Wie mit Bürgerbeteiligung naturnahe Wildblumenflächen entstanden
Ökologisches Musterquartier im Prinz-Eugen-Park
von: Dr. Reinhard WittEs wird ja viel von Nachhaltigkeit gesprochen diese Tage. Man nimmt gerne das Wort Biodiversität in der Stadt in den Mund, beschwört das Artensterben und will ganz heftig gegen den Klimawandel arbeiten. Wir hören von insektenfreundlichen Pflanzen, diskutieren die Vor- und Nachteile heimisch versus exotisch, denken über Tierökologie nach. Doch genauer betrachtet sind das oft nur Ideen, Wünsche oder falsch verstandene Umsetzungen. Die Wirklichkeit hält nicht mit den oft ungenau definierten Ansprüchen mit. Hier ein Projektporträt, was viele dieser Bezeichnungen wirklich verdient. Und was zeigt, wie man mit einer Pflanzenplanung mit dem Schwerpunkt heimisch durchaus attraktive Lebensräume schaffen kann - sogar für Menschen. Und dass es möglich ist, Bewohnern einer neuen Siedlung diese Themen nicht nur nahezubringen, sondern sie auch in die Praxis umzusetzen.
In München haben Katrin Kaltofen und ich 2019 und 2020 die Gemeinschaftsbauten des ökologischen Musterquartiers Prinz-Eugen-Park begleitet. Bei zwei Bauabschnitten (WA 15 und WA 16) hatten wir unter Leitung des Landschaftsarchitekturbüros liebald + aufermann die Pflanzplanung und -umsetzung unter unseren Fittichen. Dazu gehörten über 60 Wildpflanzendächer, viele öffentliche Gemeinschaftsflächen, sowie private Gartenflächen. Dazu kamen die obligatorischen Feuerwehrzufahrten. Doch von Anfang an.
Modellstadtteil für Ökologie
Auf der 30 Hektar großen ehemaligen Militärfläche entstand im Prinz-Eugen-Park zwischen 2016 und 2020 ein neues Quartier mit etwa 1800 Wohnungen. Rund 600 Wohnungen wurden als ökologische Mustersiedlung verwirklicht, das wurde die größte zusammenhängende Holzbausiedlung Europas. Es gab sechs Bauabschnitte für Ökologie, davon wurden zwei von uns betreut. Der Ausgangsbestand war bereits ökologisch wertvoll: Verschiedene Biotope und alter Baumbestand prägten zusammen mit großflächigen Wiesenbereichen den Prinz Eugen Park.
Das neue Quartier wurde in eine Parklandschaft eingebettet, durch die sich ein Netz aus Fuß- und Radwegen spannt. Innerhalb der öffentlichen Grünflächen entstanden vielfältige Freiräume für alle Altersgruppen. Der alte Baumbestand blieb so weit wie möglich erhalten. Auch das Artenspektrum der Tiere war beeindruckend: Unter anderen gab es vorher Sandbienen, Blattschneiderbienen, Mauerbienen, Blutbienen, Kegelbienen und Wespenbienen, dazu seltene Fledermäuse wie Nordfledermaus, Großer Abendsegler, Rauhautfledermaus, Weißrandfledermaus, Zweifarbfledermaus und Zwergfledermaus. Natürlich war auch die Vogelwelt vielfältig. Und das Gelände wurde bebaut!
Der Boden aller Dinge
Ausgehend von einem Bodengutachten beschloss die Stadt, dass der anstehende Boden für die Freiflächen wiederverwertet werden musste. Wir konnten unsere Substrate frei definieren, sodass wir weitgehend unkrautfreie, mehr oder weniger lehmige Kiesgemische (ortstypische Rotlage) als Ausgangsböden bekamen, die nach verschiedenen Rezepten mit Zuschlagsstoffen wie Sand oder Kompost gemischt wurden.
Die Freiflächen
Die zwei von uns betreuten Quartiere waren sehr heterogen. Es gab sowohl gemeinschaftliche beziehungsweise öffentliche Bereiche als auch private Flächen. Beide Bereiche wurden naturnah beplant, so dass auch die Privatgärten automatisch ein Grundgerüst von naturnahen Ideen und heimischen Wildpflanzen erhielten. Das ergab im Nachhinein eine gute Verzahnung von öffentlich und privat. Manchmal sind heute die Flächen gar nicht zu unterscheiden. Hinzu kamen die über 60 Dächer. Die Pflanzenplanung berücksichtigte die konsequente Umsetzung der Naturgartenidee mit einer Vielzahl von Einzelansaaten, Mischungen von Blumenwiesen- und Saumarten und Gehölzpflanzungen. Insgesamt wurden mehr als 400 heimische Wildpflanzenarten eingebracht und als Stauden, Gehölze oder Zwiebeln gepflanzt oder gesät. Das alles unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels. Die Pflanzenplanung umfasste jeweils Aberdutzende von Seiten. Sehr wichtig für den Erfolg des Projektes war, dass wir die Pflanzenbestellung selber in die Hand nahmen. Zum großen Teil konzipierten wir eigene Saatgutkompositionen und -mischungen.
Die Dächer
Weil die ersten 24 Biodiversitätsdächer so gut gelungen waren, kamen im Laufe des Projektes immer mehr Dachflächen hinzu, sodass wir letztlich den Großteil der Dachflächen beplanen und begrünen durften. Verwendet wurden durchgehend Intensivsubstrate. Die verschiedenen Dachflächen boten dabei unterschiedliche Bedingungen. Von 10 Zentimeter Substrathöhe bis 30 Zentimeter Aufhügelungen war alles dabei. Das ergab viel Erfahrungsraum für Biodiversitätsdächer. Dabei konnten unterschiedlichste Rezepte ausprobiert werden. Im Prinz-Eugen-Park wurde für die vielen Gebäudedächer unser innovatives Konzept eines zukunftweisenden Biodiversitätsdaches verfeinert.
Die Bewohner als unbekannte Wesen
Die Vorabinformation der künftigen Bewohner, die Grobabstimmung und Planung der Freiflächen übernahm das Büro Liebald-Aufermann. Das war eine sehr herausfordernde Aufgabe, mussten doch Wünsche und Ideen von hunderten Menschen. Bürgervereinen, Baugemeinschaften und Baugruppen koordiniert werden, um sie letztlich in einer von den Meisten akzeptierten Planung umzusetzen. Wir hatten es leichter, nur die Pflanzplanung aller Flächen lag in unserer Obhut. Das gab wenig Diskussionen, da die naturgärtnerische Idee in diesen Gruppen zwar theoretisch hochwillkommen war, aber die Details dazu im Prinzip unbekannt. Wir hatten es also mit einer hohen Erwartung und in der Regel sehr geringen Fachkenntnissen zu tun. Die meisten Bewohner hatten vorher nie einen Garten. Und wer vorher rumgegärtnert hatte, kam eher aus der konventionellen Gartengestaltung. Naturgarten in der praktischen Umsetzung war ein Fremdwort.
Das führte in der Umsetzung zu einigen Konflikten und vielen Rückfragen und -sprachen. Weil die Jahre 2019 und 2020 sehr trocken ausfielen, kamen unsere ersten Ansaaten nur sehr zögerlich. "Alles nur eine Kieswüste!" Erst als die Bewohner die Initiative ergriffen und ihre Flächen mit Gießdiensten betreuten, wurde es besser. Schon bald kamen keine Klagen mehr, sondern nur noch Erstaunen und Verwunderung, wie schön naturnah gedachte, gesäte, gepflanzte und konsequent umgesetzte Flächen sein können. Zurzeit betreuen wir noch die Entwicklungspflege, was sehr große Freunde macht. Es entstanden gerade über die Einsätze und Workshops mit den Bewohnern nicht nur Kontakte und Beziehungen untereinander, sondern auch mit uns.
Das Fazit
- absolut spannendes Projekt
- von Anfang an alles naturnah
- sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Planerbüro Liebald-Aufermann
- große Herausforderung in der Umsetzung mit den Leuten
- von keinem Naturgärtner vorher zu vielen Naturgärtnern hinterher
- absolutes Engagement der Bewohner für ihre Pflanzen/Beete
- einige Bewohner fallen immer aus dem Rahmen, torpedieren, können aber mitgetragen werden
- manchmal klare Ansage durch Unparteiische (also uns) ist nötig
- insgesamt ist es ein herzliches Miteinander
- die Workshops haben zur Identifikation mit dem Thema und dem Zusammenhalt untereinander geführt
- Prinz-Eugen-Park ist inzwischen Mekka für Spaziergänger, schon fast touristisch
- das Ziel Biodiversität voll erfüllt
- hoher Artenreichtum schon jetzt
Porträt
- Standort:
München, Jörg-Hube-Strasse - Projektzeitraum:
ab 2019 - Gesamtplanung:
liebald + aufermann, landschaftsarchitekten und stadtplaner. München - Pflanzplanung/Bewohner-Workshops:
die naturgartenplaner, Reinhard Witt/Katrin Kaltofen, Regensburg - Projektfläche:
7000 m² Freigelände und 1390 m² Biodiversitätsdächer - Infos:
www.naturgartenplaner.
Links
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