Ein Visionär für bewegungs- und kindgerechte Freiräume
Nachruf für Dirk Schelhorn
von: Dr.-Ing. Katrin KorthAls ich Dirk Schelhorn kennenlernte, war ich die Leiterin des (wie ein guter Freund immer gern ironisch formuliert) nichtexistierenden, aber aktiven Grünflächenamtes der Stadt Reutlingen in Baden-Württemberg.
Dirk hat mich als Landschaftsarchitekt bei verschiedenen Projekten beraten – beim Spielraumkonzept für die Altstadt, bei der Planung für einen barrierefreien Spielplatz inmitten der Altstadt und bei der bewegungsfreundlichen Gestaltung des Bürgerparks. Vor allem letzteres war spannend, denn das Areal rund um die neue Stadthalle sollte nach den ersten Planungen weniger ein Park als vielmehr ein relativ belangloser Platz werden.
Das spröde und gestrenge Baumraster der ursprünglichen Planung mit 130 Schnurbäumen war so gar nicht das, was sich Menschen unter einem Bürgerpark vorstellten. Dem Freiraum musste Leben eingehaucht werden. Was für eine passende Aufgabe für Dirk. Wenn der Bürgerpark heute tatsächlich als Park für die Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen wird, dann ist diese Versöhnung zwischen Stadtgesellschaft und Planung auch ein Verdienst von Dirk Schelhorn gewesen.
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Dirk Schelhorn war ein außergewöhnlicher Mensch, das war schnell klar, als ich seinen Vortrag auf der GALK-Tagung 2012 in Köln zum Thema Spielen in der Stadt hörte. Dirk hielt keinen Vortrag in klassischem Sinne. Die Seiten seiner Präsentation waren nicht perfekt, auch seine Bilder nicht von besonderer Bildqualität. Stattdessen entfachte Dirk ein leidenschaftliches Vortragsfeuer über die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, über kindgerechte Freiräume, über Spielen als Begegnung aller Generationen, über die zwingende Notwendigkeit von Beteiligung und Partizipation von Kindern und Jugendlichen.
Ein Satz aus diesem Vortrag ist mir in Erinnerung geblieben: generationenübergreifend bedeutet nicht, dass es für jede Generation separate Angebote gibt, die nebeneinanderstehen, sondern dass Menschen unterschiedlichen Alters miteinander agieren, sich miteinander bewegen, miteinander spielen.
Die vollmöblierten Anlagen mit vorgefertigten Bewegungselementen und die sogenannten Seniorenspielplätze waren ihm ein Gräuel. Er wollte, dass Kinder an Herausforderungen wachsen und Erwachsene die kindliche Freude, die mit dem Erwachsenenleben zumeist in Vergessenheit gerät, wiedergewinnen können – zum Glücke und Wohle beider – Kinder und Erwachsener.
Mit Dirk zu arbeiten, war immer voller Überraschungen. Darauf musste man sich einlassen. Gemeinsam mit Dirk durch die eigene Stadt zu laufen, führte im Ergebnis dazu, dass man selbst die Stadt völlig neu sah, als großen Erlebnisraum, als Reise durch ein Kinderwunderland. Wenn Dirk Vorschläge entwickelte, dann war das, als würde man einem abenteuerlustigen, kreativen Kind zusehen, voll spontaner und ungewöhnlicher Einfälle. Manche seiner Ideen waren so verrückt, dass mir die Luft wegblieb, nicht weil sie unpassend waren, sondern weil manches "zu verrückt" für unsere aufgeräumte, geordnete Welt war.
Die Bedürfnisse von Kindern in den Fokus der Planung zu rücken, war Dirk ein Herzensanliegen. Sein Wissen zum Thema Sport, Bewegung und Spiel war enorm. Dabei ging er bis an die Grenzen planerischer Möglichkeiten, um Kindern und Jugendlichen Herausforderungen zu bieten sowie fordernde und fördernde Freiräume zu erschaffen. Er bewegte sich locker durch die Grenzen der unterschiedlichen Professionen hindurch. Dirk brannte und kämpfte für seine Themen, charmant, beharrlich und unkonventionell. Das konnte auch schon mal irritieren.
Beim Spielraumkonzept für die Altstadt in Reutlingen sprach er einmal vom Prinzip der Akteure und Voyeure: dort wo Aktion stattfindet (die Akteure), gibt es Menschen, die neugierig zuschauen (die Voyeure) und daraus entstehen Interaktionen (Aktiovoyeure). Im politischen Kontext fror Einigen beim Wort Voyeur das Gesicht ein. Im Gemeinderat musste ich deshalb einige Überzeugungsarbeit aufbringen, um Verständnis zu erreichen, dass Voyeurismus nicht zwangsläufig etwas Verwerfliches ist.



Dirks Ideen und seine Begeisterungsfähigkeit lösten beim Gegenüber oft den unstillbaren Wunsch aus, Ideen möglichst schnell umzusetzen. Daraus entwickelten sich die sogenannten Starterprojekte, kleine Projekte, einfach umzusetzen, die Lust machen sollten auf mehr. Dirk liebte Starterprojekte.
Unsere Zusammenarbeit in Reutlingen war unser gemeinsames großes Starterprojekt für das Thema Spiel und Bewegung im urbanen Raum. In Reutlingen konnten wir viel ausprobieren. Hier habe ich von Dirk die Grundzüge kreativer Planung gelernt und er von mir, wie man Unmögliches in einer Verwaltung durchsetzt, zum Beispiel verkehrlich notwendige Poller als drehbare Stühle zu installieren oder die dauerhafte Sperrung von Straßen für Kinderspiel durchzusetzen. Letzteres brachte uns den Deutschen Spielraumpreis ein.
Jedes Mal, wenn ich Dirk in den nächsten Jahren traf, hatte er neue Themen, die ihn beschäftigten. Sein Ideenpool war unerschöpflich. Eines seiner besonderen Lebensprojekte war unzweifelhaft die Entwicklung des Konzepts für die "alla-hopp"-Bewegungsanlagen der Dietmar-Hopp-Stiftung. Das sollten Begegnungs- und Bewegungsräume werden, keine klassischen Spielplätze, keine klassischen Sportplätze, aber irgendetwas von allem.
Wichtig war ihm, dass durch "alla-hopp" attraktive Orte entstehen, an denen Menschen aller Altersgruppen zusammenkommen können und sich miteinander spielerisch bewegen, idealerweise mitten in der Stadt, am liebsten direkt um das Rathaus herum. Sechs der insgesamt 19 im Rhein-Neckar-Raum geschaffenen Anlagen hat er mit seinem Büro selbst geplant. Zusammen mit ihm habe ich mehrere dieser Anlagen angeschaut. Voll kindlicher Freude hat er mir alle Besonderheiten erklärt und ausprobiert.
In den letzten Jahren haben wir enger zusammengearbeitet. Ich stand am Beginn meiner Selbstständigkeit, er am Ende seines Berufslebens in seinem eigenen Büro. Beide wollten wir weiter voneinander lernen. Wir trafen uns in wechselnden, zeitlich befristeten, intensiven und fachübergreifenden Netzwerken mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten. So gab es beispielsweise unsere gemeinsame Arbeit mit dem Internationalen Stadtbauatelier aus Stuttgart, die Dirks Blick auf die Stadtplanung erweitert hat und umgekehrt der stadtplanerischen Perspektive einen sehr konkreten Blick auf bewegte Stadträume vermittelte. Unser gemeinsames Lieblingsthema wurde die bewegte Haltestelle. Bewegt bedeutet, die Zeit an der Haltestelle bewegend verbringen, bewegend verweilen, schaukelnd verweilen.


Ein Credo von Dirk war: "lebe wild und gefährlich". Dieser Leitspruch hat uns in der gemeinsamen Zusammenarbeit auch manchmal an unsere eigenen Grenzen gebracht. Sein Lieblingsspruch, man müsse ein Klettergerät nur als Denkmal ausweisen, dann würden die Spielplatznormen nicht so streng gelten, führte sogar zum Streit zwischen uns, denn so einfach ist Planen in Deutschland leider dann doch nicht. Was Dirk damit aber meinte, nämlich dass Normen und Richtlinien nicht nur als die Kreativität einengendes Korsett verstanden werden dürfen, sondern dass man Wege finden muss, die freies "und in Grenzen eben auch gefährliches" Spiel ermöglichen, und das ist unbedingt richtig. Denn "Fallen lernt man nur durch Fallen".
Dirk hasste den Muff ewiger Bedenkenträger, was übrigens nicht heißen soll, dass Bedenken falsch sind. Aber der Satz "das geht nicht", war ein Satz, der für Dirk nicht galt. Das Herzensprojekt von Dirk Schelhorn war der Sport- und Bildungscampus Bürstadt, für den er acht Jahre kämpfte. Die Vision eines Ortes für Sport, Bewegung und Bildung, nutzbar für alle Bürgerinnen und Bürger konnte wohl kaum jemand so großartig in Worte fassen, überzeugend beschreiben und umsetzen wie Dirk Schelhorn.
Mit Dirk Ideen zu entwickeln und Planungen zu erarbeiten, war speziell. Er war chaotisch und gleichzeitig fokussiert, dabei immer freudvoll, motivierend, wertschätzend, neugierig auf das Gegenüber. In den letzten Jahren haben wir uns intensiv mit der Verknüpfung der Themen Spiel und Sport im urbanen Raum befasst.
Der Masterplan für urbane Bewegungsräume in Stuttgart ist aus dieser Auseinandersetzung heraus entstanden. Gemeinsam bearbeiteten wir in den letzten zwei Jahren einen Leitfaden für Bewegung im öffentlichen Raum im Rahmen von "Sportland Hessen", in dem wir Prinzipien für Bewegung im öffentlichen Raum und Strategien für die Durchsetzung dieser Prinzipien entwickeln. Dirk wollte dieses gemeinsame Projekt unbedingt, doch die Zeit reichte nicht mehr.
Bis zum Schluss hat er uns in diesem Projekt inspiriert, uns angetrieben, Netzwerke geknüpft und uns im positiven Sinne an unsere Grenzen getrieben. Und wir haben ihn befragt, wissend, dass die Zeit knapp wird. Nach langer und schwerer Krankheit starb Dirk Schelhorn am 28.09.2023. Wir werden seine Arbeit in seinem Sinn fortsetzen und auch dafür kämpfen, dass sich die bewegte Haltestelle in Deutschland weiterverbreitet.
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