Verkehrssicherungspflicht
Vorsorgliche Straßensperrung bei Ankündigung eines orkanartigen Sturms?
von: Ass. jur. Armin BraunAm 18.02.2022 befuhr der Sohn des Klägers stadteinwärts eine städtische Straße. Bereits Tage vorher warnte der Deutsche Wetterdienst aufgrund des Orkantiefs "Zeynep" vor schweren Sturmschäden durch orkanartige Böen mit Geschwindigkeiten zwischen 90 Kilometer pro Stunde und 115 Kilometer pro Stunde. Deshalb sperrte die Feuerwehr der beklagten Stadt die von dem Sohn des Klägers befahrene Straße stadteinwärts. Als der Fahrzeugführer dies bemerkte, wollte er das Fahrzeug wenden und wieder zurückfahren. Das zwischen den Parteien streitige weitere Geschehen ereignete sich in einem von hohen Bäumen umgebenen bewaldeten Bereich.
In der polizeilichen Unfallmitteilung heißt es, aufgrund eines auf der Fahrbahn liegenden Astes oder Baumes sei es zu einer Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs im Frontbereich gekommen. Im Prozess behauptet der Kläger, im Rahmen des Wendemanövers sei ein großer Baumstamm zunächst auf die Straße und dann mit voller Wucht gegen sein Fahrzeug geflogen und habe dieses hierdurch beschädigt. Mit der Klage begehrt der Kläger Schadenersatz für Reparaturkosten i.H.v. 2650 Euro.
Das LG Paderborn hat die Klage durch der Beklagten am 09.11.2022 zugestelltes Urteil – 3 O 163/22 – abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das OLG Hamm durch Beschluss vom 20.07.2023 – 11 U 170/22 – als unbegründet zurückgewiesen.
Das OLG Hamm verneint einen Amtshaftungsanspruch des Klägers aus § 839 BGB, da selbst unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens eine schuldhafte Amtspflichtverletzung der Beklagten nicht vorliege. Entgegen der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung sei die beklagte Stadt als Straßenbaulastträgerin nicht dazu verpflichtet gewesen, wegen des zum Unfallzeitpunkt herrschenden Sturms den Unfallbereich vorsorglich abzusperren.
Sodann thematisiert das Gericht, ob der Schaden überhaupt durch einen Straßenbaum oder einen Waldbaum verursacht worden ist, wobei das OLG Hamm von einem Waldbaum ausgeht, weil nach der Rechtsprechung des BGH ein Baum, der am Rande eines an eine öffentliche Straße angrenzenden Waldstücks steht, nur dann der Straße zuzuordnen ist, wenn er Besonderheiten aufweist, die ihn vom Waldsaum abheben, was hier nicht der Fall sei.
Selbst wenn man zugunsten des Klägers von einem Straßenbaum ausgeht, sieht das Gericht aber keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers. Dies setzt voraus, dass die beklagte Stadt bereits vor dem Unfall im Rahmen von ihr durchgeführter Baumkontrollen eine fehlende Standsicherheit des schadenursächlich gewordenen Baumes feststellt mit hieraus resultierendem konkreten Handlungsbedarf. Dies war vorliegend unstreitig nicht der Fall.
Sodann kommt das OLG Hamm zu dem Ergebnis, dass der Träger der Straßenbaulast bei einem aufkommenden Sturm nicht einzelne Straßenabschnitte sperren muss, um vorbeugend den sonst teilnehmenden Verkehr vor Schäden durch auf die Straße umstürzende Bäume oder Teile davon zu schützen.
Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Verkehrssicherungspflichtige Nutzer, die die erforderliche Eigensorgfalt walten lassen müssen, nur vor nicht oder nicht rechtzeitig erkennbaren Gefahren schützen muss. Die bei einem orkanartigen Sturm bestehende Gefahr, dass umherliegende Gegenstände oder umstehende Bäume oder Teile von ihnen auf die Straße stürzen, ist nach Auffassung des Gerichts allgemein bekannt.
Folglich können sich umsichtige Verkehrsteilnehmer auf die hieraus resultierenden Gefahren einstellen, notfalls sogar durch Verzicht auf das Befahren der Straße. Schließlich würde die Annahme einer derartig weitgehenden Verkehrssicherungspflicht Pflichtige personell und wirtschaftlich überfordern und wäre deshalb unzumutbar. Bei auftretenden extremen Wetterlagen seien Verkehrssicherungspflichtige hinreichend damit beschäftigt, die Gefahren, die sich aus bereits realisierten Schäden ergeben, zu erfassen und zu beseitigen.
Weitergehend zu verlangen, begrenzte Kapazitäten zusätzlich dafür einzusetzen, vorsorglich sämtliche, an größeren Baumbeständen gelegene Verkehrsflächen abzusperren, um den Verkehr vor der offenkundigen und dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnenden Gefahr, dass bei Sturm gesunde Bäume oder Teile von ihnen abbrechen und Schäden verursachen können, zu schützen, ginge zu weit.
Die Entscheidung des OLG Hamm überzeugt uneingeschränkt. Sie liegt auf einer Linie mit dem Urteil des OLG Hamm vom 21.09.2010 – 9 U 39/10 –, BADK-Information 1/2011, 51 im Zusammenhang mit dem Jahrhundertorkan "Kyrill" vom Januar 2007.
Dort hatte das OLG bereits entschieden, dass ohne eine konkret erkennbare von einem Baum ausgehende Gefahr keine Handlungspflichten der öffentlichen Hand im Vorfeld eines angekündigten Orkantiefs bestehen. Solche bestünden für die öffentliche Hand weder als Baumeigentümerin noch als Straßenverkehrssicherungspflichtige oder Verkehrsregelungspflichtige, ebenso wenig wie im Rahmen katastrophenschutzrechtlicher Zuständigkeit oder als polizeiliche Aufsichtsbehörde.
Ass. jur. Armin Braun, GVV Kommunalversicherung