Potenziale und Bedarfe städtischer Freiräume
Energetische Quartiersplanung
von: Dr.-Ing. Sandra SieberWie können Planer, Wohnungsbaugesellschaften und Kommunen einen Weg zur energetischen Quartiersplanung entwickeln, welche Potenziale an Gebäuden und urbanen Freiräumen sind vorhanden und wie können diese sinnvoll genutzt werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das "EnEff:Stadt"-Projekt "UrbanReNet", das an der TU Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet "Entwerfen und Energieeffizientes Bauen" und Fachgebiet "Entwerfen und Freiraumplanung" initiiert wurde.
Das Projekt wird von / seit 2009 bis 2014 (Phase I und II) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert. Bei dem Projekt wurden die energetischen Kennwerte von Stadtraumtypen wie Einfamilienhaus, Altstadt, Gewerbegebiet aber auch Grünanlagen analysiert, mit deren Ergebnissen die Basis für ein Softwaretool geschaffen werden soll. Es soll schnell, unkompliziert und kosteneffiezent erste Aufschlüsse über den energetischen Ist-Zustand und die Entwicklungsmöglichkeiten eines Stadtquartiers geben.
Im Forschungsprojekt wurden dazu die Bedarfe und Potenziale der Gebäude und urbanen Freiräume analysiert. Neben Potenzialen zur Energieproduktion weisen die Freiräume durch ihre Kühl- und Belüftungsfunktion auch ein erhebliches Potenzial zur Energieeinsparung auf. Ein Potenzial, das durch die Zunahme der heißen Tage und der tropischen Nächte in Städten an Bedeutung gewinnen wird.
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Grüne und graue Stadtraumtypen
Zur Systematisierung der Bedarfe und Potenziale wurden im Projekt 13 energetische Stadtraumtypen (EST) entwickelt: Vier im Bereich der Wohnnutzung, vier im Bereich der Mischnutzung, zwei im Bereich Gewerbe und drei im Bereich der reinen Freiraumnutzung. Die Stadtraumtypen orientieren sich an gängigen Einteilungen des baulichen Bestandes¹) und können durch Baualtersklassen weiter spezifiziert werden. Da zur Analyse der Bedarfe und Potenziale im urbanen Raum immer auch der Freiraum mitbetrachtet werden muss, beinhalten alle Stadtraumtypen von UrbanReNet jeweils die Bau- und Freiraumstruktur.
Zur Bestimmung der Bedarfe und Potenziale der Stadtraumtypen wurden deren Bau- und Freiraumstruktur anhand realer Gebiete analysiert. Die Analyse umfasst alle wesentlichen Faktoren, die eine Ermittlung energetischer Potenziale und Bedarfe ermöglichen, darunter GRZ, GFZ, Nutzungsstruktur, Gebäudestruktur, Freiraumstruktur, Parzellenstruktur und Blockstruktur (siehe Tab. 1).
Aufbauend auf dieser Analyse der Bau- und Freiraumstruktur können den verschiedenen Stadtraumtypen Bedarfe und Potenziale zugeordnet und quantifiziert werden. Die betrachteten energetischen Bedarfe der Gebäude sind der Heizwärmebedarf, der Trinkwarmwasserwärmebedarf und der Strombedarf. Daneben gibt es Bedarfe wie die thermische Entlastung, die zum Beispiel über Klimaanlagen energetisch zu decken wären oder ohne technische Hilfsmittel durch die Kühl- und Lüftungswirkung angrenzender Grün- und Wasserflächen.
Die gebäudebezogenen Potenziale zur regenerativen Energieproduktion umfassen die Solarthermie, die Photovoltaik und die Abwasserwärmenutzung. Geothermie und Biomassenutzung sind Potenziale des Freiraums. Darüber hinaus eignet sich auch der Freiraum mancher Stadtraumtypen (zum Beispiel Zeilen niedriger und hoher Dichte) zur Nutzung von Photovoltaik und Solarthermie in Form solarer "Kleinarchitektur"Energiebedarf im Freiraum
Als Bedarfe des Freiraums wurden der Strombedarf der Beleuchtung, der Wasserbedarf für Bewässerung und der Kraftstoffbedarf für die Grünflächenpflege betrachtet (siehe Tab. 2). Während bei den meisten Bedarfen und Potenzialen auf bestehende Studien, Regelwerke und Berechnungsverfahren zurückgegriffen werden konnte, war die Erfassung der Kraftstoffbedarfe aufgrund mangelnder Datengrundlagen problematisch. Auch der "Leitfaden Nachhaltiges Bauen - Außenanlagen" verweist in seinem Endbericht 2011 auf dieses Defizit.²)
Die Recherche zu den Bedarfen des Freiraums orientierte sich an den typischen Pflegeleistungen im Freiraum, basierend auf den Leistungen die im "Musterleistungsverzeichnis Freianlagen, FLL-MLV Pflege- und Instandhaltungsarbeiten" aufgeführt werden. Aus Zeitgründen beschränkte sich die Recherche auf drei Kernaufgaben der Frei- und Grünflächenpflege: Schnittmaßnahmen, Reinigung und Sicherheit, sowie Bewässerung. Es wird angenommen, dass die tatsächlichen Bedarfe durch den bestehenden Kostendruck weit unter den ermittelten Bedarfen beziehungsweise den Vorgaben des FLL-MLV liegen.
Kraftstoffbedarf der Freiflächenpflege
Bei den Bedarfen von Geräten und Fahrzeugen der Freiflächenpflege wurden Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch zusammen mit vorgegeben Zeitwerten des FLL-MLV für die Dauer einer Pflegeleistung genutzt, um daraus den Kraftstoffbedarf pro Fläche oder Länge zu ermitteln.³) Ermittelt wurden unter anderem die Bedarfe des Rasenmähens und der Wiesenmahd, des Gehölz- und Baumschnitts und des Laub-Sammelns. Bei der Recherche zu den Kraftstoffbedarfen von Pflegegeräten und Fahrzeugen konnten nur bei wenigen der gängigen Herstellern Verbrauchs- und Emissions-Angaben ermittelt werden. Im Gegensatz zum PKW ist die Benennung bei Kleingeräten entweder nicht üblich oder nicht gesetzlich vorgeschrieben. Trotz fehlender Angaben zum Kraftstoffverbrauch warben einige Hersteller mit prozentualen Reduzierungen des Kraftstoffverbrauchs (und damit der Betriebskosten) gegenüber Konkurrenz- oder Vorgängermodellen.
Wo Angaben zum Kraftstoffverbrauch gemacht wurden, erfolgen diese in "Liter pro Stunde" oder "Gramm pro Kilowattstunde". Sehr detaillierte Informationen liefern die Prüfberichte der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.V.). Allerdings existieren nur wenige Prüfberichte für Geräte und Maschinen im Bereich der Forstwirtschaft, Landschaftspflege und Kommunaltechnik. Aufgrund der unzureichenden Datenlage und dem Mangel an vergleichenden Studien sind die ermittelten Bedarfe nur bedingt belastbar und fließen nur partiell in die Publikationen zum Forschungsprojekt mit ein. Sie können aber einen groben Eindruck der Bedarfsgrößen in der Freiflächenpflege vermitteln. Unabhängig von den tatsächlichen Kraftstoffbedarfen legen die im FLL-MLV verzeichneten Zeitvorgaben den Schluss nahe, dass eine fachgerechte Pflege und Planung mit jährlichem oder mehrjährigen Gehölzschnitt-Turnus im Gegensatz zum jährlich oder mehrmals jährlich praktizierten "Formschnitt" eine Zeit- und damit Kraftstoffersparnis bedeuten würde. Da die Lohnkosten die Kraftstoffkosten um ein vielfaches überschreiten, kann auch bei den derzeitigen Kraftstoffpreisen durch den Einsatz effizienter Pflegegeräte nur eine vergleichsweise geringe Kostenersparnis erreicht werden. Bezogen auf eine konsequente CO4)2-Minderung ergibt sich erst aus der Kombination von effizienten Pflegegeräten und einem "verbrauchsarmen" Pflegemanagement der größte CO2-Einspareffekt. Bei Elektrogeräten und Fahrzeugen resultiert die CO2-Einsparung noch immer aus den CO2-Emmissionswerten der verschiedenen "Stromarten". Während mit "Braunkohlestrom" kaum eine CO2-Reduktion gegenüber vergleichbaren Benzin- oder Dieselgeräten erreicht werden kann, reduzieren sich die CO2-Emmission mit "regenerativem Strom" auf nahezu Null.
Strombedarf der Beleuchtung
Zur Ermittlung des Strombedarfs in Frei-flächen wurde im Rahmen des Forschungsprojektes der reale Leuchtenabstand in Parkanlagen stichprobenhaft ermittelt. Er beträgt etwa 20 bis 30 Meter oder rund zehn Leuchten pro Hektar. Dazu kommen Wege, die gar nicht beleuchtet werden, wie Nebenwege oder Wege in Anlagen, die mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen werden (Botanische Gärten, Friedhöfe). Die Strombedarfe wurden aus den Recherchen zur Straßenbeleuchtung im Forschungsprojekt übernommen, sie betragen durchschnittlich rund 430 Kilowattstunden pro Stück im Jahr (595 Kilowatt/Stunde/ Stück*a bei Quecksilberdampf-Hochdrucklampen und 353 kWh/ Stück*a bei Natriumdampf-Hochdrucklampen). Das entspricht einem Strombedarf von rund vier Megawattstunden pro Hektar und Jahr oder dem jährlichen Strombedarf eines drei bis vier Personenhaushaltes.
Bewässerung
Bei den im Forschungsprojekt betrachteten Freiraumtypen gibt es verschiedene Bewässerungsbedarfe. Bewässert werden beispielsweise Rasenflächen, Stauden- oder Wechselflorpflanzungen, Grabflächen oder Beete in Kleingartenparzellen. Nicht betrachtet wurde der Bewässerungsbedarf für Neupflanzungen und Straßenbäume. Die Basisdaten zum Wasserverbrauch (Arbeitsgänge pro Jahr und Pflegeleistung, Wasserbedarf pro Arbeitsgang) sind dem ebenfalls dem FLL-MLV entnommen. Die Vorgaben sind natürlich nur Pauschalangaben, die je nach Witterung unter- oder überschritten werden können.
Potenziale des Freiraums
Bei den energetischen Potenzialen des städtischen Freiraums steht die Biomasse derzeit im Fokus der Diskussion. Biomassenutzung aus Pflege fällt unabhängig von der Verwertung und Entsorgung an. Städte die bereits eine Trockenfermentationsanlage betreiben, können auch ihre Biomasse aus der Grünflächenpflege als Gärsubstrat nutzen.5)
Auch der Anbau von Biomasse auf urbanen Frei- und Brachflächen wurde im Projekt UrbanReNet erfasst. Neben dem möglichen Biomassepotenzial, eröffnet die Idee eines urbanen Biomasseanbaus auch Chancen für eine strukturelle und gestalterische Weiterentwicklung städtischer Freiflächensysteme.6) Weit höhere energetische Potenziale als die Biomasse bieten aufgrund ihrer Flächeneffizienz die oberflächennahe Geothermie7) oder die Nutzung von Solarthermie- und Photovoltaik-Anlagen (siehe Tab. 3). In energieeffizienten Siedlungen wie beispielsweise der SolarCity Linz werden auch Nebengebäude als solaraktive Flächen genutzt und gestalterisch in das Gesamtkonzept eingebunden. Eine Option, die ebenso für Zeilenbebauungen im Bestand in Frage kommt. Allein die "Überdachung" bestehender Wegeverbindungen in Zeilenbebauungen niedriger Dichte würden ein Potenzial von rund 350 Quadratmeter pro Hektar Nettobauland die unabhängig von den Dachflächen solar genutzt werden könnten.
Im Projekt UrbanReNet wurde darüber hinaus auch das Potenzial von öffentlichen Parkanlagen zur Nutzung von Geothermie und Solarthermie beziehungsweise Photovoltaik untersucht.8) Im Gegensatz zur Zeilenbebauung wurde hier nicht von einer maximalen Flächenbelegung ausgegangen, sondern in geeigneten Bereichen (ohne Bäume, verschattungsfrei, mit Gebäudebezug) Potenzialflächen ausgewählt. Trotz dieser Einschränkung liegen die Freiflächen-Potenziale von Solarthermie und Photovoltaik über denen der Zeilenbebauung. Während die gestalterische Einbindung von Geothermie, Solarthermie, PV oder großen thermischen Speichern problemlos möglich ist, bestehen bei der technischen Vereinbarkeit von Vegetation, Freiraumnutzung und regenerativen Energietechniken noch immer offene Fragen.
Energetische Vernetzungsszenarien zwischen öffentlichen Grünflächen und privaten Gebäuden sind derzeit eher "Zukunftsvisionen". Jenseits der energetischen Bedarfe und Potenziale basiert die Stadt natürlich auf genau dieser Vernetzung: Bewohner dicht bebauter Stadtteile decken ihren "Bedarf" an Frischluft, thermischem Komfort oder Aufenthalt im Grünen ganz selbstverständlich in öffentlichen Grünanlagen. Auch die Kühl- und Belüftungsfunktion städtischer Freiflächen - bislang das einzige Mittel gegen den städtischen Wärmeinseleffekt und seine Intensivierung durch den Klimawandel - ist solch eine Vernetzung privater "Bedürfnisse" und öffentlicher "Potenziale".
Anmerkungen
¹) u.a.: Roth, Ueli: Wechselwirkungen zwischen der Siedlungsstruktur und Wärmeversorgungssystemen, 1979 oder Institut Wohnen und Umwelt (IWU): Deutsche Gebäudetypologie - Systematik und Datensätze, Darmstadt, 2003.
²) Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.): Leitfaden Nachhaltiges Bauen - Außenanlagen, Endbericht, 2001, S. 89 ff.
³) Zum Beispiel errechnet sich der Kraftstoffbedarf für Rasenmäher (Liter pro ha und Jahr) aus den Hersteller-Angaben zum Verbrauch (Liter pro Stunde) und der Mähleistung (m² pro Stunde) multipliziert mit der Anzahl der jährlichen Arbeitsgänge nach FLL-MLV.
4) Braunkohlestrom wird mit einem Emissionswert von ca. 1248 g/kWh CO2-Äquivalent veranschlagt, Photovoltaikstrom mit 106 g/kWh, Windstrom mit 24 g/kWh und der deutsche Strom-Mix mit 583 g/kWh
5) Vgl. Porath, Bianca und Rohler, Hans-Peter: Biomassestrategie im Emscher Landschaftspark - Wie Resourcen für die Grünflächenpflege erschlossen werden können, Stadt+Grün, Heft 9/2012, S. 12 - 16; der Beitrag erschien im Rahmen des BMBF-Verbundprojektes "KuLaRuhr", das durch das Fachgebiet "Entwerfen und Freiraumplanung" der TU Darmstadt inhaltlich und personell mit dem Forschungsprojekt "UrbanReNet" verbunden ist
6) Vgl. Sieber, Sandra: Urbane Biomasse - Methoden, Chancen, Hemmnisse, Stadt+Grün, Heft 8/2011, S. 50-54
7) Geothermische Sonden bis 99 Meter Tiefe.
8) Acht Friedhofsanlagen und Kleingartenanlagen wurden im Projekt als ungeeignet für eine geothermische oder solare Nutzung eingestuft.