Wie Landschaften des 19. Jh. das Verständnis von „Natur“ prägen

Historische Falle für die biologische Vielfalt

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Abb. 1: Teile der Waldweide "Breite" bei Sighisoara (Schäßburg) in Rumänien werden nicht mehr beweidet, hier sterben die Eichen ab. Foto: Ulrike Aufderheide
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Abb. 2: Gustave Corot malte dies Bild ("Forêt de Fontaineblau") 1846, sieben Jahre bevor die Beweidung des Waldes von Fontainebleau verboten wurde. Wald wurde bis zur Markenteilung immer beweidet. Abbildung: CC, gemeinfrei
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Abb. 3: Eine historische Postkarte des Waldes von Fontainebleau aus dem Jahr 1910 zeigt das Waldbild, das wir gewohnt sind, die Bäume stehen dicht, es gibt kaum Raum und Licht für Kräuter und Gräser. Abbildung: CC, gemeinfrei

Wir erleben ein Artensterben, wie es unser Planet zuletzt vor 65 Millionen Jahren gesehen hat, als die Dinosaurier ausstarben. Um diese Biodiversitätskrise zu verstehen und ihr begegnen zu können, sind die Erkenntnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern enorm wichtig. Aber Wissenschaft ist kein zeitloses und voraussetzungsfreies Tun, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen lernen erst einmal an einem bestimmten Ort von ihren persönlichen akademischen Lehrerinnen und Lehrern. Dabei werden Grundlagen und Verstehenszusammenhänge gelernt, die nur wenige Forschende später einmal hinterfragen, die so genannten "Paradigmen".

Wissenschaftliches Verstehen hat also eine Geschichte, ist ein Kind seiner Zeit und kann auch auf Grund seines Gewordenseins hinterfragt werden. Einmal die Geschichte der Fundamente der Gedankengebäude anzuschauen, ist besonders wichtig, wenn die Beschreibung der Natur normativ verwendet wird, also Grundlage für Bewertungen von Zuständen ist.

Die Biodiversitätskrise ist vor allem eine Krise der offenen und halboffenen Standorte. Könnte es sein, dass dies auch mit der Bewertung dieser Lebensräume innerhalb der wissenschaftlichen Gedankengebäude zu tun hat?

Beginnen wir in der Zeit, in der die Biologie als Wissenschaft entstand, zum Beispiel im Wald von Fontainebleau im Jahr 1846, gemalt von Gustave Corot (s. S. 43). Ein Jahr vorher war der erste Band von Alexander von Humboldts "Kosmos" erschienen, die erste Zusammenfassung naturwissenschaftlicher Weltbeschreibung, dreizehn Jahre später, 1859, erschien Darwins grundlegendes Werk über "Die Entstehung der Arten", 1866 veröffentlichte Mendel seine berühmten Kreuzungsexperimente, ab Mitte der zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden Vegetationskunde und Pflanzensoziologie.

Dass die Entstehungszeit der Biologie als Wissenschaft auch in der Landschaft von enormen Umbrüchen geprägt war, sehen wir am Vergleich des Bildes von Corot mit einer Postkarte aus dem Wald von Fontainbleau aus dem Jahr 1910. 1846 ist der "Forêt de Fontainebleau" für uns eigentlich nicht als Wald zu erkennen. Da ist eher eine Wiesenlandschaft mit einzelnen alten Bäumen, Steinhaufen und Felsen, hohen Stauden und einem Kleingewässer.

Der Forst von Fontainebleau war seit dem achten Jahrhundert ein fürstliches Jagdgebiet. "Forst" waren ursprünglich fürstliche Jagdgebiete, die durch Beweidung bewirtschaftet wurden, zumeist von alten Eichen geprägt. Im Forst von Fontainebleau wurde die Beweidung 1853 verboten, danach entstand durch Sukzession und Aufforstung das, was wir heute unter Wald oder Forst verstehen: ein dichter Baumbestand. Allerdings ist inzwischen das Verschwinden der einstmals prägenden Eichen vorherzusehen. Alle Exemplare stammen aus dem 16. oder 17. Jahrhundert, es gibt keine Eichenregeneration mehr (Wijdeven 2003). Dies ist ein Phänomen, das in vielen Wäldern mit alten Eichen zu beobachten ist: Die Eichen stammen aus einer Zeit, in der der Wald offener und beweidet war, nach Aufgabe der Beweidung sterben die Eichen nach und nach und es gibt auch keinen Eichenjungwuchs mehr.

Schwerpunkt der Biodiversität liegt in offenen und insbesondere in halboffenen Landschaftstypen

Grasfluren gibt es in unbeweideten Wäldern nicht, sie finden sich außerhalb des Waldes, dort, wo das Vieh weidet oder wo Heu geschnitten wird. Wald wurde und wird also als "natürlich" und Wiese und Weide als "künstlich" wahrgenommen und bewertet. Dort wo Biodiversität eingeteilt wird in "künstlich" und "natürlich" ist der "künstliche" Anteil der Biodiversität immer in der Gefahr, einem "natürlichen" Prozess geopfert zu werden.

Aber es ist ja schon erstaunlich, dass genau in diesen "künstlichen" Landschaftstypen die biologische Vielfalt so hoch ist. So sind 80 Prozent der endemischen (also nur hier vorkommenden) Gefäßpflanzenarten Mitteleuropas Arten der Offenland-Ökosysteme. (Hobohm 2008). "Die Ausbildung großflächiger Wälder in den verschiedenen Klimaepochen Europas war räumlich und zeitlich stets eingeschränkt (Vernichtung der Vegetation in toto beziehungsweise Öffnung der Landschaft durch Kaltzeiten, Feuer, Megaherbivoren, Ackerbau etc.), so dass von einem einst `geschlossenen Waldmeer` kaum auszugehen ist." (Bruchmann & Hobohm 2010).


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Abb. 4: Die Versteinerungen aus der Eem-Warmzeit (vor 130.000 Jahren), zeigen uns geläufige Pflanzenarten: Unter Eichen (Quercus robur) lebte eine afrikanisch anmutende Großtierfauna. Foto: Günter Schweigert


Die Naturgeschichte der Offenlandökosysteme in Europa

Um das Rätsel der "künstlichen" aber artenreichen traditionellen Kulturlandschaft gegenüber der artenärmeren "natürlichen" Waldlandschaft zu verstehen, müssen wir uns die Vegetationsgeschichte Europas näher ansehen. Denn unsere Tier- und Pflanzenarten sind erstaunlich alt, viel älter als die älteste Kulturlandschaft. So kam Efeu schon in den tropischen Wäldern des Miozäns (23 bis 5 Millionen Jahre vor heute) in Europa vor (Bozukov 2018).

Im Miozän begann die Globale Mitteltemperatur zu sinken. Weltweit entstanden Savannen, Gräser breiteten sich aus und es entstanden viele Tierarten, die sich vorzugsweise von Gräsern ernähren. Aus "browsern", Tieren, die sich von Kräutern, Knospen und Blättern ernähren, wurden "grazer". Gräser sind wiederum daran angepasst, abgefressen zu werden. Im Gegensatz zu anderen Pflanzen wachsen sie einfach weiter - der Grund, warum ein Scherrasen überhaupt funktionieren kann.

Vor etwas mehr als zwei Millionen Jahren begann dann das Eiszeitalter mit seinem Wechsel aus ungefähr 100.000 Jahren andauernden Kaltzeiten und rund 10.000 Jahre währenden Warmzeiten. Unsere Pflanzen- und Tierarten gab es auch schon in den beiden letzten Warmzeiten. Allerdings fehlen in unserer heutigen Fauna etliche typische warmzeitliche Arten, wie die "grazer" Wildpferd (Equus sp.), Wildesel (Equus hydruntinus), Auerochse (Bos primegenius), Wisent (Bison sp.), Riesenhirsch (Megaloceros giganteus), Flusspferd (Hippopotamus amphibius) oder Wasserbüffel (Bubalus murrensis), aber auch der "Waldelefant" (Palaeoloxodon antiquus), der als "browser" sicherlich einen starken Einfluss auf die Vegetation hatte (von Kolfschoten 2000).

Einen Eindruck der warmzeitlichen Vegetation bieten die wunderschönen Versteinerungen aus den beiden vergangenen Warmzeiten im Travertin von Stuttgart oder die Großreste die in der Braunkohle von Neumark Nord gefunden wurden (Koban 1993, Meller 2010).

Hier finden sich zahlreiche lichtbedürftige und dornige Straucharten, wie Berberitze (Berberis vulgaris), Weißdorn (Crataegus monogyna), Schlehe (Prunus spinosa), Hundsrose (Rosa canina) oder Kreuzdorn (Rhamnus cathartica) aber auch Wildäpfel (Malus sylvestris). In unseren Wäldern finden wir zwar noch einige Wildäpfel aus früheren Zeiten, aber kaum Jungpflanzen, denn Wildäpfel keimen bevorzugt nach einer Darmpassage, zum Beispiel im Saatbeet eines Pferdeapfels. (Hoffmann 2018). So hängen die Wildäpfel in den Bäumen und warten auf die großen Pflanzenfresser, die früher als "Gegenleistung" für den Genuss des Fruchtfleisches die Art verbreiteten, und warten und warten. . .

Unter den Vogelfossilien aus der letzten Warmzeit stammen 28 Prozent von Waldarten und 32,6 Prozent von Offenlandarten, darunter viele Arten, die heute als so genannte "Wiesenvögel" starke Rückgänge erleben, wie Wachtelkönig (Crex crex), Rebhuhn (Perdix perdix), Wachtel (Coturnix coturnix), Stieglitz (Carduelis carduelis) und Feldlerche (Alauda arvensis) (Holm und Svenning 2018).

Wir können also feststellen:

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Abb. 5: Beweidetes Naturschutzgebiet "Knisa Mosse" auf Öland: Hier profitieren noch Kiebitz, Rotschenkel und viele andere "Weidevögel" von kurzrasigen Flächen und den heruntergetretenen Randbereichen der Kleingewässer. Foto: Ulrike Aufderheide
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Abb. 6: Kiebitze brüten bevorzugt auf kurzrasigen Flächen, bei uns weichen sie deshalb auf Äcker aus, was sich dann im weiteren Verlauf des Jahres zur ökologischen Falle entwickelt. Foto: Ulrike Aufderheide
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Abb. 7: Stare halten sich gerne in der Nähe von weidendem Großvieh auf und können auf den kurzrasigen Flächen leicht Futter finden. Foto: Ulrike Aufderheide


Europe - a continent of grazed grasslands

Dieser Satz kann nicht simpel ins Deutsche übersetzt werden ("Europa ist der Kontinent der beweideten Grasländer"), denn "grassland" und "Grasland" werden im Englischen und Deutschen verschieden verstanden. Bei Wikipedia findet sich als Definition von "grassland": "terrestrial ecosystem dominated by herbaceous and shrub vegetation, maintained by fire, grazing, drought and or freezing temperatures" (de.wikipedia.en: grassland). "Grasslands" sind also Landökosysteme, die von krautiger Vegetation und Gebüschen dominiert werden und die erhalten werden durch Feuer, Beweidung, Trockenheit oder tiefe Temperaturen. Anders im deutschen Wikipedia: "Grasländer/Urgrasländer kommen in Regionen vor, in denen weniger als 400 Millimeter Niederschlag im Jahresdurchschnitt fallen und deshalb keine natürliche Sukzession zu Busch- und Waldland stattfindet." (de.wikipedia.org: Grasland). Im Deutschen gibt es offensichtlich keinen Begriff für natürlich entstandene, von Gras dominierte Vegetation auf waldfähigen Standorten, also auf Standorten, auf denen ohne Beweidung und/oder Feuer Wälder entstehen würden. Dabei dominierte diese Vegetationsform mit mehr (während der kurzen Warmzeiten) oder weniger Bäumen (während der langen Kaltzeiten) die Landlebensräume in Europa.

Wenn wir aus dem Paradigma des "Warmzeitlichen Waldmeeres" heraustreten, dann werden viele wissenschaftliche Befunde plötzlich verständlicher. Ein Beispiel sind die so genannten Wiesenvögel. Sehr viele dieser Arten brauchen kurzrasige Flächen, schütter bewachsene Flächen oder Schlammbänke. Wiesenvögel sind also eigentlich Weidevögel, so werden sie im Niederländischen übrigens auch genannt. Dazu gehört zum Beispiel der Star (Sturnus vulgaris), der Kiebitz (Vanellus vanellus) oder der Rotschenkel (Tringa totanus). Kiebitze brüten nur in kurzrasigen Flächen und bevorzugen deshalb heute eher Weizen oder Maisfelder, wo ihre Jungen natürlich kaum Chancen haben. Rotschenkel brüten in etwas höherer Vegetation, suchen das Futter dann aber in offenen, gerne schlammigen Flächen. Die vom Vieh herunter getretenen Ränder von Gewässern sind ein Eldorado für Weidevögel.

Kulturgeschichte der Blumenwiesen

Auf einer Wiese wird Heu gemacht. Das wurde erst mit der Erfindung der Sense in der Eisenzeit möglich. Bis dahin war das Vieh mit Laubheu über den Winter gebracht worden. Der wichtigste Vorteil des Wiesenheus bestand übrigens darin, dass nun mehr Tiere gehalten werden konnten und dass es dadurch mehr Mist zur Düngung der Felder gab. So wie das Dorngebüsch die Mutter der Eiche ist, so ist die Wiese die Mutter des Getreideackers.

Heuwiesen wurden meist früh oder spät im Jahr zusätzlich beweidet. Oder sie wurden genauso wie die Äcker durch Hecken und Zäune vor dem weidenden Vieh geschützt, es waren also eher "Grasgärten". Auf den skandinavischen "Laubwiesen" wurde dort auch Laubheu gewonnen. Diese "Lövängar" sind die ältesten Wiesen Mitteleuropas, sie sollen bis zu tausend Jahre als sein.

Nun sind wir wieder im Wald von Fontainebleau angekommen: Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert wurde die Landschaft in der so genannten "Markenteilung" oder "Verkoppelung" aufgeteilt in Wiese, Weide, Feld und Wald. Allmenden wurden aufgelöst, die Waldweide verboten. Der rechte Winkel zog ein, gleitende Übergänge verschwanden. Erst am Ende den neunzehnten Jahrhunderts entstanden großflächig Wiesen, die ausschließlich durch Mahd, ganz ohne Vor- oder Nachweide gepflegt wurden (Kapfer 2010).

Wenn die immer selben Eingriffe auf eine Fläche einwirken, entsteht ein wieder erkennbarer, relativ unveränderlicher Bestand von Pflanzen, die unter diesen Bedingungen gut gedeihen und sich fortpflanzen können. Erst jetzt breiteten sich einige Pflanzenarten aus, die besonders gut mit den traditionellen Mahdrhythmen zurechtkommen, wie der Glatthafer (Arrhenatherum elatius) (Poschlod 2015) oder der Wiesenpippau (Crepis biennis) (Stickroth 1994). Es entstand die Pracht der Blumenwiesen, die wir heute so schmerzlich vermissen. Die ersten Vegetationskundler und Pflanzensoziologen erforschten also eine Landschaft, die durch homogene Nutzungen entdynamisiert und kompartimentiert war. Pflanzenbestände waren auf den homogenen Flächen wiedererkennbar und konnten einfach mit den Standortbedingungen in Beziehung gebracht werden. Hochdynamische Hutungen und Waldweiden sind mit einem solchen System nur schwer beschreibbar. Hutungen sind quasi flächige Ökotone, überall ist Übergang - und damit Grundlage für eine ungeheuer hohe biologische Vielfalt.

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Abb. 8: Wasserbüfffel lieben es, sich in Kleingewässern zu suhlen, auf den Waldweiden schaffen sie immer neu "Badeteiche" und setzen damit wieder einen Startpunkt für die Sukzession. Ein Grund, warum Rumänien, obwohl es am östlichen Arealrand liegt, der Verbreitungsschwerpunkt der Gelbbauchunke in Europa ist. Foto: Ulrike Aufderheide
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Abb. 9: Die „Laubwiese“ Lindreservatet auf Öland. Foto: Ulrike Aufderheide


Die Kulturgeschichte der Wiesen und Weiden

Die Evolution des Menschen ist eng mit den Savannen und ihren Tierarten verbunden (Owen-Smith 2021, Böhme et al. 2019). Nur in den sich öffnenden Savannen des Miozäns war es vorteilhaft auf zwei Beinen zu gehen und nur hier bot sich reiche Beute für den neuen Beutegreifer "Mensch", der seine Beute in Hetzjagden erschöpfte, Menschen können ausdauernder laufen als fast alle anderen Tiere (Owen-Smith 2021). Erst eine reichliche Ernährung mit Fleisch machte die Evolution des energiezehrenden Gehirns möglich. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Homo sapiens, der in der letzten Eiszeit aus Afrika in Europa einwanderte, für das Aussterben der großen Tiere Europas zumindest mitverantwortlich ist. Vor allem weil er seit ungefähr dreißigtausend Jahren mit dem zweiten Hetzjäger in Europa, dem zum Hund domestizierten Wolf zusammenarbeitet.

Aber auch nach dem Aussterben der meisten großen Pflanzenfresser und Beutegreifer in Europa gab es bis ins Mittelalter Wildpferde, Auerochsen und Wisente. Selbst heute gibt es noch einige Pflanzenfresser, die im Wald nicht gerne gesehen sind. So zeigt eine Untersuchung mitteleuropäischer Nationalparks, dass dort, wo eigentlich natürliche Entwicklungen vorherrschen sollen, Rotwild immer bejagt und in manchen Fällen sogar gefüttert wird, um eine Schädigung der Bäume zu verhindern (Günther und Heurich 2012).

Ein weiterer Hinweis auf eine relativ offene Landschaft nach dem Ende der letzten Eiszeit sind die Eichen (Quercus robur/petraea), deren Pollen in Pollendiagrammen gefunden wird. Eichen können sich im dichten Wald nicht verjüngen. Es gibt eine enge Symbiose mit dem Eichelhäher, der sehr sorgfältig ausschließlich keimfähige Samen in der Krone erntet und sie am Rand von Landmarken, das sind in beweideten Flächen oft Dorngebüsche und ihre Säume, vergräbt. Dort findet die Eiche den perfekten Standort, am Anfang vor den Mäulern der Tiere durch die Dornen geschützt, später schnell ins Licht über die Dornsträucher hinauswachsend (Ouden et al., 2005). Im Englischen heißt es "The thorn is the mother of the oak".

Die Rotbuche (Fagus sylvtica), die dunkle Bestände bilden kann, in denen nur Buchenjungwuchs eine Chance hat, hat sich in Mitteleuropa erst dort ausgebreitet, wo der Mensch die Landschaft durch seine landwirtschaftliche Tätigkeit verändert hatte. Die Rotbuche ist also ein Kulturfolger (Küster 1997). Andererseits weideten nach dem Einwandern der Ackerbauern auch wieder mehr Tiere in der Landschaft, die Allmendeweiden entstanden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie der von Elefant & Co beweideten Naturlandschaft Europas ähneln. Dies ist wohl der Grund für ihre enorm hohe Biodiversität. Sie sind reich an verschiedenen Kleinlebensräumen, wie zum Beispiel "Badeteiche" von Wasserbüffeln oder Offenbodenstellen in Sandbädern und auf Tierwechseln. Schöne Eindrücke von den Allmendeweiden Rumäniens finden sich auf: transsylvanien-wood-pastures.eu/videos/

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Abb. 10: So prächtige Blumenwiesen finden wir nur noch selten. Foto: Ulrike Aufderheide
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Abb. 11: Unsere Normallandschaft ist kompartimentiert und statisch: Wald bleibt Wald, Acker bleibt Acker und Grünland bleibt Grünland. Foto: Ulrike Aufderheide
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Abb. 12: Die beweideten Flächen der Waldweide "Breite" bei Sighisoara wurden als Flachlandmähwiese eingestuft. Foto: Ulrike Aufderheide

Shifting Baselines in der Beschreibung der Natur

Insbesondere in Deutschland entwickelte die Vegetationskunde ein fein strukturiertes System der Beschreibung von Pflanzengesellschaften. Wenn wir auf die Karte der Potenziellen Natürlichen Vegetation (PNV) Deutschlands schauen, sehen wir kaum Offenlandgesellschaften, nur Moore und Salzwiesen werden als natürlich eingestuft. Interessant ist, dass die namensgebenden Pflanzenarten für die am weitesten verbreiteten Pflanzengesellschaften, die "Buchenwälder" und ihre verbreiteten "Ersatzgesellschaften", die Glatthaferwiesen nach zwei Kulturfolgern, nämlich der Rotbuche und dem Glatthafer benannt sind.

Die ordnende Beschreibung der Natur bildet also die kompartimentierte Landschaft des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ab. Hutungen und Waldweiden tauchen nicht auf, sie werden bei Vegetationsaufnahmen meist als Wald, seltener als Mähwiese eingestuft. So können Hutungen im EU-Netzwerk Natura 2000 nicht mit einer Lebensraumtypnummer (LRT) erfasst werden. Eine Ausnahme bilden die Waldweiden Skandinaviens, die skandinavischen Länder konnten bei ihrem Beitritt in die EU eine LRT-Nummer für ihre Waldweiden erwirken. Eine Möglichkeit, Hutungen im restlichen Europa besser zu schützen, wäre, auch Hutungen im übrigen Europa unter dieser Nummer einzuordnen (Bergmeier et al. 2010).

Die vegetationskundliche Beschreibung der Pflanzengesellschaften wirkt sich auf unsere Landschaft und auf die biologische Vielfalt aus, weil sie nicht nur der Beschreibung, sondern auch zur Bewertung von Lebensräumen dient. So wird Wald als "natürliche" Vegetation bei Bewertungen von Eingriffen in der Regel viel höher als "halbnatürliche" Vegetationstypen wie Hecken, Magerrasen und Wiesen bewertet.

Der besiedelte Raum als Chance

Der Hauptgrund für die Biodiverstiätskrise liegt in der Nutzungsänderung und der Nutzungsintensivierung durch eine industrialisierte Landwirtschaft. Ein Nebengrund ist aber auch das Paradigma des "Waldmeeres", das genau solche "Mini-Waldmeere" produziert, umgeben von der Agrarwüste. Es tut also Not, aus dem Paradigma des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts hinauszutreten und die Biologische Vielfalt in das Zentrum unserer Bemühungen zu stellen. Der besiedelte Raum kann hier Vorreiter sein.

Denn wenn wir Grünflächen biodiversitätsfördernd pflegen wollen, dann sieht das Ergebnis aus wie die Imitation einer extensiven Weide. Naturschutzinitiativen, die das in der freien Landschaft umsetzen wollen, leiden oft darunter, dass Fördergelder, die an das Vorkommen von typischen Arten der Heuwiesen gebunden sind, wegfallen. Im besiedelten Raum, im Garten und im Park sind wir aber frei von solchen Paradigmen und können unsere Pflege so ausrichten, dass die biologische Vielfalt davon profitiert: wir können uns je nach Gusto wie Elefanten, Flusspferde, Auerochsen oder Rehe benehmen.

Happy grazing!



Anmerkung

Dieser Artikel ist die Kurzfassung eines Vortrags bei den diesjährigen Naturgartentagen des NaturGarten Vereins für naturnahe Garten- und Landschaftsgestaltung. Ein ausführlichere Fassung wird in der im Mai 2023 erscheinenden Tagungsband zu finden sein: naturgartentage.de/downloads/. Das gedruckte Themenheft wird im Shop des NaturGarten e. V. erhältlich sein shop.naturgarten.org. Mitglieder erhalten ihn kostenlos naturgarten.org/aktiv-werden/mitglied-werden/.



Literatur und Quellen
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Dipl.-Ing. Ulrike Aufderheide
Autorin

Calluna Naturnahe Garten- und Grünplanung

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