Ein steiniger Weg zur Umkehr von Schottergärten in den Städten
Umweltschutz durch bauaufsichtliches Einschreiten
von: M.A. Sebastian Dornieden, B.A. Gesa SchosterUm diesem Trend entschieden entgegenzuwirken, hat die Stadt Diepholz in Niedersachsen ein Gesamtkonzept und Phasenmodell zur Stärkung des Umweltschutzes durch bauaufsichtliches Einschreiten entwickelt. Diepholz an dem schmalen Fluss Hunte zwischen den Städten Bremen und Osnabrück ist auf den ersten Blick eine kleine Landstadt wie viele andere. Und doch hat sie, abgesehen von den üblichen Klagen der Kleinstädter, den Vorteil in der Stadtverwaltung ein Klimaschutzmanagement, ein Grünflächenamt und eine eigenständige Bauaufsichtsbehörde in einem Fachdienst integriert zu wissen.
Der grüne Charakter
Sofern es aber zu einem Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gegen Schottergärten führt, sind vor allem die Betroffenen mit diesem Vorgehen häufig nicht einverstanden. Die Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung eines Grundstückseigentümers in Diepholz gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. Januar 2022 (Az.: 4 A 1791/21) durch den Beschluss das Oberverwaltungsgericht vom 7. Januar 2023 schafft für alle Beteiligten nun Klarheit. Damit hat sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht erstmals mit der bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit von Schottergärten befasst.
Die Grundlage für das bauaufsichtliche Einschreiten begründet sich in § 9 Abs. 2 der Niedersächsischen Bauordnung. Hiernach sind alle Freiflächen von Baugrundstücken als Grünfläche herzustellen. Die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke müssen als Grünfläche mit Rasen, Gras oder Pflanzen hergestellt sein. Die Pflicht zur Begrünung besteht seit dem Inkrafttreten der NBauO 1973.
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Grüne Gartenanlagen fördern die Flora und Fauna als Lebensraum und ändern Ihre Farben im Wechsel der Jahreszeiten. Auch die Bodenfunktion des Wasserspeicherns, der Humusbildung und der Bodenlebewesen werden geschützt. Das Anlegen von Grünflächen hat zudem den positiven Effekt der Abkühlung im Sommer, wohingegen harte Flächen aus Gestein als Wärmespeicher dienen. Das unmittelbare Lebensumfeld verschlechtert sich. Zugänge oder Zufahrten sowie Gartenwege, Terrassen und Stellplätze dürfen daher nicht über den funktionalen Zusammenhang und Anspruch hinaus groß errichtet werden.
Dem Beschluss (1 LA 20/22) vom OVG Lüneburg folgend, werden Grünflächen durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche ist der "grüne Charakter"; es handelt sich um eine durch Bewuchs geprägte nichtbauliche Nutzung. Dies schließt Steinelemente zwar nicht aus, diese müssen jedoch dem Bewuchs sowohl in funktioneller als auch in räumlich-gegenständlicher Hinsicht eine untergeordnete Bedeutung haben. Dabei kommt es auf das Gesamtbild an. Erforderlich ist stets eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls.
Erfolg durch Gleichbehandlung und Zonenaufteilung
Der Verstoß gegen das Begrünungsgebot und die Missachtung von textlichen Festsetzungen in Bebauungsplänen stellen einen rechtswidrigen Zustand dar, der mit Bußgeldern geahndet werden kann. Aufgrund der negativen Entwicklung im Kontext der Gartengestaltung bleibt es leider nicht aus, dass Kommunen und Gemeinden sukzessive Kontrollen durchführen müssen.
Bei dem Vorhaben Kies- und Steingärten und auch Kunstrasenflächen aus den Gärten von den Grundstücken zu verdrängen, sind neben der Akzeptanz der Bevölkerung besonders die politischen Vertreter als Moderatoren und Kommunikatoren entscheidend. Durch einen einstimmigen politischen Beschluss des Rates der Stadt Diepholz wurde die Bauaufsichtsbehörde mit den klaren Rahmenbedingungen bekräftigt, zukünftig verstärkt auf die Einhaltung der Niedersächsischen Bauordnung hinsichtlich der Versiegelung von Baugrundstücken zu achten. Ausdrücklich wurde festgehalten, vor der verbindlichen Anhörung und darauffolgenden Anordnung Kiesflächen zurückzubauen, die Bürgerinnen und Bürger beratend und informativ über die gesetzlichen Vorgaben und die damit verbundenen nötigen Änderungen hinzuweisen.
Vom Gericht bestätigt und essenziell bei der behördlichen Vorgehensweise ist die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Hierzu wurde das gesamte Stadtgebiet in verschiedene Zonen eingeteilt. Diese werden nacheinander von der Bauaufsichtsbehörde begutachtet. Zu welchem Zeitpunkt und in welchen Baugebieten, Straßen oder Teilgebieten die Verwaltung einschreitet, steht hierbei immer im Ermessen der Behörde, sowie der zeitlichen und personellen Kapazitäten, sodass ein Eingreifen nur gestaffelt erfolgen kann.
Die drei Phasen der Bauaufsicht
In der ersten Phase werden in Diepholz alle Grundstückseigentümer des als nächstes zur Überprüfung anstehenden Gebietes mit Hilfe eines allgemeinen und leicht verständlichen Schreibens über die Anforderungen der Freiflächen von Baugrundstücken informiert. Aufgrund verschiedenster Nationalitäten, der sozialen Durchmischung und der Sprachbarriere sind zudem symbolische Darstellungen gewählt worden, die durch Bildschriftzeichen in Form von farbigen Gesichtsausdrücken einer besseren Verständlichkeit dienen.
Die Nachricht wird ohne eine vorherige Überprüfung der Grundstücke bewusst an alle Eigentümer eines Gebiets gesendet, um gerade auf kommunaler Ebene Bürgerinnen und Bürger verstärkt zu ermuntern, beim Prozess des Stoppens und der Umkehr des Anlegens von Schotterwüsten mitzuwirken. Die Eigeninitiative und die Gespräche unter der Nachbarschaft werden angeregt. Zum Teil beginnt hierdurch die Umsetzung der Anforderungen an die Freiflächen bereits, ohne dass weitere Schreiben der Stadtverwaltung erforderlich sind. Für die erste Phase sollte den Betroffenen genügend Zeit für die Umgestaltung Ihrer Baugrundstücke eingeräumt werden. Entscheidend für die Akzeptanz solcher Veränderungen sind frühzeitige Aufklärung und Kommunikation. Manchmal reicht schon eben ein Hinweis oder ein Schreiben zur Bewusstseinsbildung und Verantwortung gegenüber der Natur.
Die zweite Phase beginnt mit der Besichtigung des Gebietes durch die Mitarbeiter der Bauaufsicht. Die Verstöße werden bei einer Begehung aufgenommen. Darauffolgend erhalten die betroffenen Eigentümer ein Hinweisschreiben über die gesetzlichen Vorgaben und die damit verbundenen notwendigen Änderungen mit der Bitte um persönliche Rückmeldung. Fernmündlich wird der Sachverhalt erörtert und – sofern gewünscht – Termine vor Ort für eine gemeinsame Besichtigung vereinbart, Absprachen über das weitere Vorgehen getroffen sowie Fristen für die Herstellung des Baugrundstücks zur Grünfläche festgesetzt. Fristen sollten hierbei nach dem Volumen der zu leistenden Arbeit gesetzt werden, ohne den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verletzten. Nach Abschluss des Umbaus wird dieser fotodokumentiert und dem Eigentümer ein Erledigungsschreiben zugesendet. Individuelle Handlungsmöglichkeiten zur Anpflanzungen und Begrünung werden ferner durch die Abteilung für Grünflächen des Fachdienstes Bauen der Stadt Diepholz beraten. Sollten sich die Eigentümer nach einer bestimmten Zeit nicht zurückmelden, wird kontrolliert, ob das Grundstück schon entsprechend den Vorgaben hergerichtet wurde. Ist das Grundstück nicht hergerichtet oder trotz vereinbarter Absprachen nicht umgebaut, tritt Phase 3 in Kraft.
Mit der dritten Phase startet nun die eigentliche Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde darüber zu wachen und darauf hinzuwirken, dass Grundstücke dem öffentlichen Baurecht entsprechen. Die Eigentümer, welche bis zu diesem Zeitpunkt keine freiwilligen Veränderungen auf dem Grundstück durchgeführt haben, werden im Rahmen einer Anhörung angeschrieben. Der Beteiligte erhält in dem behördlichen Verfahren mit einer angemessenen Frist die Gelegenheit, sich zum Sachverhalt zu äußern. In den meisten Fällen reicht ein Anhörungsschreiben aus, damit die rechtmäßigen Zustände wiederhergestellt werden, sodass keine weiteren Maßnahmen in Form einer Bauaufsichtsanordnung über die Entfernung der besagten Flächen oder gar Zwangsgelder erhoben werden müssen.
Ziel der Vorgehensweise ist eine Wertschätzung von Gärten, die eine möglichst hohe Vielfalt aufweisen und damit ökologischen Grundsätzen gerecht werden, ohne die hoheitliche Maßnahme einer Behörde in Anspruch nehmen zu müssen. In Anbetracht der Tatsache, dass private Gartenflächen bei zunehmender Bautätigkeit einen immer höheren Anteil an der verfügbaren Gesamtfläche einnehmen, ist es umso wichtiger, dass diese Flächen eine möglichst gute ökologische Qualität aufweisen. Neben den wichtigen Funktionen für die Biodiversität, haben diese Flächen auch einen hohen Stellenwert für das Kleinklima im Siedlungsraum und dienen somit den Zielen des Klimaschutzes.
Vorgartenwettbewerb, Musterbeete und Pflanzprogramm schaffen Anreize
Gerade hinsichtlich dieser Gesamtproblematik hat die Stadt Diepholz begleitend zum bauaufsichtlichen Einschreiten viele flankierende Maßnahmen eingeführt. Sowohl ein Pflanzprogramm als auch eine Vorgartenkampagne wurde ins Leben gerufen, bei der durch eine Vielzahl von Aktionen das Verständnis für den ökologischen Sinn bepflanzter Flächen geschärft werden soll. Neben einem Wettbewerb für die schönsten Gestaltungsbeispiele wurden im Stadtgebiet Musterbeete als Schulungsobjekte angelegt und die gesamte Kampagne mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit in Form von Vorträgen und Informationsmaterial unterstützt.
Nicht nur die privaten Grundstückseigentümer, sondern auch Gewerbetreibende, die ihren Garten nach ökologischen und gleichzeitig ästhetischen Gesichtspunkten neu- oder umgestalten möchten, wurden dazu aufgerufen, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Einzureichen war die Dokumentation der Gartengestaltung. Diese sollte aus Fotos des Gartens, vor und nach der Umgestaltung sowie einer kurzen textlichen Erklärung zur Vorgehensweise, zum Planungsgedanken und zu den verwendeten Pflanzen bestehen. Die Beiträge wurden von einer Bewertungskommission unter anderem nach der Insektenfreundlichkeit der Anlage, der Artenvielfalt und der ästhetischen Gestaltung bewertet. Als weitere Bewertungskriterien wurden die Biotopstruktur (Nistmöglichkeiten und Verstecke) und die Wahl der Pflanzen hinzugezogen. Dabei wurde auf die Verwendung heimischer Arten und standortgerechter Pflanzen wert gelegt. Eine Förderung der Niedersächsischen Bingo Umweltstiftung machte es möglich, attraktive Preise als Anreiz zur Gartenumgestaltung auszuloben.
Eine Inspiration zur Gartengestaltung bieten dafür verschiedene Musterbeete, die durch Mitarbeiter des Bauhofes im öffentlichen Stadtpark von Diepholz angelegt wurden. Die einzelnen Beete spiegeln verschiedene Standort- und Pflanzbedingungen wider. Je nachdem, wie viel Sonne oder Schatten und wie viel Feuchtigkeit der Garten bietet, kommen andere Pflanzen und Pflanzenkombinationen in Frage. Alle Pflanzen wurden beschriftet und Infotafeln gehen auf die unterschiedlichen Standortsituationen ein. Gut geplante Anpflanzungen vereinen geringen Pflegeaufwand, Umweltfreundlichkeit und Ästhetik. Ein durchdachtes Pflanzschema kann zudem schnell eine optisch ansprechende und insektenfreundliche Wirkung erzielen. Hilfreiche Tricks und Hinweise erhalten die Diepholzer Bürgerinnen und Bürger nicht nur bei der Besichtigung der Musterbeete, sondern auch bei der eingeführten Vortragsreihe mit Pflanzenexperten und Gartenplanern zu der Thematik "Nachhaltige Gartengestaltung".
Mit dem jährlichen Förderprogramm "Bäume fürs Klima", fördert die Stadt Diepholz ferner das verstärkte Anpflanzen von Bäumen und Hecken im Stadtgebiet. Allen Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern bietet das kommunale Förderprogramm ein Kontingent von zwei hochstämmigen Bäumen oder 100 Heckenpflanzen pro Grundstück an. Die Gehölze werden kostenlos von der Stadt zur Verfügung gestellt.
Städte und Gemeinden haben einen entscheidenden Einfluss
Auch seitens der Stadtverwaltung wird stetig an neuen Konzepten gearbeitet, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. So hat sich Diepholz die Schulung der städtischen Mitarbeiter zur naturverträglichen Grünflächenunterhaltung und eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zum Thema "Grün in der Stadt" auf die Fahne geschrieben. Zu besonderen Anlässen wie Ehrungen und Jubiläen verschenkt die Stadt zudem kleine Bäume, die dann in den Privatgärten oder auf anderen Flächen einen würdigen Standort finden sollen. Selbstverständlich ist regelmäßig die Anpflanzung eines Baumes im Bürgerwald möglich. Interessierte haben die Gelegenheit eine Baumpatenschaft für einen oder mehrere Bäume zu übernehmen.
Ein weiterer großer Handlungsbereich für Kommunen ist die Integration vom Klimaschutz in der Landschaft- und Bauleitplanung sowie kommunalen Satzungen. Durch das strukturierte Phasenmodell und den begleitenden Maßnahmen in der Stadt Diepholz sollen nicht nur Verbote die ökologische Situation in den Gärten verbessern, sondern das Bewusstsein und eine neue Grundeinstellung in der Bevölkerung durch gute Vorbilder und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen die Menschen überzeugen und einen dauerhaften Sinneswandel bewirken.
Gemeinschaftlich den Felsen aufhalten
Die Liebe zur Natur darf in den Gärten und auf den Grundstücksflächen nicht enden. Ein subjektiv empfundener Pflegeaufwand darf kein Beweggrund sein, einen umweltschädlichen und auf Dauer gesundheitsschädlichen Weg einzuschreiten. Natürlich ist die Vielfalt an Zäunen und unterschiedlichster Stein- und Kiessorten in den letzten Jahren durch die Industrie gewachsen. Ebenso bieten die Hersteller aber durchaus eine vielfältige Anzahl an klimafreundlichen und den persönlichen Bedürfnissen gerechte Lösungen an. Häuser und Straßen mit schönen grünen Gartenanlagen steigern nicht nur die Wohnqualität, sondern auch den materiellen Wert des Wohngebietes. Ganz nebenbei fördern attraktiv gestaltete Gärten auch nachweislich das Wohlbefinden der Menschen und dienen somit nachhaltig der Gesundheit jedes einzelnen.
Das wegweisende Urteil vom Oberverwaltungsgericht schafft für die Stadt Diepholz aber auch für andere Städte, besonders in Niedersachsen, nun eine Sicherheit in der rechtlichen Handhabe dieser empfindlichen und emotionalen Thematik in der Gesellschaft. Die Stadtverwaltungen und die Bauaufsichtsbehörden allein können allerdings nur einen Appell setzen und geltendes Recht sichern und schützen. Gemeinsam mit den politischen Vertretern können Bürgerinnen und Bürger aber auf einen guten Weg mitgenommen werden. Es bedarf jedoch den Einsatz aller zu sensibilisieren und den bildlichen Felsen, der über die Grundstücke rollt, aufzuhalten. Es ist noch nicht zu spät das Kleinklima in den Gebieten und damit nicht nur die Wohn-, sondern vor allem die Lebensqualität in den Städten weiter zu steigern.