Entwerfen am Modell in der Landschaftsarchitektur

Der Bastler und der Ingenieur

von:
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Studierende in der Auseinandersetzung mit entwurflichen Problemen am Modell. Auch wenn die Arbeit oft mühsam und zäh ist: Entwerfen am Modell heißt auch, mit den Händen arbeiten, um Entscheidungen im Entwurfsprozess treffen zu können. Dieses ist auch in Zeiten von digitalen Techniken, keineswegs überflüssig geworden. Foto: Sebastian Feldhusen

Die entwurfliche Ausdrucksfähigkeit des Landschaftsarchitekten hat sich durch die digitalen Entwurfswerkzeuge enorm erweitert. Es können Räume entworfen werden, die zuvor nicht nur schlecht oder gar nicht darstellbar, sondern womöglich auch nicht denkbar waren. Mit dieser Entwicklung gehen einige grundlegende Änderungen im Entwurfsprozess einher. So kann beispielsweise beobachtet werden, dass die "Arbeit mit der Hand" an Bedeutung verliert - jedenfalls solange schwerpunktmäßig an dem Entwurf über Tastatur, Maus, Berührungsbildschirm, Digitalstift oder dergleichen an einer Schreibtisch-Situation gearbeitet wird. Eine sanfte Handbewegung genügt, um beispielsweise die Belagsoberfläche in alle möglichen Richtungen zu transformieren. Daneben gibt es aber immer noch analoge Techniken, bei denen die "Arbeit mit der Hand" immanent ist, bei denen es einen zum Teil hartnäckigen Widerstand gibt, der über eine sanfte Handbewegung hinausgeht. So zum Beispiel beim Entwerfen am analog hergestellten physischen Architekturmodell. Aber handelt es sich bei diesem Modell nicht um ein Werkzeug, das aus der Zeit gefallen ist? Ist eine theoretische Auseinandersetzung deshalb nicht überholt?

Um sich Antworten auf diese Frage zu nähern, scheint es hilfreich zu sein, an einige prägende Aspekte zu erinnern, die beim Entwerfen von Landschaftsarchitektur am analog hergestellten physischen Modell bedeutsam sind. Im Rahmen dieses Artikels, soll der Impuls für das Nachdenken von einem Klassiker der Geisteswissenschaften im 20. Jahrhundert kommen: Von Claude Lévi-Strauss' (1908-2009) Das wilde Denken (1962). Denn in dieser Schrift geht Lévi-Strauss in einem Abschnitt auch auf das analog hergestellte physische Modell ein (vgl. 1973 [1962]: 29-45). Hierzu zwei Vorbemerkungen, die mir für das Verständnis seiner Modelltheorie wichtig erscheinen: (1.) Lévi-Strauss betrieb eine Mischung aus strukturalistisch geprägter Ethnologie, Anthropologie und Soziologie. Aus diesen "Arbeitsbereichen" hat er sich insbesondere mit nicht "westlich" geprägten Kulturen beschäftigt, und zwar bevor sowie nachdem Das wilde Denken erschienen ist. Die Schrift ist also in einem Kontext entstanden, in dem Lévi-Strauss aus einer westlich geprägten Sicht zuweilen noch unerforschte Phänomene dieser Kulturen untersucht. (2.) In Das wilde Denken unterscheidet er zwischen zwei Wissenschaften: Die erste Wissenschaft der sogenannten nicht entwickelten "primitiven" Kulturen einerseits und die "gelehrte" Wissenschaft der sogenannten "entwickelten" Kulturen ("Industriegesellschaften") andererseits (a. a. O.: 29). Diesen ordnet er jeweils eine Denkart zu: Die erste Wissenschaft charakterisiert er als eine mit einem "mythischen oder magischen Denken", das er auch als "wildes Denken" bezeichnet (a. a. O.: 36). Die andere Wissenschaft kennzeichnet er als ein "gelehrtes" oder "modernes" Denken. Beide Denkarten haben unterschiedliche Wege zur Erkenntnis. Das wilde Denken widmet sich dem Untersuchungsgegenstand auf eine eher sinnliche und intuitive Weise, das dem gelehrten Denken eher fremd sei. Wichtig ist ihm dabei herauszustellen - und das gehört sicherlich zu den grundlegenden Bemühungen der Schrift -, dass es sich bei den Wissenschaften der "primitiven" Kulturen nicht um eine minderwertige Wissenschaft, eine Wissenschaft "zweiter Klasse" handele. (Deshalb müsste konsequenter Weise nicht von zwei Wissenschaften gesprochen werden, sondern - analog zu "Denkarten" - von zwei "Wissenschaftsarten".) Diese zwei Wissenschaftsarten hätten allerdings nicht nur jeweils ihre Berechtigung, sondern sie müssten auch vom Grad der Entwicklung gleichwertig eingestuft werden: "Aber täuschen wir uns nicht: es handelt sich nicht um zwei Stadien oder um zwei Phasen der Entwicklung des Wissens, denn beide Wege sind gleichermaßen gültig" (a. a. O.: 35). Diese beiden Denk- und Wissenschaftsarten werden in der gesamten Schrift - mit einigen Einschränkungen - als sich kontrastierende Bereiche diskutiert.¹) Soweit die zwei Vorbemerkungen.

Die Arbeitsweise des Bastlers und des Ingenieurs

Lévi-Strauss widmet sich dem Modell in einem Abschnitt, in dem es um das "technische Gebiet" gehen soll (a. a. O.: 29). Für die soeben skizzierten kontrastierenden Bereiche, macht Lévi-Strauss zwei Repräsentanten aus: Der "Bastler" und der "Ingenieur" (a. a. O.: 30). Der Bastler repräsentiere das wilde Denken und der Ingenieur das gelehrte Denken. Der Bastler würde - im Gegensatz zum Ingenieur - basteln. Diese Tätigkeit findet mit dem viel zitierten Ausdruck der "Bastelei" ("bricolage") einen prägenden Begriff (ebd.).²) Im Folgenden werden fünf Merkmale der Arbeitsweise des von Lévi-Strauss ausgemachten Bastlers herausgestellt, die für das Nachdenken über das Modell in der Landschaftsarchitektur hilfreich erscheinen. Dabei wird stets der Kontrast zur Arbeitsweise des Ingenieurs, so wie es Lévi-Strauss vornimmt, herausgestellt.

Die Mittel des Bastlers: Werkzeug und Material

Der erste Arbeitsschritt, um ein Problem zu lösen, bestünde darin, dass der Bastler eine "Bestandsaufnahme" macht (a. a. O.: 31). Hierbei verschaffe er sich einen Überblick über die ihm zur Verfügung stehenden Werkzeuge und Materialien ("Rohstoffe"). Darin unterscheide er sich allerdings nicht vom Ingenieur. Im Unterschied zum Ingenieur seien hingegen die Werkzeuge und Materialien des Bastlers immer quantitativ begrenzt. Der Ingenieur würde (jedenfalls theoretisch) für jede neue Aufgabe eigene Werkzeuge entwickeln und Materialien beschaffen. Das heißt: Die Mittel des Bastlers seien im Gegensatz zum Ingenieur immer begrenzt. Er muss damit auskommen, was zur Verfügung steht, was ihm zur Hand ist (a. a. O.: 30).

Der Schatz des Bastlers: Wo die Mittel herkommen

Trotz der begrenzten Mittel sei der Bastler allerdings in der Lage, eine große Anzahl unterschiedlicher Arbeiten durchzuführen. Aber woher kommen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, wenn er diese nicht heranschafft? Lévis-Strauss Antwort lautet: Das was von vorangegangenen Arbeiten übrig geblieben oder von destruierten Arbeiten vorhanden ist. Dieses sei der "Vorrat" des Bastlers, sein "Schatz" (a. a. O.: 30 f). Deshalb gäbe es auch keinen vorher feststehenden Zusammenhang zwischen den Mitteln und der anstehenden Arbeit. Dieses setzt natürlich voraus, dass es einen Vorrat gibt. Deshalb sammle der Bastler nach dem Prinzip: "das kann man immer noch brauchen" (a. a. O.: 30). Die gesammelten Mittel sind also zur Hälfte zweckbestimmt: Einerseits können sie irgendwann einmal verwendet werden; andererseits steht keinesfalls fest, für was sie gebraucht werden, welche Funktion sie einnehmen bzw. welchen Zweck sie einmal haben werden.

Der Bastler entscheidet: Funktionen entziehen und zuweisen

Allerdings sind die Mittel des Bastlers nicht nur quantitativ, sondern auch "von sich aus" begrenzt. Denn es handele sich um Mittel, die in einem anderen Zusammenhang eingebunden waren und dort eine bestimmte Funktion erfüllten. Diese Funktion stünde allerdings im vornherein in keinem Zusammenhang zu der anstehenden Arbeit. Dennoch könne die "frei gewordene Funktion" in einer neuen Arbeit durch eine neue Funktion ersetzt werden: "Eine Eichenbohle kann [in einer neuen Arbeit] als Stütze dienen" und hat demnach die Funktion des Stützens. Die gleiche Eichenbohle könne allerdings in einer neuen Arbeit auch als "Sockel [dienen], was die Möglichkeit böte, die Maserung und die Politur des alten Holzes zur Geltung zu bringen". In dem ersten Fall wäre demnach die "Form" ausschlaggebend und im zweiten das "Aussehen" (a. a. O.: 31 f). Die Funktionen können entzogen oder zugewiesen werden.

SUG-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Projektleitung Freiraum-/Grünplanung (m/w/d), München  ansehen
Landschaftsplaner (m/w/d), Elmshorn  ansehen
Abteilungsleiter (m/w/d) der Landschaftspflege /..., Worms  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Proportionsstudien und zugleich räumliche Studien in einem analog hergestellten physischen Modell. Es ist zugleich Arbeits- und Präsentationsmodell. Foto: Sebastian Feldhusen

Die Entscheidung des Bastlers: Aushandlungsprozess als Kompromiss

Wenn die Mittel (Material und Werkzeuge) einerseits begrenzt sind und auch begrenzt bleiben, andererseits aber auf ein Problem reagiert werden muss, stellt sich die Frage, was dann passiert, wenn die Mittel nicht ausreichen, um das herzustellen, das sich vorgestellt wird. Lévi-Strauss "umgeht" dieses Problem höchst elegant, indem er für diesen Moment feststellt: Die Arbeit des Bastlers ist immer ein "Kompromiss" (a. a. O.: 34). Als Bastler nimmt nach Lévi-Strauss gewissermaßen eine pragmatische Position ein, die sich in einem konkreten Aushandlungsprozess zwischen "dem was da ist" und dem "was sein soll" kennzeichnen lässt, ein Kompromiss zwischen Bestand und Aufgabe.

Das Vorgehen des Bastlers: Erst Ereignis, dann Struktur

Lévis-Strauss unterscheidet unter anderem zwischen Struktur und Ereignis, um auf einer übergeordneten Sichtweise den Unterschied zwischen Bastler und Ingenieur herauszustellen. Wenn der Bastler arbeitet, besteht seine Tätigkeit darin, "Überreste" von Ereignissen (etwas, was passierte) zu ordnen. Durch diese Tätigkeit entsteht zwangsläufig und gewissermaßen "ungezwungen" eine Struktur. Ganz anders beim Ingenieur. Der Ingenieur wählt zuerst eine bestimmte Struktur (eine bestimmte vorher definierte Arbeitsweise, eine Methode) aus, mit der er ein Ereignis zu generieren vermag. Das Ereignis sei dann das Ergebnis, die Theorie (a. a. O.: 35). Lévi-Strauss bringt es auf die Formel: "Der eine [der Ingenieur] schafft Ereignisse [...] mittels Strukturen, der andere [der Bastler] Strukturen mittels Ereignisse" (a. a. O.: 36).

Lévi-Strauss räumt ein, dass einige der hier dem Bastler zugesprochenen "Arbeitsweisen" auch auf den Ingenieur zutreffen würden. Die sich kontrastierenden Bereiche hätten Berührungspunkte. Dennoch hätte der herausgearbeitete Unterschied seine Berechtigung. Schließlich würde der Ingenieur sich immer über die jeweiligen Zwänge eines "Zivilisationszustand[es]" (a. a. O.: 33) stellen, hingegen der Bastler "freiwillig oder gezwungen" immer "darunter" bliebe: "der Ingenieur befragt das Universum, während der Bastler sich an eine Sammlung von Überbleibseln menschlicher Produkte richte" (a. a. O.: 32 f). Bis zu dieser Stelle diskutiert Lévi-Strauss die Arbeitsweise des Bastlers - die Bastelei - im Gegensatz zum Ingenieur. Die beiden Arbeitsweisen beziehen sich auf die allgemeine Herstellung von Gegenständen; es geht noch nicht ausdrücklich um Modelle. Auch wenn Lévi-Strauss diese Arbeitsweisen auf das "technische[n] Gebiet" (a. a. O.: 29) beziehen möchte, scheint es so, dass seine Ausführungen auch als Metapher für Arbeitsweisen in einem nicht technischen Gebiet Gültigkeit besitzen - und zwar überall, wo ein mythisches oder magisches Denken, wo ein "wildes Denken" betrieben würde.

Erst in seinen weiteren Ausführungen geht Lévi-Strauss dezidiert auf Modelle ein. Und zwar auf Modelle, die er als Kunstwerk versteht und Kunstwerke, die er als Modelle versteht: "Es stellt sich die Frage, ob das ,verkleinerte Modell' [...] nicht immer und überall der Typus des Kunstwerks überhaupt ist" (a. a. O.: 36). Er definiert die Arbeit des Künstlers, der Kunstwerke - die Modelle sind - herstellt, als eine "Mischung" von Bastler und Ingenieur, eine Kombination aus "mythischem oder magischem Denken" und "wissenschaftlicher Erkenntnis" (ebd.).3) In diesem Zusammenhang, in einer Diskussion über Kunst, thematisiert Lévi-Strauss das Modell. Es geht nun nicht mehr nur um den Bastler, auch geht es nicht nur um den Ingenieur, sondern um den Künstler. Der Künstler - und das ist zum Verständnis wichtig - vereinige die beiden Arbeitsweisen und Denkarten des Bastlers und des Ingenieurs. Der "Griff" zur Kunst ist dabei zugleich ein Mittel, um unter anderem zu verdeutlichen, dass das mythische oder magische Denken auf "praktischem Gebiet" eine Entsprechung findet (a. a. O.: 45) und im Bereich der Kunst neben der wissenschaftlichen Erkenntnis als "selbstverständlicher" Bestandteil "verwurzelt" ist. Die Bastelei erfährt in der Kunst gewissermaßen den gleichen Stellenwert wie eine wissenschaftliche Erkenntnis.

Das verkleinerte Modell

Lévis-Strauss spricht von "verkleinerte[n] Modelle[n]" (a. a. O.: 36) und meint damit insbesondere Modelle, die das "Original"4) auf "graphische" und "plastische" Weise repräsentieren (a. a. O.: 37). Das von ihm diskutierte Modell hat damit gewiss nicht den allgemeingültigen Charakter, den zum Beispiel der Philosoph Herbert Stachowiak für seine Allgemeine Modelltheorie (1973) beansprucht. Lévi-Strauss thematisiert Modelle, die im weitesten Bereich der "Ästhetik" angehören: Die "Sixtinische Kapelle" als ein Modell der "Ende der Zeit", die "Schiffe in Flaschen", "japanische Gärten" oder das Modell als Symbol bei "religiösen Bauwerken" (a. a. O.: 36). Damit dürfte auch das physische Architekturmodell in der Landschaftsarchitektur darunter fallen - auch wenn er dieses natürlich nicht dezidiert diskutiert. Im Folgenden werden, ähnlich wie es soeben bei der Arbeitsweise des Bastlers und Ingenieurs vorgenommen wurde, vier Merkmale des von Lévi-Strauss herausgearbeiteten Modellverständnisses herausgegriffen, um weitere Impulse für das Nachdenken über Modelle in der Landschaftsarchitektur zu bekommen.

Der Verzicht

Lévi-Strauss stellt heraus, dass das Modell nicht alle Eigenschaften eines Originals repräsentiere. So könne beispielsweise die sinnliche Dimension des Originals gar nicht oder nicht vollständig im Modell wiedergegeben werden. Auch weist er darauf hin, dass ein Modell nur einen bestimmten Augenblick repräsentiere, in dem sich das Original befindet. Selbst bei einer Repräsentation im Maßstab eins zu eins, zum Beispiel bei einer lebensgroßen Plastik, müsse ein Verzicht in Kauf genommen werden. Dieses sei aber keineswegs etwas, das im Bezug zum Modell negativ beurteilt werden dürfe. Ganz im Gegenteil: Es sei die "innere Kraft" des Modells, dass sie den "Verzicht auf sinnliche Dimensionen durch den Gewinn intellektueller Dimensionen ausgleicht" (a. a. O.: 38).

Sich einen Überblick verschaffen

Das Modell biete die Möglichkeit, sich einen Überblick über das Original (das "Ganze", die "Totalität") zu verschaffen, der einem beim Betrachten des Originals zumeist verwehrt bliebe (a. a. O.: 37). Beim Betrachten des Originals würden bestimmte Bestandteile des Originals "herausgegriffen", da das Original nicht als Ganzes überblickt werden könne. Beim Modell sei es hingegen andersherum. Im Modell erscheine das Ganze "weniger furchterregend", da es "quantitativ vermindert" sei (ebd.). Das bedeutet, dass es erst die quantitative Verminderung des Modells möglich macht, einen Überblick über das Original zu erhalten. Dadurch stelle das Modell das Ganze in den Vordergrund, nicht deren einzelne Bestandteile. Dieses treffe allerdings nicht nur zu, wenn das Modell quantitativ kleiner als das Original sei. Es sei auch dann der Fall, wenn das Modell im Bezug zum Original quantitativ größer ist (ebd.). Dieses erklärt seine Begriffsverwendung "verkleinerte Modelle" (a. a. O.: 36). Es ist nicht im Sinne von quantitativ verkleinert zu verstehen, sondern im Sinne eines geringeren Grades an Komplexität gegenüber dem Original. Erst dadurch wird es ermöglicht, sich einen Überblick über das Ganze zu machen: "im verkleinerten Modell [geht] die Erkenntnis des Ganzen der Teile voraus" (a. a. O.: 37).

Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Foto: Sebastian Feldhusen
Kunst Landschaftsarchitektur
Entwerfen im Detail: Einfache konstruktive Probleme werden ebenso selbstver ständlich am Modell „mit der Hand getestet”. Dabei erschließt sich der Entwerfer ein Wissen darüber, wie das Original „gemacht” (Lévi-Stauss) sein könnte. Zugleich dient das Modell der Präsentation, um modellhaft (!) ein Prinzip zu vermitteln. Foto: Sebastian Feldhusen

Mit den Händen etwas begreifen

Lévi-Strauss weist darauf hin, dass das Modell handgemacht sei, dass es mit den Händen hergestellt wird. Das Modell ist "Handarbeit". Durch die Handarbeit sei es möglich zu begreifen, wie das Original "gemacht", wie dessen "Herstellungsart" sei (a. a. O.: 38). Damit wird zugleich ein "Studium" der Morphologie des Originals vorgenommen, die Lévi-Strauss allerdings nicht erwähnt, obwohl es mit einem "Begreifen der Herstellungsart" einhergeht. Ein Modell mit den Händen herzustellen, heißt nach Lévi-Strauss also, sich Informationen über das Original zu erarbeiten.

Der Betrachter als Modellschaffer

Durch die visuelle Präsenz des Modells wird dem an der Herstellung des Modells unbeteiligten Betrachter deutlich, dass es immer mehrere Möglichkeiten gäbe, wie ein Modell aussehen könnte. Dadurch werde der Betrachter des Modells selbst zu einem Modellschaffer. Was ist damit gemeint? Lévi-Strauss geht davon aus, dass der Betrachter eines Modells, der nicht daran beteiligt war, das Modell herzustellen, einen Denkprozess in Bewegung bringt, an dessen Ende er sich nicht als unbeteiligter Betrachter, sondern selbst als Modellschaffer begreifen könne. Und zwar deshalb, weil der Betrachter das von dem Modellschaffer hergestellte Modell nur als eine Modellvariante unter vielen weiteren begreife. Der Betrachter imaginiere sich gewissermaßen Modellvarianten, die nur nicht hergestellt wurden, da sie der Modellschaffer - aus welchen Gründen auch immer - verworfen hat. Dadurch wird der Betrachter selbst zu einem Modellschaffer, zu einem "Schöpfer" des Modells (ebd.).

Theorie des Modells als Theorie des Kunstwerks

Durch diese Eigenschaften (und weitere) bestimmt Lévi-Strauss nicht nur das Modell, sondern zugleich das Kunstwerk als Modell. Das Kunstwerk als Modell habe die Kraft, das Original nicht nur zu repräsentieren, sondern es als das zu zeigen, was es "an sich ist" (a. a. O.: 39). Ab diesem Moment entwickelt Lévi-Strauss eine Theorie des Kunstwerks, die hier nicht weiter verfolgt wird. Es sei nur auf den Einstieg hingewiesen: Das Kunstwerk stelle nach Lévi-Strauss eine "Synthese" (...) "innerer Eigenschaften" und Eigenschaften her, die das Modell von außen beeinflussen. (Lévi-Strauss erwähnt nicht "von außen"; es erscheint aber zum Verständnis hilfreich zu sein, diese Eigenschaften so zu bezeichnen.) Die Bestandteile der Synthese im Einzelnen: Mit "inneren Eigenschaften" meint Lévi-Strauss die Kenntnisse, die durch die soeben skizzierte händische Herstellung des Modells gewonnen werden könne: Kenntnisse über die "Herstellungstechnik" und die "Morphologie" des Originals werden durch den praktischen "Nachbau" vollzogen: Derjenige, der das Modell händisch herstellt, "begreift" wie das Original "gemacht ist" (a. a. O.: 38). Im Modell würden allerdings auch die "äußeren" Eigenschaften des Originals repräsentiert werden, das heißt im "räumlichen und zeitlichen Rahmen", in dem das Original steht. Die Leistung des Modellschaffers ("Genie") - zum Beispiel eines Malers - würde darin bestehen, dass "er mit seinem Pinsel einen Gegenstand schafft, der nicht als Gegenstand existiert und den er dennoch auf seiner Leinwand zu schaffen versteht" (a. a. O.: 39). Der Modellschaffer verhelfe dazu, das im Modell (im Fall des Malers ein Gemälde) das Original als das gezeigt wird, was es "an sich ist" (ebd.). Allerdings zeige das Modell das Original nicht eins zu eins, sondern - wie bereits herausgestellt -, indem das Modell "gewisse Teile hervortreten lässt, andere dagegen, deren Existenz dennoch weiterhin auf das Übrige Einfluss hat, verbirgt."

Am Modell entwerfen

Lévi-Strauss stellt einige wichtige Merkmale heraus, die in großen Teilen auch Arbeitsweisen des Entwerfers am analog hergestellten physischen Modell in der Landschaftsarchitektur beschreiben. Auch kann durch Lévi-Strauss Denken des Modells als Kunstwerk einige grundlegende Merkmale beschrieben werden, die auch auf das analog hergestellte physische Modell in der Landschaftsarchitektur zutreffen.

Lévi-Strauss Gedanken zum Modell, das durch die "Arbeit mit der Hand" geprägt ist, unterscheidet sich zu einem digital hergestellten Modell zum Beispiel darin, dass nicht aus einem unendlichen Fundus von Möglichkeiten geschöpft, sondern - relational gesehen - nur aus einem sehr begrenzten Rahmen von Möglichkeiten ausgewählt werden kann. Zu Beginn dieses Artikels wurde behauptet, dass durch die digitalen Techniken etwas sichtbar wird, das vorher nicht nur nicht darstellbar, sondern auch nicht denkbar gewesen war. Das analoge Modell tritt bescheidener auf: Es beschränkt sich auf die Möglichkeit, etwas Vertrautes neu erscheinen zu lassen.

Um auf die Eingangsfrage dieses Artikels zurückzukommen: Die soeben skizzierten Arbeitsweisen und Merkmale, die Lévi-Strauss der "Arbeit mit der Hand" an Modellen zuschreibt, machen meines Erachtens deutlich, dass diese Arbeit am Modell und die theoretische Auseinandersetzung mit diesem Modell keineswegs anachronistisch ist. Denn es geht nicht um die romantische Bewahrung eines Handwerks, das aus der Zeit gefallen ist, sondern um ein Bewusstmachen einer ausgefeilten Kulturtechnik, Dinge am physischen Modell "mit der Hand" zu entwerfen. Als eine solche Kulturtechnik, kann sie auch für das Entwerfen mit digitalen Modellen wichtige Impulse geben.

Ein Nachdenken wird gerade dann wichtig, wenn die Grenzen zwischen "nur-analog" und "nur-digital" verwischen. Dabei darf es allerdings nicht darum gehen, die beiden "Welten" gegeneinander auszuspielen, sondern die Landschaftsarchitektur muss die jeweiligen Potenziale der Modelle im Entwurfsprozess intelligent ausreizen, um ihnen in der eigenen Entwurfsmethodik ihren Platz zuzuweisen, oder sogar, um neue Entwurfswerkzeuge zu entwickeln, die beide "Welten" integrieren. Wenn dem Landschaftsarchitekten zumindest eines von diesen beiden Möglichkeiten gelingt, ist er im Sinne Lévi-Strauss in der Tat ein Künstler, der zugleich und untrennbar Bastler und Ingenieur ist.

Literatur

Lévi-Strauss, Claude 1973: Das wilde Denken [1962]. Frankfurt am Main.

Stachowiak, Herbert 1973: Allgemeine Modelltheorie. Wien.

Anmerkungen

1) Lévi-Strauss verwendet verschiedene Bezeichnungen, um das Gleiche von ihm ausgemachte Phänomen zu kennzeichnen. Hier wird allerdings nur ein Teil seines verwendeten Vokabulars wiedergegeben.

2) "In seinem ursprünglichen Sinn lässt sich das Verbum bricoler auf Billard und Ballspiel, auf Jagd und Reiten anwenden, aber immer, um eine nicht vorgezeichnete Bewegung zu betonen" (Lévi-Strauss 1973 [1962]: 29).

3) Hier kommt beispielhaft die zuweilen etwas widersprüchliche Verwendung der Begriffe zum Ausdruck: Einerseits zählt er das "mythische" und "magische Denken" als eine wissenschaftliche Art zu Denken (vgl. Lévi-Strauss 1973 [1962]: 27), hier stellt er aber das "wissenschaftliche Denken" lediglich auf die Seite der von ihm ausgemachten "gelehrten Wissenschaft".

4) Lévi-Strauss verwendet nicht den Begriff des "Originals".

Dipl.-Ing. (FH) Sebastian Feldhusen
Autor

Hochschule Osnabrück und Technische Universität Berlin

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle grüne Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen