Konservatorisches Handeln als potenziell zerstörerischer Prozess?
Eingriffe ins Gartendenkmal minimieren
von: Prof. Dr.-Ing. Johannes SchwarzkopfHier soll der Frage nachgegangen werden, wie viel mindestens getan werden muss, um dem denkmalpflegerischen Erhaltungsauftrag gerecht zu werden. Und wenn es nicht bei vorsichtigen, kaum wahrnehmbaren pflegenden Maßnahmen bleiben kann, schließt sich die Frage nach dem Umfang an, den technisch-bauliches Stützen und Ergänzen haben darf.
Es folgen Überlegungen dazu, wie reflektiert oder reflexhaft immer wieder dem Drang nachgegeben wird, im Ergebnis denkmalpflegerischer Prozesse gewohnte und erwartete ästhetische Bedürfnisse zu erfüllen.
Zum Kernanliegen der Gartendenkmalpflege
Laut der 1964 verabschiedeten Charta von Venedig sieht die Menschheit ". . . in den Denkmälern ein gemeinsames Erbe und fühlt sich kommenden Generationen gegenüber für ihre Bewahrung gemeinsam verantwortlich. Sie hat die Verpflichtung, ihnen die Denkmäler im ganzen Reichtum ihrer Authentizität weiterzugeben."¹ Daher sei es wesentlich, dass die Grundsätze, die für die Konservierung und Restaurierung der Denkmäler maßgebend sein sollen, gemeinsam erarbeitet und auf internationaler Ebene formuliert werden. Die Ausgestaltung sei Sache der Länder.
Konservierung und Restaurierung wurden also schon damals als Kernanliegen der Denkmalpflege angesehen. Die der Erhaltung gewidmeten Artikel 4-8 treffen grundlegende Festlegungen dazu, dass Konservierung zunächst dauernde Pflege und die Achtung des räumlich-kulturellen Zusammenhangs erfordert. Artikel 9 besagt:
"Die Restaurierung ist eine Maßnahme, die Ausnahmecharakter behalten sollte. Ihr Ziel ist es, die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen."² Seither sind auf nationaler und internationaler Ebene viele Gesetze erlassen und Vereinbarungen getroffen worden, die diese grundlegenden Ziele absichern sollen, mittlerweile auch bezogen auf denkmalwürdige Freianlagen.³
Es ist offensichtlich, dass bei der Konservierung historischer Gartenanlagen grundsätzlich weniger intensiv in die Originalsubstanz eingegriffen wird als bei ihrer Sanierung. Dabei ist sicher zu berücksichtigen, dass zu verschiedenen Zeiten Gartenplanungen baulich und von ihrer Bepflanzung her sehr aufwändig, andererseits aber auch eher "beiläufig" und unprätentiös sein konnten, was sich in vielen Fällen auch auf den Grad ihrer Sanierungsbedürftigkeit auswirken dürfte.
Caroline Rolka fasst aktuell zusammen: "Instandsetzende Maßnahmen umfassen alle Handlungen, die geeignet sind, den Denkmalwert einer Anlage deutlicher ablesbar werden zu lassen, indem in kleinerem Maße Eingriffe vorgenommen werden, die Auswirkungen auf die Raumstruktur, den Grundriss, die Gesamtaussage, das Erscheinungsbild und die Gesamtwirkung der historischen Anlage haben."4
Erfreulicherweise wird also im neuen Standardwerk zur Gartendenkmalpflege bei Sanierungen ein vorsichtiges und eingeschränktes Vorgehen befürwortet, was das Anliegen des vorliegenden Beitrags grundsätzlich bestätigt. Ist das aber allgemeiner Konsens? Ist über ein noch behutsameres Agieren nachzudenken und wo liegen seine Grenzen?
Möglichkeiten und Grenzen zerstörungsfreien Sondierens
Grundlegend für ein seriöses gartendenkmalpflegerisches Arbeiten ist abgesehen von einem sorgfältigen Sichten und Auswerten aller zur Verfügung stehenden Planzeichnungen sowie weiterer bildlicher und textlicher Quellen die Bestandserfassung vor Ort.
Traditionell waren hier vor allem gartenarchäologische Untersuchungen mit Eingriffen verbunden, bei denen mittels Bohrungen oder Sondagen im Boden nach originaler Gartensubstanz gesucht wurde. Dabei waren und sind Zerstörungen nicht zu vermeiden.
Im Interesse des hier thematisierten möglichst geringen Eingreifens ist es daher sehr zu begrüßen, dass in den letzten Jahrzehnten parallel zur archäologischen Praxis zerstörungsfreie Untersuchungsweisen entwickelt wurden, die sich als geophysikalische Methoden charakterisieren lassen.
Zu nennen sind hier vor allem die Geomagnetik, die Gleichstromgeoelektrik, die Elektromagnetik und das Georadar. Erst wenn diese Methoden an ihre Erkenntnisgrenzen stoßen, sollte auf das übliche Verfahren der Probegrabungen zurückgegriffen werden und auch das nur im unbedingt erforderlichen Umfang.5
Konservieren und Sanieren pflanzlicher Substanz
Pflegende Maßnahmen an Rasenflächen und Pflanzungen mögen auf den ersten Blick im Regelfall als wenig invasiv durchgehen. Aber schon die Schnittfrequenz von Grasflächen beeinflusst Artenzusammensetzung und Erscheinungsbild – eventuell abweichend vom historischen Zustand.
Hinzu kommt die Frage, ob der Fortschritt technischer Möglichkeiten ab den 1920er Jahren zu einer Pflegepraxis geführt hat, die in vielen Fällen nicht mehr als denkmalgerecht einzustufen war beziehungsweise ist. Die Rückkehr zu Langgraswiesen und der Beweidung durch Schafe oder Rinder in zahlreichen Landschaftsgärten ist insofern als begrüßenswerte Rückbesinnung zu werten.
SUG-Stellenmarkt
Turnusmäßiger Gehölzschnitt ist invasiv, regelmäßig vorgenommen aber eine Maßnahme, die voraussichtlich den ursprünglichen Gestaltungsabsichten eines mit Hecken oder beschnittenen Bäumen ausgestatteten Gartens entspricht.
Der regelmäßige Rückschnitt hält die entsprechenden Gehölzstrukturen quasi künstlich jung. Was aber, wenn geschnittene Pflanzen aufgrund von Vernachlässigung oder jahrzehntelanger Auflassung ausgewachsen sind und der Faktor Zeit plötzlich deutlich sichtbar wird – so wie derzeit im kleinen Barockgarten Friedrichswerth bei Eisenach zu erleben.
Ist es in so einem Fall legitim, mit radikalem Schnitt oder einem Ersatz durch junge Heckenpflanzen die gewohnten und erwarteten Bilder (wieder) herzustellen? Oder erfordert ein solches "aus-der-Zeit-gefallen-Sein" andere denkmalethische Betrachtungsweisen? Könnte es beispielsweise eine Option sein, gar nicht einzugreifen und den Prozess weiter sich selbst zu überlassen? Oder ist in diesem Kontext die weniger radikale Vorgehensweise vorstellbar, zumindest einen Teil des Gartens so zu behandeln?
Zum üblichen museumsdidaktischen Repertoire gehört es mittlerweile etwa, völlig unsanierte Artefakte neben sorgfältig aufgearbeiteten zu präsentieren, was die Spuren von Alterung, Vernachlässigung und Zerstörung umso eindrucksvoller wirken lässt.
Ein weiterer zentraler Eingriffsbereich betrifft die Pflege und Sanierung frei wachsender Bäume. Dabei wird individuell immer wieder darum gerungen, wie lange ein Schienen, Abspannen und Stützen vertretbar ist, bevor ein raumprägender Baum aufgegeben und eine Ersatzpflanzung vorgenommen wird.
Am wenigsten invasiv ist hier sicher das inzwischen eingeübte Ausfräsen des Stubbens und eine Ersatzpflanzung direkt vor Ort. Dabei wird vernünftigerweise immer häufiger die Sicherung des Erbgutes ortsprägender Gehölze durch eigenes Aufschulen praktiziert – auch als Maßnahme, um die Auswirkungen des Klimawandels bei jungen Gehölzen zu mildern. Denn ein Akklimatisieren an den neuen Standort ist in diesem Fall bedeutend leichter. Gleichzeitig sorgt ein solches Vorgehen für das Reaktivieren der parkeigenen Wirtschaftsgärten.
Sobald es nicht um ein einzelnes Gehölz geht, sondern um Baumreihen, Alleen, Raster- oder Quincunx-Pflanzungen, entwickelt sich immer wieder die Diskussion um den Umgang mit Ausfällen. Interessante Ausführungen dazu finden sich schon 1929 in der Rubrik "Landschaftspraxis" der "Gartenwelt", wo J. Hempelmann bezogen auf jüngere Alleen keine Bedenken bei Nachpflanzungen äußert, bei alten Alleen aber deren Durchsetzungsfähigkeit bezweifelt.
In solchen Fällen empfiehlt er als letzte Möglichkeit das Neupflanzen der gesamten Allee.6 Im Sinne eines möglichst geringen Eingreifens wird hier jedoch dafür plädiert, in Abstimmung mit den Erfordernissen der Verkehrssicherheit mehr uneinheitliche Erscheinungsbilder zuzulassen. Denn auch dieses Vorgehen lässt zeitliche Verläufe sichtbar werden, die nicht immer günstig und harmonisch gewesen sein müssen.
Der Umgang mit so uneinheitlichen Bildern ist auch den Besuchern durchaus zuzumuten und zuzutrauen. Komplettierungen der Pflanzenbilder können im Kopf stattfinden, auch Rauigkeiten können ästhetische Wirkungen entfalten. Die Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist, dass nachgepflanzte Gehölze eine Chance haben, neben den älteren zu bestehen. Weiterhin kann sich auch hier das Aufschulen am Ort positiv auswirken.
Konservieren und Sanieren baulicher Substanz
Jede Sanierung baulicher Gartensubstanz ist mit Eingriffen verbunden. Dabei gilt es abzuwägen, bis wohin sie jeweils gehen dürfen. Schon ein harmlos erscheinendes Reinigen von baulichen Artefakten beseitigt die Spuren der Zeit, lässt Patina verschwinden.
Gleiches bewirkt auch die Beseitigung von Bewuchs. Hier sei die Frage erlaubt, ob immer alle Verschmutzungen und Schrunden tiefgründig getilgt werden müssen, um den weiteren Bestand zu sichern, oder ob das nur dem üblichen Vorgehen eines "In-Ordnung-Bringens" entspricht.
Die Sanierung eines historischen Weges mit einem Neu-Setzen der Kanten und der Ergänzung von Trag- und Deckschichten oder dem Wiedereinbau des Pflasters erscheint im Kontext des üblichen Vorgehens als selbstverständliche Maßnahme. Doch ist sie das in jedem Fall, wenn ein Wegekoffer vertieft und Material ergänzt wird? Wird nur das denkmalpflegerisch Notwendige getan oder macht man es dem Gärtner- und Ingenieursethos folgend eben gleich richtig, wenn man schon einmal dabei ist?
Was tun, wenn offensichtlich ist, dass nach Abschluss der Sanierungsmaßnahme kein ausreichendes Pflegemanagement finanziert werden kann, so dass sich Sukzession und Verwahrlosung voraussichtlich schnell wieder einstellen? Kann auch das ein Grund für ein minimalinvasives Vorgehen sein, nämlich zugewachsene Tennenbeläge eben nicht wieder freizulegen und neu aufzubauen, sondern unter der Grasnarbe zu belassen und in der Vegetationsphase nur freizumähen?
Spätestens die Herstellung völlig verschwundener oder vorbildloser Wege bedeutet im Gartendenkmal ein Eindringen in ein Erdreich, das womöglich nie diesem Zweck gedient hat. Zudem können die Baumaßnahmen dort eingebettete Relikte beschädigen oder zerstören.
Noch komplizierter wird es, wenn es um ein Stabilisieren oder Ersetzen von Bauteilen geht, bei dem die Anwendung historischer Bauweisen zu teuer wäre, aus heutiger Sicht nicht dauerhaft genug erscheint oder sich wegen heutiger baulicher Normen verbietet.
Ist es beispielsweise vertretbar, eine sich neigende Natursteinmauer abzutragen, eine stahlbewehrte Betonwand zu errichten und die alten Steine zu deren Verkleidung zu verwenden? Würde das dem oben zitierten Gebot gerecht, Denkmäler "im ganzen Reichtum ihrer Authentizität" zu erhalten? Kann es in so einem Fall überhaupt minimalinvasive Maßnahmen geben?
Falls nicht, erscheint es im denkmalethischen Sinne redlich, den Eingriff kenntlich zu machen, indem beispielsweise die moderne Ergänzung zumindest teilweise sichtbar bleibt, quasi als "Wasserzeichen". Auch ein klar identifizierbarer Neubau ist denkbar, sofern er sich in seiner Ausführung dem gestalterischen Duktus der Umgebung unterordnet.
Wird eine Ergänzung von Wegen in einer denkmalpflegerisch sensiblen Situation erforderlich, kann über ein fundamentloses "Aufliegen" neuer Beläge in beschränktem Umfang nachgedacht werden. Ein offensiveres Vorgehen wäre eine stegartige Lösung, sofern auch sie ohne Fundamente auskommt. Auch in diesen Fällen sollte die neue Lösung gestalterisch möglichst hinter der denkmalpflegerischen Aufgabe zurückstehen.
Ein von diesem Anspruch abweichendes Vorgehen war 2012 im Rahmen der Ausstellung "Friederisiko" zu beobachten, die anlässlich des 300. Geburtstags Friedrichs des Großen in Potsdam ausgerichtet wurde. Im Neuen Palais entstand ein System auffallender durchsichtiger Stege, auf denen die Besucherströme durch die Säle geleitet wurden, ohne dass dabei das kostbare Parkett in Mitleidenschaft gezogen wurde – wohlgemerkt temporär und im Innenraum.
Auswirkungen auf Gesamtstruktur und Gesamtbild
Das hier diskutierte Vorgehen eines möglichst minimalinvasiven Eingreifens kann dazu führen, dass ungewohnte Bilder entstehen, die rau, unfertig oder provisorisch wirken, im Einzelfall angereichert durch erkennbar zeitgenössische bauliche Setzungen.
Aus meiner Sicht kommt hier das schon einmal Gesagte zum Tragen7: Gartendenkmale sollen dem gesellschaftlichen Erhaltungsauftrag folgend als komplexe künstlerische Konzeptionen vergangener Zeiten konserviert und entwickelt werden. Das muss im Sinne eines möglichst schonenden Umgangs mit ihrer originalen Substanz aber nicht heißen, nur möglichst homogene und gefällige Szenerien zu erzeugen.
Die hier skizzierten Vorgehensweisen können mitunter vielleicht eher dem Kernanliegen der Gartendenkmalpflege entsprechen. Dazu liefern sie Bilder, die nicht immer "präsentabel" erscheinen, angesichts des hohen Alters und der unruhigen Schicksale vieler Gärten von Besuchern wie von Fachleuten aber durchaus verstanden und akzeptiert werden.
ANMERKUNGEN
1 Hier zitiert nach: https://tu-dresden.de/bu/architektur/ibad/d-e/ressourcen/dateien/lehre/materialien/charta_venedig.pdf?lang=de.
2 Ebenda.
3 Aktuell wurde dies detailliert zusammengefasst in Rolka, Caroline / Volkmann, Torsten (Hrsg.): Handbuch der Gartendenkmalpflege. Stuttgart 2022, Kapitel 2 ab S. 76.
4 Ebenda, S. 193 f.
5 Ebenda, S. 160 ff., werden gartenarchäologische Untersuchungen ausführlich thematisiert. Siehe weiterhin: Geophysik in der Gartendenkmalpflege – Zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden im Schlosspark Paretz. Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums, Nr. 23. Petersberg 2011.
6 Siehe Hempelmann, J.: Nachpflanzung von Alleebäumen.
In: Die Gartenwelt 33 (1929), H. 16, S. 220.
7 Siehe Schwarzkopf, Johannes: Zum Umgang mit „Ascheschichten“ in historischen Gärten – Eine gartendenkmalpflegerische Standortbestimmung. In: Stadt+Grün 71 (2022), Heft 10, S. 9–14, hier vor allem S. 14.