Wandlung einer historischen Landstraße zur urbanen Zone
Die Limmerstraße im Interessenkonflikt
von: B. Sc. Josephine RotherNeben dem barrierefreien Ausbau der Stadtbahn, sind dies unter anderem Lärm, Müll und knapper werdender Raum. Wie sich diesen Problemen auf landschaftsarchitektonische Weise genähert werden kann, soll abschließend diskutiert werden.
Die Limmerstraße als Untersuchungsort
Aktuell werden im gesamten Raum Hannover die Stadtbahnen nach und nach barrierefrei umgebaut, was ein wichtiges Vorhaben zur Inklusion aller Bevölkerungsgruppen darstellt. Die Limmerstraße ist aber, wie bei einem Blick auf die Karte (Abb. 4) auffällt, seitlich stark begrenzt und daher wird der barrierefreie Umbau nicht ohne weiteres umzusetzen sein. Durch den Bau verknappt der bereits schmale Raum noch weiter und der Nutzungsdruck steigt zwangsläufig. Insbesondere konkurrieren hier Außengastronomie, zugelassener Rad- und kreuzender Pkw-Verkehr, die Straßenbahn sowie bis heute eine Express-Buslinie durch die vermeintliche Fußgängerzone, von der bei einem Besuch wenig zu spüren ist.
Darüber hinaus gibt es noch weitere Probleme, der sich die Straße gegenübergestellt sieht. Spätestens seit den 2010er Jahren hat sich die Straße in eine stark frequentierte urbane Zone gewandelt und sorgte immer wieder für Schlagzeilen in der Presse. Die Anwohnenden werden von den Feiernden gestört, welche sich bis in die späten Nachtstunden auf der Straße versammeln und sich unter anderem an den zahlreichen Kiosken treffen. Müll und Lärm werden hier zu einem schwerwiegenden Problem. Neben dem Wohnen und Feiern bietet die Limmerstraße aber noch mehr. Es gibt zahlreiche Gastronomie- und Kulturangebote und sie ist eine wichtige Verkehrsachse für angrenzende Stadtteile.
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Musikboxen als Lärmverursachung
Mobile Musikboxen verschlimmerten das bereits bestehende Lärmproblem enorm. Um dem entgegenzuwirken hat die Stadt nun ein Lärmverbot ausgesprochen und durch Schilder gekennzeichnet. Boxen werden eingezogen und können theoretisch gegen eine Bearbeitungsgebühr zurückgeholt werden. Das Problem: die Gebühr übersteigt oft den Wert der Box, so werden nur wenige wieder abgeholt. Generell zeigen sich die Menschen uneinsichtig und gehen woanders hin. Das Problem verlagert sich, lässt sich aber nur schwer in den Griff bekommen. Allerdings haben die Maßnahmen, laut Stadtverwaltung, bereits erste positive Ergebnisse erbracht und es ist – zumindest ersten Erkenntnissen zufolge – ruhiger geworden.1
Von der Dorfstraße zur urbanen Zone
Lindens Geschichte reicht wenigstens bis 1100 zurück, als das Dorf erstmals als Gerichtssitz des damaligen Grafen erwähnt wird. Lange ist das Dorf ein wichtiger Knoten- und Versorgungspunkt für Hannover. Später entwickelt sich Linden zu einem wichtigen und eigenständigen Industriestandort und irgendwann gar zur eigenständigen Stadt. Immer im Zentrum – die Limmerstraße. Von dieser aus entwickelte sich der Stadtteil sowie die Bebauung und weiterhin ist sie eine wichtige Geschäftsstraße.2
Bodenschätze und Wasserstraße
Linden versorgte damals das von Handel und Handwerk geprägte Hannover mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und profitiert dadurch von Investitionen der Stadt in die Verkehrswege. Mit der Zeit wurden dann die Bodenschätze Lindens immer wichtiger. So finden sich unmittelbar angrenzend zahlreiche Lehm-, Kies- und Sandvorkommen. Der Lindener Berg besteht aus Kalkstein und Naturasphalt fand sich in den nahegelegenen Dörfern Limmer und Ahlem. Die im Deister abgebaute Steinkohle wird dann zum entscheidenden Katalysator, der auch für Linden sehr prägenden Industrialisierung. (ebd.)
1650 wurde die Leine schiffbar und wurde zu einem wichtigen Punkt in der Nord-Süd-Handelsroute. Später entstanden dann am Lindener Hafen mehrere Speichergebäude zur Lagerung der Bergwerkserzeugnisse, die von hier aus verschifft wurden. 1766 hatte das Dorf bereits rund 1200 Einwohnende.3
Industrialisierung
Zu einer der prägendsten Lindener Persönlichkeiten, die die Industrialisierung des Dorfes mitgetragen haben, kann Johann Eggestorf genannt werden. Er war im Verlauf der Entwicklung in Besitz mehrerer Ziegeleien in Linden, einer Zuckerfabrik an der Blumenauer Straße, mit welcher er sich eine Monopolstellung in der Region sicherte sowie mehrerer Steinbrüche.4
Hannover verbat zur damaligen Zeit die Ansiedlung von Handwerk in der Stadt, welches nicht direkt dem Grafen unterstellt war. So begünstigte Hannover passiv die weitere Entstehung von Industrie in Linden entlang der Ihme. In dieser Zeit wanderten bereits viele Arbeitende in das Dorf und dieses wuchs bis 1848 zu einer – nach damaligen Verhältnissen – kleinen Stadt mit rund 3300 Einwohnenden.5
Die Limmerstraße wird zur Geschäftsstraße
Die Alte Dorfstraße wurde 1861 in Limmerstraße umbenannt und ein weiterer Teil nach Westen verbreitert – der Lindener Marktplatz entstand. 6
Um den Marktplatz wurden damals Wohnhäuser für die Oberschicht errichtet, während Linden-Nord dem Kleinbürgertum und der Arbeiterklasse vorbehalten blieb. Die lückenhafte Bebauung entlang der Limmerstraße wurde dann in den 1890er Jahren nach und nach geschlossen, wobei mehrere mehrgeschossige Häuserzeilen entstanden. In den Erdgeschossebenen befanden sich häufig Geschäfte wodurch sich die Straße in eine Hauptgeschäftsstraße Lindens wandelte.7
Eingemeindung nach Hannover
Linden hatte seit 1889 mehrere Versuche unternommen zur Stadt Hannover eingemeindet zu werden, jedoch ohne Erfolg. Hannover fürchtete eine hohe finanzielle Belastung sowie eine politische Veränderung, da Linden zu dieser Zeit stark sozialdemokratisch geprägt war. Die Anträge wurden allesamt abgelehnt und 1908 wurde Linden stattdessen zu einer eigenständigen Stadt. Nach dem Ersten Weltkrieg war Linden jedoch so geschwächt, dass 1918 ein erneuter Eingemeindungsversuch gewagt wurde. Am 1. April 1920 endete Lindens Eigenständigkeit mit der Eingemeindung nach Hannover.8
Zweiter Weltkrieg und Folgen
Der Zweite Weltkrieg hatte an Hannover seine Spuren hinterlassen und die Ressourcen waren extrem knapp. Insbesondere Holz und Kohle zum Heizen waren rar. Die Infrastruktur der Stadt war zusammengebrochen. Mehr als 60 Prozent der Wohnhäuser wurden unbewohnbar und fast 80 Prozent der öffentlichen Gebäude wurden schwer zerstört. Die Wohnungsbereitstellung gilt in den kommenden Jahren als größte Herausforderung der Stadtverwaltung.9
Sanierung
In den 1970er Jahren wurden die ehemaligen Arbeiterhäuser abgerissen und mussten den damals modernen Betonblöcken weichen. Beispielsweise entstand an der Fannystraße das sogenannte Linden-Carree und auch das Ihmezentrum entstammt dieser Zeit. Durch die Bereitstellung von günstigem Wohnraum entwickelte sich Linden im Folgenden zu einem studentischen und multikulturellen Stadtteil, der bis heute besteht.10
Bauvorhaben auf und an der Straße
Hannover ist bestrebt, sämtliche Stadtbahnhaltestellen in Hochbahnsteige und somit barrierefrei umzubauen. 2016 waren bereits 75 Prozent der Stationen barrierefrei, heute sind es rund 80 Prozent. Nun folgt auch der Umbau der drei Stationen auf der Limmerstraße – Ungerstraße, Leinaustraße sowie Am Küchengarten.
Der Umbau in der engen Straße ist jedoch nicht vollkommen problemlos. Insbesondere hat sich im Vorfeld eine Diskussion um die Planungsphase ergeben. Ein Problem bei der Planung stellten die Rettungswege zu den Wohngebäuden auf der Straße da. Dafür wurde nun ein eigenes System entwickelt, bei welchem sich die Oberleitungen der Straßenbahnen im Notfall durch ein Zugsystem hochklappen lassen und somit den Platz für Leiterwagen der Feuerwehr und Rettungsdienste freimachen.
Bereits im vergangenen Jahr sollte der Bau an der sogenannten Grünen Insel beginnen. Ursprünglich stand auf der Grünen Insel eine Fußgängerbrücke, die die Limmerstraße mit dem Ihmezentrum verband. Nun soll hier ein Bürokomplex mit insgesamt drei Gebäuden von fünf bis zu elf Geschossen und einem rückseitig integrierten Seniorenheim entstehen. Insgesamt sind in dem Gebäudekomplex 300 Quadratmeter Ladenfläche, rund 7000 Quadratmeter Büroflächen sowie 5700 Quadratmeter Wohnfläche für Senior*innen und Räume der AWO vorgesehen.
Beispiele der Maßnahmenvorschläge
Die 53 Baumstandorte, die erhalten bleiben können, sollten gezielt gefördert werden. Abgängige Gehölze müssen zeitnah nachgepflanzt werden und die Baumscheiben der Bäume, die teilweise sehr beengt sind, können vergrößert werden. Auch angrenzende Bereiche zu entsiegeln könnte nicht nur eine bessere Wasserversorgung der einzelnen Bäume gewährleisten, auch in den niederschlagreichen Monaten könnte eine Versickerung des Oberflächenwassers so verbessert werden.
An den Seiten der Straße wird eine Abgrenzung zwischen Straßenbahn und Fuß- und Radverkehr notwendig sein. Es wäre eine Möglichkeit, diese als einen Beet- und Staudenstreifen auszubilden und so kleinere Grünstrukturen zu entwickeln.
Während sich der südliche Bereich der Limmerstraße als ein beengter Straßenraum mit einer Fußgängerzone darstellt, weist der nördliche Straßenbereich weitaus mehr räumliches Verbesserungspotential auf und bietet darüber hinaus auch Platz für die Entwicklung neuer Baumstandorte.
Im nördlichen Bereich gibt es zudem eine hohe Anzahl an Pkw-Stellplätzen, die nicht strukturiert sind. Eine Umgestaltung mit Parkbuchten könnte durch neue Baumstandorte gerahmt und begleitet werden. Dies würde die Grünversorgung in diesem Bereich enorm steigern.
Es haben sich große Defizite im Hinblick auf ein friedliches Miteinander gezeigt, wobei Lärm und Müll ein großes Problem darstellen. Um künftig eine gute Kommunikation zwischen den Interessengruppen auf der Limmerstraße sicherzustellen werden, Orte zum Austausch wichtig. Um die Barrierewirkung der Hochbahnsteige abzumildern, könnten Querungsstellen eingerichtet und gestalterisch hervorgehoben werden. An diesen Stellen ist dann nicht nur die Kommunikation miteinander möglich, sondern auch die Partizipation im Stadtteil und dem Planungsraum Limmerstraße. Insbesondere der Fußverkehr sollte gestärkt werden.
Illegales Parken auf der Straße findet an den Einfahrten aktuell vermehrt statt. Dies sollte künftig begrenzt werden, indem zum Beispiel Engstellen und Aufmerksamkeitsstreifen eingerichtet werden, die auf den Vorrang von Fuß- und Radverkehr hinweisen. Das illegale Parken könnte durch geschicktes Einrichten von Ausstattungselementen erschwert werden.
Anmerkungen
1 Auskunft mdl. Gespräch mit Dr. Axel von der Ohe
2 Buschmann 1981
3 Bachmann 2014
4 Buschmann 1981
5 Ness 1985
6 Zimmermann 1986
7 Ness 1985
8 Buschmann 1981
9 Otto Brenner Akademie 2015
10 Vollmer et al. 1987
Literatur und Quellen
Bachmann, T., 2014: Linden – Eine fotografische Zeitreise. Erfurt: Sutton Verlag GmbH.
Buschmann, W., 1981: Linden – Geschichte einer Industriestadt im 19. Jahrhundert. Hildesheim: August Lax Verlagsbuchhandlung (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, Band 92).
Ness, W., 1985: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland - Baudenkmale in Niedersachsen 10.2 - Stadt Hannover Teil 2. Braunschweig & Wiesbaden: Friedr. Vieweg & Sohn.
Von der Ohe, Dr., AXEL, mdl. 2022.
Otto-Brenner-Akademie, Schunk, R., Otto-Brenner-Akademie (Hrsg.), 2015: Geschichten aus der Lindener Geschichte. Hannover: Linden-Druck (Band 4).
Rabe, B., 1984: Linden. Der Charakter eines Arbeiterviertels vor Hannover. Hannover: Fackelträger Verlag.
Becker, W., Krull, C. & Vollmer, B., 1987: Limmerstraße – Qualität einer lebendigen Einkaufsstraße im Sanierungsgebiet Hannover Linden-Nord. Hannover: Medienwerkstatt Linden.
Zimmermann, H., 1986: Linden – Vom Bauernhof zum Ihmezentrum. Isernhagen: Buch- und Offsetdruck Honscha.