Kollision mit Traktor
Haftung für einen in das Lichtraumprofil hineinragenden Ast auf Wirtschaftsweg

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nach der Darstellung des Klägers, die von der beklagten Stadt mit Nichtwissen bestritten wird, hat dieser am 17.10.2021 gegen 20:30 Uhr bei Dunkelheit einen Wirtschaftsweg, der auch als Radweg genutzt wird, mit seinem Traktor mit angehängtem Heckmähwerk befahren. Dabei soll das rund vier Meter hohe hochgestellte Mähwerk an einem großen Ast hängen geblieben sein, der in einer Höhe von drei bis 3,5 Meter in die Fahrbahn geragt haben soll. Der Ast soll trotz eingeschalteter Scheinwerfer nicht erkennbar gewesen sein, da deren Lichtkegel Hindernisse in dieser Höhe nicht ausleuchteten. Wegen des Zusammenstoßes macht der Kläger gegen die Beklagte Schadenersatzansprüche in Höhe von knapp 10.000 Euro geltend.
Das LG Gießen hat die Klage durch Urteil vom 30.12.2022 – 3 O 194/22 – abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist nach Hinweisbeschluss des OLG Frankfurt am Main vom 12.02.2024 – 1 U 20/23 – auf die mangelnde Erfolgsaussicht der Berufung zurückgenommen worden, sodass die Entscheidung des LG Gießen rechtskräftig geworden ist.
Das OLG Frankfurt am Main legt ausführlich die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu der Frage dar, in welcher Höhe der Luftraum über einer öffentlichen Straße von Ästen freizuhalten ist. Danach muss der Luftraum über der Fahrbahn bis zu einer Höhe von vier Metern nur bei Straßen von erheblicher Verkehrsbedeutung freigehalten werden, insbesondere bei Bundesstraßen und Autobahnen. Nur dort darf der Verkehr darauf vertrauen, dass der Luftraum bis zu dieser Höhe frei von Hindernissen ist. Begründet wird dies damit, dass die Dichte und Schnelligkeit des Verkehrs auf diesen Straßen die Aufmerksamkeit der Fahrzeugführer derart beanspruchen, dass von Fahrern von Fahrzeugen mit hohen Aufbauten nicht zusätzlich gefordert werden kann, ständig den Luftraum zu beobachten, um zu niedrigen Ästen notfalls auszuweichen. Dies gilt aber nicht für Straßen untergeordneter Verkehrsbedeutung. Hier können sich Fahrer zumutbarer Weise neben dem eigentlichen Verkehrsgeschehen auch auf den Luftraum über der Straße konzentrieren und müssen erforderlichenfalls entsprechend langsam fahren.
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Dieser Rechtsprechung schließt sich das OLG Frankfurt an. Demgemäß können Nutzer eines Wirtschaftsweges nicht erwarten, dass der Luftraum über der Fahrbahn bis zu einer Höhe von vier Metern frei von Ästen ist. Folglich war die Beklagte nicht verpflichtet, Äste in geringerer Höhe als vier Meter zu beseitigen. Unerheblich ist nach Auffassung des Gerichtes, dass ein Wirtschaftsweg gerade auch von landwirtschaftlichen Fahrzeugen mit hohen Aufbauten befahren wird; ebenso wie, dass der Weg kurz vor dem Unfall erneuert und dabei gegenüber dem früheren Zustand erhöht worden ist. Dies ändere letztlich nichts an der geringen Verkehrsbedeutung des Weges. Auf die Behauptung des Klägers, der Ast sei für ihn in der Dunkelheit nicht erkennbar gewesen, komme es demgemäß nicht mehr an. Wenn die Scheinwerfer eines Traktors nur nach vorne, aber nicht in die Höhe leuchteten, müsse sich der Fahrer eines solchen Fahrzeuges auf einen solchen ungewöhnlichen Umstand einrichten, nicht aber der Verkehrssicherungspflichtige.
Die begrüßenswerte Entscheidung liegt auf einer Linie mit der gefestigten Rechtsprechung zu Schäden, verursacht durch in das Lichtraumprofil hineinragende Äste. Dort stellen die Gerichte maßgeblich auf die Einzelfallumstände ab. Hierzu sei aus der neueren Rechtsprechung auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 22.10.2020 – 7 U 100/20 -, juris hingewiesen (SuG 01/2021, S. 57 mit Anmerkung Braun). Zu der eher ungewöhnlichen Variante einer Kollision mit einem aufgrund entsprechender Neigung in den Luftraum hineinragenden Baumstamm soll ergänzend noch hingewiesen werden auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.04.2023 – I – 18 U 45/22 – (SuG 06/2023, S. 62 mit Anmerkung Braun). Hierfür gilt nichts anderes als für in das Lichtraumprofil hineinragende Äste. Bei der bei Verkehrsteilnehmern verbreiteten Vorstellung, das Lichtraumprofil müsse generell bis zu einer Höhe von vier Metern frei sein, handelt es sich um einen Rechtsirrtum.
Ass. jur. Armin Braun, GVV Kommunalversicherung