Ein Audiowalk durch Wolfsburg-Detmerode, eine Siedlung der 1960er-Jahre

Baukultur im Ohr

von:
Stadtentwicklung
Stadtentwicklung
„Baukultur im Ohr. Ein Audiowalk durch Wolfsburg-Detmerode“ ist ein Projekt von Tonspur Stadtlandschaft in Kooperation mit dem Forum Architektur der Stadt Wolfsburg. Quelle: Stadt Wolfsburg

Nicht um schillernde Leuchtturmarchitektur, sondern um eine Wolfsburger Wohnbausiedlung aus den 1960er-Jahren geht es in einem Hörspaziergang, der die Belange des Denkmalschutzes in lebendiger Form vermittelt. Mit Baubeginn 1963 galt Detmerode als Modellstadtteil, in dem mit Architekten wie Dieter Oesterlen und Paul Baumgarten die städtebaulichen Utopien des frühen 20. Jahrhunderts lehrbuchartig umgesetzt wurden: Urbanität durch Dichte, großzügige Grünflächen, Mischung von Geschossbauten und Teppichsiedlungen, autofreundliche Erschließung. Während der damalige Wolfsburger Stadtbaurat Rüdiger Recknagel von Detmerode als einer Siedlung schwärmte, in der sich der Mensch wohlfühlen könne, warfen die Kritiker dem Stadtteil ganz im Vokabular der Zeit "rationalisierende Neutralstrukturen" vor. Tatsächlich ist der rechte Winkel in Detmerode allgegenwärtig.

Heute ist der Stadtteil in die Jahre gekommen, die Einfamilienhäuser wechseln die Besitzer. Die neuen Eigentümer haben veränderte Wohnbedürfnisse, sie wollen dämmen, umbauen und erweitern. Um das besondere zeittypische Gestaltungsbild der Teppichsiedlungen in Detmerode zu erhalten, setzt die Stadt Wolfsburg nun auf Überzeugungsarbeit. Doch wie kann man die eher abstrakten strukturellen Qualitäten der damaligen Planung Laien schmackhaft machen?

Ein Audiowalk, das heißt ein akustisch geführter Spaziergang, erweckt nicht nur den planerischen Zeitgeist der 60er-Jahre zum Leben, er zeigt auch, dass Erneuerung und Denkmalpflege kein Widerspruch sein müssen. Der Vorteil eines Hörspaziergangs liegt auf der Hand: Die städtebaulichen und architektonischen Besonderheiten werden vor Ort erläutert und in eigener Anschauung entdeckt. So wird zum Beispiel die Trennung von Fußgänger- und Autoverkehr, seinerzeit wichtiges Credo, am eigenen Leib erfahren: Architekturvermittlung wird en passant zu einem lebendigen Erlebnis.

SUG-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Stadt- und Regionalplaner*in, Brake  ansehen
Bachelor of Science (B. Sc.) bzw. ..., Iserlohn  ansehen
Gärtner/-innen (m/w/d), Stuttgart  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen
Stadtentwicklung
Was ist eine Attika? Der Audiowalk erklärt vor Ort die Bedeutung des weißen Abschlussbandes der Fassade für das einheitliche Gesamtbild der Häuserzeile. Foto: Stefanie Krebs
Stadtentwicklung
1968 wurden in der Zeitschrift Bauwelt deutliche Debatten über die moderne Stadt Wolfsburg ausgetragen: leblose Eintönigkeit versus ordnende Struktur. Quelle: Titelblatt Bauwelt 1968

Detmerode: quadratisch, praktisch, gut?

"Baukultur im Ohr" ist der Titel des 50-minütigen Hörspaziergangs durch Detmerode, der in fünf Abschnitte unterteilt verschiedene Themen zu Gehör bringt. Zunächst geht es um die Ideale der 60er-Jahre-Stadtplanung. In einem historischen NDR-Interview von 1963 kommt Stadtbaurat Recknagel zu Wort und erklärt seine Vorstellung einer "rund und gut gestalteten Siedlung". Heutige Bewohner schildern ihre Erinnerungen an die Anfangszeit im gerade errichteten Stadtteil, als "jede zweite Frau schwanger war". Es ging ja um nicht weniger, als eine neue Heimat für 15.000 Menschen zu schaffen. Wenn man den Detmerodern heute zuhört, scheint die Utopie der Planer aufgegangen zu sein: "Ich möchte hier gar nicht weg ..." ist der Tenor in den Gesprächen. Handwerklich zur Sache geht es schließlich, wenn die Bewohner selber erläutern, wie sie ihre Häuser und Gärten auf die Höhe der Zeit bringen, ohne das Erscheinungsbild der Quartiere zu zerstören.

Der Audiowalk richtet sich aber nicht nur an die Bewohner von Detmerode, die ihr Grundstück sanieren möchten. Alle sind angesprochen, die mehr über die städtebaulichen Ideen des Stadtteils erfahren möchten: Detmeroder, Wolfsburger und Architekturtouristen. Detmerode hat ja nicht nur städtebaulichen Modellcharakter für das Wohnen in den 60er-Jahren, auch architektonische Perlen gibt es hier zu entdecken wie die von Alvar Aalto erbaute Stephanus-Kirche und einen Kindergarten von Hans Scharoun.

Und dass sich der rechte Winkel sogar auf die Gestaltung der Straßenlaternen erstreckt, ist ein bemerkenswertes, aber leicht übersehenes Detail, auf das der Audiowalk hinweist.

Einfach zugänglich und flexibel nutzbar

Der Audiowalk ist wie ein Hörspiel im Stadtraum aufgebaut: Professionelle Sprecher führen einen Dialog und nehmen den Teilnehmer in ihre Mitte. Sie weisen ihm dem Weg, diskutieren über moderne Stadtplanung und moderieren die vielen Stimmen, die ebenfalls zu Wort kommen: die Experten der Denkmalpflege genauso wie die Bewohnerinnen von Detmerode, die ihre Alltagsperspektive auf den Stadtteil schildern.

Unter www.wolfsburg.de/audiowalk lassen sich die Audiodateien samt Flyer herunterladen. Vor Ort, auf dem Detmeroder Markt leitet auch ein QR-Code zur Website, so dass man sich die Audiodateien spontan auf sein Handy laden und loslaufen kann. Zusätzlich können Audiogeräte und Kopfhörer an zentralen Orten im Stadtteil ausgeliehen werden. So ist der Audiowalk individuell und flexibel durchführbar. Familien und Berufstätige haben selten die Zeit, Führungen, Informationsveranstaltungen oder gar Workshops zu besuchen. Einmal aufs Handy gespielt, kann der Audiowalk jederzeit gelaufen werden: dann, wenn es gerade passt.

"Baukultur im Ohr. Ein Audiowalk durch Wolfsburg-Detmerode" wurde entwickelt von Tonspur Stadtlandschaft in Kooperation mit dem Forum Architektur der Stadt Wolfsburg. Der Audiowalk knüpft an das Modellvorhaben "Detmerode: Städtebauliche Qualitäten gemeinsam sichern" an. - Ein innovatives Werkzeug, das auch anderen Orten zur Qualitätssicherung in der Denkmalpflege eingesetzt werden kann.

Weitere Informationen

www.tonspur-stadtlandschaft.de.

Kontakt: stefanie.krebs@htp-tel.de,

Audiodateien unter www.wolfsburg.de/audiowalk


Literatur

Bauwelt 10/1968, Heft 43/44, Thema: Wolfsburg - nach 30 Jahren, Umrisse einer gegründeten Stadt.

Norddeutscher Rundfunk, NDR 1 Niedersachsen (1963): Niederdeutsche Chronik: Industriesiedlung als Kulturzentrum eines ländlichen Raumes. Gespräch mit Bürgermeister, Oberstadtdirektor und Stadtbaurat von Wolfsburg. Redaktion: Niederdeutsch/Hugo Bartels, ESD: 13.11.1963

Zitate der Bewohner aus dem Audiowalk "Baukultur im Ohr" (Krebs, 2013).

Dr. Stefanie Krebs
Autorin

Lehrbeauftragte am Institut für Freiraumentwicklung der Leibniz Universität Hannover

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

Redaktions-Newsletter

Aktuelle grüne Nachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen