Pflanzen für die Zukunft aus naturgärtnerischer Sicht
Klimawandel im Garten
von: Dr. Reinhard WittRudbeckien als Alternative für den Klimawandel?
Bis vor kurzem konnten wir zumeist das Credo der Naturgärtner zelebrieren: Im Telegrammstiel liest sich das so:
- Wildpflanze? Auf jeden Fall.
- Heimisch? Immer besser.
- Natürliche Lebensräume? Was sonst?
- Eingriffe des Menschen? Klein halten.
- Ressourcen schonen? Logisch.
- Energie sparen? Selbstverständlich.
Das klang sowas von moralisch, praktisch, gut, so sauber, dass Naturgärtner damit quasi automatisch auf der Seite der Guten standen. Brachte ja auch was. Wie ich in meinem Buch "Natur für jeden Garten" schreiben durfte, kann mit heimischen Wildpflanzen der dahinsiechenden Fauna tatsächlich auf die Sprünge geholfen werden. Naturgärten als Antwort aufs Artensterben, zur Rettung der Bienen. . . wie schön! Applaus garantiert. Nun rollt eine Anfragewelle auf uns zu, die keiner mehr ernsthaft bedienen kann.
Und ausgerechnet jetzt, wo es so blendend vorangeht mit unserer Idee, kommen wir Schlaumeier und sagen, "Ätsch, alles Schnee von gestern, Leute, vergesst, was ihr gelernt und gelesen habt und guckt hin, es gibt was Neues, diesmal aber nicht (nur) heimisch".
Wer soll uns da noch ernst nehmen, heute hü, morgen hott?
Denn ausgerechnet jetzt behaupten wir das Gegenteil. Der Griff ins Exotenkabinett ist auf einmal nicht nur erlaubt, sondern denkbar positiv - und außerdem und sowieso überlebenswichtig. Die Begründung dafür kommt aus der Praxis. Auch Naturgärtner und mehr noch ihre Projekte litten spürbar unter den andauernden Hitzewellen der Vergangenheit. Realistisch betrachtet, gibt es kein Zurück wie bisher, nur die Chance, sich auf die neuen, punktuell brutalen Bedingungen einzustellen.
Also ein Freifahrtschein für Exoten aus aller Welt, seien sie nur hitzefest genug? Beileibe nicht. Die Verwendung von halb Asien, Nordamerika und sonst was in unserem Grün löst die Probleme nicht. Sie verschärft sie nur, denn somit schneiden wir noch mehr heimische Tiere von ihren Nahrungsquellen ab, als es durch die Klimakatastrophe sowieso geschieht. Noch mehr Exoten im Sortiment heißt: Die Biodiversität massiv zu schädigen und das Artensterben zu potenzieren.
Von führenden Fachinstituten wie der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau Veitshöchheim wird der massive Einsatz von nordamerikanischen Präriestauden in Siedlungsgrün und sogar in freier Landschaft gefordert und gefördert. Auch das Bayerische Landwirtschaftsministerium als Auftraggeber vertritt diese Ziele. Aus meiner Sicht ist das problematisch. Einmal davon abgesehen, dass etliche Präriestauden aus regenfeuchten Gebieten kommen und keinesfalls geeignet für Hitzestandorte und -wellen sind, können die wärmeangepassten Arten massive Probleme verursachen: Schon jetzt beobachten wir Verwilderungen bestimmter, im Gartensektor empfohlener Arten, sogar in freie Natur. Nicht umsonst hat das Bundesamt für Naturschutz etliche Vertreter der Prärie auf die Liste der invasiven Neophyten gesetzt.
Laut diversen Pressemitteilungen führender Institutionen im Zierpflanzengeschäft soll der Einsatz von spätblühenden, nicht heimischen Arten aus Nordamerika oder wer weiß wo her, sogar zum Artenschutz beitragen und - man staune - Biodiversität schaffen. Dazu wird bewusst die Definition von Biodiversität verdreht und mit Vielfalt gleichgesetzt. Dabei basiert Biodiversität im Wesentlichen auf heimischen Wildpflanzen. Anderenfalls wäre der Besuch in jedem Gartencenter der Besuch in einem Biodiversitätszentrum. Sie sagen Wildbienen und meinen in Wirklichkeit eher nur ihre Haustiere, die Honigbienen-Stöcke. Sie zählen fleißig Blütenbesucher und setzten die wenigen gefundenen Tierarten mit Artenschutz gleich. Damit soll eine Legitimation für die weitere unbegrenzte Verwendung von Zierpflanzen geschaffen werden. Doch mit Blütenbesuchern erfassen wir maximal 10 Prozent unserer pflanzenfressenden Insekten. Die anderen 90 Prozent sehen wir nicht, weil sie zum Beispiel Löcher in die Blätter fressen. Aber nur bei heimischen Wildpflanzen. Bei nicht heimischen Wildpflanzen oder Zucht- und Zierformen sehen und mögen wir ja eben gerade keine Löcher im Blatt. Da verzichten wir doch gerne auf Biodiversität oder spritzen sie mit Insektiziden tot.
Ein Perlmutterfalter auf einem Sonnenhut ist also ein Beweis für gar nichts. Genauso gut hätten wir eine Honigbiene fotografieren können. Doch nur der Falter ist ein umspezialisierter Blütenbesucher. Seine Raupe braucht - je nach Art - Blätter von Veilchen, Teufelsabiß, Weiden oder Flockenblumen. Die aber garantiert nicht im Exotenbeet mit Präriestauden stehen.
SUG-Stellenmarkt
Klimawandel aus pflanzengeografischer Sicht
Um zu verstehen, wie die gegenwärtigen Änderungen wirken und welche Auswege sich vielleicht eröffnen, sei ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit nützlich. Denn Klimawandel ist urgeschichtlich kein Novum. Nur eben nicht so schnell wie in diesem menschengemachten Jetzt. Allein in den letzten 10.000 Jahren, also seit Abschmelzen der Eiskappe über Mittel- und Nordeuropa gab es mehrere Kalt- und Warmzeiten. Die wohl wichtigsten fielen ins Mesolithikum, also die Phase zwischen 9000 bis 5000 v.Ch.
Der Wechsel zwischen warm, sehr warm und ein bisschen kälter oder viel kälter hatte natürlich Auswirkungen auf die Pflanzenwelt. Wir können das bildlich mit dem Hin- und Herwogen von Wasser in einer großen Wanne vergleichen. Mal kommen Kältewellen von Norden oder Westen und befördern entsprechend angepasste Arten zu uns, zu anderen Zeiten schiffen heiße Strömungen aus dem Süden oder warm-kalte aus dem Osten wärme- und trockenheitsverträglichere Arten heran. Je nach Länge der Warmzeit konnten sich die passenden Pflanzen dann mehr oder weniger weit nach Mitteleuropa durchschlagen. Dort blieben sie hängen, überlebten nur an wärmeexponierten Stellen beziehungsweise - andersrum - an kühleren Orten.
Nun ist Deutschland keine klimatisch uniforme Fläche, sondern zerklüftet in viele Stücke, die größtenteils der geografischen Landschaft entsprechen. In Flusstälern ist es wärmer, an Südseiten sowieso. Die Kälte wiederum nimmt zu, je höher wir aufsteigen und je weiter wir uns nach Osten bewegen. Viele Variablen also, Kleinräume für alle Arten von Pflanzen. Je nachdem, ob gerade wieder eine Kältewelle anrauschte oder eine Wärmephase dran war, schrumpfte oder wuchs die zugehörige Flora und auch ihre abhängige Fauna. Fazit: Aus botanischer beziehungsweise pflanzengeografischer Sicht ist der kommende Klimawandel nichts Besonderes. Er ist ein Dauerthema.
Neue Arten nötig
Wir brauchen also neue Arten, wenn das Klima sich wandelt. Da wir aber die natürlichen Verbreitungswege zu und aus den benachbarten Florengebieten durch Verbauung weitgehend abgeschnitten haben, können wir kaum auf eine natürliche Besiedlung geeigneter, wärmeliebender Arten hoffen. Außerdem dauerte das bei der Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel gegenwärtig fortschreitet, viel zu lange. Wir benötigen eine sofort funktionierende Lösung für jene neuen Arten, die uns auf natürlichem Wege nicht mehr rechtzeitig oder gar nicht mehr erreichen können.
Süd- und Osteuropa als Ausweg?
Dabei sollten wir den Pfad der Evolution nicht verlassen. Die jetzt neu ins Land zu holende Flora war alle schon mal da beziehungsweise könnte theoretisch sogar von alleine wiederkommen. Es versteht sich von selbst, dass Exoten von anderen Kontinenten nicht der Ausweg sein können. Wir brauchen sie nicht und sie schaden unter Umständen nur. Es gibt einen anderen, nahe liegenderen Weg, und weil wir Naturgärtner sind, nehmen wir den nächst möglichen.
Orientieren wir uns an den natürlichen Verbreitungsachsen, um Lösungen mit neuen Arten zu finden. Inzwischen wissen Sie es ja schon: Das Artenspektrum aus Südost- und Südeuropa steht in vielen Fällen, Familien und Gattungen unseren aktuell heimischen Pflanzen noch sehr nahe. Wärmeliebende Arten bewegten sich evolutiv in diesem gemeinsamen sehr großen Verbreitungsraum hin- und her. Wenn sie das inzwischen aus logistischen Gründen nicht mehr alleine schaffen, helfen wir gerne und schaffen sie her. Die Wildpflanzengärtnereien haben schon einen großen Pool südost- oder südeuropäischer Flora im Angebot. Mit anderen Worten, sobald wir unseren Fokus eher auf die unmittelbare Nachbarschaft richten, als uns aktionistisch auf andere Kontinente zu stürzen, kann es gelingen, die Folgen des Klimawandels auf einem natürlich verträglichen Weg abzumildern.
Insektensterben weniger dramatisch
Viele der in Süd- oder Osteuropa wachsenden hitzefesteren Pflanzen besitzen hierzulande ähnlich aussehende Verwandte. Mit einem zusätzlichen Angebot speziell wärmeverträglicher Arten aus benachbarten Florengebieten und Naturräumen könnte wegen der Koevolution von Fauna und Flora folglich beides gelingen: Die dringend notwendige Erweiterung des Artenspektrums und die genauso notwendige Versorgung davon abhängiger Tierarten. Denn sobald eine Pflanzenart in Koevolution mit unserer Tierwelt entstanden ist (und umgekehrt), sind sozusagen die grundlegenden gegenseitigen Baumerkmale in beider Erbgut abgespeichert. Und das gilt für 90 Prozent all unserer pflanzenfressenden Insekten.
Die Arbeit von Matthew Forister hat gezeigt, dass 90 Prozent aller Insekten an Pflanzen fressen, mit denen sie eine gemeinsame Koevolution (Entwicklungsgeschichte) teilen. Koevolution führt zum Schlüssel-Schloss-Prinzip, also zur Spezialisierung. Andersrum betrachtet: Von fremden Pflanzen aus anderen Florengebieten können maximal 10 Prozent unserer Insektenarten leben, 90 Prozent fallen weg.¹ Koevolution bedingt die Ausbildung wechselseitiger Abhängigkeiten und Regelkreise. Kurzum: Schmetterlingsblütler bleibt Schmetterlingsblütler. Selbst wenn der im Süden vielleicht ein kleines bisschen anders aussieht als der im Norden, das grundlegende Suchbild passt. Ob auf alle Arten von Schmetterlingsblüten festgelegte Futterspezialisten heimische Strauchkronwicken beziehungsweise Blasensträucher ansteuern oder den offiziell noch nicht heimischen Erbsenstrauch, ist Pflanze und Tier relativ egal.
Wir könnten demnach als Argument für mehr Süd-/Osteuropa in unseren Gärten und Grünanlagen zahlreiche Nahrungsüberschneidungen zwischen hiesigen und fremdländischen Gewächsen anführen, belassen es aber bei Salbei, Natternkopf und vielleicht noch Platterbsen. Die Natternkopf-Mauerbiene hat einheimischen zweijährigen Natternkopf zum Fressen gern, steht aber genauso auf die südeuropäische Form, den einjährigen Wegerich-Natternkopf.
Ebenso differenziert auch die auf Platterbsen festgelegte Platterbsen-Mörtelbiene nicht zwischen heimischer und nicht heimischer Verwandtschaft. Sie nutzt heimische Wald-, Knollen- oder Wiesenplatterbsen oder deren südlicher vorkommende Version, die vom Körperbau ähnliche Breitblättrige Platterbse. Diese stammt als submediterranes Florenelement ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, kommt wild jedoch genauso im Balkan und in der Ukraine vor. In Österreich ist sie im pannonischen Raum heimisch. Platterbsen-Mörtelbienen fliegen aber nicht nur auf alle Arten Platterbsen, sondern, das haben viele schon erlebt, nicht minder auf einjährige Duftwicken, ursprünglich in Süditalien wild vorkommende Gartenpflanzen.
Salbei wird von Holzbienen in Form eines heimischen Wiesensalbeis nicht minder häufig angeflogen als der südländische Muskatellersalbei oder der aus kontinentalen Steppen des Ostens stammenden Österreichische beziehungsweise gleich der Ungarn-Salbei. Wir hätten als alternative Nahrungsquelle daneben den Echten Salbei nennen können mit seinem mediterranen Ursprungsgebiet. Man könnte einwenden, warum dann nicht zum Beispiel auch nord- oder mittelamerikanische Salbeiarten in den Garten pflanzen? Die würden die Bienen dann doch sicher genauso nutzen? Das mag stimmen, aber gleichzeitig wissen wir nicht, ob wir uns mit diesen evolutionär weit entfernten Pflanzen nicht neue Probleme holen, die wir in ihrer Komplexität gar nicht einschätzen können.
Als kleines Beispiel hier die Knoblauchsrauke Alliaria petiolata, die sicher jeder von heimischen Waldrändern, lichten Laubwäldern oder Ruderalstellen kennt. Eine eher kurzlebige Art, die nicht für ihre Verdrängungskraft bekannt ist und als Raupenfutterpflanze dem Aurorafalter Anthocharis cardamines dient. In Indiana/USA, das ein mit dem östlichen Mitteleuropa vergleichbares Klima hat, breitet sie sich als Neophyt invasiv aus. Sie verdrängt dort aber nicht nur heimische Pflanzen, sondern schädigt auch unmittelbar die lokale Tierwelt. Der West-Virginia-Weißling Pieris virginiensis legt seine Eier an Pflanzen aus der Familie der Kreuzblütler, zu denen auch die Knoblauchsrauke gehört. Nur mit dem kleinen Fehler, dass sich aus den an einer Knoblauchsrauke abgelegten Eiern nie Raupen entwickeln. Sie sterben einfach ab. Wer hätte so etwas im Vorfeld auch nur ahnen können?
Bleiben wir dahingegen bei Pflanzen benachbarter Florenregionen, lässt sich das Risiko für unerwünschte Nebeneffekte minimieren, da es erstens Überschneidungen gibt, und zweitens diese Pflanzen den bei uns heimischen evolutionär auch viel näherstehen, als Pflanzen aus Gebieten, die schon seit Millionen von Jahren eine getrennte Entwicklung durchlaufen haben.
Naturgärtnern hilft nur begrenzt
Nur damit das eindeutig klar ist: Naturgärtner retten keine Tierarten und der Klimawandel erwischt alle knallhart: Flora und Fauna. Der Klimawandel wird durch die Verschiebung von Klimazonen, die Häufung extremer Wetterereignisse, den Ausfall ganzer Lebensräume und den Verlust angestammter Siedlungsgebiete das Artensterben noch verschärfen. Die Einbringung von nahe verwandten Pflanzenarten aus benachbarten Florengebieten rettet unsere Tierarten nicht, selbst gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass alle plötzlich Naturgärtner werden würden. Aber Naturgärtner können einen bedeutenden Beitrag zur Erhaltung funktionierender, evolutionserprobter Ökosysteme leisten.
Vielleicht müssen wir sowieso nicht ganz vom Glauben abfallen, dass wir mit heimischen Arten schon ziemlich weit kämen. Schließlich lassen sich bei ernsthafter Suche sogar hierzulande heimische Alternativen gegen den Klimawandel finden.
Zum Schluss noch eine Randnotiz in eigenen Sache: Wir Naturgärtner sind nicht dogmatisch auf nur heimisches fixiert. Es sollten aber mindestens zwei Drittel der Pflanzenarten in einem Naturgarten heimische (Indigene oder Archäöphyten) sein. Das bedeutet andersrum, das er 34 Prozent andere, sogar nicht-heimische Pflanzen enthalten darf.
Literaturtipp
- Witt/Kaltofen: Klimawandel: Fluch oder Chance? Erfahrungen und Lösungen aus naturgärtnerischer Praxis. Nutzgarten Verlag, 2020.
- Witt: Nachhaltige Pflanzungen und Ansaaten. Kräuter, Stauden und Sträucher. 5. Auflage, 2020, Naturgarten Verlag.
- Fachtagung: Insektenfreundliche Pflanzungen vom 10.-12. Dezember 2021. Mehr Infos: www.naturgarten-intensiv.de
Anmerkung
¹ Matthew L. Forister: The global distribution of diet breadth in insect herbivores. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Washington 2014. Vergleiche auch: Douglas Tallamy: Bringing Nature Home: How Native Plants Sustain Wildlife in Our Gardens. Timber Press. Portland, 2009.
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