Forschungsprojekt zur psychischen Gesundheit in Berlin
Einfacher Zugang zu Grünflächen könnte Großstadtstress mildern
Zunächst möchten die am Projekt "Deine emotionale Stadt" Beteiligten einen Eindruck gewinnen, was die Berlinerinnen und Berliner an bestimmten Orten fühlen und wie sich etwa die zahlreichen Grünflächen auf das Wohlbefinden auswirken. Später sollen auch andere Städte untersucht werden.
"Deine emotionale Stadt" ist ein sogenanntes Citizen-Science-Projekt. An ihm arbeiten Wissenschaftler*innen der Humboldt-Universität, der Technischen Universität, der Charité und des Interdisziplinären Forums Neurourbanistik, doch der wesentliche Beitrag soll von interessierten Bürger*innen kommen. In der App "Urban Mind", an der auch das King's College London beteiligt ist, werden die Teilnehmenden eine Woche lang dreimal am Tag nach ihren Gefühlen gefragt. Per GPS lässt sich dazu der jeweilige Aufenthaltsort feststellen. Mit weiteren Fragen werden auch andere Faktoren überprüft – etwa, ob sich jemand irgendwo alleine aufhält oder wie das Wetter ist.
In einem Interview mit der "Berliner Zeitung" erläuterte der Berliner Psychiater Mazda Adli, einer der beiden Studienleiter, kürzlich, was sich die Forschenden von den so gesammelten Daten erhoffen: Entstehen soll eine Emotionskarte Berlins, mit deren Hilfe besser zu verstehen ist, wo, wann und unter welchen Umständen Stress oder positive Emotionen entstehen.
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Adli beschäftigt sich schon länger mit den Auswirkungen des Stadtlebens. 2017 erschien sein Buch "Stress and the City". Er selber wohnt seit 26 Jahren und ausgesprochen gerne in Berlin, wie er der "Berliner Zeitung" sagte. Doch Untersuchungen und Daten zeigen seit Langem, dass Stadtbewohner*innen ein höheres Risiko haben, psychisch zu erkranken: Bei Schizophrenie sei die Gefahr laut Adli doppelt so hoch, bei Depressionen immerhin anderthalbmal.
Der Leiter von "Die emotionale Stadt" sieht dafür mehrere mögliche Gründe, etwa den sogenannten Dichtestress, der bei zu großer Enge im Lebensumfeld auftreten könne. Die eigene Wohnung biete in diesem Fall keinen ausreichenden Rückzugsraum – etwa, weil sie für die Bewohner zu klein oder nicht gut genug gegen Lärm isoliert sei.
Ein weiteres Risiko für die Psyche seien soziale Isolation und Einsamkeit. In 50 Prozent der Berliner Haushalte lebe nur eine Person. Der Psychiater erklärt das zum Teil mit den individuellen Lebenskonzepten der Menschen, die es in die Großstadt zieht. Dem Streben nach Selbstverwirklichung komme das Angebot in Berlin entgegen. Für Singles gäbe es hier die nötige Infrastruktur. Trotzdem scheinen Einsamkeit und die Anonymität der Großstadt an vielen Berlinerinnen und Berlinern zu nagen.
Wichtig, um dem Großstadtstress entgegenzuwirken, sei die Möglichkeit, an den vielen Vorzügen Berlins zu partizipieren. Adli nennt die Chancen auf individuelle Entfaltung, auf Bildung und das reichhaltige kulturelle Angebot. Finanziell weniger gut gestellte Menschen leben oft in den beengteren Gegenden der Hauptstadt und sind im Zugang zu den Vorteilen der Stadt benachteiligt.
Die Strategie, um die Situation zu verbessern, skizzierte Adli in der "Berliner Zeitung" so: "[Wir müssen] dafür sorgen, dass der Zugang gerecht gestaltet ist, dass Gesundheit, Bildung und Kultur für möglichst viele Menschen leicht zugänglich gemacht werden. Das gilt besonders für den Zugang zu Grünflächen."
Der Psychiater verweist darauf, dass mit dem Anteil von Grünflächen in der Umgebung der eigenen Wohnadresse die Aktivität von stressregulierenden Hirnarealen stärker wird.
Mit der Beteiligung möglichst vieler Berliner*innen, aber auch von Gästen, am Projekt "Die emotionale Stadt" könnten die Forschenden solche und andere Zusammenhänge mit weiteren Daten untermauern. Noch ist nicht klar, wie sich Berlin wo anfühlt – doch erste Erkenntnisse deuten laut Mazda Adli durchaus auf Unterschiede zwischen den Bezirken hin.
Nikolaus Triantafillou
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