Marktplatz und Lammegarten in Bad Salzdetfurth
Eine Bühne für Stadt und Natur
von: Dipl.-Ing. Jörg MichelDie am Fluss Lamme gelegene, durch die Stein- und Kalisalzgewinnung ehemals wirtschaftlich bedeutsame Stadt, kämpft seit der Einstellung des industriellen Bergbaues am Ende des letzten Jahrhunderts mit einer rückläufigen Einwohnerzahl und immer häufiger stattfindenden Hochwasserereignissen. Daher hat sich die Stadtpolitik zum Ziel gesetzt, neben einer klimaresilienten Ertüchtigung insbesondere die touristische Attraktivität und Lebensqualität dieses wichtigen Erholungs-, Kur- und Klinikstandorts durch gezielte stadtgestalterische und freiraumplanerische Maßnahmen zu verbessern.
Dafür lobte die Stadt 2017 einen Realisierungswettbewerb aus, den POLA Landschaftsarchitekten mit ihrer Idee einer Wiederherstellung der historisch gewachsenen Verbindung von Stadt und Fluss gewinnen konnte. Aufbauend darauf begann ein intensiver Planungs- und öffentlichkeitswirksamer Abstimmungsprozess. Neben der Ausweisung einer zentralen Marktplatzfläche im Zusammenspiel mit der Reduzierung des ruhenden und bewegten Verkehrs sowie der Inszenierung der flankierenden Fachwerkbauten, stand die Renaturierung der Lamme im Mittelpunkt der Planung.
Die Gestaltung des heutigen Marktplatzes zeichnet sich durch einen einheitlichen, schwellenlosen Natursteinbelag aus, der die historischen Gebäude auf einen farblich zu den Fassaden abgestimmten Natursteinteppich stellt. Dadurch ist ein großzügiger und barrierefreier Stadtraum entstanden. Alle neuen planerischen Ergänzungen im Stadtraum nehmen sich gestalterisch zurück und bereiten dem Vorgefundenen, den Gebäuden und der Lamme eine Bühne. Die Idee des multifunktionalen Shared Space – ein Platz für alle – wird durch wenige, bewusst gesetzte Gestaltungselemente und eine sich zurücknehmende Natursteinpflasterung unterstützt. Die Aufmerksamkeit gehört so den historischen Bauten am Platz!
Insgesamt sind auf der 4600 Quadratmeter großen Platzfläche sechs unterschiedliche Steinformate – von 24/24 Zentimeter über 19/14 Zentimeter bis 14/14 Zentimeter – im wilden Verband und in drei Farbabstufungen von beige-gelblich über beige-rötlich bis zu beige-warm verbaut. Mittels der Vorgabe eines detaillierten Verlegeplans auf Basis unterschiedlicher Pflastermodule entsteht eine lebendige Belagsfläche, die den Anschein erweckt, als ob die Steine willkürlich verlegt worden sind.
Damit die platzständigen Fachwerkbauten aus dem 17. und 18. Jahrhundert, unter denen das 1888 als Logierhaus erbaute Gildehaus und das zehn Jahre später errichtete Hotel Kronprinz zu den bekanntesten Gebäuden der Stadt gehören, sich in ihrer bescheidenen Schönheit entfalten können, wurde auf störende Einbauten verzichtet. Der Entwurf will nichts verstellen, sondern den Fokus auf die historische Stadtkulisse mit seinem angrenzenden Naturraum richten. Eine platzbündige verbaute Fassadenbeleuchtung, die unter Einbeziehung aller Anwohner und ansässiger Gewerbetreibender in mehreren Beleuchtungsproben partizipativ untersucht und getestet wurde, lässt das innerstädtische Marktplatzensemble in den Abendstunden erstrahlen.
Unmittelbar an die Platzfläche des Marktes angrenzend führt eine Stufenanlage hinab zum Ufer der Lamme, einem 22 Kilometer langen Nebenfluss von Innerste und Leine. Der ursprünglich natürliche Flusslauf der Lamme, deren Name gleichbedeutend für Sumpf, Bruch oder morastige Wiese steht, wurde Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts umfänglich begradigt.
Dort, wo der Fluss früher an seiner breitesten Stelle über ein Badehaus erschlossen und mit einer Furth gequert werden konnte, aber zuletzt über eine Uferspundwand vom Stadtleben getrennt war, ist die Lamme heute wieder frei zugänglich.
Die heutigen Sitz- und Treppenstufen aus Granitstein verbinden nicht nur wieder die Stadt mit ihrem Naturraum, sondern bieten allen Bewohnern und Besuchern die Möglichkeit des konsumfreien Verweilens im Stadtzentrum. Dank des baulichen Rücksprungs durch den Rückbau der ehemaligen Uferspundwand wird dem Flussbett ein vergrößerter und natürlicher Retentionsraum zurückgegeben. Dieses neu entstandene Feuchtbiotop, der sogenannte Lammegarten, ist mit Sumpf- und Wasserpflanzen bepflanzt, welche als Zeigerpflanzen Rückschlüsse auf die Wasserqualität geben, die Biodiversität fördern und als erweiterter Lebensraum für Lurche und Insekten dienen. Unter den Wasserpflanzen finden sich Arten wie der Wassernabel (Hydrocotyle vulgaria), die Sumpfdotterblume (Caltha palustris), der selten gewordene Bitterklee (Menyanthes trifoliata), das Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia) oder die Lilientraube (Liriope muscari).
Doch nicht nur der visuelle Sinn wird bei dem Besuch des Marktplatzes und des Lammegartens in Bad Salzdetfurth angesprochen. Kommt man zur rechten Zeit, so ist täglich um die Mittagszeit und an den frühen Abendstunden das Glockenspiel der benachbarten 1695 im gotischen Stil erbauten St.-Georgs-Kirche zu hören. Das Lied "Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt" erzählt dabei von der wirtschaftlichen Blütezeit der Stadt, als hier noch Salzsieder und Bergleute lebten und arbeiteten.
Heute, zwei Jahre nach Beendigung der Bauarbeiten im historischen Zentrum der Stadt, wurde der vor der Umgestaltung vorhandene Ladenleerstand beseitigt und alle angrenzenden Gewerbeflächen langfristig vermietet. Das unterstreicht, welchen Einfluss und Kraft wohlüberlegte Freiraumplanung auf die wirtschaftliche und touristische Attraktivität, aber auch auf die klimatische Ertüchtigung einer Stadt und ganzen Region haben kann.
Nachdem die Neugestaltung des Marktplatzes und Lammegartens 2022 in die engere Wahl zur Vergabe des Niedersächsischen Staatspreises für Architektur kam – übrigens das erste Mal dass es ein freiraumplanerisches Projekt in die Shortlist schaffte - erhielt das Projekt im Rahmen des Deutschen Landschaftsarchitekturpreises, welcher vom Bund Deutscher Landschaftsarchitekten alle zwei Jahre vergeben wird, die Auszeichnung in der Kategorie "Öffentlicher Raum als Zentrum".
Projektdaten
Auftraggeber:
Stadt Bad Salzdetfurth
Email: e.hillebrecht@bad-salzdetfurth.de
Planung | Entwurfsverfasser:
POLA Landschaftsarchitekten GmbH, Jörg Michel
mail@pola-berlin.de
Wettbewerb:
2017 – Freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb,
RPW | 1. Preis
Planungszeit: 2017 – 2019
Bauzeit: 2020 – 2021
Fertigstellung: 06/2021
Gesamtfläche: 4600 Quadratmeter
Baukosten (KG 200/KG 500): 1,6 Millionen Euro, netto
Fachplanung Tragwerksplanung:
Teambau Eigenheime GmbH, Itzum
Am Bau beteiligte Firmen:
Hermann Bettels Tief- und Straßenbau GmbH
Auszeichnungen:
- Niedersächsischer Architekturpreis 2022 | Engere Wahl
- Deutscher Landschaftsarchitekturpreis 2023. Auszeichnung | Kategorie: "Öffentlicher Raum aus Zentrum"
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