Nach Rekonstruktionen sind noch weitere Neubauten geplant
Neuer Glanz in Herrenhausen
von: Dipl.-Ing.(FH) Thomas HerrgenJahrzehntelang fehlte aber das Schloss, auf das sich der Garten mit seiner Mittelachse bezog. Nach dessen Wiederaufbau vor rund zehn Jahren wurden auch die Freiräume im Umfeld ergänzt, weitere Gartenbereiche saniert oder rekonstruiert. Auch im gegenüberliegenden Berggarten tat sich baulich einiges, sodass das Gartenensemble nach seinem "Update" wieder glänzt.
Das Schloss – die "ewige" Lücke
Das 1943 im Zweiten Weltkrieg durch Brandbomben vollständig zerstörte Schloss wurde nach langem Ringen, Planungen und Genehmigung schließlich als Museum, Kongress- und Tagungszentrum wiederaufgebaut. Vor zehn Jahren, 2013 konnte es feierlich seiner Bestimmung übergeben werden. In seinem Umfeld mussten nach der Bauphase zahlreiche Anpassungsarbeiten in den Freiräumen vorgenommen und die denkmalgeschützten Bereiche wiederhergestellt werden.
Auch die barocke Gartenanlage wird fortwährend erhalten und in Teilbereichen rekonstruiert, da es in den Jahrzehnten zuvor immer wieder Veränderungen und Umgestaltungen gegeben hatte. Am Rande des Berggartens entstand als neue Attraktion ein "SeaLife-Aquarium" und entlang der Gartenmauer zuletzt das "Berggartenhaus", ein flacher Rechteckbau mit Multifunktionsraum und Sanitäranlagen. Heute ist das Gesamtensemble mit "altem"/neuen Schloss wieder vollständig und kann gegen Eintritt besichtigt werden.
Im Stil des niederländischen Barock
Herrenhausen geht auf das ursprüngliche Dorf Höringehusen zurück, wo ab 1638 durch Umbau eines Gutshofes ein Vorwerk zur Versorgung des fürstlich hannoverschen Hofes entstand. Der Umbau zum barocken Schloss mit der typischen Dreiflügelanlage war bis 1670 weitgehend abgeschlossen und Hofgärtner Michael Grosse wurde mit der Anlage eines zunächst noch kleinen Lustgartens beauftragt. In der Regierungszeit von Kurfürst Ernst August (1629–1698) entwickelte sich der Garten enorm weiter. Vor allem seine Frau Kurfürstin Sophie, die Teile ihrer Jugend in den Niederlanden gelebt hatte, prägte die Gartenerweiterungen nach dem Vorbild holländischer Barockanlagen. Die Planung und Bauleitung übernahm Gärtner Martin Charbonnier. Der Große Garten wuchs bis zu seinen heutigen Ausmaßen von rund 50 Hektar (das entsprach ungefähr der Größe der Altstadt Hannovers, mit 10.000 Einwohnern) heran und war 1714 fertiggestellt. Er ist an drei Seiten von doppelten Baumreihen und Graften umgeben, die an künstliche niederländische Wassergräben (Grachten) erinnern. Der Garten selbst besteht aus den typischen barocken Elementen wie Broderieparterre aus Einfassungsbuchs, Schmuckpflanzungen und farbigen Kiesflächen, Hecken- und thematischen Gärten, Labyrinth und Gartentheater, Bosquets und mehr als 40 Wasseranlagen. Dazu gehört unter anderem die Große Fontäne mit einer Höhe von 70 bis 80 Metern.
Sommerresidenz, Verfall, Rekonstruktionen
Das Königshaus Hannover nutzte Herrenhausen später als Sommerresidenz. Doch im 19. Jahrhundert fiel der Große Garten durch Verringerung der Pflege und Vernachlässigung in einen 100-jährigen "Dornröschenschlaf". Dies hatte jedoch zur Folge, dass es nicht – wie bei vielen anderen Barockanlagen – zu einer Umgestaltung zum dann modernen englischen Landschaftspark kam. Der verwilderte und fast verschwundene Barockgarten wurde erst bis 1936 vollständig freigelegt und rekonstruiert, nur sieben Jahre später im Zweiten Weltkrieg aber wieder zerstört. Die erneute Rekonstruktion konnte bis 1966 abgeschlossen werden, im Hinblick auf das 300-jährige Jubiläum seines Entstehens.
Zurück zum "Schloss"
Der Wiederaufbau des ursprünglich barocken Schlosses, das ab 1780 durch Entfernung sämtlichen Fassadenschmucks zu einem klassizistischen Bau umgestaltet worden war, wurde lange diskutiert und seit 1958 von verschiedenen Entwürfen begleitet, die aber allesamt nicht umgesetzt wurden. 2007 kam dann das Projekt mit einem nachfolgenden Architekturwettbewerb zur Realisierung ins Rollen. Ein Erbbaurechtsvertrag zwischen der Stadt Hannover und einer Stiftung machte es möglich. Darin festgeschrieben wurde die Rekonstruktion der Fassade des klassizistischen Schlosses von Architekt Georg Ludwig Friedrich Laves (1788–1864). Das Innere sollte zeitgemäß gestaltet und genutzt, die Anschlüsse außen wiederhergestellt werden. Die Planungen stammten vom Büro JK – Jastrzembski Kotulla aus Münster (Hochbau) sowie Kuttner und Kahl Landschaftsarchitekten aus Hamburg.
Letztere planten das direkte Umfeld des wiederaufgebauten Schlosses im Bereich der Baugrube, wo die Kiesflächen im nördlichen Ehrenhof und die gärtnerischen Seitenbereiche wiederhergestellt werden mussten. In dem zum Großen Garten sich nach Süden öffnenden Ehrenhof liegen axialsymmetrisch angeordnete Lichthöfe zur Belichtung der Untergeschossebenen, wo die Tagungen und Kongresse stattfinden. Die Planenden flankierten diese Bereiche mit Hochbeeten, Rasen und blühender Bepflanzung, sodass die Öffnungen von der Gartenseite aus gesehen etwas kaschiert werden. Zwei weitere symmetrisch angeordnete Hochbeete aus hellem Naturstein mit Rasen und Pflanzbeeten vervollständigen eine Vierergruppe, die den großen Hof mit Kiesfläche gliedert.
Blumengarten zur Expo 2000
Schon im Vorfeld der Schlossrekonstruktion hatte es Bemühungen gegeben, zumindest die Außenbereiche des Gebäudestandorts wiederherzustellen. Mit Planungen von 1996 realisierte Hager Landschaftsarchitektur (CH-Zürich) die beiden 6500 Quadratmeter großen Gärten seitlich des damals noch nicht existenten Schlosses. Auf der Westseite entstand im Sinne einer Neuinterpretation der Feigengarten mit Lindenboskett, Kübelpflanzen und einem mobilen Feigenhaus, das im Sommer abgebaut werden kann. Östlich wurde wieder ein ebenso interpretierter Blumengarten angelegt, der im Zentrum aus mehr als 30 Buchsbaum gefassten Rechteckbeeten besteht. "Für die flächige Weg- und Platzstruktur mit dem Teppich aus weiß blühenden Bergenien haben wir uns von naiven Teppichmustern inspirieren lassen, die elementar und zugleich individuell sind." erläuterten die Planer ihren damaligen Entwurf. Richtung Großem Garten bis zur Kaskade übernehmen schachbrettartig gepflanzte Lindenbosketts die Regie. Darunter sind zahlreiche Bänke mit Blickrichtung zu den Blumenbeeten aufgestellt, die Schatten und Rückzugsmöglichkeiten bieten. Die ursprünglichen Bänke (Holz) wurden inzwischen durch neue aus Stahl und Holz ersetzt.
Die Grotte von Niki de Saint Phalle
Seit der Jahrhundertwende begann man in Bereiche, bei denen die historische Substanz nicht mehr nachzuweisen war, zeitgenössische Elemente zu integrieren. So wurde das Innere der südwestlich vor dem Schloss stehenden Grotte von 1998 bis 2002 durch die Künstlerin Niki de Saint Phalle gestaltet und 2003 eingeweiht. Sie verkleidete die drei Innenräume mit bunten Fliesenmosaiken, Spiegeln und Fragmenten ihrer typischen Nana-Figuren. Ein blauer Grottenteil, ein orange-gelber und ein silbern-verspiegelter symbolisieren Spiritualität, in Anlehnung an die ehemalige glitzernde Grotte, verbunden mit einer ganz speziellen Akustik.
300-jähriges Gartentheater wiederhergestellt
Um eine vollständige Rekonstruktion ging es zuletzt beim Gartentheater. Im 20. Jahrhundert war es in eine Freilichtbühne mit Orchestergraben und technischen Installationen verwandelt worden. Dies veränderte jedoch die kunstvolle Raumwirkung. Kastenförmig geschnittene Bäume verdeckten Sichtachsen, Heckenbögen verengten eine wichtige Querachse. Die Bäume und Statuen im Zuschauerbereich wurden entfernt, was die Verbindung zwischen Bühne und Publikum beeinträchtigte. Von Ende 2019 bis Juni 2021 wurde der ursprüngliche Zustand in zwei Bauabschnitten wieder hergestellt, vor allem mit neu gepflanzten Linden (künftiger Kegelkronenschnitt), Hecken im Bühnenraum und den vergoldeten Figuren.
Statt zuletzt nur noch 18 zieren nun wieder 30 mythische Skulpturen den Bühnen- und Zuschauerbereich. Die Ränge bestehen aus sieben ansteigenden Terrassen mit Platz für bis zu 450 Zuschauer*innen. Der schon lange nicht mehr genutzte Orchestergraben wurde zugeschüttet. Die Treppenanlagen des in den 1960-er Jahren angelegten Tunnels unter der Bühne, in dem die Schauspieler*innen von einer Seite der Bühne unbemerkt zur anderen wechseln konnten, wurde geschlossen. In Abstimmung mit Umweltverbänden (BUND und NABU) ist er als Winterquartier für Fledermäuse hergerichtet.
Fast parallel dazu erfolgte die Sanierung der beiden südlichen Garten-Eckpavillons ("Tempel") von Remy de La Fosse. Mit neuen Schindeldächern und renovierten Fassaden kann der Große Garten künftig wieder in Gänze strahlen.
Entwicklungen im Berggarten
Der Berggarten gegenüber dem Großen Garten, auf der anderen Seite jenseits der Herrenhäuser Straße, erstreckt sich nördlich des wiederaufgebauten Schlosses. Er ist einer der ältesten und artenreichsten botanischen Gärten Deutschlands. Der Garten wurde 1666 von Herzog Johann Friedrich als Küchengarten für den Gemüseanbau angelegt. Kurfürstin Sophie wandelte die Anlage in einen Garten für exotische Gewächse um. Dazu entstand 1686 ein Gewächshaus. 1750 übernahm der Küchengarten in Linden die Versorgung des Hofes mit Obst und Gemüse allein, sodass der Berggarten seither ausschließlich als botanischer Garten genutzt werden konnte.
In seinen Schauhäusern und Themengärten sind heutzutage etwa 11.000 verschiedene Pflanzen aus verschiedenen Klimazonen zu finden. Dazu gehört auch die größte Orchideensammlung Europas. Zwischen 1817 und 1820 erbaute Georg Ludwig Friedrich Laves ein Gartenmeisterwohnhaus, das seit 1952 als Bibliothekspavillon genutzt wurde. Nach Plänen von Laves entstand ebenso ein Mausoleum (1842 bis 1847), in dem auch König Ernst August und seine Frau Friederike ihre letzte Ruhestätte fanden.
Integration von Neubauten Zur Expo 2000 wurde im Berggarten ein Regenwaldhaus errichtet, mit einer künstlichen Tropenlandschaft, in der auch Schmetterlinge, Frösche und kleinere Vogelarten aus tropischen Regionen lebten. Da die Unterhaltung des imposanten Gebäudes auf Dauer mit zu hohen Kosten verbunden war, wurde es 2006 geschlossen. Beim anschließenden Umbau in das „Sealife-Aquarium“ konnte der Regenwald erhalten werden. Das Tiefseebecken fasst 300000 Liter Wasser. Ein großes Ozeanbecken mit Haien und Schildkröten ist vier Meter tief. Die Besucherinnen und Besucher können durch einen acht Meter langen Acrylglastunnel das Treiben im Wasser hautnah beobachten. Das neue „Berggartenhaus“ nach Plänen von Hübotter + Stürken + Dimitrova Architektur & Stadtplanung BDA aus Hannover wurde 2021 fertiggestellt.
Mit seiner flachen Bauweise – Vorgabe war, nicht über die Gartenmauer hinaus zu bauen – fügt sich der Vortragssaal mitsamt einer neuen WC-Anlage für alle Besucher*innen des Berggartens behutsam in das Gartendenkmal ein. Aktuell geplant ist ein zusätzliches neues Pflanzenschauhaus. Der dreiteilige Komplex beherbergt künftig Pflanzen der Kanarischen Inseln und die Riesenseerose. Darüber hinaus sollen wechselnde Ausstellungen dort ihren Platz finden. Der geplante Neubau basiert auf dem siegreichen Wettbewerbsentwurf von SEP Architekten, Hannover mit NSP Christoph Schonhoff Landschaftsarchitekten Stadtplaner, Hannover und soll voraussichtlich 2025 eröffnet werden. Am Bauzaun im Berggarten informiert derzeit eine umfangreiche Ausstellung über das kommende Projekt.
Georgengarten und Welfengarten
Zum Ensemble der Herrenhäuser Gärten gehören noch zwei weitere Anlagen, so der um 1700 im Überschwemmungsgebiet der Leine angelegte Georgengarten. 1726 folgte die Pflanzung der vierreihigen Herrenhäuser Allee, die noch heute das Schloss Herrenhausen mit Hannover verbindet. Von 1828 bis 1843 wurde der Park entsprechend dem Zeitgeschmack in einen Englischen Landschaftspark umgestaltet. Der umgebaute Park erhielt nach Georg IV. von Hannover den neuen Namen Georgengarten. Das zwischenzeitlich in Georgenpalais umbenannte Wallmodenschloss beherbergt heute das Wilhelm-Busch-Museum. 1921 erwarb die Stadt Hannover den Georgengarten. Er ist heute eine öffentliche Grünanlage.
Und schließlich rundet der Welfengarten das Quartett der Herrenhäuser Gärten ab. Seine Entstehung geht zurück bis auf das Jahr 1717, war aber danach starken Veränderungen unterworfen. Zwischen 1857 und 1866 wurde das Welfenschloss errichtet, das von Welfengarten und Prinzengarten umgeben ist. Noch bevor der Schlossbau fertiggestellt war, annektierte Preußen nach dem Krieg von 1866 das gesamte Königreich Hannover. Das Schloss konnte demzufolge nie seiner Bestimmung entsprechend genutzt werden und stand lange leer. Erst 1879 nahm die Technische Hochschule Hannover hier ihren Sitz. Aus der THH ging die heutige Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hervor. Im Zweiten Weltkrieg erlitt der Welfengarten zahlreiche Schäden, die seinen Charakter veränderten.
Seine Wiederherrichtung erfolgte als Hochschulcampus in veränderter Form. Ernst August von Hannover verkaufte das Schlossgrundstück 1961 an die Stadt Hannover. Heute dient der direkt hinter dem Welfenschloss (Universität) gelegene Park mit seinem schönen, alten Baumbestand den Bewohnerinnen und Bewohnern der Nordstadt sowie Studierenden der Universität als Erholungsfläche.
Quellen und weitere Informationen:
www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenhäuser-Gärten/Großer-Garten Schlossrekonstruktion)
www.jk-architekten.com (Planung Schlossrekonstruktion)
www.kuttner-kahl.com/oeffentliche-anlagen ( Planung Freianlagen im direkten Umfeld des wiederaufgebauten Schlosses)
www.hager-ag.ch/de (Planung Feigengarten, Blumengarten 1996-1999)
Baukosten Schloss-Rekonstruktion:
etwas mehr als 25 Millionen Euro
Großer Garten
Arbeiten im Gartentheater bis Juni 2021
38 neu gepflanzte Linden, circa acht Meter hoch
200 Meter neu gepflanzte Hainbuchenhecken
18 originale vergoldete Bleifiguren
12 vergoldete Bronzerepliken
8 geweißte Sandsteinfiguren
2 geweißte Sandsteinvasen
Kosten der Sanierung: 500.000 Euro
Fördermittel (Stiftung): 125.000 Euro
(plus 354.000 Euro im Jahr 2009)
Berggarten
www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenhäuser-Gärten/Berggarten
Berggartenhaus, Entwurf von
HÜBOTTER + STÜRKEN + DIMITROVA
Architektur & Stadtplanung BDA
Partnerschaftsgesellschaft MBB, Hannover
www.hsd-hannover.de
Fertigstellung: Dezember 2021
Pflanzenschauhaus (gepl. bis 2025)
Wettbewerb 1. Preis
SEP ARCHITEKTEN, Hannover
Mitwirkende: Nicole Alpers, Lisa Führing
Tragwerkplaner: Drewes und Septh
Haustechnikplaner: Polylan GmbH
Energieberater: janßen energieplanung
www.s-e-p.de
mit
nsp christoph schonhoff Landschaftsarchitekten Stadtplaner, Hannover
www.nsp-la.de
[Quelle: Wettbewerbe aktuell]
Regelmäßige Veranstaltungen im Großen Garten
Internationaler Feuerwerkswettbewerb (jährlich, Nationen). Fünf Termine zwischen Mai und September mit Pyrotechnikern aus aller Welt.
Pflichtprogramm zu festgelegter musikalischer Begleitung. Anschließend eine individuelle Kür.
Dem Feuerwerk geht stets ein buntes Rahmenprogramm voraus, das eine Mischung aus Kleinkunst, Musik und Gartentheater bietet.
Das Kleine Fest im Großen Garten hat sich als internationales Kleinkunstfestival etabliert.
In den Sommermonaten nutzt die Landesbühne Hannover das Gartentheater des Großen Gartens für Musical- und Theateraufführungen. Ferner werden Orangerie und Galeriegebäude für Fach- und Kunstausstellungen sowie für Konzerte genutzt.
Im Mai finden jährlich die Kunstfestspiele Herrenhausen mit internationalen Künstlern und einem genreübergreifenden Programm statt. Einige der künstlerischen Formate werden speziell für die Spielstätten der Herrenhäuser Gärten entwickelt.