 10/1950, S. 1-5 (3) (vgl. Anm. 5). Hervorhebung im Original. In Wolfs Beitrag wird hingegen Mattern indirekt verteidigt: "Der Beruf soll froh sein, wenn sich etwa in Akademien auf der Grundlage der Meisterklassen, meist aufbauend auf einer anderen Vorbildung, weitere nicht an übliche Studienpläne gebundene Ausbildungsmöglichkeiten auftun" (S. 5).
18) Ibid.
19) Ibid.
20) Mattern, H.: "Zur Eröffnung der Peter-Joseph-Lenné-Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin", Garten und Landschaft, 4/1966, S. 120-121 (121).
23) Mattern et. al. (1950), "Die Ausbildung [...]", Garten und Landschaft, 10/1950, S. 1-5 (4).
24) Ibid.
25) Ibid. Hervorhebung im Original.
26) Ibid.
27) Das ABC [...], 1951, S. 4.
28) Ibid.
29) Kunst-Dienst (Hg.): Hermann Mattern. Planung und Gestaltung von Gärten, Berlin: Riemerschmidt (o. D.), S. 20; Hammerbacher, Herta: "Hermann Matterns frühe Jahren", in: Akademie der Künste Berlin (Hg): Hermann Mattern 1902-1971. Gärten, Gartenlandschaften, Häuser (Akademie-Katalog 135), S. 21-23 (21).
30) Hoffmann, Hubert: Ökologie als Schwerpunkt der Bauhauslehre, unveröffentlichtes Manuskript, datiert 1948. Nachlass Hugo Hoffmann, Baukunstarchiv der Akademie der Künste Berlin, HHof-01-85.
31) Hoffmann, Hubert: "Erziehung zur Gestaltung von Dessau bis Graz", in: Wick, Rainer (Hg.): Ist die Bauhaus-Pädagogik aktuell? Köln: Walther König 1985, S. 62.
32) Ibid.
33) Das ABC [...], 1951, S. 4-5.
34) Wick, Rainer K.: Bauhaus [...], 2000, S. 58.
35) Antje Solmsdorf, persönliche Kommunikation, 28.12.2006.
36) Mattern, H.: "Der Studiengang für Architekten des Landschaftsbaues, der Gartenkunst und Ortsplanung an der Technischen Universität Berlin", Garten und Landschaft, 9/1963, 281-289, 283).
37) zu den bekanntesten Namen zählen Roberto Burle Marx, John B. Jackson, Gunnar Martinsson, René Pechère, Carl Theodor Sørensen, Bohdan Wagner (Gartenbaufakultät Lednice). Siehe das Gästebuch des Instituts im Nachlass Hermann Mattern, Universitätsarchiv der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek (Bestand 430, Nr. 29).
38) Übersetzung L.H. Alle Zitate aus dem Gästebuch des Instituts, s. Anm. 38.
39) Für alle Informationen dieses Abschnitts: Mattern, H.: "Der Studiengang für Architekten des Landschaftsbaues, der Gartenkunst und Ortsplanung an der Technischen Universität Berlin", Garten und Landschaft, 9/1963, S. 281-289.
40) Vgl. umfassend: Neuweg, Georg Hans: Könnerschaft und implizites Wissen, Münster et. al.: Waxmann 1999.
41) Er schlug dennoch eine "zweckmäßige" Vorgehensweise vor, die er in Punkten auflistet (entsprechend Bestandsaufnahme, Feststellen der Potentiale und Mängel, Handlungsanweisung, ... etc.). Mattern, H.: "Der Landschaftsaufbauplan", Garten und Landschaft, 2/1965, S. 46-48 (48).
42) Vgl. Gröning, Gert: "Anmerkungen zur Europäischen Gartenkunst des 20. Jahrhunderts: Eine Renaissance des Interesses an der Gestalt von Gärten?", Garten und Landschaft, 4/1995, S. 50-58.
43) vgl. beispielsweise die Diskussion zwischen Eisel (10/2007), Körner (10/2006) und Prominski (12/2006) (und anderen) in dieser Zeitschrift.
44) Dies bezieht sich auf persönliche Aussagen Loidls gegenüber dem Autor.
45) Formal hat Weidingers Fachgebiet einen Teil der Aufgaben des nicht neubesetzten Fachgebiet "Darstellen und Gestalten" des ehemaligen Mattern-Schülers und -Assistenten Falk Trillitzsch übernommen.
46) Wick, Rainer K.: Bauhaus [...], 2000, S. 318.