Grüne Freiräume als strategisches Instrument der Stadtentwicklung

Paris und seine Parks

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Paris ist den meisten Menschen bekannt als Stadt der Kultur, Kunst und Mode, als Stadt der Schlösser und historischen Parks und als Stadt mit einzigartiger Architektur. Aus der deutschen Perspektive betrachtet, steht man zuweilen staunend vor den Ausmaßen von Straßenräumen und monumentalen Bauwerken, die sich nur aus dem Kontext des historisch gewachsenen, zentralistisch geprägten Staatsgefüge in Frankreich erklären lassen.
Paris Stadtparks
Abb. 1: Parc de la Villette und die Folies, form follow function? Foto: Katrin Korth

Das moderne Paris ist eine Planstadt, die unter Baron Georges-Eugène Haussmann im 19. Jahrhundert auf der bis dahin in ihrem Kern noch mittelalterlichen Stadt in eine moderne Hauptstadt restrukturiert wurde. Ergebnis waren breite Straßenschneisen, geradlinige Boulevards mit neuen Gebäuden, die die Blickpunkte der Stadt verbinden sollten, eine moderne Kanalisation sowie stadtbildprägende Bahnhöfe in einer schienengebundenen Verkehrsinfrastruktur. Der rigorose und teils rücksichtslose Stadtumbau von Haussmann repräsentierte die erste Planung einer großen Stadt unter Zugrundelegung funktionaler, technischer und administrativer Aspekte. Er bestimmt das Erscheinungsbild von Paris seither.

Die städtebaulichen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts werden durch weitere frankreichspezifische Phänomene bestimmt: die Grand Projets, das Reformprojekt Grand Paris und die Politik der Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Die Grand Projets waren umfangreiche, oft kulturelle und meist monumentale Bauten der öffentlichen Hand. Bekanntes Beispiel der jüngeren Geschichte ist das unter Georges Pompidou entstandene und nach ihm benannte Kunst- und Kulturzentrum Centre Georges-Pompidou. Auch der Nachfolger Valéry Giscard d'Estaing gab architektonische Großprojekte in Auftrag, unter anderem das Naturkunde- und Wissenschaftsmuseum in La Villette. In der Präsidentschaft von Francois Mitterrand stieg die Zahl und Größe der Grand Projets. Mitterand, der ungewöhnlich intensiv an den Projekten mitwirkte und viele Entscheidungen direkt getroffen hat, wollte mit den Grand Projets die Vision eines modernen Paris verwirklichen, mit der die Kunst revitalisiert und das malerische Paris des 'Haussmann-Stils' um eine fortschrittliche und monumentale Architektur bereichert werden sollte. Viele dieser Projekte waren gewagt und teuer, viele davon sind heutzutage weltbekannt.

Während die Grand Projets im Wesentlichen Einzelmaßnahmen waren, verfolgt das 2008 begonnene Projekt Grand Paris eine Neuausrichtung der Regionalplanung hin zu einem polyzentrischen Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensraum. Grand Paris beschreibt die infrastrukturelle Reform des Ballungsraums, mit der die Stadt Paris, sieben umliegende Départements und weitere Gemeinden die Lebenswelt der Einwohnenden verbessern, territoriale Ungleichheiten korrigieren und eine nachhaltige Stadt schaffen wollen. Neben der Stärkung von Wirtschaftszentren und Schaffung neuer Wohnquartiere rund um Paris ist ein Schwerpunkt die Erweiterung des Nahverkehrsnetzes. Ziel ist, die drei Pariser Flughäfen besser anzubinden, den Verkehr im Zentrum zu entlasten, das ÖPNV-Netz störungsunabhängiger zu machen, bislang benachteiligte Vorstädte besser an den ÖPNV anschließen und Wohngegenden besser mit den Gegenden mit Arbeitsplätzen zu verbinden. Rund um die neuen Bahnhöfe des ÖPNV-Netzes soll für dringend benötigte Wohnungen und Büros nachverdichtet werden.

Die Regierungsarbeit von Anne Hidalgo, die 2014 zur Bürgermeisterin gewählt wurde, fokussiert sich auf nachhaltige Stadtentwicklung, Umweltfragen und Klimaschutz. Berühmt ist Hidalgos Politik für den Wandel des autofokussierten Paris hin zu einer Stadt, die die Perspektive und Lebenswirklichkeiten der in ihr lebenden Menschen einbezieht und den Radverkehr stärkt. Eines der öffentlichkeitswirksamsten Projekte von Hidalgo ist die Sperrung der Schnellstraße am Seine-Ufer für Autos. Hidalgos Politik verbindet Umwelt- und Klimaschutz mit Sozialpolitik. Unter ihrer Regierung sollen Grünflächen und Parks ausgebaut werden, an denen es in der dicht bebauten Stadt mangelt. Dieser Mangel bewirkt auch, dass sich Paris bei Hitzewellen besonders schnell aufheizt.

Die in diesem Beitrag vorgestellten Parks, die auf zwei Exkursionen mit Stadt- und Freiraumplaner_innen 2022 erkundet wurden, spiegeln die skizzierten Entwicklungsstränge der letzten Jahrzehnte wider und erlauben einen Einblick in die Freiraumpolitik der Stadt Paris.

Parc de la Villette

Der Parc de la Villette ist mit 35 Hektar der größte Park in Paris und entstand auf dem Areal der in den 1970er Jahren stillgelegten Schlachthöfe. Er wurde 1983 eingeweiht und ist eines der Grand Projets der 1980er Jahre. Konzerthallen, ein Museum und Ausstellungsbauten, teilweise neu errichtet, teilweise in den Gebäuden der Schlachthöfe, prägen das Areal. Die Freiräume werden durch gepflasterte Promenaden gegliedert. Dazwischen befinden sich Rasen- und Wiesenflächen sowie Themengärten. Auffälliges Zeichen des Parks sind die roten Folies (Verrücktheiten): vielgestaltige kleine Bauwerke, als künstlerische Formen ohne klare Funktion errichtet, die rasterförmig über das Gelände verteilt sind. Der Park des Architekten Bernard Tschumi ist ein frühes Beispiel des Dekonstruktivismus. Das Prinzip der Zersplitterung von architektonischen Körpern und Zusammenfügen der einzelnen Bestandteile zu einem neuen Bild, in dem die gewohnte Ordnung durchbrochen wird und Fassaden, Treppen, Türen, Fenster zu autonomen Gestaltungselementen werden, lässt sich am Park in Reinform ablesen und bestimmt die Struktur der Anlage. Tschumi vermied den Bezug zur Geschichte des Ortes, Besuchende sollen sich nach ihren eigenen Vorstellungen und nicht nach historischen Normen verhalten und entfalten können. Der Park sollte die Probleme der zeitgenössischen Stadt aufnehmen und wurde als Erweiterung der Stadt verstanden und nicht als Gegenpol zur städtischen Hektik.

Der spielerische Umgang mit Elementen ist reizvoll und provozierend, zeigt aber auch deutliche Grenzen bei den Parkstrukturen auf. Die Freiräume müssen sich der Struktur der Folies unterordnen, was sie statisch wirken lässt. Der Park ist in seiner Formensprache in sich geschlossen und wenig flexibel hinsichtlich geänderter Nutzungsanforderungen. Durch seine Fokussierung auf gebaute Formen wirkt der Park mittlerweile aus der Zeit gefallen, auch weil einige der Folies sich kaum für Nutzungen eignen. Trotzdem ist der Parc de la Villette bei den Pariser_innen sehr beliebt, auch wegen der vielen verschiedenen Institutionen im Park.

Parc André Citroën

Der 1992 auf dem Gelände einer ehemaligen Automobilfabrik eröffnete 14 Hektar große Park ist ein Beispiel für die Postmoderne. Die 30 Jahre alte Parkanlage lohnt einen Besuch, war sie doch Vorbild für viele andere europäische Parks und hat das Studium vieler Landschaftsarchitekt_innen geprägt. Fans des Gartenarchitekten Gilles Clément kommen hier auf ihre Kosten, so finden sich im Park frühe und bis heute gut erhaltene Gartenkompositionen von ihm.

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Abb. 2: Paris und die Gärten des Gilles Clement, Garten des Museum Quai Branly. Foto: Katrin Korth
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Abb. 3: Gartenkompartimente im Parc André Citroën. Foto: Katrin Korth
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Abb. 4: Der zentrale Bereich mit dem "parterre vert". Foto: Katrin Korth

Die Landschaftsarchitekten Gilles Clément und Alain Provost sowie die Architekten Patrick Berger, Jean-François Jodry und Jean-Paul Viguier gestalteten einen geometrisch gegliederten Park mit vielfältigen Gartenbereichen, ausgehend von einer zentral gelegen, rechteckigen Rasenfläche, die als "parterre vert" an die Tradition barocker Gärten anknüpft. Die zentrale Rasenfläche ist an allen vier Seiten von Kanälen umgeben. Dem Wasser kommt im Park eine große Bedeutung zu. Ganz im Sinne postmoderner Architektur wird an die Wasserkünste der barocken Parks angeknüpft, mit Wasserflächen und Kanälen, Wasserwänden, Kaskaden und einer zentralen Fontänenanlage, die erste ihrer Art in Frankreich. Der Park verbindet das Seineufer mit der Wohn- und Geschäftsbebauung. Um die Öffnung zur Seine herzustellen, wurde der trennende Bahndamm durch eine Brücke ersetzt. Trotz des großen Aufwandes für den Umbau ist diese Verbindung vor allem ideeller Art, denn das tiefgelegene Bett der Seine ist vom Park aus nicht wahrnehmbar. Auffällig bei beiden Besuchen war, dass viele der Wasserelemente nicht oder nur teilweise funktionierten. Gerade bei den Wasserelementen zeigen sich ohnehin zwei Phänomene: in Frankreich greift man beim Gestalten mit Wasser gern zur großen Geste, der dauerhafte Betrieb dieser Wasserelemente gelingt allerdings oft nur eingeschränkt.

Jardin d´Eole

Der 2006 von ADR Architects sowie den Landschaftsarchitekten Claire und Michel Corajoud geschaffene, 4,2 Hektar große Park steht als Beispiel für eine der neuen Parkanlagen, die gezielt in dichten, benachteiligten und wenig durchgrünten Stadtquartieren errichtet wurden. Der Park ging aus einer Initiative aus Bürger_innen, Verbänden und politischen Mandatsträger_innen hervor.

Der Jardin d´Eole ist Ausdruck für eine neue Freiraumpolitik, in der Biodiversität, Nachhaltigkeit, Wasser- und Bodenschutz stärkere Bedeutung haben und ökologische Ansätze mit sozialen Bedürfnissen verknüpft werden. Den Auftakt und die Verbindung zum Quartier schafft ein großer Vorplatz mit hohen Bäumen. Es schließt sich ein mit Wasserpflanzen bepflanzter Kanal an. Sukzessionsflächen mit Kies und selbstaussähenden Pflanzen sowie Stadtwildnisareale sollen vielfältige Biotopstrukturen ermöglichen. Im Park gibt es Spielplätze, Angebote für Sport, einen Stadtbauernhof und Flächen zum Gemeinschaftsgärtnern. Die Angebote sind in eine einfache und schlüssige Grundstruktur integriert, die zu den Bahngleisen hin mit Sportplätzen robust gestaltet wurde.

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Abb. 5: Jardin d´Eole im Spagat vielfältiger Nutzungsanforderungen. Foto: Katrin Korth
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Abb. 6: Parc de Dock: Ausblicke auf eine landschaftliche Anmutung. Foto: Katrin Korth
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Abb. 7: Parc de Dock, Stadtrandlandschaft oder Park? Foto: Katrin Korth
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Abb. 8: Parc Clichy Batignole als ökologisches Vorzeigeprojekt und vielfältiger Park. Foto: Katrin Korth

Im Jardin d´Eole wird der Spagat versucht zwischen aufwendig gestalteten Arealen und naturnah gestalteten Bereichen. Der Jardin d´Eole ist in seinen Nutzungen nicht unproblematisch. Angrenzend gibt es eine lebhafte Drogenszene. Es kommt im Park und im unmittelbaren Umfeld immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Szene. Tagsüber ist davon nichts zu spüren: Kinder nutzen die Spielangebote, Menschen gärtnern oder betreiben Parksport. Die zwei Seiten des Parc d´Eole zeigen, dass städtisches Leben nie konfliktfrei ist.

Parc de Dock

Docks de Saint-Ouen ist ein neuer Stadtteil in der Gemeinde Saint-Ouen vor den Toren von Paris und Teil der Neustrukturierung Grand Paris. Auf einem ehemaligen Industriehafengelände an der Seine wurde ein 100 Hektar großes Stadtviertel als Öko-Quartier entwickelt, dessen zentrales Element der 12 Hektar große Parc de Dock ist, der 2013 von Agence Ter gestaltet wurde. Der Park liegt unmittelbar an der Seine, ist aber durch eine mehrspurige Straße von der Seine getrennt. Gleichwohl spielt der Park mit dem Thema Wasser. Im zentralen See wird das Regenwasser gesammelt und aufbereitet. Der Parc de Dock ist ein großzügiger, weitläufiger Park. Viele Bereiche wirken naturbelassen, die Gestaltung ist zurückhaltend. Ausgehend von einer zentralen Promenade reihen sich verschiedene Nutzungsangebote aneinander. Der Park verfügt über ein pädagogisches Gewächshaus, welches sich als zentraler Punkt für die vielen Vereine im und um den Park etabliert hat. Daneben befinden sich Kleingärten und Gemeinschaftsgärten. Die Ränder des Parks sind urban gestaltet. Von erhöhten Terrassen blickt man in die Landschaft hinunter, die weniger wie ein Park und mehr wie eine vorstädtische Landschaft im Übergang zwischen Stadt und Land wirkt.

Parc Clichy Batignole

Das jüngste und ambitionierteste Stadtentwicklungs- und Freiraumprojekt ist der 10 Hektar große Parc Clichy-Batignolles auf dem Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs, der 2021 fertiggestellt wurde. Er markiert das Zentrum des Öko-Quartiers Clichy-Batignoles. Der nach strengen Nachhaltigkeitskriterien angelegte Park der Landschaftsarchitektin Jacqueline Osty definiert einen Raum, der in Bezug auf Wasserversorgung, Abfallentsorgung und Stromerzeugung autark ist. Die landschaftlichen Qualitäten verschmelzen mit den ökologischen Eigenschaften des Parks. Das zentrale Gewässer wird mit Brauch- und Regenwasser versorgt und ermöglicht eine natürliche Wasserreinigung durch Sedimentation und Filterung durch Pflanzen und wird teilweise zur Bewässerung des Parks verwendet. Der Park leistet damit einen wichtigen Beitrag für Biodiversität und Stadtklimaanpassung.

Paris Stadtparks
Abb. 9: Viaduc des Arts, frühes Vorbild für die High Line. Foto: Katrin Korth
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Abb. 10: Viaduc des Arts linearer Park mit idyllischen Plätzen und überraschenden Ausblicken. Foto: Katrin Korth

Viaduc des Arts und Petite Ceinture

Das Vorbild für den berühmten High Line Park in New York ist der Viaduc des Arts, Teil der ehemaligen Eisenbahnstrecke von Paris über Vincennes nach Marlesen, die in Teilen 1969 stillgelegt wurde. Die Pariser Stadtverwaltung bewahrte einen 1,3 Kilometer langen Teil der ehemaligen Viaduktstrecke vor dem Abriss und begann 1989 mit der Renovierung der Gewölbe.

Die oberhalb der Gewölbe verlaufenden Gleisanlagen wurden 1993 zu einer bepflanzten Promenade umgestaltet, die sich als Idylle mit berankten Torbögen, üppigen Staudenbeete und Bambushainen linear durch das Quartier zieht und vielfältige Ausblicke ermöglicht. In den Arkaden befinden sich Werkstätten und Galerien.

Paris Stadtparks
Abb. 11: Petite Ceinture – die Entdeckung neuer Freiräume und Gestaltung von Stadtwildnis. Foto: Katrin Korth

Eine aktuelle Weiterentwicklung des Gleisparks ist die Petite Ceinture, naturnah belassene Freiräume auf der ehemaligen Ringbahnstrecke, die in den 1990er-Jahren stillgelegt wurde. 2007 begann die Umwandlung der Bahnstrecke zur grünen Promenade, die irgendwann ganz um Paris führen soll.

Die Petit Ceinture steht beispielhaft für neue Freiraumkonzepte, die als Stadtwildnis eine hohe Artenvielfalt haben und nur punktuell gestaltet wurden. Schrittweise werden neue Abschnitte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und werden die durch die Pariser_innen nun neu entdeckt. Einige der ehemaligen Stationen der Petite Ceinture sind heute Bars, Restaurants und kulturelle Einrichtungen.

Wem all diese konzeptionellen Parks zu viel Konzept sind, dem sei der Garten des Museum Quai Branly empfohlen, den Gilles Clement als wundersame Oase im trubeligen Zentrum gestaltet hat.

Dr.-Ing. Katrin Korth
Autorin

Freiraum- und Verkehrsplanerin

KORTH StadtRaumStrategien

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