Kooperative Wettbewerbsverfahren als Chance für Transformation

Gemeinsam statt gegeneinander

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Landschaftsplanerische-städtebauliche Wettbewerbe sind ein etabliertes Instrument, um kreative Ideen und gute Lösungen für unsere Städte zu finden. Jedoch sind nicht in jedem Fall konkurrierende Wettbewerbe die einzige Lösung. Um gemeinsame Herausforderungen anzugehen und eine bessere Zukunft für alle zu gestalten, können auch kooperative Verfahren Vorteile versprechen.
Städtebau Landschaftsplanung
Abb. 1: Planungsgebiet mit Blickrichtung nach Westen, links Fritz-Schäffer-Straße, vorne Albert-Schweitzer-Straße, rechts Ständlerstraße. Foto: Hines Immobilien GmbH (Drohnenaufnahme)

Im Gegensatz zu konkurrierenden Planungswettbewerben fördern kooperative Verfahren einen kollaborativen Prozess, in dem Ideen offen diskutiert, weiterentwickelt und integriert werden können. Dies erfordert eine tiefere Auseinandersetzung mit dem lokalen Kontext, sozialen Bedürfnissen und ökologischen Anforderungen und führt letztlich zu nachhaltigeren Lösungen. Kooperative Verfahren eignen sich daher besonders für komplexe Planungsaufgaben mit vielen offenen Fragestellungen.

Im Rahmen des Forschungsprojekts "Grüne Stadt der Zukunft" (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) wurden verschiedene Wettbewerbsverfahren begleitet und im Hinblick auf Klimaresilienz untersucht. Ein konkretes Projekt, das sich durch sein innovatives Verfahren hervorhebt, ist die Überplanung eines Quartiers in der Fritz-Schäffer-Straße in München. Hier wurde ein Werkstattverfahren mit vorgelagertem städtebaulich-landschaftsplanerischem Wettbewerb im kooperativen Verfahren gewählt. Grund hierfür war, dass das Ziel des Planungsvorhabens noch nicht gesetzt war und es noch viele offene Fragen zu beantworten gab.

Obwohl kooperative Verfahren in Ländern wie Österreich und der Schweiz bereits verbreitet angewendet werden, sind sie in Deutschland noch eher unbekannt. In diesem Beitrag informieren wir daher über kooperative Verfahren anhand des konkreten Fallbeispiels und zeigen seine Besonderheiten auf.

Kooperative Verfahren und ihre Vorteile

Kooperative Verfahren bieten eine vielversprechende Alternative zu traditionellen Wettbewerbsverfahren in der Planungspraxis. Entsprechend der Richtlinie für Planungswettbewerbe von 2013, kurz RPW 2013, werden kooperative Verfahren wie folgt beschrieben:

"Wenn eine Aufgabe oder ihre Ziele vom Auslober nicht eindeutig definiert werden können, zum Beispiel bei städtebaulichen Aufgaben, kann er das kooperative Verfahren wählen. Besonderes Kennzeichen ist die schrittweise Annäherung an Aufgabe und Ziele in einem Meinungsaustausch zwischen den Beteiligten. [. . . ] Die Anonymität nach § 1 kann ausnahmsweise, zum Beispiel zur Präsentation von Zwischen- und Endergebnissen, aufgehoben werden." (§3, Absatz 5, RPW 2013)

Wie bei allen informellen Planungsverfahren bestehen somit keine rechtlichen Rahmenbedingungen für den Ablauf und die Verfahren unterscheiden sich teilweise deutlich. Im Gegensatz zu traditionellen Wettbewerbsverfahren arbeiten mehrere Planende oder Teams teilweise zusammen und kooperieren mit den Projekt-Stakeholdern. Das Element der Konkurrenz entfällt dabei jedoch meist nicht komplett, sondern bleibt für bestimmte Phasen bestehen (Temel, 2014). Die Zusammenarbeit kann in verschiedenen Formen erfolgen, führt jedoch stets zu einem Gemeinschaftswerk. Die Anwendungsmöglichkeiten, Konzeption sowie das Verhältnis der Konkurrenz im Vergleich zur Kooperation können je nach Kontext stark variieren. (Temel, 2014). Dementsprechend bestehen auch unterschiedliche Begriffe für verschiedene Arten kooperativer Verfahren, wie etwa Klausurplanung oder Testplanungsverfahren (ebd.).

Kooperative Verfahren zeichnen sich unter anderem durch eine starke Betonung von Beteiligung, Interdisziplinarität und Austausch aus (Temel et al., 2015). Dadurch ermöglichen sie eine effektive Bewältigung von Abstimmungsprozessen und die erfolgreiche Aushandlung von Zielkonflikten mit verschiedenen Planungsbeteiligten wie Kommunen, Verwaltung, Stakeholdern und Auslobenden. Sie bieten die Möglichkeit, unterschiedliche Interessen und Perspektiven zu integrieren und so zu einer ganzheitlichen Lösungsfindung beizutragen.

Daher erweisen sie sich besonders für komplexe Planungsaufgaben mit zahlreichen offenen Fragestellungen als vielversprechende Option (Roggendorf et al., 2011). Das Planungsvorhaben rund um die Fritz-Schäffer-Str. 9 ist genau so ein Fall und wird im Folgenden vorgestellt.

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Abb. 2: Planungsgebiet mit Markierung von Haus 1 und Haus 2. Grafik: H+Architektur
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Abb. 3: Grafische Darstellung des Verfahrens. Grafik: TUM, M. Schiffer

Fallbeispiel anhand eines Münchner Quartiers – Viele offene Fragen

  • Wie kann auch über die Umwandlung der monofunktionalen Büronutzung zu einer Mischnutzung das Areal an die Umgebung angeschlossen werden und diese bereichern? Anmerkung: Die Öffnung und Durchlässigkeit des bislang eher abgeschlossenen Areals war ein zentrales Anliegen.
  • Welche Nutzungen fehlen im Stadtviertel und können hier gut untergebracht werden?
  • Wie kann das Areal auch für die Nachbarschaft attraktive Aufenthalts- und Erholungsräume mit hoher Identität bieten?
  • Wie können die bereits etablierten Zwischennutzungen während der Bauphase weiter agieren und auch im neuen Areal weiter bestehen bleiben?
  • Wie können Alternativen zum motorisierten Individualverkehr sowohl für die Bewohner des Areals als auch die Nachbarschaft attraktiv angeboten werden?
  • Welche Bauteile können im Sinne der Kreislaufwirtschaft erhalten oder weitergenutzt werden?
  • Angesichts des hohen Versiegelungsgrads, unter anderem durch die Tiefgarage: Wie kann die Klimaresilienz und somit auch die zukünftige Aufenthaltsqualität verbessert werden, ohne den Abriss zu fördern? (vgl. Konflikt: Klimaschutz/Emissionsminderung versus Klimaanpassung)

Das Untersuchungsgebiet im Münchner Stadtteil Neuperlach ist ein Paradebeispiel für "Entlastungsstädte" der 1960er und 1970er Jahre: Es wurde konzipiert, um mit eigenem Zentrum und verschiedenen Angeboten die dicht besiedelte Innenstadt zu entlasten. Das Gebiet weist eine homogene, stark versiegelte Siedlungsstruktur mit massiver Bebauung, großzügigen Freiflächen und breiten Straßenräumen auf, jedoch fehlt immer noch ein Zentrum sowie Gewerbe- und Kultureinrichtungen.

Das Planungsgebiet befindet sich an der Fritz-Schäffer-Straße und liegt zentral sowie nördlich des Einkaufszentrums "pep". Es wird von drei Seiten von Verkehrsachsen umgeben (s. Abb. 1) und ist gut durch zwei U-Bahn-Haltestellen angebunden. Das Areal ist circa 3,3 Hektar groß und umfasst zwei Bürokomplexe (vgl. Abb. 2: Haus 1 und Haus 2), die vorwiegend von der Allianz-Versicherung genutzt wurden. Seit 2020 gehört der Komplex zu Hines. Aktuell wird Haus 1 für Zwischennutzungen durch lokale Organisationen und Akteure genutzt (Details unter www.shaere.net).

Die Freiflächen sind mit Grünanlagen, wie Rasenflächen und Stauden versehen, jedoch größtenteils unterbaut. An den Straßenflächen befinden sich erhaltenswerte Bäume und Baumgruppen. Entlang der Ständlerstraße befindet sich zwar eine übergeordnete Kaltluftleitbahn in Ost-West-Richtung, durch die geschlossene Bebauungsstruktur wird jedoch eine Kaltluftzufuhr in das Quartier verhindert (Hines Immobilien GmbH, 2022).

Die aktuelle Planung hat eine grundlegende Transformation zum Ziel: Das Gebiet soll zu einem urbanen, zukunftsfähigen Quartier mit Nutzungsmischung aus Wohnen, Arbeiten, Kindertagesstätte, kleinflächigem Einzelhandel und Gastronomie entwickelt werden. Die Nähe zu Grün- und Freiflächen ist aus stadtklimatischen Gründen zu fördern. Die Vernetzung von Neuperlach mit der Umgebung soll gestärkt werden (Hines Immobilien GmbH, 2022). Für die Entwicklung gesamtstädtischer Ziele und Zukunftsbilder ergaben sich unter anderem folgende Fragen:

Um diesen vielen offenen Fragen gemeinsam mit verschiedenen Planungsbeteiligten aus der Politik, lokalen Stakeholdern und Expert*innen für planungsrelevante Themen auf den Grund zu gehen, entschlossen sich der Bauherr und das Betreuungsbüro, den Wettbewerb in ein mehrstufiges, kooperatives Verfahren einzubetten und durch verschiedene Workshops¹ zu ergänzen.

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Abb. 4: Einblick in den Vision-Workshop. Foto: Florian Paulus

Ablauf kooperatives Werkstattverfahren

Das Verfahren bestand aus einem informellen sowie einem formellen Teil, der wiederum in zwei Arbeitsphasen eingeteilt wurde (siehe Abb. 3). In Phase 1 wurde der Städtebau konkurrierend, also als Wettbewerb nach RPW, durchgeführt. In Phase 2 schlossen sich Workshops an, in denen der Hochbau, eingebettet in den Masterplan aus Phase 1, entworfen wurde. Insgesamt wurde für das gesamte Verfahren ein Zeitraum von 14 Monaten anberaumt.

Auftakt des Wettbewerbs bildete ein informeller Verfahrensschritt, der hier als Phase 0 bezeichnet wird. Im ersten Schritt erfolgte eine Vorauswahl der potenziell teilnehmenden Architekturbüros. Für diese wurden sowohl Empfehlungen seitens der Ausloberin als auch des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der städtischen Verwaltung berücksichtigt. Im Zuge dieser Vorauswahl wurden gemeinsam Kriterien zur späteren Auswahl der Teilnehmenden erarbeitet. Anschließend wurden in einer Art Kennenlernen, dem "Go-See-Hearing" aus dreißig Architekturbüros für den nachfolgenden Wettbewerbsprozess elf Büros ausgewählt.

Dieser Schritt ermöglichte einen direkten Austausch zu konkreten Fragestellungen. Neben der Abfrage der fachlichen Kompetenz war es so schon vor Start des Wettbewerbs möglich, die Teilnehmer*innen auch unter Berücksichtigung eher weicher Kriterien, wie etwa der Idee und Herangehensweise, auszusuchen. Ausschlaggebend war hier außerdem die Überlegung, welche Büros sich in der späteren Werkstattarbeit zum einen gut ergänzen, zum anderen aber auch gut zusammenarbeiten würden.

Nach der Auswahl der Architekturbüros wurde ein Vision-Workshop Teil des informellen Verfahrens, um die Rahmenbedingungen und Ziele des Wettbewerbsverfahrens im Dialog zu diskutieren (vgl. Abb. 4). An dem Vision-Workshop nahmen sowohl die Architekturbüros sowie die mit ihnen kooperierenden Landschaftsarchitekturbüros teil. Darüber hinaus waren Vertretende des Referats für Stadtplanung und Bauordnung, Expert*innen zu den Themen Klima, Kreislaufwirtschaft und Mobilität, Vertretende des Bezirksausschusses und lokale Akteur*innen Teil des Workshops. Ergänzt wurde dieser Termin durch Impulsvorträge von den Expert*innen zu ortsspezifischen Themen wie beispielsweise zur lokalen Klimaanpassung. Neben den Vorträgen trug eine durch den Stadtteilmanager der Stadt München geführte Fahrradtour durch Neuperlach zu einem vertieften Verständnis der Anforderungen des Stadtteils bei. Im Anschluss arbeiteten alle Beteiligten in Workshops an den Themen "Community", "Connectivity" und "Climate". Ziel war es, Thesen und Ziele für die Gestaltung und Belebung des Planungsgebiets zu entwickeln.

Das informelle Verfahren und die Termine vor Ort ermöglichten bereits vor Beginn des formellen Wettbewerbs eine intensive Auseinandersetzung mit dem Planungsgebiet, ein Kennenlernen der aktuellen Nutzer*innen sowie die kritische Auseinandersetzung mit der Planungsaufgabe.

Die Erkenntnisse und Ansätze aus dem Vision-Workshop wurden als Zusatzimpulse in die Auslobung aufgenommen. Der Austausch der Planungsbeteiligten führte unter anderem zu dem Ansatz, von einem bislang im Vorentwurf geplanten Totalabriss abzusehen und die Planung auf den Erhalt des Bestands auszurichten.

Anschließend erfolgte der formelle Teil des Verfahrens, nämlich der landschaftsplanerische- städtebauliche Wettbewerb (Phase 1). Dieser wurde nach den Vorgaben der RPW 2013 durchgeführt, wobei das Rückfragenkolloquium durch das Angebot eines sogenannten Pin-Ups ergänzt wurde. In diesem Fall hatte zusätzlich zu der Beantwortung der vorab eingereichten Fragen durch das Preisgericht jedes Team in der hybrid durchgeführten Veranstaltung die Möglichkeit, dem Gremium den ersten Aufschlag des Entwurfs vorzustellen und unmittelbar eine Rückmeldung dazu zu erhalten. Die Anonymität der Teilnehmenden untereinander konnte durch die Online-Präsentation in einzelnen Zeitfenstern gewahrt bleiben.

Der Termin erwies sich als wertvolles Instrument, die Planenden zusätzlich zur Auslobung an die wichtigsten Leitplanken des Projekts zu erinnern. Außerdem gab es für die Ausloberin und das Preisgericht Anregungen zur Herangehensweise an die Aufgabe.

Im Dezember 2022 erfolgte die Preisgerichtssitzung, deren Ziel es war, einen städtebaulichen Leitentwurf (1. Preis) zu nominieren, der die Grundlage des nachfolgenden Werkstattverfahrens bildete. Der erste Preis ging an den Entwurf des Architekturbüros Site Practice aus Amsterdam, siehe Abbildung 5, das mit dem Landschaftsarchitekturbüro ZUS (Zones Urbaines Sensibles) aus Rotterdam zusammengearbeitet hat. Dem Leitentwurf wurden die Platzierungen 2–4 für die nachfolgende co-kreative, kooperative Planungsarbeit an die Seite gestellt. Diese gingen an die Büros pool Architekten aus Zürich, Robertneun aus Berlin in Zusammenarbeit mit dem Atelier Loidl sowie Mad Arkitekter aus Oslo zusammen mit Mud, Oslo.

Die Planverfassenden der vier prämierten Entwürfe wurden somit per Mehrfachbeauftragung nach HOAI mit der Weiterentwicklung des Entwurfs im Rahmen des Werkstattverfahrens betraut (Phase 2). Für dieses Verfahren wurden die Planungsteams, bestehend aus Architekt*innen und Landschaftsarchitekt*innen aufgelöst. Die Architekturbüros fokussierten sich auf den Hochbau unterschiedlicher Gebäude des Leitentwurfs. Die vertiefte Bearbeitung des Freiraumkonzepts erfolgte durch das Landschaftsarchitekturbüro des Leitentwurfs. Für jedes Gebäude wurden mehrere Varianten entworfen und zu einem abschließenden Entwurf, siehe Abbildung 6-9, zusammengeführt.

Das Werkstattverfahren umfasste vier ganztägige Workshops vor Ort, an denen neben den Planungsbüros auch Vertretende des Referats für Stadtplanung und Bauordnung, des Referats für Klima- und Umweltschutz, Expert*innen verschiedener Fachbereiche sowie die Ausloberin und der Vertreter des Bezirksausschusses teilnahmen. Die Workshops ermöglichten den direkten Dialog der Planungsbeteiligten zu Fragestellungen und Entwurfsentscheidungen sowie deren Auswirkungen auf zu berücksichtigende Themen wie Verkehr, Statik oder klimatische Belange. Die Arbeitsergebnisse wurden am Ende des jeweiligen Workshops hybrid präsentiert, um diese Vertretenden des Preisgerichts vorzustellen und um weitere Aufgabenstellungen zu diskutieren. Die Empfehlungen wurden durch die Entwurfteams umgesetzt und bildeten die Grundlage des nächsten Workshops.

Im Mai 2023 erfolgte die Vorstellung des finalen städtebaulich-landschaftsplanerischen Entwurfs (vgl. Abb. 7–9). Im Rahmen der Präsentation konnten die Jury und weitere Planungsbeteiligte nochmals Empfehlungen für die Überführung des Entwurfs in die anschließende Bauleitplanung geben.

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Abb. 5: Visualisierung des Leitentwurfs Städtebau, Phase 1. Grafik: Architekturbüro Site Practice, Amsterdam
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Abb. 6: Gemeinsam entwickelter Masterplan. Grafik: Site Practice, ZUS, pool Architekten, Robertneun, Mad Arkiteker

Entwurf als "Gesamtkunstwerk" und nicht "the winner takes it all"

Aktuell befindet sich der Entwurf im Bebauungsplanverfahren. Die Qualität des Verfahrens wird sich erst nach dem Bauprozess wirklich zeigen. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden jedoch leitfadengestütze Interviews geführt, um das Wettbewerbsverfahren inklusive seiner Besonderheiten zu untersuchen. Die neun Gespräche fanden mit Personen statt, die direkt an dem Prozess beteiligt waren. Darunter waren drei der erstplatzierten Architekturbüros, das in Phase 2 beteiligte Landschaftsarchitekturbüro, Vertreter von zwei Referaten der Stadtverwaltung, des Betreuungsbüros sowie des Bauherrn. Ziel war es, die Besonderheiten des Prozesses zu untersuchen und Unterschiede zu anderen Wettbewerben herauszuarbeiten.

Als strukturelle Besonderheiten des Verfahrens wurden vor allem die verschiedenen Phasen, der Vision-Workshop und die Workshops der zweiten Phase sowie die frühe Beteiligung der Verwaltung genannt.

Insgesamt gab es jedoch häufiger Nennungen zu den qualitativen Aspekten des Verfahrens.

Es wurde zum einen häufig die hohe Intensität während der Arbeitsphasen, sowie der hohe zeitliche, organisatorische und finanzielle Aufwand hervorgehoben. Diese Punkte wurden teilweise relativiert und mit den Vorteilen des frühen "Investments" verbunden, wie etwa vereinfachte und beschleunigte Abstimmungsprozesse oder ein zügigeres Bebauungsplanverfahren. Begründet wurde dies unter anderem mit dem ständigen Austausch und Dialog, der während der Workshops stattgefunden hat. Dies hat zu mehr Kompromissbereitschaft und einem tieferen Verständnis für Zielkonflikte, aber auch zu Vertrauen unter den Beteiligten geführt.

Die Verwaltung schätzte die frühzeitige Einbindung in das Verfahren und erkannte den Wert ihrer Einflussmöglichkeiten. Dies ermöglichte es, bei Bedarf schnell auf potenzielle Probleme in den Entwürfen zu reagieren und entsprechende Korrekturen vorzunehmen.

Die Rahmenbedingungen des Verfahrens, darunter das Vorhandensein von Expertise und Erfahrung verschiedener Büros, wurden als besondere Chance betrachtet, die es auch jungen Büros ermöglichte, sich zu bewähren, was unter anderen Umständen oft schwierig wäre. Der Prozess ermöglichte zudem jedem Büro, seine individuellen Stärken zu entfalten.

Zusätzlich wurde angeführt, dass viel von dem Wissen um das Planungsgebiet, das während der Wettbewerbsphase von den teilnehmenden Büros erarbeitet wird, danach nicht verloren geht. Durch die nachgeschaltete Phase 2 konnte das Wissen der vier besten Entwurfsteams im Prozess erhalten und weiterhin eingebracht werden. Des Weiteren wurden die gute Zusammenarbeit, die Freude am Arbeiten und die gute Atmosphäre genannt. Die Workshops und die mehrtägige Veranstaltung ermöglichten eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Projekt. Die anderen Teams fungierten außerdem als eine Art Kontrollinstanz, wodurch bestimmte Aspekte oder Probleme nicht ignoriert werden konnten, wie es in anderen Fällen gelegentlich vorkommt.

Die hohe Qualität des Ergebnisses wurde von allen Beteiligten betont. Ein Büro beschrieb das Ergebnis des Prozesses als ein "Gesamtkunstwerk", da es die Grenzen zwischen Urbanismus, Landschaftsarchitektur, Programmprozess und Inhalt verschwimmen ließ. Die Mitarbeitenden des Büros gaben an, dass sie bisher in keiner Wettbewerbssituation ein vergleichbar qualitativ hochwertiges Ergebnis erzielt hatten.

Natürlich gab es auch Anmerkungen zum Verbesserungspotenzial des Verfahrens. Insbesondere wurde der zeitliche Ablauf der Workshops genannt, da er teilweise sehr straff organisiert war und dazu führte, dass viel Arbeitszeit für die Erstellung von Zwischenpräsentationen statt für inhaltliche Arbeit aufgewandt werden musste. Zudem hätte sich die Verwaltung eine gewisse Standardisierung im Ablauf hinsichtlich der Gutachten gewünscht, da diese nicht zwingend zu Beginn des Verfahrens schriftlich vorliegen mussten.

Fazit und Ausblick

Das hier dargestellte Verfahren hat sich, trotz einzelner Anmerkungen zur Verbesserung, als vielversprechend erwiesen und führte in diesem spezifischen Fall zu einem sehr positiv beurteilten Prozess und Entwurfsergebnis. Dies war besonders bedeutsam, da zu Beginn der Planung zahlreiche offene Fragen und Zielkonflikte zu bewältigen waren.

Der Vision-Workshop vor Beginn des Wettbewerbs erwies sich als entscheidend, da er die zentralen Punkte und Rahmenbedingungen des Gebiets festlegte, was dann die Grundlage für die Auslobung bildete. Die intensive Einbindung aller Stakeholder ermöglichte einen iterativen Planungsansatz, bei dem Ziele kontinuierlich angepasst wurden. So wurde beispielsweise vom Totalabriss abgesehen und der Erhalt der Bestandsstrukturen favorisiert.

Das Ergebnis des Verfahrens, obwohl es erst nach dem Bauprozess endgültig zu bewerten ist, erhielt bisher äußerst positive Rückmeldungen. Das im Wettbewerb erworbene Wissen der Architekturbüros wurde in den nachfolgenden Schritten erhalten und integriert, was zu einem Entwurf führte, der die Stärken aller prämierten Büros vereinte.

Obwohl dieses Verfahren aufwendig ist und eher für Einzelfälle geeignet erscheint, stellt es eine Alternative zu konkurrierenden Wettbewerben dar. Je komplexer und vielschichtiger die Fragestellungen sind, desto besser kommen die Stärken eines solchen Verfahrens hervor. Sie stellen somit eine bedeutende Chance für die Transformation von Bestandsquartieren dar.

Es ist daher lohnenswert, Verfahren dieser Art zu testen und weitere Erfahrungen zu sammeln, wobei jede Planung möglicherweise eine angepasste Herangehensweise erfordert. Das hier vorgestellte Verfahren oder auch Elemente davon, wie etwa das Go-See-Hearing oder der Vision-Workshop, können als Referenz für zukünftige Planungen dienen.

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Abb. 7: Teamwork am Siegerentwurf während der Phase 2. Foto: Frans Parthesius, Rotterdam
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Abb. 8: Süd-Ansicht des Entwurfmodells nach Abschluss der Phase 2. Foto: Frans Parthesius, Rotterdam
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Abb. 9: Ost-Ansicht des Modells von innen. Foto: Frans Parthesius, Rotterdam

„Wer neue Wege gehen will, braucht co- kreative Visionen und eine ego-freie Zone.“
"Dieses Projekt wäre so nicht möglich ohne die Phase "0". Über die professionelle Projektentwicklung hinaus sich Zeit zu nehmen den Bestand zu erkunden, architektonische Produktionsbedingungen zu hinterfragen, Relevanz und Zukunftsfähigkeit neu zu diskutieren. Die Auslober waren mutig genug, diesen Prozess nicht im stillen Kämmerlein eigener Expertise, sondern als Vision-Workshop mit allen am Wettbewerb Beteiligten zu gestalten. Mit co-kreativem Wissen entstand die gemeinsame Überzeugung, dass sich der Büromonolith in ein offenes durchmischtes Quartier transformieren lässt und das Ziel der Auslobung: Umbaukultur statt Abriss!"
Ina Laux, Verfahrenskonzeption und Juryvorsitzende, LAUX ARCHITEKTEN GMBH

 

"Das kooperative Verfahren für städtebauliche Wettbewerbe ist eine spannende, aber auch herausfordernde Alternative zu den üblichen konkurrierenden Verfahren. Durch den direkten und iterativen Austausch aller Planungsbeteiligten werden die jeweiligen Perspektiven aller Beteiligen frühzeitig kommuniziert und die wichtigsten Aspekte für das Planungsverfahren bereits in der Anfangsphase identifiziert. Dadurch besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Planung interdisziplinär und integriert erfolgt und wichtige Themen nicht erst am Ende auftreten, wenn sie nicht mehr zufriedenstellend gelöst werden können.
Gleichwohl ist der Zeitaufwand durch die vielen ganztägigen Workshops für die Beteiligten sehr hoch, so dass nicht gewährleistet ist, dass alle Planungsbeteiligten immer teilnehmen können. Auch sollte der Planungsprozess insbesondere für das spätere Bauleitplanverfahren fachgutachterlich begleitet werden. Die große Dynamik des Planungsprozesses im kooperativen Verfahren macht es den Gutachterbüros aber schwer, ihre Untersuchungen immer auf dem aktuellen Stand der Planung zu halten und für die Fachbehörden, die Fachgutachten zu prüfen. Hier sollten noch Überlegungen angestellt werden, wie man diese Prozesse besser synchronisieren kann."
Moritz Monninger, Referat für Klima- und Umweltschutz, Landeshauptstadt München

 

"Besonders Phase zwei [. . . ] war großartig. Das war die ultimative Art von demokratischer Zusammenarbeit. Man kann etwas auf ein hohes Niveau bringen, indem man alle Interessengruppen einbezieht. Normalerweise sind viele dieser Interessengruppen nicht zu sehen, nicht Teil des Gesprächs oder sie kommen erst hinterher und haben nur eine sehr eindimensionale Antwort, beziehungsweise überprüfen es nur. Dies war jedoch weit mehr als eine Überprüfung. Es war ein Dialog, der jeden Aspekt des Projekts auf ein hohes Niveau brachte."
Statement eines teilnehmenden Büros

 

"Weiterbauen mit dem, was schon da ist!" wurde das Credo in unserem Verfahren. Synergetisch, kompakt, zeitsparend arbeiteten wir ergebnisorientiert im direkten Austausch der Stakeholder und konnten in diesem moderierten Workshop-Prozess an insgesamt sechs Arbeitstagen wechselseitiges Verständnis schaffen. Unterschiedliche Positionen wurden an Plan und Modell ausgelotet, diskutiert und gemeinsam mit den vier Preisträgern des städtebaulichen Wettbewerbs, Mitgliedern der Fachdienststellen aus der Stadtplanung, Bezirks- und Stadträten sowie Fachexperten zu Klima, Statik, Verkehr und Mobilität etc. zu einen Masterplanentwurf entwickelt. Zukunftsfähig!"
Hennig Kiesewetter, Projektentwicklung im Auftrag des Eigentümers, Hines Immobilien GmbH

Literatur

  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2013). Richtlinie für Planungswettbewerbe – RPW 2013. Fassung vom 31. Januar 2013. Berlin.
  • Hines Immobilien GmbH (2022). aer – Auslobung. Städtebaulicher und landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb im kooperativen Verfahren nach RPW (Phase 1) – Kooperatives Werkstattverfahren im Rahmen einer Mehrfachbeauftragung (Phase 2). München.
  • Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung (2021). Integriertes Handlungsraumkonzept -Handlungsraum 6 "Neuperlach und Umgebung, München.
  • Temel, R. (2014). Evaluierung der kooperativen Verfahren. Werkstattbericht, 142, Wien.
  • Temel, R., raum & kommunikation (2015). Grundlagen für kooperative Planungsverfahren. Werkstattbericht, 149, Wien.
  • Roggendorf, W., Scholl, B., Scholles, F., Schönwandt, W., & Signer, R. (2011). Methoden der Raumplanung. ARL, ed. Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung. Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 279-377.

Anmerkung

¹ Nachfolgend auch als Werkstatt bezeichnet.

 Sandra Feder
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Technische Universität München
Prof. Dr Simone Linke
Autorin

Professorin für Stadtplanung und Landschaft / Lehrstuhl für energieeffizientesund nachhaltiges Planen und Bauen

Hochschule Weihenstephan-Triesdorf / Technische Universität München
M. Sc. Doris Bechtel
Autorin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Technische Universität München, School of Engineering and Design
 Florence Baur
Autorin

Projektleiterin Verfahrensbetreuung H+Architektur GmbH

 Sebastian Händel
Autor

Architekt und Geschäftsführer H+Architektur GmbH

 Kira Rehfeldt
Autorin

Mitarbeiterin des Referats für Klima- und Umweltschutz

Landeshauptstadt München
 Eva-Maria Moseler
Autorin

Mitarbeiterin des Referats für Stadtplanung und Bauordnung, Grünplanung

Landeshauptstadt München
Dr. Teresa Zölch
Autorin

Mitarbeiterin des Referats für Klima- und Umweltschutz

Landeshauptstadt München
Prof. Dr. Werner Lang
Autor

Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Planen & Bauen

Technische Universität München, School of Engineering and Design
Prof. Dr. Stephan Pauleit
Autor

Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung

Technische Universität München, School of Life Sciences

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