Anleitung für städtebaulich-landschaftsplanerische Wettbewerbe
Klimaanpassung in der Stadt
von: Prof. Dr Simone Linke, Dr. Teresa Zölch, Sandra Feder, Eva-Maria Moseler, Kira Rehfeldt, M. Sc. Doris Bechtel, Prof. Dr. Werner Lang, Prof. Dr. Stephan PauleitEs ist entscheidend, dass Klimabelange konsistent, also in allen Planungsschritten sowie ganzheitlich und interdisziplinär integriert werden. Ein weiterer unabdingbarer Parameter ist, dass alle Projekte die aktuellen und zukünftigen Belange des Klimas möglichst frühzeitig berücksichtigen (s. Abb. 1). Das bedeutet auf der einen Seite, die frühen Planungsschritte von einzelnen Planungsverfahren und Instrumenten zu nutzen, auf der anderen Seite bieten sich auch Instrumente an, die in größeren städtebaulichen Entwicklungen meist zu Beginn der Planungen eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist der städtebaulich-landschaftsplanerische Wettbewerb.
Im Rahmen des Forschungsprojekts "Grüne Stadt der Zukunft" (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) wurde deutlich, dass die Integration von Klimaanpassung in Wettbewerben eine Herausforderung darstellt, insbesondere da es noch keine standardisierten Vorgehensweisen dafür gibt. Die Entwicklung überprüfbarer Kriterien für klimatische Aspekte ermöglicht es nun, Klimaanpassungsmaßnahmen in der Praxis tiefergehend und systematischer zu verankern. Diese Kriterien sollten sowohl bei Neubauprojekten als auch bei Umbauvorhaben Berücksichtigung finden. So werden alle Wettbewerbsbeteiligten für die Bedeutung der Klimaanpassung sensibilisiert und befähigt, diese Aspekte zu diskutieren, zu bearbeiten und zu bewerten.
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Reallabore in München als Experimentierfeld
Die enge Verzahnung aus Wissenschaft und Praxis ist ein wichtiges Anliegen des Forschungsprojekts. Aus diesem Grund wurde für die Untersuchung von Stadtentwicklungsprozessen der Reallaboransatz gewählt. Dieser bietet die Chance, unter realen Bedingungen in einem zeitlich und räumlich begrenzten Rahmen innovative Ansätze zu erforschen (Ukowitz 2017). In München konnte das Projektteam zu diesem Zweck in vier ausgewählten Reallaboren verschiedene Planungsverfahren, überwiegend städtebaulich-landschaftsplanerische Wettbewerbe, begleiten. Die Reallabore unterscheiden sich sowohl in ihrer städtebaulichen Typologie (Neubau, Nachverdichtung im Sanierungsgebiet und Überplanung eines Bestandsquartiers; s. Abb. 2) als auch in der Art und der Phase des Wettbewerbs. Begleitet wurde jeweils das gesamte Wettbewerbsverfahren.
Bereits im Rahmen der Grundlagenermittlung konnten erste klimatische Untersuchungen und Simulationen wichtige Hinweise zu klimatischen Belangen im Planungsgebiet geben. Diese wurden in die Auslobung integriert und sowohl während der Vorprüfung als auch in der Preisgerichtssitzung berücksichtigt. Um die Wettbewerbsverfahren gemeinsam mit Planungsbeteiligten zu reflektieren, wurden diese im Nachgang interviewt. Des Weiteren wurden Expert*innen-Workshops für unterschiedliche Zielgruppen durchgeführt (s. Abb. 4), um die Perspektiven von Fachplaner*innen auf Bearbeitungsebene und der Entscheidungsträger*innen in die Untersuchungen zu integrieren. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in den laufenden Planungsverfahren berücksichtigt und auf ihre Praxistauglichkeit getestet. Anhand des Reallaborsatzes konnten Integrationspotenziale für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels in städtebaulich-landschaftsplanerischen identifiziert und Handlungsoptionen beschrieben werden.
Das Verfahren im Überblick – die wichtigsten Erkenntnisse
Um die Anwendung von Klimaanpassung in Wettbewerbsprozessen zu optimieren, ist es entscheidend, die verfügbaren Zeitfenster frühzeitig und gezielt zu nutzen. Unabhängig von den spezifischen Wettbewerbsvorhaben und -verfahren sollte die Integration der Klimaanpassung von Beginn an als integraler Bestandteil der Rahmenbedingungen festgelegt werden. Nur so können klimabezogene Aspekte in der Planung wirksam werden. Sind beispielsweise Position und Ausrichtung der Gebäude festgelegt, sind die Möglichkeiten zur Anpassung (z. B. hinsichtlich der Durchlüftung) erheblich eingeschränkt.
In Abbildung 5 werden beispielhaft die Abfolge eines städtebaulich-landschaftsplanerischen Wettbewerbs und die Integrationsfenster für Klimaanpassung dargestellt und nachgehend erläutert.
Grundlagenermittlung
Die Grundlagenermittlung ist der entscheidende erste Schritt in Wettbewerbsverfahren, um klimaangepasste Ziele festzulegen. Sie umfasst die Analyse ortsspezifischer Besonderheiten und erfordert meist vertiefende Gutachten von Behörden oder Fachstellen. Da die Grundlagenermittlung die Basis für die Auslobung schafft, ist sie der Schlüssel zur erfolgreichen Integration von Klimaanpassung.
Beauftragung und Personenauswahl
Die Auswahl der Planungsbüros und anderer Beteiligter beeinflusst die Berücksichtigung klimatischer Aspekte in den Wettbewerbsbeiträgen. Das Wissen und die Erfahrung dieser Personen hat einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie die Klimaanpassung umgesetzt wird. Daher ist es wichtig, die Klimakompetenz der einzelnen Wettbewerbsbeteiligten zu prüfen.
Auslobungstext und Beurteilungskriterien
Die Ausschreibung vermittelt die grundlegende Idee und den Charakter der Wettbewerbsaufgabe. Standortspezifische Klimaanpassungsanforderungen, -ziele und Beurteilungskriterien sind aus der Grundlagenermittlung abzuleiten. Hier gilt es, Preisgericht, Sachverständige und Beratende frühzeitig einzubeziehen, da nur die in der Auslobung festgelegten Ziele und Kriterien später bewertet werden können. Auch Gutachten sollten verständlich und kompakt zusammengefasst und integriert werden, wobei die Auslobenden die angemessene Detailtiefe für vorentwurfsrelevante Aspekte im Blick behalten. Um die Relevanz der Klimaanpassung zu betonen, sollte der Begriff sowohl im Titel als auch in der Einleitung aufgegriffen werden.
Preisgerichtsvorbesprechung mit Sachverständigen
Die Preisgerichtsvorbesprechung ist das zentrale Treffen zwischen Auslobenden, Preisrichter*innen, Sachverständigen und dem Betreuungsbüro, bei dem die Wettbewerbsaufgabe, Ziele und Beurteilungskriterien besprochen werden. Dabei sollte die Bedeutung der Klimaanpassung betont werden, was durch Input von Klimaexpert*innen unterstützt werden kann.
Vorprüfung
Die Vorprüfung der Entwürfe vor der Preisgerichtssitzung ist entscheidend, um klimaangepasste Lösungsansätze der Planer zu erkennen und zu bewerten. Bei Bedarf können Klimaexpert*innen hinzugezogen werden, um quantitative Indikatoren zu prüfen. Eine umfassende Vorprüfung entlastet die Planenden, während ein prägnanter Vorprüfbericht die Jury dabei unterstützt, Klimaanpassungsaspekte zu identifizieren und die Entwürfe zu vergleichen.
Preisgerichtssitzung
Die Moderation oder der Vorsitz des Preisgerichts tragen die Verantwortung dafür, dass alle relevanten Themen zu jedem Entwurf besprochen werden. Dabei kann es hilfreich sein, im ersten Durchgang eine Einschätzung der Klimaanpassung (Stärken, Schwächen) abzufragen und klimakompetente Preisrichter*innen aktiv zu beteiligen. Für diese Kompetenzen sollten bereits bei der Auswahl der Jury entsprechende Nachweise abgefragt werden.
Im Detail: Themenfelder und Kriterien für die Klimaanpassung
Die Erfahrungen in den Reallaboren zeigen, dass standardisierte Kriterien und Bewertungssysteme im Wettbewerbskontext zu einer Stärkung der Klimaanpassung beitragen können. Das Projekt identifizierte relevante Kriterien, die teils auf der Arbeit des Büros GEO-NET Umweltconsulting GmbH basierten und entwickelte in Kooperation mit diesem einen systematischen Kriterienkatalog. Dieser umfasst elf Kriterien, die drei übergeordneten Themenbereichen zugeordnet werden können: grüne Infrastruktur, wassersensible Stadtentwicklung und Durchlüftung (s. Abb. 6). Aufgrund thematischer Überschneidungen ist die Zuordnung jedoch nicht immer eindeutig.
Für die Anwendung in Wettbewerbsverfahren hat sich gezeigt, dass eine weitere Strukturierung der Kriterien sinnvoll ist (s. Abb. 7). In dieser alternativen Struktur bilden die übergeordneten Konzepte einen Rahmen. Diese umfassen verschiedene Aspekte im Bereich der Klimaanpassung, die möglichst systematisch ineinandergreifen und zu einer ganzheitlichen Entwurfsidee zusammengeführt werden sollen. Innerhalb des Rahmens sind die weiteren Kriterien zwei Blöcken zugeordnet. Hierbei ist nicht ihre thematische Zugehörigkeit von Bedeutung, sondern ihr Flächenbedarf, ihre Flächenwirksamkeit und ihre Anpassung an die jeweilige Planungsphase sowie den Maßstab ("Phasengerechtigkeit").
Kriterienblock 1 umfasst Kriterien, die einen erheblichen Flächenbedarf haben und somit potenziell mit anderen Bereichen wie Gebäuden oder Verkehrsinfrastruktur in Konkurrenz treten. Werden diese Kriterien nicht frühzeitig berücksichtigt, werden die Flächen möglicherweise anderweitig belegt und eine spätere Integration ist mit erheblichem Mehraufwand verbunden. Daher besteht ein dringender Bedarf, diese Kriterien frühzeitig zu berücksichtigen.
Kriterienblock 2 enthält Kriterien, die in erster Linie einen geringeren Flächenbedarf haben und weniger mit anderen Nutzungen konkurrieren. Einige dieser Kriterien haben das Potenzial, negative Auswirkungen eines Bauvorhabens zu minimieren, beispielsweise durch die Implementierung von Dachbegrünungen oder die Teilentsiegelung von Parkplätzen. Werden diese Aspekte im städtebaulich-landschaftsplanerischen Wettbewerbsentwurf nicht ausführlich behandelt, besteht die Möglichkeit, sie in späteren Planungsphasen einzufordern. Dennoch ist es ratsam, auch diese bereits frühzeitig zu integrieren.
Die elf Kriterien zeigen eine Bandbreite der Integration von Klimaanpassung in Wettbewerbsverfahren. Sie sollten spezifisch für das jeweilige Planungsverfahren und dessen Wettbewerbsziele ausgewählt und in der Auslobung festgehalten werden. Als Arbeitshilfe wurden entsprechende Textbausteine gesammelt und aufbereitet.
Um im Rahmen der Vorprüfung ein einheitliches Bewertungssystem der Wettbewerbsentwürfe zu schaffen, wurde eine Bewertungsmatrix entwickelt. Die Bewertung erfolgt mittels eines Ampelsystems nach folgendem Schema (Tabelle 1):
Abhängig von Umfang und Schlüssigkeit der Bearbeitung eines Kriteriums, erhält der Entwurf eine entsprechende Punktzahl. Um auf spezielle Anforderungen eines Planungsgebiets eingehen zu können, können Kriterien unterschiedlich gewichtet werden. Höhere Gewichtungsfaktoren bieten sich beispielsweise für den Kriterienblock 1 an. Am Ende der Bewertung werden alle Punkte summiert und anhand dessen die Entwürfe verglichen. Die folgende Tabelle 2 zeigt einen Ausschnitt der Bewertungsmatrix inklusive der Bewertung von zwei Kriterien (ohne die finale Summe).
Die Untersuchungen und praktischen Erfahrungen aus den Reallaboren haben gezeigt, dass Abfragen zum Baumbestand oder zu Flächenkennzahlen wie Versiegelungsgrad und Grünflächenanteil sinnvoll und leicht umsetzbar sind. Aufgrund dessen wurden zu diesen Bilanzen als Ergänzung zur Bewertungsmatrix entwickelt, etwa zum Erhalt von Großbäumen (Abb. 3). Diese lassen sich individuell anpassen und erweitern. Zusätzlich können weitere Bilanzen, ähnlich der Flächenbilanz, für Kriterien aus Kriterienblock 2 (z. B. Dachbegrünung) erstellt werden. Zur Unterscheidung und Bewertung von verschiedenen Qualitäten der geplanten Maßnahmen, wie beispielsweise der Substrathöhe einer Dachbegrünung, kann die Grünflächenfaktor-Verordnung der Stadt Graz (Stadt Graz 2023) Orientierung bieten.
Zusammenfassung und Fazit
Dieser Beitrag stellt methodische Herangehensweisen vor, um Klimaanpassung zukünftig stärker in städtebaulicher-landschaftsplanerischen Wettbewerben zu berücksichtigen. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden diese nicht nur erarbeitet, sondern auch zielgruppengerecht aufbereitet und in einer Anleitung für Planende und weitere Interessierte veröffentlicht. Die Anleitung (s. Abb. 8) veranschaulicht, wie die Aspekte der Klimaanpassung in den gesamten Wettbewerbsprozess integriert werden können, indem sie Zeitfenster aufzeigt und Kriterien sowie Bewertungsmethoden vorschlägt.
Die Ergebnisse tragen dazu bei, ein Bewusstsein zu schaffen und die Handlungsfähigkeit aller Beteiligten zu stärken, um der Klimaanpassung die benötigte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ausgiebige Diskussionen und wertvolle Rückmeldungen seitens der Vertreter*innen der Architektenkammer und des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekt*innen sowie den bereits eingegangenen Anfragen zu den Kriterien unterstreichen die Bedeutung dieser Anleitung und zeigen, dass ein breites Interesse an umfassenderen Standards besteht.
Es ist zu beachten, dass die Ergebnisse dieser Anleitung aus der Praxiserfahrung konkreter Planungsvorhaben (Reallabore) hervorgehen. Die Erkenntnisse daraus bieten eine gute und fundierte Grundlage und sind auf viele weitere Planungsvorhaben übertragbar, wobei die Kriterien an das jeweilige Vorhaben angepasst werden sollten.
Da das Feld der Klimaanpassung kontinuierlich Fortschritte macht und in der Stadt- und Quartiersentwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnt, ermutigen wir alle Lesenden, mit Feedback, Anregungen zur Praktikabilität und Verbesserungsvorschlägen auf die Autor*innen zuzukommen.
Die Anleitung sowie weitere Arbeitshilfen finden Sie zum Download unter folgendem Link: https://www.lss.ls.tum.de/lapl/forschung/gruene-stadt-der-zukunft/publikationen/
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